Gottschwanger

Paulus und die Sexualität

Predigttext: 1. Korinther 6,9-14.18-20
Kirche / Ort: Ammersbek-Hoisbüttel / Hamburg
Datum: 22.07.2018
Kirchenjahr: 8. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: 1. Korinther 6, 9-14.18-20 (Übersetzung nach Martin Luther)

9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Lasst euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder,
10 Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben.
11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.
13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.
14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.

18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?
20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Eigene Übersetzung (Christoph Kühne) 1. Korinther 6,9-14.18-20

9 Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte Gottes Königreich nicht erben werden?
Irrt euch nicht!
Weder Prostituierte noch Bilderverehrer (Fetischisten?) noch Ehebrecher noch Lustknaben (Stricherjungens?) noch Knabenschänder
10 noch Diebe noch Gewinnsüchtige, nicht (Var: noch) Säufer, nicht Lästerer, nicht Räuber werden Gottes Königreich (Var: nicht) erben!
11 Und derart sind einige (von euch) gewesen; aber ihr seid abgewaschen (i d Taufe), aber ihr seid geheiligt,
aber ihr seid gerecht gemacht in dem Namen des Herrn (Var: unseres) Jesus Christus und in dem
Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nutzt.
Alles ist mir erlaubt, aber ich lasse mich davon nicht beherrschen.
13 Die (festen) Speisen (sind bestimmt) für den Bauch, und der Bauch für die (festen) Speisen;
aber der Gott wird dies (den Bauch) und das (die Speisen) außer Kraft setzen (vernichten).
Aber der Leib (gehört) nicht der Hurerei sondern dem Herrn, und der Herr (gehört) dem Leib;
14 Aber der Gott hat auch den Herrn auferweckt, und auch uns wird er auferwecken durch seine Kraft.

18 Flieht die Unzucht! Jede Sünde, die ein Mensch begeht, ist außerhalb des
Leibes; aber der Hurende sündigt gegen seinen eigenen Leib.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib (Var: eure Leiber) ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist, dass ihr den von Gott habt (Var: mit ?) und ihr euch nicht selbst gehört?
20 Ihr seid (hoch-) preisig erkauft; ehrt daher (Var: nun) (Var: und tragt) den Gott in eurem Leib (Var: und in eurem Geist - dies ist von Gott)!

Anmerkungen zum Predigttext

1Kor 6,10 Die Koinä will einen „Dreisatz“ von Dieben, Gewinnsüchtigen und Säufern. Außerdem verstärkt sie den Verlust des Erbes mit einem „nicht“.
11 Die Koinä et al. betonen Jesus Christus als „unsern“ Herrn, während die hesychianische Version Christus als den Herrn (der Welt) darstellt. Hier findet sich mit einer trinitarische Formulierung ein Hinweis auf die Rechtfertigungslehre.
14 Wann werden wir auferweckt? Origines (ca. 200 n.Chr.), Cod. Ch. Beatty (3. Jh.), et alii sehen die Christen jetzt schon auferweckt. Spätere Schriften sprechen im Präsenz.
19 Einige Varianten sehen den Tempel des H. Geistes erbaut von „euren Leibern“. Die vorgeschlagene Fassung sieht die Gemeinde als „einen Leib“. Eine Handschrift betont mit einem Fragezeichen, dass die Gemeinde den Geist von Gott hat. Die Ehrung Gottes mit dem Leib ist für die Gemeinde eine Aufforderung und nicht einfach eine Folge. Lateinische Handschriften fügen ein: Ehrt und tragt Gott in eurem Leib; so auch Marcion (85-160nC) und Tertullian (160-220nC). Eine göttliche Empfängnis? Die Koinä, syrische Handschriften et alii vergeistigen den Leib - als Auftrag von Gott.

Der Text ist im Wesentlichen gut überliefert. Paulus hat seinen Brief an seine überwiegend heidenchristliche Gemeinde geschrieben, die er auf seiner 2. Missionsreise im Jahre 50/51nC gegründet hat. Er hatte dort für seinen Lebensunterhalt gearbeitet. Zu der Gemeinde gehörten arme und reiche Menschen. Den 1 Kor hat Paulus 53/54nC in Ephesus geschrieben.

Gedanken beim ersten Lesen des Predigttextes

Hier liegen nun die Gedanken des Paulus vor, die er zur Sexualität geäußert hat. Es gibt einen Unterschied zwischen „Sünden“ und Sexualität. Sünden bleiben „außerhalb des Leibes“, Sexualität aber verleibt den Anderen ein. Darum sollen wir auf unseren „Leib“ achten. Er ist „ein Tempel des Heiligen Geistes“. Doch wer sich sexuell „vergangen“ hat, ist dennoch „rein“ geworden durch „den Geist unseres Gottes“. Er ist „teuer erkauft“. Gemeint ist hier die Taufe.

Können wir einen solchen Text heute überhaupt noch predigen? Sexualität hat für uns eine andere Bedeutung als für Paulus. Was bleibt uns, wenn wir das zeitgeschichtliche Kolorit des Altertums abstreifen? Gibt es Aussagen, die uns heute noch betreffen? Z.B. die, dass wir uns nicht selber gehören?

 

 

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An einem Sonntag im Juli wie heute kann man sich gar nicht richtig vorstellen, dass vor 2000 Jahren ein Mann, ein Syrer, in der damals großartigen Stadt Ephesus (heute Izmir) sitzt und einen Brief schreibt. Ich stelle mir vor, dass er, getrieben vom Geist Gottes, seine Gedanken zu bändigen versucht. Er ist nicht ganz bei Sinnen: Er ist betrunken von Gott und will einer kleinen Gruppe von Christen in einer fernen Stadt in Griechenland schreiben, wie es ist, „von Christus besoffen“ zu sein. Ja, mehr noch, wie es ist, „in Christus“ zu sein. Kein anderer Gedanke scheint ihn mehr zu bewegen als dieser. Rastlos und getrieben hat er die damalige Welt bereist, durch Stürme, mit Schiffen, zu Fuß. Er hat viele Gefahren auf sich genommen. Einmal ist er sogar gesteinigt worden.

Aber „durch Gottes Gnade und Freundlichkeit bin ich, was ich bin“, wird er am Ende dieses Briefes den Christen in Korinthe schreiben. Sie haben es wahrscheinlich schon erraten: Der Autor der folgenden Zeilen ist Paulus, der sich – sehr unbescheiden, aber überzeugt! – für einen Apostel, mithin einen Jünger Jesu Christi hält. In den folgenden Zeilen befasst er sich mit dem Thema Nr. 1: der Sexualität. Wie passen Sex und Glauben zusammen? Gibt es eine besondere Sexualität von Christen? Haben sie überhaupt eine? Hört die Lesung aus dem 1. Brief an die Korinther, Kapitel 1, Verse 9-20 in Auswahl.

(Lesung des Predigttextes)

Sexualität heute?

Sexualität heute? Kaum eine Zeit ist so gespalten wie die heutige. Da kann heute jedes Kind pornographische Filme im Internet anklicken, nackte Brüste sind im Kiosk normal, ja Femen-Frauen lassen sich nackt filmen. Und auf der anderen Seite macht sich eine Prüderie breit, die kaum mehr zu verstehen ist. Die me too-Debatte hat das Thema des sexuellen Missbrauchs mit Recht in den Vordergrund gestellt. Ein Nein ist ein Nein! – auch bei größter freizügiger Aufmachung. Einerseits sind wir heute umfangen von strengsten Moralverschriften und -gesetzen, andrerseits diskutieren die Massenmedien das Thema abweichenden Verhaltens, also die Frage, was eigentlich pervers und was normal ist. Einer der Nenner lautet: Was einvernehmlich geschieht, ist auch erlaubt. Doch wo ist die Grenze?

Unser Apostel Paulus nennt in seinem Brief an die kleine Gruppe der Christen in der griechischen Hafenstadt Korinth einige sog. „Perversionen“, die heute „normal“ sind und andere, die wir heute ablehnen. Da sind die Ehebrecher, da sind die Prostituierten und Stricher, Paulus nennt auch Fetischisten. Für uns heute Formen der Sexualität, die ihre Berechtigung haben und die auch unter dem Schutz der Persönlichkeitsrechte stehen. Ablehnen würden wir mit Paulus die Pädophilie und die Kinderprostitution. Sie werden in einer Reihe genannt mit Dieben, Süchtigen, Verbrechern und – Gewinnsüchtigen.

Taufe für Menschen mit Vergangenheit

Und der Apostel scheut sich nicht, seinen Adressaten zu sagen, dass einige aus der Gemeinde durchaus Menschen „mit Vergangenheit“ seien. Aber – so schreibt er: Seit ihr getauft seid, sind diese Makel von euch abgewaschen. Die Vergangenheit zählt nicht mehr. Jetzt seid ihr „heilig“. Jetzt gehört ihr zu einer neuen Gruppe, zur Kirche Jesu Christi. (Ich bin sicher, dass Paulus an dieser Stelle kurz gezögert hat, weil er hier seine Geschichte andeutet. Wenn man ihm seine Vergangenheit anrechnen würde, würde er vor Gott keinen Stich bekommen!) Ihr – also WIR – gehört zu einer neuen Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Heiligen. Aber nicht, weil wir Christen so besonders gut wären, sondern im Gegenteil, weil Gott uns in der Taufe angenommen und gerecht gesprochen hat. Und da ist das Dritte, was Paulus uns schreibt: Die Taufe hat uns gerechtfertigt, gerecht gesprochen. Wir stehen jetzt IN CHRISTUS, sind neu, wie neu geschaffen.

Anmerkung: Diese Kurzausführungen über die Taufe sollten wir uns auf der Zunge zergehen lassen. Wenn die Taufe einen so großen, ja hohen Wert hat, dann sollten und könnten wir anders leben. Vielleicht fröhlicher. Vielleicht hoffnungsvoller. Vielleicht friedfertiger. Vielleicht „christlicher“. Vielleicht mit mehr Freude in dieser Welt und an dieser Welt. Trotz alledem!

Nicht alles ist heilsam

Doch kehren wir zu unserem Briefabschnitt zurück. Paulus errät unsere Gedanken, wenn er sagt: Für die Getauften gilt, dass ihnen alles erlaubt ist. Wer getauft ist, steht unter einem neuen Gebot, unter dem Gesetz Christi. Alles ist uns erlaubt, aber nicht alles „frommt“ (hätte man früher gesagt). Nicht alles ist gut für uns. Dies ist eine Binsenwahrheit! Auch wenn ich auf der Autobahn 200kmh fahren könnte, weil mein BMW die entsprechenden PS unter der Haube hat, könnte es wegen der Windverhältnisse oder auch wegen des dichten Verkehrs unangebracht sein, so schnell zu fahren …

Und auf die Sexualität bezogen? Ist alles erlaubt, was mir, was uns Spaß macht? Paulus sagt: Zunächst einmal: Ja! Und dann kommen einige Anmerkungen, die ich für nachdenkenswert halte. Überlege einmal, auf was und wen du dich einlässt. Denn auf wen du in dich einlässt, dem bist du verpflichtet. In der deutschen Sprache haben wir dieses merkwürdige Schwingen zwischen „sich einlassen“ und „jemanden einlassen“. Wen lasse ich in mein Haus, in meine Wohnung, in mein Zimmer? Wen lasse ich in mich ein? „Alles ist erlaubt, aber nicht alles frommt“, sagt er und meint damit auch die sexuellen Verbindungen, die wir miteinander eingehen. Wir kennen wahrscheinlich alle den Schmerz einer Trennung von einem Menschen, den wir geliebt haben. Es ist oft so, als ob ein Teil von mir amputiert ist. Wir leisten Trauerarbeit und suchen die Begleitung von Seelsorgern oder auch Psychotherapeuten, um wieder heil zu werden. Sexuelle Verbindungen sind eben intensiver als andere berufliche oder auch freundschaftliche Beziehungen.

Der Apostel Paulus formuliert sehr drastisch in seinem Brief: “Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, dass ihr den von Gott habt und ihr euch nicht selbst gehört? Ihr seid (hoch-) preisig erkauft; ehrt daher Gott in eurem Leib!” Mit anderen Worten: Gott hat es sich viel kosten lassen, als er uns in der Taufe „erkauft“ hat und damit aus dem „alten Leben“ mit allen seinen „Perversionen“ herausgenommen hat. Und dies mit Leib und Seele, Haut und Knochen, Vernunft und Gefühl. Wer sich einmal auf den Gott Jesu Christi eingelassen hat, der hat sich auf das Größte und Schönste eingelassen, was ein Mensch überhaupt erleben kann. Der spürt, dass das Reich Gottes nahe ist. Dass Frieden hier auf Erden machbar ist. Das diese Welt mit ihrem Chaos von unserm Gott geschaffen ist als Ort der Freude, der Hoffnung, der Liebe.

Umgang mit Sexualität

Und wie gehen wir mit unserer Sexualität jetzt um? Paulus formuliert hier seine eigenen Gedanken. Sind es nur Gedanken eines Mannes? Ich lese als sein entscheidendes Anliegen: Wenn du Gott in dich eingelassen hast, dann wirst du anders leben. Dann wirst du den anderen nicht für dich missbrauchen, sondern in ihm ein Geschöpf Gottes sehen. Erinnern wir uns an den Missbrauchskatalog vom Anfang. Da hatte Paulus von Gewinnsüchtigen und Verbrechern gesprochen, die gegen die Gebote Gottes verstoßen. Wer aber Gott in sich trägt, ist von ihm erfüllt, ist Gottschwanger. Ist Freude-schwanger. Und der will, dass Gott zur Welt kommt, dass Freude diese Welt erfüllt, dass Liebe sich ausbreitet.

Muss ich noch konkreter werden? Wenn wir glauben und wissen, dass Gott uns angesteckt mit der Flamme der Liebe, dann sollten wir brennen und lodern. Und in die Welt gehen, in die Familie, in den Beruf, zu den Freunden. Wie hat es Jesus einmal in der Bergpredigt gesagt: Ihr seid das Licht der Welt (Mt 5,14). Besser kann man es nicht sagen!

 

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Ein Kommentar zu “Gottschwanger

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Die Predigten sind heute aus einem Grund nicht so aktuell und interessant: Das Thema Freude und Sünde bei der Sexualität wird vornehm ausgeklammert von Predigern sehr im Gegensatz zu früher. Sehr originell und aktuell und verständlich stellt dagegen Pastor Kühne es in den Mittelpunkt seiner Predigt. Gründlicher als üblich untersucht er vorher den Predigttext des Paulus und beginnt mit der Situation des begeisterten Paulus. Dann fragt er : Sexualität heute ? Es gibt große Gespaltenheit. Einerseits kann man eine Menge pornografische Bilder und Filme sehen, andererseits gibt es eine Diskussion der Perversionen und ME-TOO. Paulus geht davon aus, dass Christen mit der Taufe ihre sündige Vergangenheit abgelegt haben und sexuelle Liebe jetzt mit christlicher, verantwortlicher Liebe koppeln.Wenn Du Gott in dich eingelassen hast, wirst du anders leben. Du wirst den andern nicht für dich mißbrauchen. Durch Jesu Liebe bist Du dann das Licht der Welt ! – Dieser sehr originellen, unüblichen und hilfreichen und wichtigen Predigt wünscht man eine weite Verbreitung.

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