Befreiende Botschaft
Sich von der Liebesbotschaft des Evangeliums provozieren lassen, sich neu auf die Freiheit in Christus einlassen
Predigttext: Galater, 2,16-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
16 Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht.
17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, sogar selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!
18 Denn wenn ich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter.
19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.
20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.
21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.
Liedempfehlung:
„Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (EG Württ. RegTeil 619,1-4)
Heute hier in meinem letzten Gottesdienst in der Melanchthonkirche oute ich mich als großer Fan der europäischen Royals. Die Königshäuser mit ihren Thronfolgern und neu geborenen Prinzessinnen faszinieren mich schon von Kindesbeinen an. Meine Oma brachte mich durch ihre „Käsblättle“ darauf. So nannte sie ihre Boulevardmagazine, die ich immer im Fach ihres Wohnzimmertisches finden und ausgiebig studieren konnte. Ich gebe zu, literarisch nicht besonders anspruchsvoll. Auch der Wahrheitsgehalt ist oft recht fragwürdig. Und doch wecken die Auf und Abs im Leben der Royals bis heute mein Interesse. Sie können sich vorstellen, wie groß meine Freude war, als der englische Prinz Harry seine Vermählung mit der US-amerikanischen Schauspielerin Meghan Markle bekannt gab.
Tatsächlich Liebe – das Evangelium bei den Royals
Selbstverständlich trug ich mir den Termin der Hochzeit direkt in meinen Kalender ein. Schließlich würden die Ankunft an der Kirche in Windsor Castle und der Traugottesdienst der beiden live im Fernsehen gezeigt. Als der große Tag gekommen war, bestaunte ich zunächst die ganzen Prominenten in ihren schicken Kleidern. Und dann, endlich, trafen nach den Mitgliedern der Königsfamilie zunächst Prinz Harry gemeinsam mit seinem Bruder William und schließlich die elegante Braut ein.
Der Traugottesdienst enthielt viele traditionelle Elemente des britischen Adels. Doch es gab auch einige ungewöhnliche Momente. Zum Beispiel sang der US-amerikanische Kingdom Choir das Gospellied „Stand by me“. Mein persönliches Highlight war, wie für viele andere auch, die Predigt des afro-amerikanischen Bischofs von Chicago. Michael Bruce Curry. Voller Begeisterung und deutlich länger als vom königlichen Hof eingeplant sprach er über die Liebe. Mit enormem Pathos und wild gestikulierend verkündete er die befreiende Botschaft des Evangeliums und der damit verbundenen Haltung, die wir Menschen in Christus zueinander haben dürfen.
Wenn man sich die Gesichter der britischen Königsfamilie während seiner Predigt ansah, wurde eines klar: Hier prallten Welten aufeinander. Mit so viel Liebe und Leidenschaft konnten die britischen Gemüter zunächst nicht umgehen. Eiserne Minen und irritierte Blicke wurden ausgetauscht. Am Ende trug die Queen ein dezentes Lächeln auf den Lippen. Ähnlich ist es auch mit der Botschaft vom Kreuz Jesu Christi, die der heutige Predigttext in sich trägt. Ich lese aus dem Galaterbrief, Kap. 2,16-21, in der Übersetzung nach Martin Luther ( Revision 2017).
(Lesung des Predigttextes)
Es prallen zwei Welten aufeinander
Auch wenn wir vom Kreuz Jesu Christi sprechen, prallen zwei Welten aufeinander. Die Welt Gottes und die unsere. Die Welt der unverdienten Gnade und die Welt des Gesetzes. Eigentlich hatten wir uns alles im Gesetz so schön zurechtgelegt. Für alles gab es Vorschriften und die passenden Maßnahmen, wenn sie nicht eingehalten wurden. Das wird in der Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin, wie wir sie vorhin gehört haben, besonders deutlich. Das Vergehen war klar. Die Bestrafung auch. Und nun kommt Gott und stellt alles auf den Kopf. In Jesus Christus versöhnt er diese Welt voller Gesetze und Gehorsam nicht nur mit sich, sondern lässt ihn auch noch all ihre Schuld tragen. Jenen Mann, der sich schützend vor die Ehebrecherin stellt, weil er weiß, dass kein Mensch ohne Schuld ist und bleiben kann.
Mit Jesus kommt Gnade in unser Leben. Mit ihm ist das Urteilen nicht an uns, sondern allein bei ihm. Nur er ist imstande, zu richten. Deshalb ist mit dem Kreuz das Gesetz ausgeschaltet. Es ist tot. Aber nicht, weil wir Menschen daran gescheitert sind, sondern weil das Gesetz an Christus gescheitert ist. Und es wird noch besser. Durch die Gnade Gottes ist uns eine große Freiheit geschenkt worden. Eine Freiheit, in der wir geliebt werden von Gott.
Beim Gesetz weiß man, was man kriegt
Die paulinischen Verse sind nicht ohne Grund so klar und scharf formuliert. In der Gemeinde in Galatien spielte sich Ähnliches ab, wie einst in der Stadt Antiochia. Dort war es zum direkten Streit zwischen Paulus und Petrus gekommen. Petrus hatte gemeinsam mit Juden- und Heidenchristen/-innen gelebt. Sie aßen zusammen an einem Tisch. Es gab keine Trennung mehr zwischen ihnen ganz im Sinne Jesu Christi. Ihre Herkunft spielte keine Rolle mehr. Eine völlig neue Entwicklung, ja Gemeinschaft war entstanden. Doch als sich Abgesandte von Jakobus anmelden, änderte Petrus plötzlich sein Verhalten und ordnete sich wieder ganz dem jüdischen Gesetz unter. Er zog sich zurück und lehnte eine Gemeinschaft mit den Heidenchristen plötzlich ab. Die Speisegesetze hielt er wieder ein und auch alle damit verbundenen Trennungen. Und er riet sogar auch anderen Judenchristen dazu, es ihm gleichzutun. Wie kann er nur, der Feigling, denke ich da, ehrlich gesagt.
Auch wenn Jakobus vielleicht kritisch geschaut hätte, dass in Antiochia Juden- und Heidenchristen/-innen zusammen essen, heißt das doch nicht, dass Petrus nicht seiner Überzeugung des Evangeliums folgen kann. Aber wenn ich weiter ehrlich bin, ist mir das Verfallen in alte, sichere Muster gar nicht so unbekannt. Denken Sie nur an eine Diät oder den neuen Fitnessplan, den Sie sich vornehmen! Und wie lange Sie ihn durchhalten! Es kann uns schwerfallen, uns von alten Rastern und Strukturen zu lösen. Schließlich helfen die Regeln auch im Alltag. Da weiß man, was man kriegt. Außerdem liegt die Verantwortung für sie nicht bei uns. Wenn es Gesetze gibt, müssen andere dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Sicher ist sicher. Wie muss es da erst Petrus gegangen sein, in dessen menschliche Welt der jüdischen Vorschriften und Gesetze im Kreuz Christi Gottes Gnade hineinkommt und alles verändert. Da doch nochmal auf Nummer Sicher gehen zu wollen, wenn Jakobus Leute aus Jerusalem schickt, kann ich schon verstehen. Ihm fehlte der Mut.
Wir tragen Verantwortung in dieser Welt
Der radikale Paulus ist da ganz anderer Meinung. Wie kann Petrus sich nur so verhalten, nach all dem, was er mit und durch Christus erfahren hat!? Und wie kann sich die Galater jetzt genau so verhalten?! In Vers 18 heißt es: „Denn wenn ich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter“. Die Gemeinde dort kann doch nicht einfach wieder zum Altbekannten zurückkehren! Nicht nach dem Kreuzestod Christi! Für Paulus mögen die Juden vor dem Gesetz einen anderen Stand gehabt haben, aber vor Gott haben sie denselben Stand wie die Heiden: Sie sind auf Gottes Gnade angewiesene Sünder. Jetzt sprudeln die Worte der Gnade nur so aus Paulus heraus. In Vers 20 hören wir den berühmten Satz: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“.
Wenn wir doch Christus in uns haben, wie können wir da nur im Entferntesten denken, dass das Gesetz, all die Regeln und Gebote, noch irgendeine Macht über uns haben könnten? Und ja, es gehört Mut dazu, anders zu leben. Es gehört Mut dazu, in Freiheit zu leben. Denn diese Freiheit des Evangeliums birgt nicht nur Schönes und Leichtes in sich. Sie verlangt uns auch manches ab. Das Ringen und Diskutieren über das Wort Gottes. Die Verantwortung füreinander und für unsere Kirchengemeinde. In Gottes Welt tragen wir Verantwortung für uns selbst. Das kann auch bedeuten, ein Risiko einzugehen. Denn wenn wir als Christinnen und Christen verantwortlich leben in dieser Welt, betrifft das auch Bereiche, die gerade nicht klar durch Gesetze geregelt sind.
Aktuell erleben wir das in der unsäglichen Situation der Geflüchteten zwischen den europäischen Ländern und der nordafrikanischen Küste. Obwohl sie offensichtlich im Mittelmeer in Seenot geraten, es sogar noch mutige Menschen auf Rettungsbooten gibt, die sie aufnehmen, wird ihnen die Einreise nach Europa verwehrt. Um die 1500 Menschen sind dadurch alleine in diesem Jahr bisher ertrunken – und wir haben erst August. Richtig absurd wird es, wenn sich die Mitglieder des Schiffs „Lifeline“ mit einem offenen Brief an den Vorsitzenden der Partei mit „christlich“ im Namen wenden. Erst nach sechs Tagen mit geretteten Geflüchteten an Bord durfte es in Malta anlegen. Das Schiff wurde daraufhin festgesetzt und der Kapitän angezeigt. In diesem Brief heißt es:
„Es fühlt sich beschämend an, dass die Bundesregierung durch die Behinderung der Seenotrettung dazu beiträgt, dass mehr Menschen im Mittelmeer sterben. Haben Sie Studien, eine Statistik oder ein Bauchgefühl, mit dem Sie diese Toten rechtfertigen können? Stellen Sie sich vor, wie es ist, wenn Menschen gefoltert und versklavt und vergewaltigt werden – ganz bildlich in Libyen. Stellen Sie sich vor, wie diese Menschen in ihrer Verzweiflung alles tun, um Libyen entkommen zu können. Stellen Sie sich vor, dass der einzige Weg ein Schlauchboot ist und dass man für diesen lebensgefährlichen Weg dann noch viel Geld bei kriminellen und gewalttätigen Schlepperbanden bezahlen muss. Stellen Sie sich vor, dass dort Männer, Frauen und Kinder – die nie schwimmen gelernt haben – auf überfüllten Booten ins Wasser fallen – ohne Schwimmweste. Stellen Sie sich den Kampf gegen das Wasser vor, das langsam aber sicher ihre Lungen füllt, bis sie ertrinken. Stellen Sie sich vor, dass Sie fordern, dass diesen Menschen nicht geholfen wird“.
Hier geht es nicht mehr darum, welche Position wer zur Integration einnimmt oder wie wir die Zukunft unseres Landes, ja Europas gestalten wollen. Hier geht es schlicht darum, dass Menschen sterben. Und dass diejenigen, die Verantwortung übernehmen, auch noch dafür bestraft werden, dass sie diese Menschen vor dem Ertrinken retten.
Wenn Paulus von der Liebe Gottes und der Gnade Christi schreibt, bedeutet das nicht nur, dass wir Freiheit geschenkt bekommen, sondern dass wir auch anderen Menschen zu dieser Freiheit verhelfen sollen. Gerade wenn die Politik so verdreht wird, dass Menschen sterben, obwohl wir es verhindern könnten, ist es an der Zeit, dass wir Verantwortung übernehmen.
Es tut gut, sich immer wieder von der Liebesbotschaft des Evangeliums provozieren zu lassen. Sich wieder neu auf die Freiheit in Christus einzulassen. Wer weiß, vielleicht ist das Bischof Curry bei der Queen ja sogar auch gelungen oder bei den Millionen von Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern, die den royalen Traugottesdienst verfolgt haben. Mir ist er auf jeden Fall als gutes Vorbild im Gedächtnis geblieben.
Der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.