Kirche der Armen
In jedem Menschen Gottes Kind sehen und ihnen liebevoll begegnen
Predigttext: Apostelgeschichte 3, 1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. 2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. 4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 8 er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. 10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.
Gedanken zum Predigttext
Der Wochenspruch aus Jesaja 42,3, "Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen", wird in allen Texten für diesen Sonntag deutlich. In der Predigtreihe IV heilt Petrus einen Lahmen und stellt ihn damit nicht nur auf die Füße, sondern auch in die Gottesgemeinschaft, die ihm vorher aufgrund seiner Behinderung verwehrt war.
Wahrscheinlich war dieser Abschnitt eine einzelne Erzählung, die von Lukas dann in den größeren Zusammenhang gestellt wurde. Ich predige aber nur über diesen Abschnitt, nicht über die Fortsetzung der Ereignisse. Johannes bleibt merkwürdig farblos, vielleicht wurde er nachträglich dazugefügt, weil ein Zeuge gewünscht wurde. Das schöne Tor ist nicht mehr zu lokalisieren.
Im Predigttext wird Grundsätzliches über die christliche Kirche, die Kirche des Auferstandenen, beispielhaft geschildert. Sie ist eine Kirche der Armen (Vers 6), Wunder geschehen nicht durch menschliche Kraft, sondern durch den Auferstanden. Es wird keiner ausgeschlossen.
Kurz vor Beginn der Kieler Woche war ich in der Innenstadt von Kiel. Was mir auffiel, waren die vielen Bettler und Bettlerinnen. Einige hatten einen Hund dabei, die Mehrheit aber hockte in der gleichen Pose mit dem gleichen Becher einfach nur da – vermutlich von einer osteuropäischen Gruppe. Ich fragte mich, wie viele Menschen bei so vielen Bettlern etwas geben. Von denen schienen die meisten jung zu sein, sicher war das nicht. Natürlich hat man immer ein schlechtes Gewissen, wenn man einfach so vorbeigeht, aber …
iDer Predigttext aus den Anfängen des christlichen Glaubens handelt von solch einer Begegnung mit einem Bettler. Ich bin mir immer nicht sicher, wie viele Bettler es damals gab, einerseits war das Elend viel größer und viele Erkrankungen, die wir heute heilen können, schafften Arbeitsunfähigkeit, andererseits starben die Menschen schneller und jünger. Vor der schönen Pforte des Tempels saß täglich ein solcher Bettler, körperhindert seit der Geburt. Vermutlich hätte er – in einem Rollstuhl und ganz normal ausgebildet – auch arbeiten können, aber das gab es damals noch nicht. So musste er betteln. Und er mußte vor der Tempelpforte betteln, weil er behindert war.
Behindertsein, Krankheit, galt als Strafe Gottes. Wer von Geburt an behindert war, büßte eventuell für die Sünden der Eltern. So jemand durfte den heiligen Tempel nicht betreten. So wurde er doppelt und dreifach bestraft. Er war auf die Hilfe anderer angewiesen, arm, wahrscheinlich hatte er Schmerzen, und er wurde auch noch ausgeschlossen aus der Gemeinschaft.
Da kommen Johannes und Petrus zu dieser Tempelpforte. Sie waren beide Juden, und am Anfang der christlichen Kirche hielten sich die Christen zum Tempel, die Trennung kam erst später. Der Mann bittet sie um ein Almosen, so, wie es es wahrscheinlich bei jedem tat, der an ihm vorbeiging. Wahrscheinlich hat er – wie die Bettler in Kiel – gar nicht mehr richitg hingesehen, verschwammen alle seine Wohltäter zu einer einzigen Masse. Deshalb sagt Petrus: “Sieh uns an!” Er will sich von der vorbeiziehenden Menge unterscheiden.
Der Behinderte wundert sich wahrscheinlich, fragt sich, was das soll – und hofft wahrscheinlich auf eine besonders großzügige Spende, die sein Überleben für längere Zeit sichern würde. Umso betroffener hat ihn wahrscheinlich der nächste Satz des Petrus gemacht: “Silber und Gold habe ich nicht”. Also wird es nicihts mit der großzügigen Spende, wieder eine enttäuschte Hoffnung. Jemand will, dass er ihn ansieht, und ist doch genauso arm wie er.
Aber dann geschieht das Wunder. Petrus reicht dem Lahmen die Hand, zieht ihn hoch, befiehlt iihm im Namen Jesu Christi zu gehen – und er kann gehen. Er kann nicht nur gehen, sondern er springt umher, läuft, vielleicht tanzt er sogar ein wenig, und er lobt Gott. Er hat begriffen, dass nicht Petrus und Johannes ihn geheilt haben, sondern dass es Gott selbst war, der in diesem Augenblick die Heilung bewirkt hat. Und er kann endlich zu dem Ort gehen, der ihm sein Leben lang verschlossen blieb: in den Tempel. Er gehört nun dazu, ist Teil der Gemeinschhaft des Volkes Gottes. Das ist vielleicht das größere Wunder: dass jemand, der sein Leben lang draußen davor stand, mit Makel behaftet, nun befreit ist, dazugehört, Gott loben kannn wie alle anderen auch.
Deshalb freue ich mich immer wieder, dass wir als Kirche diese Tradition haben: Jeder und jede kann dazu gehören. Es ärgert mich, wenn Christen Krankheit und Behinderung mit Schuld in Verbindung bringen, denn Jesus hat diese Verbindung verneint. Wir sind aufgerufen, ihnen zu helfen. Wenn wir heute auch keine Wunder mehr vollbringen, wie Petrus sie vollbrachte – ich bin eher skeptisch, wenn jemand heute von solchen Wundern berichtet.
Unsere Diakonie und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vollbringen täglich Wunder, in unendlicher Geduld, Liebe und Fürsorge. Damit tröste ich mich immer, wenn – wie damals in Kiel – einfach zu viele Bettler da sind. Das schlechte Gewissen bleibt, selbst wenn man den Eindruck hat, sie könnten eigentlich arbeiten statt dort zu hocken. Ich habe mein Gewissen damit beruhigt, dass ich die Zeitschrift “Hempels” gekauft habe, auch ein Projekt der Diakonie in Kiel. Ich kaufe sie immer, teilweise sogar mehrfach, weil ich das so eine gute Alternative zum Betteln finde. Außerdem entsteht meisten noch ein kleines Gespräch auf Augenhöhe.
Wie wir mit den Bettlern umgehen, denen wir begegnen, muss jede und jeder selbst entscheiden, das kann uns keiner abnehmen. Das schlechte Gewissen wird uns dabei begleiten, denn es ist nie genug bei so viel Elend in der Welt. Aber eines können wir tun: Niemanden ausschließen, auf niemanden herabsehen, in jedem Menschen Gottes Kind sehen und ihnen liebevoll begegnen.
Diese Predigt ist besonders verständlich, klar und anregend. Sie zieht den Leser empathisch hinein ins Geschehen der Heilung. Nach dem aktualisierenden Eistieg in das verbreitete Betteln damals und heute, hebt die Pastorin von der besonderen Situation des Gelähmten damals hervor : er war zu allem Unglück ausgeschlossen vom Besuch des Tempels und des Gottesdienstes und der Gemeinschaft. Petrus spricht ihn an, nimmt ihn an der Hand und heilt ihn so, dass er Gott lobt und etwas tanzt. Den aktuellen Aspekt, dass auch heute niemand aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden darf, hebt die Pastorin besonders hervor. Kirche und Diakonie sorgen für Gemeinschaft und Heilung. Die Predigt endet prägnant und passend mit dem Wort liebevoll. – Ergänzen möchte ich, dass ein Altenpfleger mir erzählte: ein alter Mann war war so reigniert, dass er beschloss: ich gehe keinen Schritt mehr. Bald konnte er nicht mehr gehen, selbst wenn er wollte. Hilfreich ist besonders bei Oberschülern und Studierten auch immer die psychologisch- religiöse Auslegung von Drewermann.