Unter Gottes Schutz
"Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende ..."
Predigttext: 1.Mose 4,1-16+25 (Revidierte Lutherübersetzung 2017)
1 Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN. 2Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.
3Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.
9Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.
13Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.
25Adam erkannte abermals seine Frau, und sie gebar einen Sohn, den nannte sie Set: „Denn Gott hat mir einen andern Sohn gegeben für Abel, den Kain erschlagen hat.“
Kurz-Exegese
V.1-2, Exposition: Zur Deutung der Namen Kain und Abel, zur Übersetzungs-Problematik, zu ihren Berufen, u.a.: s. die Kommentare und Meditationen.
V.3-4: Der biblische Erzähler sagt nicht, welchen Zweck die Brüder mit ihrem Opfer verfolgen und warum Gott Abel bevorzugt.
V.5: Es wird auch nicht begründet, warum Gott das Opfer Kains nicht annimmt. Handelt er willkürlich, ist er ungerecht? - vgl. 2.Mose 33,19: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig… Wenn die Erzählung dazu schweigt, sollten wir nicht darüber spekulieren, wenngleich viele Fragen bleiben. So geht es im Leben zu: der eine wird angenommen, der andere nicht. Der Nichtbeachtete reagiert negativ: mit „Hitze“ und finsterem Blick.
V.6+7: Ein sehr wichtiger Einschub, um Gott zu entlasten. Das Böse ist so stark geworden, dass trotz der Warnung Gottes Kain zum Brudermörder wird. Gott weist ihn hin auf seine Verantwortung; nach dem Sündenfall weiß der Mensch, was gut und böse ist (1Mose 3,22); aber kann er über die Sünde mit ihrer großen negativen Macht herrschen?
V.8: Wieder wird nichts gesagt, wonach wir fragen: Was trieb Kain zu der fürchterlichen Tat- Eifersucht, Neid?
V.9: Gott schreitet wieder ein und stellt Kain zur Rede: Wo ist dein Bruder Abel? Auf diese sprichwörtliche Frage antwortet Kain mit seiner bekannten zynischen Gegenfrage: Soll ich meines Bruders, des Hüters und Hirten, Hüter sein?
V.10: Im Blut ist das Leben- das Blut des Nichtigen und Vernichteten schreit; es schreit zum Schöpfer des Lebens, der das Schreien hört.
V.11+12: Gegenüber 1.Mose 3,17 (nach mühsamer Arbeit nährt der Acker) wird der Fluch verschärft: der Acker soll keinen Ertrag mehr geben, denn das Verhältnis zur Erde, der Lebensgrundlage des Menschen, ist zutiefst durch das Bruderblut zerstört. Dazu kommt noch der Verlust der Heimat.
V.13-14: Nun erkennt Kain seine Schuld und Gefährdung.
V.15: Gott nimmt sich auch des Schuldigen an und stellt sein verwirktes Leben unter seinen Schutz. Alles Leben, auch dieses verwirkte, gehört Gott, der sein Nein zu allem Bösen spricht und dem Menschen nach einer vergebenden Begegnung mit ihm ein Leben mit seiner Schuld ermöglicht. Das „Kainsmal“ bezeichnet Kains Schuld und ist zugleich Schutz für ihn. Vielleicht war es eine Tätowierung als Kennzeichen des unstet an den Rändern des Kulturlandes umherschweifenden Stammes der Keniter, die Jahweverehrer waren, aber nicht zum von Jahwe erwählten Bundesvolk gehörten (v.Rad).
V.16: Kain geht weg vom Angesicht Gottes ins Land Nod (= Unruhe ‚Schweifendes‘, „Land Flüchtig“), aber auch da ist er nach Gottes bewahrendem Willen dank des Kainszeichens von Gott nicht aufgegeben.
V.25: Wo nach menschlichem Ermessen Leben verwirkt ist, schenkt Gott neues Leben: mit Set (=Setzling) setzt Gott seine Geschichte mit den Menschen fort. Gott wollte offenbar Abel nicht „aufstehen“ lassen (Hilde Domin: Abel steh auf, es muss neu gespielt werden…), sondern setzt mit Set einen neuen Anfang.
Überlegungen zur Predigt
Der Predigttext steht in der Urgeschichte, 1. Mose 1-11, die Gottes Weg mit den Menschen von der Schöpfung bis zum Beginn der Geschichte mit Abraham schildert. Wie die erste, versagt auch die zweite Generation: Wie konnte in die sehr gute Schöpfung das Böse einbrechen (c. 3, der Sündenfall) und immer mehr Macht gewinnen (c. 4, Kains Brudermord)? Auf die Sünden der Menschen (Lamechlied, c. 4, 23f; die ‚Engelehen‘, c. 6,1-4: eine schöpfungswidrige Verbindung der ‚Gottessöhne‘ mit Töchtern der Menschen) antwortet Gott mit gewaltigen Katastrophen (die Sintflut, c. 6-9).
Über aller menschlichen Sünde aber steht das Wunder der Güte Gottes und Liebe- er schafft immer wieder einen Neubeginn und erhält und bewahrt alles Leben nach seiner großen Verheißung (1. Mose 8,22). Gottes Handeln, sein Nichtwegsehen bei menschlicher Schuld und seine alles Verstehen übersteigende Liebe und Vergebung möchte ich vorrangig in der Predigt bedenken.
In Exegesen, Meditationen, Rollenspielen, Predigten u.a.m. sind Charakter, Verschiedenheit, Berufe, Umfeld, Gottesbeziehung, usw. von Kain und Abel unzählig und vielfältig bedacht worden. Darum möchte ich nicht so sehr auf die beiden Brüder schauen, sondern vorrangig nach dem Verhalten und Handeln Gottes in der uralten Erzählung und nach ihrer Fortsetzung fragen. Abel ist tot, „Kain ging hinweg von dem Angesicht des HERRN“ (4,16)- endet die Geschichte Gottes mit seinen Geschöpfen bereits nach 2 Generationen? Wie verhält sich Gott während der brüderlichen Tragödie und danach? Um dieses Danach zu beantworten, muss Vers 25 zu der vorgeschlagenen Perikope hinzugefügt werden.
Ich möchte nicht spekulieren, was Gott nicht tut- Warum hat Gott den Brudermord nicht verhindert? Warum hat Gott nur Abels Opfer gnädig angesehen? Warum war er nicht wie für Abel auch für Kain da in gnädiger Zuwendung- ist doch sein Name: „Ich bin da“, ich bin für dich da? Haben Neid und verletzter Stolz Kain zu seiner schrecklichen Tat getrieben, fühlte er sich nicht angenommen und geliebt? Ich möchte dem Text entnehmen, was Gott tut und die weitere Geschichte Gottes mit seinem Volk und seiner Welt beispielhaft bedenken: die Geschichte Gottes nach Kain und Abel von Set bis Jesus Christus und uns- vom ‚Enkel Gottes‘ Set (s. den Stammbaum Jesu nach Lukas: Set war „ein Sohn Adams, der war Gottes“! , Lk 3,38) zum ‚Sohn Gottes‘, dem Messias/Christus Gottes, Jesus von Nazareth.
Die Bibel zeichnet ein sehr realistisches Bild vom Menschen. Damit wir nicht nur Negatives sehen und sagen, müssen wir Gottes Handeln nachspüren- wie er immer wieder vergibt und einen neuen Anfang setzt, und auch heute schützend und bewahrend wirkt.
Die Perikope wird am 13.Sonntag nach Trinitatis gepredigt. Im Evangelium „Vom Barmherzigen Samariter“ Lk 10,25-37 nimmt Jesus die Frage Gottes nach unserem Nächsten: Wo ist dein Bruder? vom Standort des unter die Räuber Gefallenen auf.
Leitsatz
Über allem menschlichen Versagen steht das Wunder der Liebe und Güte Gottes, die immer wieder einen Neubeginn schafft.
Thema
Was unser Gott geschaffen hat, das will er auch erhalten und schützen und fortführen.
Literatur: G. v. Rad, Das erste Buch Mose, 1967. C. Westermann, Abriß der Bibelkunde, 1962. E. Volkmann / S. Geyer, Predigtstudien IV/2 (2005/06), S.138-147, dort ein Gottesdienstentwurf zum Thema „Schuld und Vergebung“ und weitere Literatur. U. Krahnefuß / D. Gräb, Predigtstudien IV/2 (2017/18), S.136-143, dort Lieder und weitere Literatur. G. Thomé / J. Rothermundt, Gottesdienstpraxis IV/4 (2000), S. 35ff. K. Kupisch, Karl Barth („rowohlts monographie“ Nr. 174 , 1971, S. 135). H. Domin, Abel steh auf, s. Internet.
Gott setzt seine Geschichte mit seinen Geschöpfen und seiner Schöpfung fort
Kennen Sie Set? Viele Menschen kennen noch Adam und Eva, auch Kain und Abel. Aber Set? Wer war Set? Wenige Verse nach der Erzählung von Kains unfassbarem Brudermord lesen wir: Adam erkannte abermals seine Frau, und sie gebar einen Sohn, den nannte sie Set: „Denn Gott hat mir einen andern Sohn gegeben für Abel, den Kain erschlagen hat.“ (1. Mose 4,25). Set heißt auf deutsch „Setzling“. Mit Set setzt Gott seine Geschichte mit seinen Geschöpfen und seiner Schöpfung fort. Nach nur zwei Generationen konnte Gott unmöglich schon ein Ende seiner sehr guten und wunderbaren Schöpfungswerke setzen!
Weisheit – Gerechtigkeit – barmherzige Liebe
Eine schöne jüdische Legende (Im Internet abrufbar: Jüdische Legende von den drei Töchtern Gottes Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe) erzählt, dass Gott starke Bedenken hatte, Menschen zu erschaffen: Als Gott der Vater am sechsten Tag seines Schöpfungswerkes noch einmal mit sich zu Rate ging, ob er den Menschen schaffen sollte, da waren seine drei liebsten Töchter bei ihm: die Weisheit, die Gerechtigkeit und die barmherzige Liebe. Zuerst trat die Weisheit auf und sagte: Vater, schaffe den Menschen nicht. Er wird deiner Weisheit nicht folgen. Die Menschen werden sich selbst zum Narren machen. Dafür aber ist deine Schöpfung zu gut! Gib die Schöpfung dem Wahnsinn der Menschen nicht preis!
Und Gott schwieg.
Da kam die zweite Tochter, die Gerechtigkeit, zu Wort und sagte: Vater, schaffe den Menschen nicht. Denn er wird deine Gerechtigkeit verwerfen. Es wird eine Schwester die andere verleumden vor dir und den Menschen. Es wird ein Bruder den andern hassen, ja sogar töten. Die Menschen werden sich um die Gerechtigkeit nicht scheren. Sie werden in ihrer Ungerechtigkeit und in Angst die Hölle aus deiner Welt machen.
Und Gott schwieg.
Da trat die dritte Tochter, die barmherzige Liebe, vor und sagte: Vater, was meine beiden Schwestern vorbrachten, trifft zu. Es wird das eintreten, was sie vorausgesagt haben- aber erschaffe den Menschen trotzdem! Schenke ihm als einziger Kreatur Freiheit und Liebe. Zwar ist Freiheit missbrauchbar und Liebe verletzlich. Aber beide machen die Würde des Menschen und deines Schöpfungswerkes aus. Ich will zu den Menschen hinabsteigen und will sie Liebe und Freiheit lehren. Ich will sie selber lieben so, wie sie sind. Dann erst wird deine Schöpfung vollendet sein; denn die Krone deiner ganzen Schöpfung wird Liebe sein. Ich gehe zu den Menschen, und wenn es mich das Leben kostet. Da nahm Gott seine dritte Tochter in die Arme, küsste sie- und erschuf den Menschen.
Wagnis “Mensch” – Gott bleibt seiner Schöpfung treu
Seine Freiheit und Liebe bewegen Gott, den Menschen als sein Ebenbild zu erschaffen, ihn mit seinen Gaben ‚Freiheit und Liebe‘ zu beschenken und zu seinem Partner zu erwählen. Der Mensch bricht immer wieder diesen Bund. Aber Gottes Liebe erweist sich stärker als alle Enttäuschungen, die ihm der Mensch bereitet, stärker als alle seine widergöttlichen und unmenschlichen Gesinnungen und Handlungen, und stärker als Mord und Tod. Gott wusste um das Wagnis ‚Mensch‘. Kaum hatte er das Licht von der Finsternis auf der wüsten und leeren Erde geschieden und am Schluss seiner sehr guten Schöpfung am sechsten Tag das erste Menschenpaar erschaffen, da will es sein wie Gott- unsterblich und allwissend.
Bevor Gott der HERR den Menschen wegen dieser Sünde aus dem Garten Eden hinaustreibt, macht er ihm in seiner Fürsorge Röcke von Fellen für die neue Welt der Schmerzen und Mühsal außerhalb des Paradieses. Die Sehnsucht nach dem Paradies blieb in den Herzen der Menschen, die im irdischen Jammertal vom himmlischen Freudensaal träumten. Wie meine Großmutter immerzu ihre Sehnsuchtslieder nach dem Paradies mit seinem Licht und Lobgetön und seinen Lebensbäumen leise vor sich hinsang: „Paradies, Paradies, wie ist deine Frucht so süß“, so summe auch ich sie bisweilen vor mich hin.
Außerhalb des Paradieses werden Eva und Adam die Söhne Kain und Abel geboren- und Finsternis breitet sich wieder und immer weiter über die Erde: Kain, die Lanze, der Starke, mordet seinen Bruder Abel, den Nebel, den Hauch. Der biblische Erzähler berichtet sehr zurückhaltend und gibt auf unsere vielen Fragen keine Antwort: Wie konnte in der sehr guten Schöpfung Gottes das Böse so schnell anwachsen? Warum hat Gott den Brudermord nicht verhindert? Was hat Kain zu seiner schrecklichen Tat getrieben? usw. Abels Blut schreit zu Gott, der eine Schwäche für die Schwachen hat und das Schreien seiner Menschen hört.
Kainszeichen – Unter Gottes Schutz
Gottes Fluch über Kain ist härter als der über Adam und Eva: der Ackerboden soll den Ackermann nicht mehr ernähren, das gestörte Verhältnis zum Schöpfer und den Mitmenschen hat Folgen für die Schöpfung. Kain erkennt seine große Schuld und geht vom Angesicht Gottes und wohnt im Lande Nod, im Land der Flüchtigkeit, jenseits von Eden. Wieder beweist Gott nach Vergehen und Strafe seine Fürsorge: er macht ein Zeichen an Kain, das seine Schuld an ihn nagelt, ihm aber auch Schutz gewährt, dass ihn niemand erschlägt. Vielleicht war das Kainszeichen eine Art Tätowierung, ein Kennzeichen des Stammes der unstet an den Rändern des Kulturlandes umherschweifenden Kainiten.
Die Geschichte Gottes mit dem Menschen ist nach zwei Generationen nicht zu Ende, aus und vorbei, auch wenn die Sünde weiter anwächst: Lamech, ein Nachfahre Kains, nimmt sich großspurig das Recht zur Rache heraus, die allein Gott zusteht (1. Mose 4,24). Da alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens nur böse war immerdar (1. Mose 6,5 und 8,21b), schickt Gott zur Vernichtung die Wasser der Sintflut auf die Erde- nur Noah und seine Familie findet Gnade vor Gottes Augen.
Mit Noah und Abraham, den Gott zum Segen für die Völker beruft, führt Gott seine Geschichte weiter- bis zu seinem Messias/Christus Jesus von Nazareth, den er der Welt zum Heiland sandte und durch den er sein endgültiges Wort zu unserem Heil gesprochen hat und immer noch spricht durch sein Evangelium. Er war das Licht, das in der Finsternis unserer Welt hell aufleuchtete; wer ihm nachfolgt wird das Licht zum Leben finden. Die Menschen haben Großes und Wunderbares geleistet, aber auch eine sehr blutige Spur durch die Jahrtausende gezogen. Wer sich in die Spur der Liebe und Vergebung Jesu begibt, kann als ein Werkzeug des Friedens Gottes Liebe üben und ein Licht anzünden, wo die Finsternis regiert (EG 416 und 825).
Ich muss der Versuchung widerstehen, von Abraham und Isaak und Jakob und Joseph und David und all den Vorfahren Jesu zu erzählen- es sind spannende Geschichten. Es war wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, ich hatte gerade das Lesen erlernt, da fand ich beim Holzstapeln auf dem Dachboden des Schuppens eine alte Familienbibel. Ich hatte nicht bemerkt, dass die ersten Seiten fehlten und begann zu lesen: von einem jungen Mann, der Träume hatte, den sein Vater lieber hatte als seine Brüder, dem er einen bunten Rock schenkte; ich vergaß das Holzstapeln und las und las: bis heute lese ich in diesem Buch des Lebens, das uns sagt, was Gott für uns Menschen tut.
… dass es diese Erde noch gibt
Ich bin fest überzeugt: wir haben es der Gnade und Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen und seiner Schöpfung zu verdanken, dass es diese Erde noch gibt. In einer Dokumentationen im Fernsehen wurde berichtet, welche Planspiele mit atomaren, bakteriellen, chemischen Waffen in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg in den Machtzentren zur Vernichtung des Feindes ausgeklügelt und durchgespielt wurden; mich packte das Grauen. Jede und jeder von uns kann mehr als 30 Mal durch das in der Welt vorhandene Vernichtungspotential ausgelöscht werden- da können wir nur immerzu Gott bitten, dass er seine Welt weiterhin nicht dem Vernichtungswillen der Menschen überlässt. „Keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren“ (Albert Einstein)- nur der Mensch, die Krone der Schöpfung, setzt in die Erfindung von Material und Waffen zur eigenen Vernichtung mehr Phantasie, Zeit und Geld ein als in die Erforschung, wie wir in Gerechtigkeit und Frieden miteinander auskommen.
Mein Großvater ist in Polen, im ehemaligen sog. Wartheland, im Chaos zu Beginn des zweiten Weltkrieges am 6. September 1939 ermordet worden; am 18. Juli 2018 haben wir an seinem Grab in Babiak eine ökumenische Andacht gehalten. Gott kann Menschenherzen vom Hass zur Versöhnung wenden und unsere Füße auf Wege des Friedens richten, damit niemand um sein Leben fürchten und vor Gewalt und Krieg flüchten muss und diese Welt zur Heimat für alle Menschen wird.
“Es wird regiert …” – Anvertraute Erde
Wir dürfen glauben: Gott lässt sich seine Welt durch keine Macht aus seinen Händen nehmen und kaputtmachen. „Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl“ (EG 361,7). Das wissen wir nur aus seinem Wort. Wir zweifeln daran, denn wir erkennen Gottes Walten nicht, wenn wir auf die dunklen Ereignisse in der Welt blicken. „Ja, die Welt ist dunkel“, meinte Karl Barth, als er am Abend vor seinem Tod (am 10. Dezember 1968) mit seinem Freund Eduard Thurneysen telefonierte und mit ihm über die Weltlage sprach. „Aber dann fügte er hinzu: Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich auch in dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns und uns alle miteinander nicht!“ (Karl Barth, „rowohlts monographie“ Nr. 174, 1971, S. 135) Diese letzten Worte Karl Barths waren für mich immer sehr ermutigend.
Was wir tun müssen, dass wir die Erde nicht zugrunde richten, wird uns täglich in den Nachrichten und Informationssendungen gesagt- keine Plastiktüten, keine Dieselfahrzeuge, nicht mehr als nötig einkaufen und essen, usw. Das Evangelium zum heutigen Sonntag sagt uns: wir sollen Gott lieben und unsere Mitmenschen wie uns selbst in der uns geschenkten Freiheit. Gott hat uns seine Erde anvertraut, dass wir sie als Gottes geliebte Töchter und Söhne in Weisheit und Gerechtigkeit pflegen und erhalten. Der Mensch hat sich nicht als Krönung der Schöpfung erwiesen, aber wo wir Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit üben, wird sie gekrönt und vollendet, wie uns Gottes dritte Tochter in der alten Legende sagt.
Gott hat den Mörder Kain mit dem Kainszeichen geschützt, damit er lebe. Wir wurden bei unserer Taufe mit dem Kreuzeszeichen seines Sohnes, unseres Herrn und Bruders Jesus, dem Christus Gottes, gezeichnet und gesegnet, damit unser Fühlen, Denken, Handeln von seiner Liebe und Vergebung bestimmt wird. Am Kreuz Jesu erreicht Gottes Menschenliebe ihren Höhepunkt, den unwiderruflichen Liebeserweis. Wir müssen nicht fern vom Angesicht Gottes jenseits von Eden wohnen, sondern dürfen aus der Kraft seiner Liebe in der Gegenwart Gottes leben. Mit den Worten der Klagelieder Jeremias bekennen wir (c. 3,22f): “Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß“.
Über den Brudermord, Gottes Ablehnung vom Opfer des Kain, die Strafe und die Gnade Gottes hat Pastor Albrecht hier zuerst eine ungewöhnlich lange und gründliche Exegese geschrieben. Heute hat er weiter in seinem Lübecker Exegese-Kreis mit sieben studierten Exegeten darüber diskutiert. In seiner Predigt hat er das Problem des Textes sehr geschickt gelöst, indem er den Brudermord und Gottes Gnade in Gottes Heilsgeschichte bis zu Christus und zum ewigen Reich Gottes einbaut und auszieht.”Wie süß wird das Paradies sein.” Er beginnt mit Abels Nachfolger Set und einer jüdischen Legende.Dann predigt er die Gnade Gottes weiter in der Heilsgeschichte bei Noah und Abraham.Er spricht auch realistisch über Kriege und dauernde Kriegsgefahr. Er zitiert hoffnungsvoll Karl Barth Es wird regiert ( von Gott ). Um das vorzeitige Weltende zu verhindern, spricht der Pastor auch über Plastikmüll, Dieselgefahr und Ernährung. Sehr tröstlich spricht er über unsere Taufe, das Kreuz Christi und dass die Barmherzigkeit Gottes kein Ende hat. – Eine aufklärende und sehr tröstliche, hoffnungsvolle Predigt zum anspruchsvollen Thema.- Übrigens hat Eugen Drewermann psychologisierend die Eifersucht und den Neid von Kain thematisiert, weil sein Opfer nicht angenommen wurde von Gott. Noch heute passieren die meisten Morde aus Eifersucht.”Ich kann nicht mehr leben, wenn mein Ehepaartner oder Gott andere vorziehen.” Pastor Albrecht: “Wir dürfen aus der Kraft der Liebe in der Gegenwart Gottes leben”. Welch schöner Predigtschluss!