“Zur Freiheit berufen …”

Der Geist Christ schenkt wohlwollendes Verhalten - "Einer trage des Andern Last ..."

Predigttext: Galater 5,25-6,1-3.7-10
Kirche / Ort: Schornsheim / Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 09.09.2018
Kirchenjahr: 15. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Galater 5,25-26;6,1-3.7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

5,25 Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. 26 Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.
6,1 Brüder und Schwestern, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.
2 Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
3 Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. [4 Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern.5 Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen. 6 Wer aber unterrichtet wird im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Gütern.]
7 Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. 8 Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. 9 Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. 10 Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.

Auf dem Weg zur Predigt

Ich lese bei Paulus im Galaterbrief: „Ihr aber, …, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt; sondern durch die Liebe diene einer dem andern.“ (5,13) Die Werke des Fleisches benennt Paulus in 5,19-21, die Frucht des Geistes in 5,22f. Für Paulus ist das ganze Gesetz in dem einen Wort erfüllt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ (5,14) Diese Liebe verbietet es, nach eitler Ehre zu trachten, einander herauszufordern oder zu beneiden. Sie legt es aber nahe, Menschen, die von einer Verfehlung ereilt wurden, mit Sanftmut wieder zurecht zu helfen. Man bedenke immer, dass man ja auch selbst in der Versuchung steht und dieser jederzeit erliegen könnte.

Die Last des Anderen zu tragen heißt, ihn in seiner Verfehlung anzunehmen und zu lieben, statt sich in Selbstüberheblichkeit davon abzugrenzen und sich als etwas Besseres zu erachten. Diese Haltung erliegt meist der Täuschung, mehr zu sein als man in Wirklichkeit darstellt.
Die Gemeinde Christi ist kein Kreis von Perfekten, sondern eine Gemeinschaft In-Versuchung-Stehender. „Wenn wir im Geiste leben, so lasst uns auch im Geiste wandeln“, sagt Paulus. Nur so ist Gemeinschaft möglich, wenn die gegenseitige Liebe und Achtung das Tun und Trachten des Einzelnen bestimmt und nicht seine egoistische Geltungssucht darüber steht. In dem Bild von Säen und Ernten betont Paulus, dass wir im Nicht-müde-Werden des Guten tun das Gesäte auch ernten werden.

Wenn Paulus vom Guten tun „allermeist aber an des Glaubens Genossen“ spricht, meint das zunächst das Gute tun an denjenigen Menschen, die um uns herum sind, mit denen wir es täglich zu tun haben, die uns am ehesten auf den Geist gehen. Der Geist Christi ermutigt uns zum wohlwollenden Verhalten gegenüber denen, die uns nahestehen ebenso wie gegenüber denen, die uns fremd und merkwürdig erscheinen.

zurück zum Textanfang

Es menschelt

„Es menschelt halt“, sagen wir, wenn wir Schwächen und Verfehlungen in einer Gemeinschaft beobachten. Und es menschelt in unseren Augen gerade da, wo wir mehr Gewissenhaftigkeit erwartet hätten oder erwarten würden. Aber bekanntlich fallen ja Späne, wo gehobelt wird. Was zum Ausdruck bringen will, dass im menschlichen Miteinander eben auch Unstimmigkeiten, Missstimmungen und Konflikte hervortreten.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. August diesen Jahres war zu lesen: >Seit dieser Woche ist das Restaurant „Oma’s Küche“ in Binz auf Rügen kinderfrei, jedenfalls ab 17.00 Uhr. „Mit dem Gedanken gehen wir schon sehr lange schwanger“, sagt Wirt Rudolf Markl. „Es ist irgendwo eine Grenze erreicht, wo wir sagen, es geht einfach nicht mehr.“ Es gehe um Kinder, die Gäste am Nebentisch belästigen würden, die an Tischdecken zerrten und Rotweingläser umschmissen – und Eltern, die nicht eingreifen. „Die quittieren das mit einem Lächeln, essen weiter, und es interessiert sie alles nicht.“ Es gehe explizit nicht gegen den Nachwuchs, sondern gegen ignorante Eltern, „die ihren Namen tanzen können, aber ihre Kinder nicht mehr im Griff haben“, stellt der Gastronom klar.< [http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/unerwuenscht-im-restaurant-kinder-duerfen-abends-nicht-mehr-in-omas-kueche-15742091.html]

Wie kontrovers diese gastronomische Maßnahme in den sozialen Netzwerken diskutiert wird, können wir erahnen. So heißt es in der FAZ weiter: >Die Reaktionen seien fast ausnahmslos gut, berichtet er, jedenfalls, wenn man Facebook ausklammere. Aus der Anonymität des sozialen Netzwerkes heraus würde es zahlreiche kritische Meldungen geben, auch solche unter der Gürtellinie. „Aber das ist ja nicht neu.“<

Seit geraumer Zeit beobachten wir eine zunehmende sprachliche Hemmungslosigkeit. Aus der Anonymität heraus kann man rücksichtslos, entwürdigend, aggressiv, verletzend sein. Hier kann man ablästern und vernichtend urteilen. Da spielen auch Fakten und Gefühle anderer Menschen keine Rolle. Eine differenzierte Betrachtungsweise findet kaum mehr statt. Pro und Contra abzuwägen, ist nicht mehr selbstverständlich.

„Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“, haben wir vielleicht schon einmal gehört. Aber ist das die richtige Umgangsweise miteinander? Die lieblose Art, wie Menschen einander richten, mobben, fertigmachen, schmerzt. Ganz gleich, ob in den sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Straßenverkehr oder auch zuhause. Schnell ist man verführt, in eine „Wie du mir, so ich dir“-Reaktionsweise zu verfallen.

Miteinander auskommen

Die Worte des Apostels Paulus – vor fast 2000 Jahren geschrieben – klingen aktueller denn je in dieser sich steigernden Abfolge: „Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.“ „Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist.“ „Lasst uns Gutes tun und nicht müde werden …“

„Einer trage des anderen Last …“ Mit diesen Worten nimmt Paulus das Miteinander in den Blick. Jeder von uns ist Teil einer Gemeinschaft: Im Dorf / im Stadtteil, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Verein, in der Clique, im Freundeskreis, in der Familie. Und wo wir einander begegnen, erleben wir uns und unsere Mitmenschen in gewisser Unterschiedlichkeit. Da sind immer Differenzen und Spannungen möglich, die sich auch zu handfesten Konflikten steigern können.

Das ist menschlich. Manche Menschen sind uns sympathisch und zu anderen wiederum halten wir uns eher auf Distanz. Aus dem Gefühl heraus wissen wir schnell, mit wem wir können und mit wem es nur schwer oder garnicht geht. Zu den einen fühlen wir uns hingezogen, von anderen halten wir uns eher fern. Die einen können wir gut riechen und andere Menschen gehen uns einfach gegen den Strich.

Miteinander auszukommen, ist in einer Gemeinschaft ein erstrebenswertes Ziel. Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung, dass vielleicht nichts schwerer ist als das. Mal ist es kränkende Überheblichkeit, die im Weg steht, oder die Eitelkeit, die sich breit macht. Mal ist es Neid, der einen Graben reißt oder die Rechthaberei, die die Annäherung unmöglich macht. Mal ist es verletzter Stolz oder die unüberwindliche Sturheit.

Lassen Sie es mich in einem handwerklichen Bild ausdrücken: Die Werkzeuge des Tischlers waren zu einer Besprechung zusammengekommen. Der Hammer wurde zum Leiter gewählt. Doch bald schon musste er von den anderen Werkzeugen hören, dass er sein Amt niederlegen solle, da er zu grob lärmend sei. Mit gekränkter Miene bemerkte der Hammer: „Dann muss auch der Hobel gehen. Seine Tätigkeit ist immer so oberflächlich!“

„Schön“, sprach der Hobel, „dann wird auch der Bohrer gehen müssen. Er ist als Persönlichkeit so uninteressant und leistet niemals aufbauende Arbeit!“ Der Bohrer meinte beleidigt: „Gut, ich gehe, aber die Schraube auch. Man muss sie immer drehen, bis man mit ihr zum Ziele kommt!“ „Wenn ihr wollt, gehe ich“, sprach die Schraube gekränkt, „aber der Zollstock ist doch viel ärgerlicher. Er will über alles urteilen, und alle müssen sich nach ihm richten!“

Der Zollstock klagte daraufhin über das Schmirgelpapier. „Solche rauen Manieren wollen wir nicht, und immer die Reibereien mit anderen Leuten gefallen uns nicht!“ Während sich die Werkzeuge beklagten und übereinander entrüsteten, trat der Tischler in die Werkstatt, band sich die Schürze um und fing an, mit all den Werkzeugen zu arbeiten. Er schuf ein wunderbares, reich verziertes Lesepult, von dem aus den Menschen das Evangelium gepredigt werden sollte. [Aus England]

Aus dem Geist leben

Wenn ich Paulus recht verstehe in seinen einzelnen Aussagen, dann spricht von einem wohlwollenden Verhalten. Worin besteht dieses wohlwollende Verhalten anderen gegenüber? Es besteht darin, nicht auf die eigene eitle Ehre zu schauen, sondern dem Nächsten Achtung entgegenzubringen. Nicht andere zu ärgern oder zu provozieren, sondern ihnen versöhnlich und milde zu begegnen. Nicht den Neid schüren mit den eigenen Stärken, sondern der Schwäche des Anderen verständnisvoll begegnen. Und ganz besonders einem Menschen gegenüber, bei dem eine Verfehlung offensichtlich wurde, mit Sanftmut und Nachsicht reagieren, anstatt ihn unmöglich zu machen.

Aus dem Fleisch leben, wie Paulus sagt, heißt aus unserem Bauchgefühl heraus leben ohne unser Verhalten groß zu reflektieren oder gar infrage zu stellen. Das sollten wir als Christen überwunden haben. Stattdessen weiß Paulus von dem Geist, der uns frei macht von unserem unüberlegten Bauchgefühl. Dieser Geist Christi befähigt uns zu einem verantwortungsvollen Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen.

Der Geist Christi, soweit wir ihn verinnerlicht haben und er sich in uns breit macht, ermutigt uns, Eitelkeit und Neid, Stolz und Zwietracht hinter uns zu lassen und zu überwinden. Wir sind dann auch in der Lage, die Last des Anderen, sprich die Schwäche oder Verfehlung anderer, zu tragen und ihnen darin Achtung und Erleichterung zu schenken. Das ist das Gute, das wir jedem zugutekommen lassen dürfen. Lassen wir uns von dem Geist Christi – wie die Werkzeuge von dem Tischler – beseelen und uns zu wohlwollendem Verhalten gegenüber jedem ermutigen.

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu ““Zur Freiheit berufen …”

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Diese Predigt von Pfarrer Klein kann einen aktuell begeistern. Er beginnt mit dem Problem der vorlauten und ausgeschlossenen Kinder im Restaurant. Dann thematisiert er den vorlauten, agressiven, und unverschämten Umgangston etlicher Erwachsener, um dann auf Paulus und Jesu Regel zu kommen : einer trage des anderen Last. Überall menschelt es ja bei uns. Übrigens auch in der Kirchengemeinde. Der Pastor, der als erster Vorsitzender agiert mit klarem Konzept , gilt als autoritär. Ist ein/e nicht Studierte/r Vorsitzende/r, entzieht sich der Pastor nach der Kritik seiner leitenden Apostel-Verantwortung. Das wohlwollende Miteinander – Auskommen veranschaulicht Pfarrer Klein mit der tollen Geschichte von den Werkzeugen und ihren Vorwürfen. Eine Story, die ich am Sonntag bei http://www.HL-live.de verwende und die weitergeben werden sollte. Der Geist Jesu hilft uns zu wohlwollenden Verhalten gegenüber jedem. Dazu die Frage: was würde Jesus tun, was würde er mir jetzt raten?

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.