Feine Unterschiede

"Du siehst die Weste, nicht das Herz" (Wilhelm Busch)

Predigttext: Jakobus 2,1-13
Kirche / Ort: St.-Andreas-Gemeinde / Hildesheim
Datum: 30.09.2018
Kirchenjahr: 18. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Dr. Martina Janßen

Predigttext: Jakobus 2,1-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Kein Ansehen der Person in der Gemeinde

1 Liebe Brüder, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person.
2 Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung,
3 und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz!, und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!,
4 ist's recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken?
5 Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?
6 Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen?
7 Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist?
8 Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht;
9 wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter.
10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.
11 Denn der gesagt hat (2.Mose 20,13-14): »Du sollst nicht ehebrechen«, der hat auch gesagt: »Du sollst nicht töten.« Wenn du nun nicht die Ehe brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes.
12 Redet so und handelt so wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen.
13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.

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Sind sie prominent?

Sind sie prominent? Oder gehören sie auch zu denen, die sich eher auf den hinteren Plätzen tummeln? Mensch ist nicht gleich Mensch. Wir machen Unterschiede, ziehen Grenzen. Nicht alle sind gleich, einige sind bekanntermaßen gleicher. Die heben sich von der Masse ab und scheinen eine Klasse für sich zu sein: Politiker, Schauspieler, Sportler, all die Stars und Sternchen. In unserer Gesellschaft spielen Prominente eine große Rolle. Die Welt der Reichen, Schönen und Wichtigen fasziniert. In Zeitschriften wie „Gala“ sind die Seiten voll von Glanz, Glamour und Geld. Da strahlen einem Menschen entgegen, die im Rampenlicht stehen und prominent sind (prominent kommt vom lateinischen Wort prominere = hervorragen, sich abheben).

Viele lesen gerne etwas aus der Welt der Stars und Sternchen, sonnen sich vielleicht in deren Glanz und haben so Teil an dem, was sie selber nicht sind und selber nicht haben. Wir machen Unterschiede. Nicht jeder Mensch scheint gleich wichtig zu sein. Ehre, wem Ehre gebührt. Das Wort eines Prominenten gilt oft mehr als das des einfachen Mannes. Roter Teppich, Blitzlichtgewitter, Glanz, Glamour, Geld. Wer hat, dem wird gegeben. Oft gesteht man den Reichen und Schönen Sonderrechte zu. Das war schon immer so. Ein altes lateinisches Sprichwort bringt das auf den Punkt: „Quod licet Jovi, non licet bovi“ („Was Jupiter gebührt, gebührt noch lange nicht jedem Rindvieh.“). Nur wenn die High Society ab und an mal über das Ziel hinausschießt, regt man sich auf über Zwei-Klassen-Medizin, Zwei-Klassen-Justiz oder auch einfach nur darüber, dass man in der Bahn dicht gedrängt in der zweite Klasse allzu viel Nähe ertragen muss, während in der ersten Klasse gähnende Leere herrscht.

Es scheint in der menschlichen Gesellschaft ganz natürlich zu sein, Grenzen zwischen den Menschen zu ziehen, fast schon ein Naturgesetz: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht; und man siehet die im Lichte; die im Dunkeln sieht man nicht“ (Bertolt Brecht, Dreigroschenoper).

Jakobus verrückt die Maßstäbe

Jakobus macht da nicht mit, im Gegenteil. Er ver-rückt die Maßstäbe und stellt unsere menschlichen Gewohnheiten auf den Kopf. „Hört zu, meine Lieben! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?“ Jakobus stellt die aus dem Dunkel ins Licht, die Armen, die Ängstlichen, die, die im Abseits leben, die ohne Rang und Namen sind. Das ist ein vertrauter Gedanke in der Bibel, fast schon ein göttliches Gesetz.

Die Option für die Armen zieht sich durch beide Testamente: Die Armenfrömmigkeit im AT, das Magnificat (Lk 1,46-55), in dem verheißen wird, dass Gott die Mächtigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhöht. Oder sehen Sie nur auf Jesus selbst. Das Kind in der Krippe war weder „Jesus Christ Superstar“ noch zählten seine Eltern zur eleganten Elite der antiken Welt. Jakobus lehnt die Unterschiede zwischen den Menschen ab; er lehnt es ab, die Reichen vorzuziehen und die Armen im Regen stehen zu lassen. Denn bei Gott gibt es nicht arm und reich, da zählen weder Ehrenabzeichen noch zerrissene Kleidung. Da gibt es kein Ansehen der Person, sondern nur Brüder und Schwestern im Glauben. Daran erinnert Jakobus.

Doch unterliegt nicht auch er der Versuchung, Grenzen zu ziehen im Kopf und im Herzen: „Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist?“ Vielleicht hat Jakobus schlechte Erfahrungen gemacht, aber die Reichen nun ihrerseits ins Abseits zu stellen, wäre auch nicht in Gottes Sinn. Das hieße dann nur, die Verhältnisse umzukehren – und wieder stünden die einen im Licht und anderen im Dunkel. Aber das gibt es nicht vor Gott. Kein Ansehen der Person. Vor Gott sind alle gleich.

Im Dunkeln und im Licht

Es geht Jakobus nicht in erster Linie um hohe Politik, sondern um den Umgang in der christlichen Gemeinde. Wie halten wir es mit den Grenzen zwischen den Menschen, mit dem Ansehen der Person? Auch in der Kirche spielen Prominente eine große Rolle. Darin unterscheidet sich die Kirche nicht von der Gesellschaft. Mir kommt ein Artikel einer großen Zeitung über den Abschluss des Lutherjahres in Wittenberg in den Sinn. „Festgottesdienst zu 500 Jahren Reformation. ‚Akt der Befreiung‘. (…).

In der Schlosskirche feierten Prominente den 500. Jahrestag des Thesenanschlags“ (http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/500-jahre-reformation-schlussveranstaltung-in-wittenberg-a-1175759.html). In dem Artikel werden Besucher gefragt und zitiert: Warum sind sie hier? „‘Das erlebt man aber nicht noch einmal‘, sagt eine Besucherin aus Berlin. ‚Und wegen der Prominenten, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt‘, pflichtet ihr ein älterer Mann bei.“ Das macht mich ebenso nachdenklich wie die Überschrift der mit dem Artikel verbundenen Fotostrecke. „Ende des Luther-Jahres: Kirche und Prominenz“ (http://www.spiegel.de/fotostrecke/ende-des-luther-jahres-kirche-und-prominenz-fotostrecke-154448.html). Sollte das der End- und Höhepunkt gewesen sein?

„Kirche und Prominenz“? Ich frage mich: Setzen wir zu sehr auf Prominenz und hoffen, dass von deren Licht etwas auf uns abfällt? Hat Gottes Botschaft nicht genug Strahlkraft? Und: Zeigen wir eigentlich genug Präsenz bei denen, die im Dunkeln sind? Manchmal bin ich mir da nicht sicher, wenn ich auf all die kostspieligen Leuchtfeuerevents mit geballter Prominenz schaue. Wohin fließen unsere Gelder und Energien? Verlieren wir die Basis aus den Augen und haben wir gar den Anschluss an die Ärmsten der Armen verloren? Auf wen oder was ist unser Blick eigentlich gerichtet?

„Meine Brüder und Schwestern, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person.“ Ich finde es richtig und wichtig, was Jakobus sagt. Dabei geht es mir nicht um Reichen- oder Prominenten-Bashing, sondern um das, was hinter den Grenzen und Unterschieden in unseren Köpfen steht. Und das ist doch letztlich unser Leistungsdenken.

Es liegt an einem jedem selbst, wie weit er in der Hackordnung kommt, ob er „mit den Adlern fliegt oder mit den Hühnern scharrt“ (Robert Halver). Man muss es nur nach oben, ans Licht schaffen – durch Leistung, durch Ehrgeiz, durch Intelligenz oder durch Aussehen. Wer das nicht kann oder will, läuft Gefahr zum Bodensatz zu werden. Jeder ist eben seines Glückes Schmied. In unserer Gesellschaft mag Leistung beeindrucken und nach vorne bringen, aber bei Gott? „Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündig gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.“ Keine Chance! Alle Gebote zu halten, schafft niemand. Damit sind wir verurteilt – egal ob prominent oder prekär. Alles, was wir sind, sind wir durch Gottes Barmherzigkeit.

Gott hebt Unterschiede auf

Die Worte von Jakobus treffen uns, im Großen und im Kleinen. Sie legen den Finger in die Wunde. „Denn wenn in eure Versammlung ein Mann kommt mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es kommt aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr seht auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprecht zu ihm: Setz du dich hierher auf den guten Platz!, und sprecht zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setz dich unten zu meinen Füßen!, macht ihr dann nicht Unterschiede unter euch und urteilt mit bösen Gedanken?“

Wir haben unsere Sitzordnungen in unseren Kirchen. Sie sind so alt wie die Kirchen selbst und sie verraten, wes Geistes Kind wir sind. Sehen Sie z.B. auf die Priechen, jene abgesonderten Sitzplätze der höheren Stände einer Kirchengemeinde; vor allem in „städtischen Kirchen kamen Vertretern der Administration, des Militärs, des akademischen Lebens, Handwerksinnungen, bis zum gemeinen Volk jeweils eigene Plätze zu (https://de.wikipedia.org/wiki/Prieche).“ Das hätte Jakobus nicht gern gesehen. Denn wo es Priechen gibt, gibt es Prominente. Und wo es Prominente gibt, werden Unterschiede zwischen den Menschen gemacht und Grenzen gezogen zwischen denen mit den goldenen Ringen und den herrlichen Kleidern und den unsauberen Armen, da gibt es die guten Plätze und die hinteren Reihen.

Diese alten Ständetraditionen sind heute in unseren Gemeinden eher selten, aber ein bisschen haben sich die alten Sitzordnungen doch in unseren Köpfen festgesetzt. Auch heute gibt es bei uns Ehrenplätze, Ehrbekundungen, Ehrenkarten. Selten sitzt bei besonderen Anlässen der Oberbürgermeister mitten in der Gottesdienstgemeinde, sondern meist ganz vorne, um besser zu sehen und besser gesehen zu werden. Menschlich, allzu menschlich. Auch die Sprache verrät unsere Sitzordnungen im Kopf. Ich denke an die Begrüßungen, in denen die Honoratioren ausführlich genannt und hofiert werden. Alles andere wäre auch unhöflich.

Aber ist es unsere Pflicht als Christen, immer höflich zu sein? Es anders zu machen, wäre vielleicht unhöflich, aber auch ein Signal. Bei uns ist es eben anders, bei uns zählt nicht das Ansehen der Person, da gibt es keine Unterschiede zwischen dem Oberbürgermeister, Patron und Superintendenten auf der einen und der gemeinen Gemeinde auf der anderen Seite. Da gibt es nur Brüder und Schwestern; da sind wir „alle eins in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Auf Sitzordnungen in Wort und Tat zu verzichten, wäre mal ein Signal. Man würde wohl anecken, aber das auszuhalten, ist die Folge der christlichen Freiheit: „Redet so und handelt so als Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen.“

Das Gesetz der Freiheit ist etwas ganz anderes als das Gesetz der Leistung, das letztlich die Grenzen zwischen uns Menschen aufrichtet und uns doch nur aufzeigt, dass vor Gott keiner bestehen kann. Vor Gott sind wir doch alle zusammen ein Haufen von Hühnern, die blind im Dunkel ihrer Sünde scharren, bis Gott sie ans Licht emporträgt und befreit. Oder wie Jakobus es sagt: (Gottes) „Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht!“

 

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Ein Kommentar zu “Feine Unterschiede

  1. Pastor Hans-Dieter Krüger

    Es tut richtig gut zu lesen, wie die Verfasserin der Predigt die auch in der Kirche üblichen gesellschaftlichen Abstufungen kritisch ins Auge fasst. Gut ist auch, dass sie sich nicht scheut, Beispiele zu benennen: Der Oberbürgermeister und andere Honoratioren, die schon durch die Sitzordnung herausgehoben werden. Solche Ehrerbietungen sind im normalen sozialen Umgang wohl nicht gänzlich zu umgehen. Aber richtig ist auch, sich immer wieder klar zu machen, dass vor Gott alle Menschen gleich sind und von daher der weit verbreitete Personenkult in Gesellschaft und Kirche eingehegt und gemäßigt wird. Eine interessante Predigt, die man gerne liest und wohl aufmerksame Hörer finden wird, auch, weil sie auch sprachlich sehr gut gelungen ist.

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