Hiobs Homöopathie
Weisheit, Glauben und Leiden im November
Predigttext: Hiob 14,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Die Faszination der Waldenserprediger
Die Wanderprediger der Waldenser sollen das Buch Hiob auswendig gelernt haben. Warum ausgerechnet dieses Buch? Die Evangelien, mit der Passionsgeschichte Jesu, ja, das kann ich noch verstehen, aber Hiob? Hiob, der durch die sprichwörtlichen Hiobsbotschaften nicht von Gott abgebracht wird. Hiob, der erst all seinen Reichtum, dann aber auch seinen Kinderreichtum verliert. Der sich selbst verliert durch eine Hautkrankheit, die ihn isoliert, so dass er mit einer Scherbe in der Asche sitzt und sich kratzen muss vom Scheitel bis zur Fußsohle. Der keine Antwort bekommt auf die Warumfrage seines Leidens und keine Lösung oder Erklärung. Der Freunde hat, die 7 Tage schweigend mit ihm leiden, ihm aber nicht helfen können, ebenso wenig wie seine Frau. Der nicht aufhört, mit Gott zu ringen, zu klagen, ihn anzurufen, mit ihm zu streiten.
Ich frage mich wirklich: Warum waren die Waldensischen Wanderprediger fasziniert von dieser biblischen Gestalt? Und warum haben sie ausgerechnet dieses Buch auswendig gelernt? Sie folgten ja ab dem 12.Jh. wie ihr Namensgeber Waldes, ein Kaufmann aus Lyon, freiwillig dem Ruf Jesu in die Armut. Sie nahmen auf ihren Wanderungen keine volkssprachliche Bibel mit, nicht, weil die Bibel zu schwer gewesen wäre, sondern weil es damals ein Verbrechen war, eine Bibel in der Volkssprache zu besitzen. Da war es sicherer, auf die auswendig gelernte Volksbibel zurückgreifen zu können. Sie zogen predigend wie die ersten Apostel umher, um ihre verfolgten Glaubensgeschwister zu trösten.
Für manche ihrer Leiden gab es in ihrer Zeit keine Lösung. Was man glauben durfte, das bestimmte damals ausschließlich der Landesherr. Was sie als Wahrheit erkannt hatten, dass nämlich jeder Mensch dazu beitragen kann, das Licht des Evangeliums weiter zu tragen, das stieß auf Widerstand bei Staat und Kirche. Dieser Glaube machte sie nicht reich und glücklich und erfolgreich. Aber sie ließen sich deshalb nicht von ihrem Glauben abbringen. Sie waren fasziniert vom leidenden Gerechten. Von Hiob. Seine Geschichte war tröstlich, sie fühlten sich ihm verwandt.
Hiobs Leiden
Aber wie ist es mit uns? Machen wir den Test. Ich lese aus dem Hiobbuch den vorgeschlagenen Predigttext für den heutigen Novembersonntag, den drittletzten Sonntag des Kirchenjahres. Die Freunde haben schon einmal geredet über Schuld und Geduld, und Hiob hat ihnen widersprochen, Gott wird auch noch reden, aber hier, in Kap 14, ertönt Hiobs Stimme.
(Lesung des Predigttextes)
Hier spricht ein Leidender, der, nachdem er aufbegehrt und gekämpft hat, müde geworden ist. Leiden ist harte erschöpfende Arbeit. Das ist bis heute so. Kranke, ob jung oder alt, werden besonders klar an unsere allgemeine Vergänglichkeit erinnert, Denn sie können der Tatsache nur schwer ausweichen, dass wir alle sterben müssen.
Trauerweisheit
Im November geht es vielen so: Wir gedenken der Toten, gehen auf den Friedhof, sind voller Unruhe, weil wir die selbstgewählten Ziele vielleicht nicht erreichen können, die Schatten werden länger, die Rosen verblühen, bevor die kalte Jahreszeit kommt. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde, wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da und ihre Stätte kennet sie nicht mehr! Ein Bild für unsere Existenz. Wir sehnen uns nach Ruhe. – Und bis dahin könnte man meinen, dass im Hiobbuch einfach ein poetisches Weisheitsgedicht aufgenommen ist, wie wir es im Gesangbuch aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges kennen.
(Einzelne Verse aus EG 527 oder 528 vorlesen, evtl. mit Orgelbegleitung, oder auch singen lassen)
Aber die weise Poesie der Vergänglichkeit endet doch meistens – wenn auch erst ganz am Ende – mit einem ermutigenden Satz. „Wer Gott fürchtet, wird ewig stehen“, oder „Wohl dem, der auf Gott trauet, ob er hier gleich fällt, wird nimmermehr vergehen, weil ihn die Stärke selbst erhält!“ Und so ein Satz fehlt bei Hiob. Er kennt keine Hoffnung und keine Lösung. Er klagt Gott an bis zum Ende, ja er schleudert ihm entgegen: Lass mich endlich in Ruhe, blicke doch weg von mir! Damit ich mich endlich wie ein Tagelöhner ausruhen kann. So redet sonst nur Gott, wenn er zu seinem Volk sagt: Ihr habt mir Mühe und Arbeit gemacht mit euren Sünden! Kehrt um! Lasst doch endlich ab von eurem üblen Treiben! Hiob aber dreht den Spieß um: Gott, lass ab von mir, damit ich endlich Ruhe habe! Warum steht so etwas überhaupt in der Bibel?
Heinrich Heine hat gesagt, das steht in der Bibel, weil sie die Apotheke der Menschheit ist, und da darf auch das Gift nicht fehlen. Ein bisschen Gift, in homöopathischen Dosen ist heilsam, „die Bibelredaktoren haben das aufgenommen“, so Heinrich Heine, der es wissen muss als sterbenskranker getaufter Jude und intensiver Bibelleser: „weil sie in ihrer hohen Weisheit wohl wussten, dass der Zweifel in der menschlichen Natur tief begründet und berechtigt ist, und dass man ihn also nicht täppisch ganz unterdrücken, sondern heilen muss. Sie verfuhren bei dieser Kur ganz homöopathisch, durch das Gleiche auf das Gleiche wirkend, aber sie gaben keine homöopathisch kleine Dosis, sie steigerten vielmehr dieselbe aufs ungeheuerste, und eine solche überstarke Dosis von Zweifel ist das Buch Hiob, dieses Gift durfte nicht fehlen in der Bibel, in der großen Hausapotheke der Menschheit“. (Heinrich Heine)
Sagt Hiob das also nur, um Gegenreaktion und Widerspruch zu erwecken, damit ihm Gott ihm heilsam widerspricht und ins Wort fällt? Allerdings lässt er hier niemanden reden und widerspricht schon, bevor jemand ihn unterbricht. So lese ich im Anschluss (ab Vers 7): „ein Baum, ja, aber ich bin kein Baum! Ein Baum hat Hoffnung, wenn er abgehauen ist. Er kann wieder ausschlagen vom Geruch des Wassers. Aber ein Mensch wird nicht wieder aufstehen. Wie Wasser ausläuft aus dem See, wie ein Strom versiegt und vertrocknet, so bin ich.“
Hiobs Homöopathie
Und dann schlägt Hiob Gott doch noch etwas anderes vor als wegzuschauen (ab Vers 13): „Meinst du ein toter Mensch wird wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. – wie der Tagelöhner ausharrt und sich auf den Feierabend freut. – Das Leiden ist wie Frondienst im Totenreich, es hat eine Frist und ein Ende. – Du, Gott, würdest rufen und ich, das Werk deiner Hände, würde dir antworten, es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du liebevoll meine Schritte zählen, aber nicht meine Sünden, du würdest meine Übertretungen versiegeln und meine Schuld übertünchen!“ Hiob besteht also darauf, dass er den zornigen Gott nicht versteht, aber er scheint zu ahnen, dass der gütige Gott Sehnsucht nach seinem Geschöpf haben kann. So fordert Hiob, der leidende Gerechte, seinen Schöpfer heraus. Antworte mir, erlöse mich, aber den richtenden Blick brauche ich nicht, sondern den aufrichtenden. So ist in der Klage des Hiob doch schon etwas versiegelt und verborgen, was helfen kann: In der größten Not wird kein ungnädiges Rationalisieren und Erklären uns auslösen, sondern nur die vergebende, erneuernde und gütige Liebe kann uns retten.
Im Predigt-Vorbeeitungskreis für Theologen fragten wir am Mittwoch zuerst : Wie konnte so ein schwieriger und dunkler Text in die Predigtordnung gelangen ? Pfarrerin Löhr hat diese Frage, wie man über den Text predigen kann, für mich bewundernswert gelöst. Sie erzählt zuerst interessant von den WAldensern, welche das Hiob-Buch auswendig kannten. Sie waren faszuniert von dem leidenden Gerechten und fühlten sich ihm verwandt. Hiob ist ein Leidender , der mit Gott gekämpft hat und müde geworden ist. Wir gehen in diesen Tagen auf den Friedhof. Dazu passen das Weiheitsgedicht des Hiob und sehr tröstliche Lieder aus dem Gesangbuch, welche die Pfarrerin zitiert. Hiob aber klagt bis an Ende und sieht keine Lösung im Text. Will Hiob Gottes Gegenrede provozieren ? Gibt es das Leidensgift sowieso nur in heilsam geringer Menge ? Hiob besteht darauf, daß er den gütigen Gott nicht versteht. In der größten Not wird nicht das Grübeln uns retten , sondern Zeichen von Gottes Liebe. Während Trostpredigten sonst leicht geschönt klingen, besticht diese Predigt durch Echtheit. Trost gibt uns unsere Solidarität mit Hiob und sein Ringen mit Gott und die Hoffnung. Eine bemerkenswert echte und dabei tröstende Predigt.