Augensalbe

„ … damit du endlich klarsiehst“

Predigttext: Offenbarung / Apokalypse 3,14-22
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 21.11.2018
Kirchenjahr: Buß und Bettag
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Offenbarung 3,14-22 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:
15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest!
16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
17 Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!
20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.
21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

(Eigene Übersetzung Christoph Kühne:)

Dem Engel der Gemeinde in Laodikeia schreibe: Dies sagt, der Amen heißt, der Zeuge, der treue und  wahrhaftige, der Anfang der Schöpfung Gottes: Ich kenne deine Werke, dass/weil weder kalt noch heiß (du bist). O dass doch kalt du wärst oder heiss! Weil du aber warm bist und weder heiss noch kalt, werde ich dich erbrechen aus meinem Mund.

Weil du sagst: Ich bin reich, und ich bin reich geworden, und nichts hab ich nötig, und weisst nicht, dass du unglücklich und erbarmungswürdig bist und arm und blind und nackt, rate ich dir, (umgehend) zu kaufen VON MIR  Gold, im Feuer geglüht, damit du (wirklich) reich bist, und weiße Kleider, damit du (dich) anziehst und nicht die Schande deiner Nacktheit gesehen wird, und Augensalbe, zu salben deine Augen, damit du siehst. Die ich liebe, die tadele und erziehe ich; eifere nun nach, und ändere dich!

Siehe, ich habe mich gestellt vor die Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und öffnet die Tür, werde ich hineinkommen zu ihm und essen mit ihm und er mit mir. Wer siegt, dem werde ich geben, zu sitzen mit mir auf meinem Thron, wie auch ich gesiegt habe und mich gesetzt habe neben meinen Vater auf seinen Thron. Der ein Ohr hat soll hören, was der Geist den Gemeinden sagt!

Gedanken beim Lesen des Textes

Ein harter Briefabschnitt! Die Verse erinnern an die „Schwertworte“ Jesu. Aber kann ich heute so reden und handeln? Sind die Verhältnisse in unserer Welt nicht zu kompliziert und unüberschaubar, als dass ich mich eindeutig positionieren könnte? Ich überblicke viele Dinge nicht mehr - mit ihren politischen finanziellen, sozialen und emotionalen Aspekten.

Und dann lese ich „Die ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich.“ Also hören wir den strafenden Gott, den viele mit dem Alten Testament gleichsetzen. Und ist das nicht auch der Gott einer vergangenen Vätergeneration, für die neben der „Ordnung“ auch die „Zucht“ stand?

Und dann ein Sprung. Gott zeigt eine andere Seite: „Siehe, ich stehe vor der Tür …!“ Und was dann kommt, ist Einladung, Zuhören, Mittragen. Diesen Gott wünsch ich mir täglich, ja stündlich vor meiner Wohnungstür!

Die letzten beiden Verse sind wieder kryptisch. „Wer überwindet …“? Wenn ich mir immer so sicher wäre, wen oder was ich überwinden soll und kann, würde ich sogleich ans Werk gehen. Der Sprecher ist Jesus Christus, für den das Kreuz DIE Überwindung war. UND das Kreuz war der Weg „zur Rechten Hand Gottes“. Wie sieht unser eigenes Kreuz aus, das zu überwinden ist? Die Antwort des Apokalyptikers Johannes gibt den Ball an den Leser oder Hörer zurück: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“ Es gibt keine eindeutigen Schritte, die wir tun können. Aber wir können „hören, was der Geist … sagt“. Wir können ins Gespräch mit ihm eintreten. Und da der Geist weht, wo er will, werden wir ermutigt, hinzuhören, was uns gesagt wird. Mir fällt das Lied ein „In der Stille angekommen, werd ich ruhig zum Gebet“.

Anmerkungen zur Perikope und dem Buß- und Bettag

Die Begrifflichkeit des Tages hat eine gute Verbindung zum Gedanken, was bei uns/mir falsch läuft. Nachdenken über den wahren Goldschatz. Erinnerung an den Reichen Kornbauern (Lukas 12,21). Wo dein Schatz, da ist dein Herz (M. Luther). Der Kontakt mit Gott ist lebendig: mal geht es um Kritik und Belehrung, mal geht es um ein Anklopfen, Gemeinschaft, gemeinsam satt werden. Gott ist ohne (zu-) hören nicht zu haben. Und es geht ums Kämpfen, Ringen um das Wort Gottes. Was sagt uns der Geist heute? Worin besteht unser Schatz heute? Wie soll die Kirche heute aussehen, in welchem Gewand erscheinen? Und welche Augensalbe sollen wir Christen auftragen, um durchblicken zu können und wahrzunehmen, was richtig und förderlich ist? Woran krankt unsere Kirche? Sie braucht einen Buß- und Bettag zum Nach-Denken und Hin-Hören und Sich-öffnen. Johannes bietet uns eine Therapie an. Keinen Schmusekurs, aber ein Angebot wirklichen und lebendigen Lebens.

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Auf einer kleinen Insel im Mittelmeer sitzt ein Mann. Er ist dorthin verbannt. Er soll schweigen. Der Kaiser Domitian verfolgt alle Christen. Der Mann auf Patmos, jener kleinen Insel im Mittelmeer, ist der Christ Johannes. Er schreibt, er sei „vom Geist ergriffen“ ( Off1,10a), und er solle schreiben, was er sähe und an Christengemeinden in der heutigen Türkei schicken. Diese Gemeinden leben in dauernder Gefahr. Es geht ihnen nicht so wie uns heute. Gehen uns diese Briefe heute etwas an? Für uns Christen bilden sie die Grundlage unseres Glaubens wie auch alle anderen Schriften der Bibel.

Für den heutigen Buß- und Bettag ist uns der 7. und letzte Brief jenes Johannes vorgelegt, ein Brief an die Gemeinde in Laodikeia. (Laodikeia am Lykos war nach Ephesus die größte antike Stadt in der römischen Provinz Asia. Heutige Reiseinformationen sagen, dass diese Stadt zwei Theater hatte, das größte Stadtion und die größten Thermen. Laodikeia lebte von u.a. von Kurgästen aus dem nahen Städtchen Hierapolis (heute Pamukkale). D.h. Laodikeia war eine bedeutende Stadt im Altertum.) Vor diesem Hintergrund lese ich nun den heutigen Predigttext aus Off 3,14-22 in einer eigenen Übersetzung.

(Lesung des Predigttextes)

Als ICH diesen Text zum ersten mal gelesen habe, ist mir die Luft weggeblieben. Wie wirken diese Worte auf SIE? Es sind zu viele Gedanken. Wer kann sie sogleich verdauen? Und wie mag dieser Brief bei der Gemeinde jener damals riesigen Stadt Laodikeia angekommen sein? Vielleicht klingt bei auch Ihnen das Bild eines großen Therapeuten oder Vaters oder Lehrers an, der „dem Kleinen“ auf den rechten Weg helfen will. Jener stellt sich sogar vor. Seine Namen sind: Amen, treuer Zeuge und Anfang der Schöpfung. Erinnern wir uns an jene berühmte Stelle im AT, wo sich Gott dem Mose vorstellt: Ich werde sein, der ich sein werde. Hier stellt sich der Auferstandene vor: er ist der Anfang der Schöpfung, in ihm sehen wir, dass Gott treu und für uns da ist, und er ist Amen, Anfang und Ziel, Erfüllung und Bestimmung unseres Lebens. Haben wir Christen uns schon so weit von Gott entfernt, dass wir solche basics bekommen müssen? Dass ein Strafgefangener von Patmos uns sagen muss, wer Gott, wer Christus, wer Jesus ist?

Doch der Geist drängt Johannes zu schreiben. Die Wahrheit zu schreiben. Ungeschminkt und klar: Liebe Gemeinde, ich sehe, wie Du lebst und handelst, und ich finde Dich – Entschuldigung! – zum Kotzen (so wörtlich im griechischen Urtext). Was ist Dir als Kirchengemeinde wichtig? Wofür setzt Du Dich ein? Was bedeuten Dir die Flüchtlinge? Wie gehst Du mit Deinem Geld um? Wie gehst Du mit Menschen um? Vielleicht fällt uns die berühmte Geschichte von Jesus ein, wo ein König Menschen zu sich ruft, die ihn mit Essen versorgt, im Gefängnis besucht oder gekleidet, gepflegt oder aufgenommen hätten (Matth 25,34ff). Als die Menschen aus allen Wolken fallen, sagt er: Was ihr einem unter diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr MIR getan. Vielleicht sind wir manchmal wie die Christen von Laodikeia, die aus lauter Vorsicht, etwas falsch zu machen, gar nichts tun. Wir schwimmen im Strom mit und sind damit „lauwarm“. Christus sagt: „zum Kotzen“!

Ich versuche, mir die Reaktion der damaligen Christen vorzustellen, als sie diesen Absatz des Hl. Johannes von Patmos gehört haben … Und es geht ja in einem ähnlichen Ton weiter. Die Erbärmlichkeit der Gemeinde wird offengelegt. Es ist vieles ein show off, eine Effekthascherei, die Du, liebe Kirchengemeinde Laodikeia, an den Tag legst. Doch der große Therapeut sieht sofort, dass der Cheque nicht gedeckt ist. „Fülle ohne Ich“ diagnostiziert der Therapeut. Wo ist Dein Gold? Dein Wert? Wo bist Du, wenn Du Deine Rolle ablegst? Und Christus, der große Therapeut, empfiehlt der Gemeinde eine neue Augensalbe, „damit Du endlich klarsiehst!“ Was brauchen wir, um als Kirche in dieser Welt klar und durch zu blicken? Oder müssen wir wieder ganz von vorne anfangen und von Christus „Gold kaufen, im Feuer geglüht, damit wir wirklich reich werden in Gott“? Wenn uns jetzt der Reiche Jüngling einfallen sollte, der alles getan hat, um in den Himmel zu kommen und dann von Jesus aufgefordert wird, ihm nachzufolgen und alle seinen Reichtum zu verkaufen – und dann betrübt weggeht -, haben wir dann unsere heutige Situation vor Augen?

Ich muss euch konfrontieren, weil ich euch liebe, sagt der Auferstandene. Und ich wollte, Ihr würdet sehen, was jetzt dran ist und einen neuen Weg einschlagen. Aber welcher Weg ist denn heute der richtige? Machen wir nicht dauernd Analysen, erstellen soziologische Studien, befragen die Menschen, was sie wollen? Sollten wir nicht viel mehr digitale Gottesdienste mit Smartphone anbieten? Viele Pastoren und Pastorinnen arbeiten in Konventen und Arbeitsgruppen an der Zukunft der Kirche. Jetzt schon gibt es eine große Zahl von Studien, Denkschriften und Büchern zu diesem Thema …

Mein Auge fällt auf den Brief. Ich lese: Siehe, ich habe mich gestellt vor die Tür und klopfe an; wenn jemand hört meine Stimme und öffnet die Tür, werde ich hineinkommen zu ihm und essen mit ihm und er mit mir. Gott ist schon da. Christus steht bereits vor der Tür unserer Gemeinden, unserer Gedanken, unserer Taten. „Wenn jemand meine Stimme hört“ – war das nicht das Zentrum der Hebräischen Bibel: „Höre, Israel!“ (Dt 6,4)?! Wir Christen sind Hörende auf die Stimme Gottes. Erinnern wir uns an das große Bild von den Schafen, die „meine Stimme hören, und ich kenne sie, und sie folgen mir“. Johannes malt es uns in seinem Evangelium (Joh 10,27). Ja, hier wird der Besucher zum Einladenden. Und wir sehen eine fröhliche Festgemeinschaft von Feiernden. (Lukas, der Evangelist, hat dann von der großen Freude der Menschen gesprochen.) Gott ist unter uns, Christus ist in unserer Mitte, und wir sind bei Ihm, und Er ist bei uns. Und wir leben. Ein Vorgeschmack dieser Gemeinschaft ist unser Abendmahl, die Eucharistie. Christus für dich gegeben.

Mit diesem Bild schließt der Seher Johannes. Er beschließt den Brief mit Worten, die sich auch unter den anderen sechs Briefen finden. Worte der Ermutigung, des Trostes – und der Aufmerksamkeit: Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. Dabei bleibt es: Hören, was Gott sagt. Offen sein für den, der vor unserer Tür steht. Und wissen, dass der Auferstandene unter uns ist und wirkt und lebt.

 

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Ein Kommentar zu “Augensalbe

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Ein so harter Text wie die Schwertworte Jesu. Er zeigt uns auch den richtenden Gott. Aber dann steht Gott durch Jesus vor unserer Tür. Allerdings sind auch Überwindung und Kreuztragen nötig. -Das sind die Ergebnisse der sehr gründlichen Vorbereitung zu der Predigt. Pastor Kühne übersetzt den Text sogar nochmal selbst. Er findet dabei, daß das Wort Kotzen einen Wort- Sinn am Besten trifft. – Am Beginn der Predigt beschreibt der Pastor die Situation des verfolgten Visionärs Johannes.Zu Beginn beschreibt er den kosmischen Christus der sich ihm offenbart. Ähnlich wie Moses die Offenbarung am Berg Sinai erhielt. Es sind Buß-Fragen des Christus. Was läuft heute schief in den Gemeinden ? In vielem sind wir lauwarm und zum Kotzen, lauten die harten Worte zur Besserung. Haben wir nicht zu oft unseren Kern verloren? Aber Christus steht vor unserer Tür und klopft an. Mit Worten der Ermutigung und des Trostes schließt die Rede Jesu und der Predigt. – Es ist eine bemerkenswert klare und energische Buß-Predigt. Der Predigt ist sehr mutig und es ist kühn, so zu sprechen. Aber es schimmert immer hindurch die kritische, aufbauende Bruderliebe von Jesus und dem Prediger und Jünger Kühne.

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