„Da ist er, der Stern …“

Reise mit unverhofftem Ziel - behutsam geführt

Predigttext: Matthäus 2,1-12 (mit Exegese)
Kirche / Ort: 26721 Emden
Datum: 06.01.2019
Kirchenjahr: Epiphanias
Autor/in: Dipl.-Theol. Pfarrerin Christiane Borchers

Predigttext: Matthäus 2,1-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Die Weisen aus dem Morgenland

2,1 Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:
2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.
3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,
4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte.
5 Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1):
6 »Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«
7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,
8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete.
9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.
10 Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut
11 und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem andern Weg wieder in ihr Land.

Vorbemerkung zum Predigttext

Die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland ist zwar schön, aber auch sehr bekannt. Gibt es dazu noch Neues zu sagen? Ist exegetisch nicht alles ausgeleuchtet und in zahlreichen Predigten nicht alles schon ausgeführt. Im Predigtzentrum in Wittenberg habe ich den Tipp bekommen, bei sehr bekannten biblischen Texten eine fiktive Person einzuführen und aus deren Sicht die Ereignisse lebendig werden zu lassen.

Ich habe ein Kind gewählt. Leila macht sich mit ihren Vater, dem König Balthazar, auf die Reise nach Bethlehem. Ich habe zwei Anregungen verwendet, wie sich eine Reise eines orientalischen Königs gestalten könnte. Zum einen durch ein Buch von der Prinzessin Salme von Oman und Sansibar. In diesem Buch hat sie über ihr Leben am Hof ihres Vaters, dem König von Oman und Sansibar berichtet. Der Titel lautet: Leben im Sultanspalast, Memoiren aus dem 19. Jahrhundert. Das Buch, hrsg von Annegret Nippa, ist im Verlag Die Hanse erschienen und unter der ISBN-Nr. 978-3-86393-043-1 im Handel erhältlich. Die Autorin, die Prinzessin Salme von Oman und Sansibar hat einen deutschen Kaufmann geheiratet und ist mit ihm nach Hamburg gezogen. Sie führt fortan den Namen: Emily Ruete, geb. Prinzessin Salme von Oman und Sansibar. Die Prinzessin hat zwar auf Sansibar gelebt und zu einer anderen Zeit, als zum Zeitpunkt Christi Geburt, aber ich könnte mir vorstellen, dass es Ähnlichkeiten geben könnte, wenn traditionelle Könige sich auf Reisen begeben haben.   

Zum anderen bin inspiriert worden, die Reise von den Weisen aus dem Morgenland in den Mittelpunkt zu stellen durch meine 10-tägige Reise durch die marokkanische Wüste mit Kamelen.

Die Predigt ist eine Fortführung meines Predigtimpulses im Deutschen Pfarrerblatt Ausgabe 12/2018 zu Mt 2,1-2.

 

 

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Leila darf mitreisen

Der Vater hat Leila soeben angekündigt, dass sie auf einer Reise mitkommen darf. Sie ist schon alt genug, dass sie die Strapazen einer langen Reise durchhalten wird. Und sie ist noch jung genug, dass es sich schickt, dass eine Tochter mit ihrem Vater reist. Leila ist zehn Jahre. Der Vater ist ihr von den anderen siebzig Geschwistern besonders zugetan. Leila ist von seiner Lieblingsfrau, einer Prinzessin aus Äthiopien. Er möchte seiner kleinen Tochter, bevor sie eine junge Frau wird, eine besondere Freude bereiten. Leila liebt es, wenn sie mit ihrem Vater zusammen sein darf. Alle Leute am Hof fühlen sich geehrt, wenn der König ihnen bei seinem morgendlichen Empfang die Aufmerksamkeit eines Blickes oder einer Geste schenkt.

König Balthasar ist beliebt bei seiner Familie. Seine Frauen und seine Kinder vergöttern ihn, aber auch seine Sklaven und Soldaten sind ihm zugetan. Er ist großzügig, schenkt seinen Frauen Stoffe aus kostbarem Gewebe, durchwirkt mit Silber und Gold. Die Frauen lassen sich von ihren Sklavinnen daraus raffinierte Gewänder schneidern, die Kinder überhäuft er mit süßen Früchten. Der König freut sich, wenn er ihre lachenden und glücklichen Gesichter sieht. Aber auch die Sklaven bekommen schmuckvolle Livreen wie es ihrem Stand gebührt. Balthasar staffiert ebenfalls seine Soldaten prächtig aus, rüstet sie mit einem scharfen blanken Säbel aus, mit Edelsteinen verziertem Griff.  

Die Reise geht los

Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, morgen geht die Reise los. Leila kann vor lauter Aufregung nicht einschlafen. Es ist ihre erste Reise ohne ihre ältere Schwester Scharife. Ihre Schwester Scharife wird sie noch vor Sonnenaufgang wecken. Das hat sie ihr versprochen. Leila macht in dieser Nacht kein Auge zu. In der Frühe hört sie geschäftiges Treiben, schnell springt sie vom Divan auf, zieht ihre bereitgelegten Kleider an und läuft geschwind in den Vorhof des Palastes. Endlich ist es so weit, alles ist für die Reise bereit. „Komm, meine kleine Prinzessin“, ruft der Vater ihr lachend zu und hebt Leila in die Luft, „wir steigen auf das Kamel“. Der Kamelführer legt ein Bein auf das Bein des hockenden Kamels, das andere dient als Tritt für den König.

Mit Schwung landen Vater und Tochter auf den Polstern, die auf dem Rücken des Kamels befestigt sind. Als Vater und Tochter sicher sitzen, nimmt der Kamelführer sein Knie vom Bein des prächtig geschmückten Tieres. Sogleich steht es auf, der König und Leila werden durch die Bewegung des Kamels erst nach vorne, dann nach hinten und dann wieder nach vorne geschwungen. Jetzt sitzen sie richtig. Der König gibt Signal zum Aufbruch, der Tross setzt sich in Bewegung. Balthasar und sein Gefolge sind auf einem Weg, dessen Ziel sie nicht kennen. 

Der Stern weist den Weg

Ein Stern ist dem König besonders aufgefallen. Er stand schon seit Tagen hellleuchtend am Himmel, als ob er auf ihn wartete und sagen würde: Zieh los. Ich zeige dir den Weg. Seine beiden königlichen Freunde Caspar und Melchior haben den herausragenden Stern auch beobachtet. Beide haben unabhängig voneinander Boten zu ihrem gemeinsamen Freund Balthazar gesandt. Dieser Stern ist so besonders, dass alle drei beschlossen haben, dem Stern folgen wollen, wenn er weiterzieht. Als gebildete wissenschaftliche Astrologen können sie sich dieses Jahrtausendereignis nicht entgehen lassen. Der Stern hat sich in Bewegung gesetzt. Alle drei haben die nötigen Reisevorbereitungen getroffen und sind aufgebrochen. Balthasar wird seine Freunde unterwegs treffen, sie werden gemeinsam die Reise fortsetzen. 

Der König guckt liebevoll zu seiner kleinen Leila, wie sie sich vertrauensvoll an ihm schmiegt. Das regelmäßige Schaukeln des Kamels hat seine kleine Tochter müde gemacht und einschlafen lassen. Die Reise ist nicht nur für das Kind, auch für ihn von hoher Bedeutung. Wohin wird der Stern sie führen? Es muss ein neuer König geboren sein, die alten weisen Schriften geben eindeutige Hinweise. Seine königlichen Freunde Caspar und Melchior, Wissenschaftler in der Sternenkunde wie er, vermuten es auch. Nach drei Tagesreisen wird Balthasar auf sie treffen. Liebevoll drückt er der schlafenden Leila einen Kuss auf die Wange. Er ist froh, dass er sie mitgenommen hat.          

Es wird Nacht

Die Sonne neigt sich, schnell wird es Abend, die Nacht bricht gleich an. Es ist Zeit für das Nachtlager. „Halt“ ruft Balthazar und gebietet seinem Kamelführer, die Karawane zum Stillstand zu bringen. Der Kamelführer verlangsamt seinen Schritt, bleibt stehen. Dann kniet er sich, das Seil, das um den Kopf des Kamels geschlungen ist, in der Hand haltend, nieder. Das ist das Signal für das Kamel, ebenfalls stehen zu bleiben und niederzuknien. Bereitwillig bleibt Lipta, das königliche Kamel und Leittier, stehen und lässt sich vom Seil gelenkt ebenfalls zu Boden. Alle anderen 80 Kamele, die mit im Tross sind, folgen dem Leitkamel mit seinem Kamelführer und tun es ihnen gleich.

Die Kamele stöhnen beim Niederlassen, als ob dieser Akt mit Schmerzen verbunden sei. Aber das ist nicht so, es ist das Geräusch, was Kamele nun einmal von sich geben, wenn sie sich niederlassen oder wenn sie aufstehen. Leila wacht von ihrem Stöhnen auf. Im ersten Moment weiß sie nicht, wo sie sich befindet. Noch fremd ist ihr das Reisen mit einer Karawane. Sie reibt sich die Augen. „Aber natürlich“ schießt es ihr durch den Kopf „ich bin ja auf einer Reise mit Papa auf Lipta“. Lipta ist ein tolles Kamel, sie hat es zu Hause oft streicheln und ihr eine Apfelsine geben dürfen. Apfelsinen mag Lipta gerne. Ganz sanft nimmt hat Lipta die Apfelsine aus Leilas flacher ausgestreckter Hand genommen. Sie hat Liptas weiche Lippen auf ihrer Handfläche gespürt. 

König Balthazar reicht dem Kamelführer seine Tochter entgegen, bevor er selbst absteigt. Leila guckt sich das Treiben der großen Gruppe an. Die Kamelführer laden die Körbe und Decken und die Gestelle, die auf den Rücken der Kamele befestigt sind, von den Kamelen ab. Dann binden sie ihnen ein Bein hoch, damit sie sich über Nacht nicht so weit vom Lager entfernen können. Das tut den Kamelen nicht weh, sie sind nur leicht behindert, zu weit wegzulaufen. Jetzt darf Lipta loslaufen und sich Futter suchen. Da sieht sie auch schon einen Wermutstrauch und knabbert genüsslich an dem Gestrüpp. 

Leila beobachtet die Szene. Die Stille der Landschaft, durchbrochen von den  Stimmen der Kamelführer und Sklaven, die das Nachtlager und das Abendessen bereiten. „Komm, meine Kleine“ raunt Balthazar ihr zu und nimmt sie an die Hand, „wir schauen uns den Sternenhimmel an.“  „Da ist er, der Stern“, ruft Leila erfreut aus und zeigt auf den leuchtenden Himmelskörper. Auch der Stern scheint zu ruhen. Vater und Tochter lassen sich von vom Sternenhimmel mit dem hellen Stern faszinieren, von der Stille und der Dunkelheit der Nacht, von den leise klappernden Geräuschen der Kochtöpfe, von den Stimmen der Sklaven, die das Nachtmahl zubereiten. 

Leila ist beglückt, dass sie dabei sein darf und dass ihr Vater ihr so viel Aufmerksamkeit schenkt. Alle sind lieb zu ihr. Die Sklaven überbieten sich, ein Lachen auf ihr Gesicht zu zaubern. Sie machen Späße und schenken ihr süße Datteln. Glückselig schläft Leila nach dem Abendmahl, auf einer dicken Unterlage, umhüllt von dicken Decken auf ihrem Nachtlager neben dem Vater, ein.

Die Sonne geht auf

Am nächsten Morgen wacht sie in aller Frühe auf. Es ist noch dunkel. Einige Kamele halten sich in der Nähe des Lagers auf. Sie ruhen hockend am Boden. Bald ertönen die ersten Laute der Kamelführer. Sie reden den Tieren gut zu und beginnen sie für den Tag zu satteln. 

Die Reise ist wunderbar. Vieles ist neu und fremd für Leila. An der Seite ihres Vaters fühlt sie sich sicher und wohl. Neugierig und fasziniert saugt sie alles in sich auf, was um sie herum geschieht. Morgen werden sie auf Vaters Freunde treffen. Caspar und Melchior werden Salme und Nunu mitbringen. Das haben sie versprochen. Salme und Nunu sind zwei von Leilas zahlreichen Cousinen. Auf Familienfesten hat sie sich mit ihnen angefreundet. 

Der Stern führt die Karawanen von Balthazar, Caspar und Melchior zusammen. In Damaskus sind sie aufeinander getroffen. War für Gejohle und eine Freude, als sie sich alle wiedersehen: die befreundeten drei Könige, ihre untereinander befreundeten Sklaven und Soldaten. Leila ist ganz aus dem Häuschen, als sie ihre Cousinen und Freundinnen Salme und Nunu umarmt. Balthazar, Caspar und Melchior vereinen ihre drei Karawanen, gemeinsam setzen sie ihre Reise fort. 

Der Stern zieht weiter und führt sie direkt zum König nach Jerusalem. Der aber bekommt Angst, als er erfährt, dass Könige aus fremden Landen von weither angereist sind, um den neugeborgenen König zu huldigen. Herodes weiß von keinem neuen König. Ihm ist jedenfalls kein Sohn geboren. Da muss sich hinter seinem Rücken etwas zusammenbrauen. Mit Ehren empfängt Herodes die drei weisen Könige, will sie als Späher benutzten. Sie sollen herausfinden, wo ein Kind geboren worden ist, der der neue König sein soll.   

Der Stern leuchtet hoch am Himmel, selbst am Tage ist er zu sehen. „Kommt“, scheint er den Weisen zuzurufen, „haltet euch nicht mit Herodes auf. Die Mächtigen der Welt werden euch das Heil nicht bringen. Ihr müsst weiter, damit ihr euer Ziel rechtzeitig erreicht.“  

Das Ziel

„Mein Vater hat zum Aufbruch gedrängt“, wird Leila später ihrer großen Schwester Scharife erzählen, als die Reise beendet und sie wieder zuhause ist. Sie wird ihr erzählen von der Reise, von den Sternennächten mit dem großen Stern, der sie nach Bethlehem geführt hat, der über einem Stall Halt gemacht hat und über den Palast des Königs von Jerusalem. Leilas Augen werden zu Leuchten beginnen, als sie Scharife erzählt, wie sie das Kind in der Krippe gesehen hat. Das Leuchten und den warmen Schein, das vom Kind der Krippe ausgeht, wird sie mit nach Hause nehmen. „Papa und seine Freunde Caspar und Melchior“, wird Leila ihrer großen Schwester sagen, haben dem Christuskind Geschenke mitgebracht. Du kennst ja Papa, er lässt sich nicht lumpen. Die er mag, die bekommen Geschenke von ihm. Er muss das Christuskind sehr lieb gewonnen haben, sonst hätte er es nicht mit Gold beschenkt.  

So war das, als Leila mit ihrem Vater auf die große Reise gehen durfte, als sie dem Stern folgten und das Christuskind fanden. Die Bibel erzählt nichts von Leila, nichts von den Kamelen, nichts von der Karawane mit ihren vielen Menschen. Die Bibel berichtet ausschließlich von den drei Weisen, wie sie dem Stern folgen, wie sie fälschlicherweise erst bei Herodes in Jerusalem, das nicht weit von Bethlehem entfernt lieg, vorstellig werden, wie sei dann aber doch nach Betlehem kommen und dem Christuskind Gold Weihrauch und Myrrhe schenken. Aber es ist ja bekannt und bedarf keiner besonderen Erwähnung: Ein König reist immer mit seinem Gefolge, er reist nie allein. Ein König hat auch Kinder, die sicher manchmal mitreisen dürfen.

 

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