„… um Frucht zu bringen“

Jesu Sterben ist der höchste Ausdruck der Liebe - Der Glaube an Jesus als den Gesandten Gottes geschieht im Bleiben in der Liebe

Predigttext: Johannes 16,19-30 (mit Einführung und Fürbitten
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenhem (Rheinhessen)
Datum: 19.04.2019
Kirchenjahr: Karfreitag
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Johannes 16,19-30  (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.
24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.
26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde;
27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
29 Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild.
30 Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.

Hinführung zum Predigttext

In seinem wunderbaren Buch „Das Johannesevangelium – Vom Wohnen Gottes unter uns“ (Herder 2018) schreibt Ludger Schenke: „Das Heil wird nicht durch seinen (Jesu, Vf.) Tod bewirkt, sondern durch den Glauben an sein Wort.“ (S. 210) Und später: „Und Jesus selbst gibt seinem Sterben den Sinn, dass er wie das Weizenkorn stirbt, um Frucht zu bringen (12,24). Als guter Hirte gibt er sein Leben hin für seine Schafe und bewahrt sie so vor Zerstreuung und Raub durch den Wolf (10,11f.14).“ (S. 211) Im Johannesevangelium ist Jesu Tod – und darum muss er am Kreuz geschehen und nicht durch Steinigung – „seine Erhöhung und damit die Vollendung seines Wirkens (19,28; 17,4). Dieses war die Auswirkung der Liebe Gottes zur Menschenwelt (3,16), und Jesu Sterben ist der höchste Ausdruck der Liebe: „Es gibt keine größere Liebe als die, dass einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (15,13).“ (S. 211f) Der Glaube an Jesus als den Gesandten Gottes geschieht im Bleiben in der Liebe.

Fürbitten

Gnädiger Gott,

an Karfreitag schauen wir auf das Kreuz, an dem Jesus gestorben ist und das uns an all das Leidvolle erinnert, das uns in dieser Welt, in unserem Dorf/unserem Stadtteil, in unserem Freundeskreis, in unserer Familie begegnet.

Wir sehen dein Kreuz, wo Menschen miteinander streiten und keinen Kompromiss finden können, wo Menschen stur und hartherzig sind und sich nicht erweichen lassen.

Darum bitten wir: Herr, erbarme dich!

Wir sehen dein Kreuz, wo Menschen erkrankt sind und ihr Leben auf den Kopf gestellt wird, wo Menschen nicht mehr alleine zurechtkommen und auf Hilfe angewiesen sind.

Darum bitten wir: Herr, erbarme dich!

Wir sehen dein Kreuz, wo Terrorakte verletzen, töten und Angst und Schrecken verbreiten, wo sinnloser Krieg Menschen verwundet, traumatisiert, tötet oder heimatlos macht.

Darum bitten wir: Herr, erbarme dich!

Wir sehen dein Kreuz, wo Naturkatastrophen Menschen überraschen und bedrohen, wo sie die Lebensgrundlagen zerstören und Not und Elend hervorrufen.

Darum bitten wir: Herr, erbarme dich!

Wir sehen dein Kreuz, wo Menschen sich aufopfern für andere: Eltern für ihre Kinder, Pflegende für Hilfsbedürftige, Ärzte in Krisengebieten, Angehörige für Erkrankte, Retter in Notsituationen – und wo immer Menschen nicht an sich selbst denken.

Wir schauen an Karfreitag auf das Kreuz, weil wir darin auch die Hoffnung sehen. Die Hoffnung auf Wandlung und Neuanfang, auf Einsicht und Veränderung, auf Versöhnung und neues Leben. Die Hoffnung, dass das Leben stärker ist als der Tod.

Wir schauen an Karfreitag auf das Kreuz, weil wir darin auch die Liebe sehen, die „alles erträgt, die alles glaubt, die alles hofft, die allem stand hält – und die niemals aufhört“, wie es im Hohelied der Liebe heißt (1.Kor. 13,7.8a).

 

 

 

 

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Leidvollem begegnen 

An Karfreitag werden wir keine Massen bewegen. Auch wir hier sind nur eine kleine Gruppe. Zusammengekommen, um einen Gottesdienst zu feiern. Mit einem Thema, das vielleicht nur ein müdes Gähnen auslöst. Natürlich gibt es angenehmere Anlässe, erfreulichere Gedanken, populärere Themen als die Kreuzigung Jesu.  Einst war Karfreitag der Gottesdienst der evangelischen Christenheit. Doch zunehmend geht das Wissen um die Bedeutung christlicher Feiertage in unserer Gesellschaft verloren. Es gibt so viel schönere Events als ein Gottesdienst an Karfreitag. Und es ist wenig reizvoll, sich mit dem Leiden eines Gekreuzigten noch mit dem Leid in der Welt zu beschäftigen. Aber wenn wir ehrlich sind: Diese Verdrängung von Leidvollem hilft uns wenig. Das Leidvolle ist eine nicht wegzudenkende Realität, die jeden von uns in irgendeiner Weise trifft oder treffen kann. Und je mehr man versucht, Leidvolles zu verdrängen, desto bedrängender wird es für einen. Schaut man das Leidvolle aber an, dann findet man auch einen Weg, damit zu recht zu kommen.  

Den König sehen 

Jerusalem um das Jahr 30. Pilatus überantwortet Jesus zur Kreuzigung. Vor der Stadt mit zwei anderen an seiner Seite wird Jesus auf der Schädelstätte, die Golgatha heißt, gekreuzigt. Über ihm lässt Pilatus die Aufschrift ans Kreuz nageln: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Damit es alle Welt lesen kann, in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da hilft es wenig, dass die Hohenpriester um eine Änderung des Schildes bitten. Dass er gesagt habe, dass er der König der Juden sei, nicht dass er es ist, soll auf dem Schild geschrieben stehen. „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben“, gibt Pilatus zur Antwort. 

Es ist schon widersinnig. Da will die fromme Clique, dass dieser Jesus von der Bildfläche verschwindet. Hat er nicht die Tische der Geldwechsler im Tempel umgestoßen und den Taubenhändlern gesagt, sie sollen aus dem Tempel keine Markthalle machen. Auf diese Weise hat er doch die gängige religiöse Praxis in Zweifel gezogen. Und dann passiert es, dass der heidnische Pontius Pilatus Jesus zum König der Juden ausruft. In den drei wichtigsten Sprachen der damaligen Zeit. Weil es für alle Menschen Bedeutung haben soll. Im Gegensatz zu den Tischen der Geldwechsler ist das buchstäblich unumstößlich. Der Einwand wird nicht gelten gelassen, dass das ja nur ist, was Jesus von sich behauptet hätte. Nein, Jesus ist der König der Juden.  

Vom Erbe leben 

Wenden wir unseren Blick für einen Augenblick von diesem Kreuz weg. So erkennen wir zu Jesu Füßen die Soldaten, die die Kreuzigung vollzogen haben. Sie sind damit beschäftigt, aus Jesu Kleidern vier Teile zu machen, damit sie diese untereinander verteilen können. Sein Gewand aber, das aus einem Stück und nicht genäht ist, wollen sie nicht in Stücke zerreißen. Darum sind sie auf die Idee gekommen, sein Gewand zu verlosen, damit es als Ganzes einen neuen Besitzer finden kann. Und jeder reißt sich um das Gewand des Königs, das als Ganzes einhüllt in die Liebe eines Menschen, die im Angesicht des Todes lebendig bleibt. 

Hier wird das Erbe eines Menschen verteilt. Noch ehe er von dieser Welt gegangen ist, wird ihm das genommen, was seinen Leib umschlossen hat. Es bleibt ihm nur die nackte Haut, die nicht zu retten ist. Den Soldaten bleiben seine Kleider und sein Gewand, unteilbar wie sein Leben und seine Worte. Was beides nicht voneinander zu trennen ist. So bleibt uns sein Wort. Das Wort, das er gesprochen hat und in dem sein Leben durchsichtig wird. Das Wort, das er gelebt hat. Das Menschen gehört und sich einverleibt haben. Das Menschenherzen bewegt hat und bewegen wird. So mag sein Gewand uns gut zu Gesichte stehen. Wie ein Gewand uns umschließt und unsere Verletzlichkeit verbirgt, so hüllt uns Jesu Gewand in seine Liebe ein. So schützt uns sein Gewand mit seiner Liebe, die stärker ist als jeglicher Tod und alle  Vergänglichkeit.   

Beziehungen pflegen 

Schauen wir uns unter dem Kreuz ein wenig um, sehen wir noch weitere Menschen, die das Kreuz nicht loslässt. Die vor allem der nicht loslässt, der ans Kreuz genagelt, seinen Mund auftut. Jesus nimmt vom Kreuz herab seine Mutter und den Jünger, den er lieb hat in den Blick. Zu ihr spricht er: „Siehe, das ist dein Sohn!“ und zu ihm sagt er: „Siehe, das ist deine Mutter!“ Damit setzt er Menschen in Beziehung zueinander und überlässt sie nicht einfach ihrem Schicksal. Wenn er nicht mehr unter ihnen sein wird, sollen sie füreinander da sein. Sollen sie ihre Liebe einander spüren lassen. Sollen sie seine Liebe einander weitergeben.  

So sehr der Tod einen in die Beziehungslosigkeit stürzen kann, so wichtig ist es, einander in den Blick zu nehmen. Der Gekreuzigte macht aufmerksam füreinander. Kapselt euch nicht ab, sondern seid füreinander da. Schließt euch nicht ein, sondern kümmert euch umeinander. Gebt euch nicht auf, sondern übernehmt eine Aufgabe. In diesem Dasein füreinander überwinden wir den Tod. Wo die Liebe stark ist, verliert der Tod seine Bedeutung. Da rückt das Leben in den Mittelpunkt. Da trägt man das Belastende auf gemeinsamen Schultern. Und im Erzählen des Bedrückenden kann man wieder freier atmen. 

In der Liebe bleiben  

„Mich dürstet“, sagt Jesus am Kreuz. Und es ist mehr als ein Dürsten nach Wasser. Mich dürstet danach, dass Worte, die verletzen könnten, nicht mehr über eure Lippen kommen. Dass ihr in den Augen des Anderen seht, was ihm auf dem Herzen liegt. Dass ihr ein offenes Ohr habt für das, was jemanden beschäftigt und ihm die Ruhe der Nacht raubt. Mich dürstet, dass ihr lernt, eurem Nächsten zu vergeben, wie ich euch vergebe. Dass ihr euch müht, auch eure Feinde zu lieben, nicht nur die euch Gutgesonnenen. Dass ihr Frieden stiftet, statt weiter aufzurüsten und Leid lindert, statt Öl ins Feuer zu gießen. 

Am Ende kann Jesus sagen; „Es ist vollbracht!“ Und wir schauen ungläubig drein. Das mag unsere Vorstellung vom Leben übersteigen. Aber das Kreuz ist nicht nur der Ausdruck von Leidvollem. Das Kreuz ist auch das Hoffnungszeichen der Liebe. Einer Liebe, die „alles erträgt, die alles glaubt, die alles hofft, die allem stand hält – und die niemals aufhört“, wie es im Hohelied der Liebe heißt (1.Kor. 13,7.8a).  

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Ein Kommentar zu “„… um Frucht zu bringen“

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Während Karfreitag früher neben Weihnachten für Protestanten der Haupt-Gottesdienst im Kirchenjahr war, wird er heute recht wenig beachtet. Aber durch das Verdrängen des Leids wird es oft noch schlimmer und bedrängender. Jesus wurde damals gekreuzigt unter der Aufschrift: König der Juden. Die Soldaten, welche Jesus gekreuzigt hatten, würfelten um sein Gewand und ließen es ganz. Eine schöne Symbolik: Jesu Liebe umhüllt uns ganz mit seiner wärmenden Zuwendung zu uns. Der Tod Jesu macht uns aufmerksam füreinander. Wo die Liebe sehr stark ist, verliert der Tod seine schärfste Bedeutung. Jesus dürstet am Kreuz. Symbolisch geht es ihm darum, dass er auch Sehnsucht hat, dass wir einander lieben, vergeben und Frieden stiften. Jesus sagt als Letztes: Es ist vollbracht! Das Kreuz Christi ist das Hoffnungszeichen der göttlichen Liebe, die nie aufhören wird. Zum komplexen und schwierigen Thema Karfreitag hat Pfarrer Klein eine sehr verständliche und ergreifende Predigt verfasst.

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