“Exaudi …” – Gott, höre meine Stimme (Psalm 27,7)

Es gilt, die Liebe Christi zu erkennen, die „alles Erkennen übertrifft“

Predigttext: Epheser 3,14-21 (mit Exegese)
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 02.06.2019
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Epheser 3,14-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(14) Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, (15) der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, (16) dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, (17) dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. (18) So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, (19) auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. (20) Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, (21) dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

1. Die frühe Christenheit entdeckte: „Lex orandi est lex credendi“ („die Regel des Betens ist Regel des Glaubens“). V. 14 setzt neu mit toútou chárin an und greift auf V. 1 zurück. Jetzt geht der Apostel zu dem Gebet über, in dem er für die Briefempfänger um Erstarken im Glauben, Verwurzelung in der Liebe und um wachsende Erkenntnis bittet. Der ganze Abschnitt ist ein Gebetstext: die Fürbitte in VV 14-19 und die Doxologie in VV 20-21. Das Fürbittengebet ist ein überaus kunstvolles Satzgebilde – ohne logische Gliederung, ohne deutlich abgehobene Elemente – mit einem Fortströmen der Gedanken, die sich gegenseitig auf den Plan rufen. Eine Steigerung ist nicht zu übersehen. Das innere Erstarken (V. 16) in Glauben und Liebe (V. 17) soll zu einem umfassenden Verstehen der göttlichen Offenbarung (V.18), letztlich der Liebe Christi (V. 19a) führen, so, dass die Christen zur Heilsvollendung in der Fülle Gottes gelangen (V. 19b). Drei `ina-Sätze (V. 16, 18, 19b) markieren diesen Weg und folgen einander konsequent und steigernd. Auffällig ist eine gewisse Nähe zu Kol. 2,2ff, aber während dort „Mahnungen“ stehen, formuliert Eph. 3,14ff. ein Gebet. Der Eph. hat Christen vor Augen, deren Glauben äußerlich und flach geworden ist.  Er lädt sie zum Mitbeten ein: V. 14 „ich“ – V. 20 „wir“. Der gemeinsame Gottesdienst enthält geistliche Dimensionen (vgl. 5,18-20), die durch theologische Reflexion nicht erreicht werden kann. „Lex orandi est lex credendi!“ Literatur.: Rudolf Schnackenburg, Der Brief an die Epheser, EKK X (1982), 146-160; L. Vosberg, Predigtmeditation in GPM 93 (2004), 307-310 2. Homiletisch könnte der Briefabschnitt erschlossen werden über: Was auf der Höhe ist, aber auch tief geht, was in der Breite wirkt, uns aber um Längen voraus ist (spielerisch mit V. 18). Die im Hintergrund lauernde Befürchtung, die Verhältnisse in unseren Gemeinden seien einer Vertiefung und Erweiterung des Glaubens nicht gerade dienlich, ist ein schlechter Ratgeber, wenn es darum geht, die Verflachungen und Vereinfachungen beim Namen zu nennen – und ins Gebet zu nehmen. Eph. 3,14ff ist ein Brückenpfeiler zwischen Ostern und Pfingsten und markiert gleichzeitig den Streckenabschnitt, der mit „Rogate“ angefangen hat. Die Gemeinde, die eben noch die Erhöhung Christi gefeiert hat, sieht sich mit den Todesmächten konfrontiert, die diese Welt regieren. »Heilger Geist, du Tröster mein, hoch vom Himmel uns erschein«, singt das Wochenlied EG 128, um dann fortzufahren: »Komm, Vater der armen Herd, komm mit deinen Gaben wert, und erleucht auf dieser Erd«. Dazu stimmt der Eingangspsalm, dessen Antiphon dem Sonntag wiederum den Namen gegeben hat: »Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe« (Ps 27). Der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten steht im Zeichen des Abschieds und der Verheißung des Geistes. Die Epistel Eph 3,14-21 preist die Liebe Christi, die alle Erkenntnis übertrifft, und stellt den Glaubenden die Teilhabe an der »ganzen Gottesfülle« in Aussicht. Sie steht so in einer sehr engen Beziehung zur alttestamentlichen Lesung Jer 31,31-34, die den »neuen Bund« verheißt, in Herz und Sinn des Volkes geschrieben.“ Karl-Heinz Bieritz  zum 6. Sonntag nach Ostern in: www.velkd.de/pub/bieritz-kirchenjahr.doc Evangelium ist Johannes 15, 26-16,4. Es fällt auf, dass in unserer Gesellschaft das Thema „Vertrauen“ neu ins Licht gerückt wird bzw. gerückt werden muss. So hat der scheidende Bundespräsident, Johannes Rau, seine letzte große Rede am 12.5.  unter die Überschrift gestellt: Vertrauen in Deutschland – eine Ermutigung. Nachzulesen unter:  http://www.bundespraesident.de/Downloads/berliner_rede_2004.pdf Fast zeitgleich hat sich Gesine Schwan, die am 23. 5. als Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin zur Wahl steht, über  „Politik und Vertrauen“ Gedanken gemacht – s. FAZ vom 14.5.2004, Seite 8. Eine Predigt über Eph. 3,14-21 darf aus dem Schatz der Hl. Schrift Vertrauen stärken – und neu begründen.

Liedvorschläge

EG 100 (Wir wollen alle frölich sein) , EG 120 (Christ fuhr gen Himmel), EG 358 (Es kennt der Herr die Seinen) , nach der Predigt: EG 181.6 (Laudate, omnes gentes) EG 411 (Gott, weil er groß ist)

Tagesgebet

Allmächtiger Gott, wir bekennen, dass unser Erlöser bei dir in deiner Herrlichkeit ist. Erhöre unser Rufen und lass uns erfahren, dass er alle Tage bis zum Ende der Welt bei uns bleibt, wie er uns verheißen hat. Er, der in der Einheit des Heiligen Geistes Mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. http://www.erzabtei-beuron.de/schott/osterzeit/woche7/SonntagC.htm

Fürbitten

Gott wir danken dir für den Reichtum, der aus deinem Wort kommt, für das Geschenk, in einer Gemeinde mit dir verbunden zu sein, für deine Liebe, die nicht versiegt. Deine Liebe führt uns hoch hinaus, geht aber mit uns in die Tiefe. Deine Liebe macht sich breit, bleibt uns aber um Längen voraus. Wir bitten dich für die Menschen, die  hoch hinaus wollen, die Ideen haben und dem wissenschaftlichen Fortschritt zutrauen, die großen Probleme zu lösen, die sich weltweit auftun. Dass sie abwägen, was sie tun und die Folgen bedenken. Herr, erbarme dich für die Menschen, die tief unten angekommen sind, die keine Perspektiven mehr haben und verstummt sind. Dass sie aus ihrem Schneckenhaus herausfinden und wieder reden können. Herr, erbarme dich für die Menschen, die sich breit machen, von sich eingenommen sind und anderen die Luft zum Atmen nehmen. Dass sie Freiräume schaffen für die, die anders sind Herr, erbarme dich für die Menschen, die über lange Zeit viel ertragen müssen, kein Licht am Ende des Tunnels sehen und verbittert werden. Dass sie Menschen haben, die ihre Geschichten teilen Herr, erbarme dich Du hast, Gott, einen Namen: „der mit uns geht“. Du hörst auch das Schweigen, Du siehst das Verborgene, Du gehst die letzten Wege mit. Wir danken dir für die Liebe, mit der du uns entgegenkommst: Wir danken dir für die Menschen, die unsere Wege teilen Wir danken dir für den Mut, den wir anderen schenken.

Wochenspruch:

Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. Johannes 12,32

Psalm

27,1.7-14

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Aus dem Evangelium zum Sonntag Exaudi hallt noch der Satz nach: „Denn ich war bei euch“.

I.

„Denn ich war bei euch“, sagt Jesus . Die Worte stehen in den Abschiedsreden. Jesus verabschiedet sich. Der Weg, den er vor sich hat, führt ihn nach Golgatha. Er wird diesen Weg alleine gehen. Er wird auch allein gelassen werden. Johannes, der die Reden später überliefert, spricht von „Erhöht werden“, von der Verherrlichung Jesu. Aber als Jesus mit seinen Jüngern spricht, bricht für sie eine Welt zusammen. Angst und Entsetzen legen sich über sie. Ich war bei euch, heisst: ihr werdet zurückbleiben, euren eigenen Weg finden müssen. Und das heisst auch: sich verlassen fühlen, einsam sein, sich neu orientieren. Wie es vorher war, wird es nicht mehr sein. Wieviele Geschichten gibt es in unseren Köpfen und Herzen? Abschiedsgeschichten gibt es viele. Sie erzählen von Trennungen. Von Widersprüchen. Aber auch von Neuanfängen. Von Hoffnungen. Von der unbändigen Sehnsucht nach Leben. Wollen wir von uns erzählen?  Kleine Geschichten. Mitten aus dem Leben.

Väter und Mutter geben ihren Kindern Glauben weiter, Geschichten, Gebete und Bräuche. Sie sehen zu, wie mit dem Erwachsenwerden und der Ablösung vom Elternhaus vieles in den Sog neuer Entdeckungen gerät und – verloren geht. Das unbefangene Gespräch darüber will nicht gelingen. Es fehlen auch die Worte, noch einmal  darüber zu reden. Dabei täte es allen gut, wenn der Glaube mitwachsen könnte. Im Kollegenkreis wird ein Geburtstag gefeiert. Nach Feierabend. Viel wird erzählt, gelacht. Ich bin aus der Kirche ausgetreten, sagt einer. Das passt ins Gespräch. Irgendwie ist man darauf gekommen. Warum? Die Antwort fällt schwerer als gedacht. Am Ende kommt heraus: es ist der Abschied vom Kinderglauben. Er ist nur 14 geworden. Und passt jetzt nicht mehr ins Leben und die Landschaft. Er hatte keine Chance. Ein bisschen Trauer ist auch dabei. Aber das merken schon nicht mehr viele. Menschen kommen zusammen und berichten , wie viel Mühe sie sich  geben, als Christen zu leben. Überhaupt: sich Mühe geben … was für ein Wort! Wenn die alte Sicherheit nicht mehr da ist, das Gefühl sich breit macht, eine Minderheit zu werden, oft auch nicht mehr verstanden zu werden – dann verbirgt auch der trotzige Unterton nicht, sich verlassen zu fühlen.  Eben: Mühe.

Sogar ein Blick auf die Kirche stellt sich ein. Gremien tagen. Es gibt Zielvorgaben, Planungen und Rechenschaftsberichte, es gibt aber auch Erwartungen, manchmal sogar sehr diffuse, einander widersprechende – und den Frust, den man aber nicht zugeben darf. Auffallend ist, dass in Gesprächen und Texten Probleme einen breiten Raum einnehmen. Wir signalisieren: Wir haben Probleme! Die finanziellen Engen verstecken dann  auch mehr als wir eingestehen. Es tagt eben doch nicht. So oder ähnlich: es sind unsere Geschichten. Einen Grundton haben wir in ihnen versteckt: wenn wir einen grossen Glauben, eine schöne und erfolgreiche Kirche,  überzeugende Perspektiven hätten, dann … Aber so?

II.

Der Apostel Paulus hatte einen Meisterschüler. Wie sein großer Lehrer schrieb auch er Briefe – und versteckte sich in ihnen hinter dem Rücken seines Vorbildes. Nicht einmal seinen Namen hinterließ er.  Es sollte Paulus sein – der seiner Gemeinde schreibt. Ob die das in Ephesus gemerkt haben? Aber die waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass es sie vermutlich nicht einmal interessierte. Die Hellsichtigen unter ihnen sahen, wie der Glaube, den sie einmal übernommen hatten, flach wurde,  angepasst werden sollte, seine alte Strahlkraft längst eingebüßt hatte. Der Alltag war eingekehrt. Das große Neuheitserlebnis – Vergangenheit. Da kam der Brief gerade recht – und rechtzeitig. In ihm heißt es:

(Lesung des Predigttextes)

Es ist ein Gebet. Von der ersten bis zur letzten Zeile. Es beginnt mit den gebeugten Knieen (einer Körperhaltung, die Ehrfurcht und Zu-neigung ausdrückt) und endet mit einem Mund voller Jubel. Von den Füßen bis zum Kopf – der ganze Körper betet. Am Anfang ist noch Für-Bitte, ein Gebet für die Menschen in Ephesus, am Schluss weiß der Beter,  dass sie einstimmen und mitmachen: “Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,  dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.” Es gibt Gebete, die verkappte Ermahnungen sind – Predigten mit anderen Mitteln. Dann kommt Unbehagen auf.

Eine Gardinenpredigt für Gott? Und es gibt Gebete, die nicht viele Worte brauchen, aber alles aussprechen. Hier ist so eins. Den Menschen wird in dem Brief erzählt, dass sie Gott anvertraut werden. Eben dem, der „überschwänglich“ alles gibt, was er hat: die Kraft, die so groß ist wie seine Herrlichkeit. Also: unendlich und unerschöpflich. Aber auch: schön und anziehend. Protzerei stellt sich bei ihm nicht ein. Kräftemessen hat er nicht nötig. So passt am Ende auch nur der Jubel in den Mund, die Dankbarkeit – und die Hoffnung. Uns kommt das Herrengebet, das „Vater unser“, in den Sinn: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.

Im Gebet denkt ein Mensch nicht nur groß von Gott, sondern sieht den Menschen, für den er eintritt, hinein genommen, aufgenommen, ja, neu beiheimatet.  In das Geheimnis, das wir Gott nennen. Aber als Vater ansprechen dürfen. Wie er gesagt hat. Für die Menschen in Ephesus heißt die Bitte, der Wunsch und das Zutrauen: stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, In diesem Satz ist eigentlich alles gesagt, was erhofft und erbeten sein kann. So altertümlich die Formulierung klingt: es geht um den starken Menschen. Erich Fried hat ein Gedicht geschrieben. 1964 ist es erstmals erschienen – als „Warngedicht“:

“Einer nimmt uns das Denken ab /Es genügt / Seine Schriften zu lesen / Und manchmal dabei zu nicken / Einer nimmt uns das Fühlen ab”.  Erich Frieds  Gedichte erhalten Preise und werden häufig zitiert: “Einer nimmt uns die grossen Entscheidungen ab über Krieg und Frieden / Wir wählen ihn immer wieder / Wir müssen nur auf zehn bis zwölf Namen schwören / Das ganze Leben nehmen sie uns dann ab”. Darf dieses Gedicht in einem Gottesdienst seinen Platz haben? In dem wir nicht einmal auf zehn bis zwölf Namen schwören, sondern – auf einen? Erich Fried hat einen Spiegel aufgestellt. Wir sehen Menschen, die ihr Leben abgeben. Die keinen Mut, kein Vertrauen mehr haben. Die sich damit abgefunden haben, verwaltet und versorgt zu werden. Wir sehen aber auch Menschen in dem Spiegel, die sich in der Rolle des „Abnehmers“ eingerichtet haben, Abhängigkeiten immer neu ausbauen und ihren Einfluss zu erhalten suchen.

Der Brief nach Ephesus weiß von einer Kraft, die Menschen stark macht  – und den vielen bestellten und selbst ernannten „Abnehmern“ eine neue Rolle zuweist: die der Für-Bitte. Im gemeinsamen Dank kommen dann die vielen Geschichten, die Menschen erzählen, zusammen. Er könnte auch so formuliert bleiben, ohne alt zu werden: “Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,  dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und alle sollen sagen können: so ist es”. Ein starker Mensch lässt sich das Leben nicht abnehmen.  Auch die Konflikte nicht. Erst recht nicht den Glauben. Der Epheserbrief hat dafür Worte eines Gebetes. Gott wird nicht als „Abnehmer“ angerufen.  Die Bitte an ihn ist: „dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“ Das erbitten wir für einander.

III.

Ist das das Größte – stark sein, gestärkt aus Lebens- oder Glaubenskrisen herauszugehen, aufgebaut zu werden (wie der Volksmund es so schön sagt)?  Wenn ich an Friedrich Nietzsche denke – ist es nicht wenig. Schließlich erhob er den Vorwurf, Christen würden alles diffamieren, was groß und stark ist – und veredeln und heiligen, was zerbricht. Was heißt  aber: stark sein?  Gestärkt werden? Im Gebet gibt es eine größere Bitte: die Liebe Christi zu erkennen, die „alles Erkennen übertrifft“. Erkennen verzaubert und verhext. Wissenschaftlichem Erkennen (weniger kann es nicht sein) kommt höchste Würde zu: Es öffnet Türen, Chancen und Märkte – es verleiht unsichtbare Kronen, Autorität, die nicht abgewählt werden kann und eine unangreifbare Aura.

Erkennen macht stark. Wer nicht versteht, nicht mitkommt, nicht mitgenommen wird, bleibt draußen. Unter Umständen sogar in seinem eigenen Leben. Ausgesperrt. Abgehängt. Der Schüler des Paulus, der nach Ephesus schrieb, kannte die Hochachtung, die der Erkenntnis entgegenschlug und die Faszination, die von ihr ausging. Er sah aber auch, wie die „Erkenntnis“ trennte, über das Leben von Menschen entschied und auch die Zukunft vereinnahmte. Mit guten Absichten und dem berühmten „besten Wissen und Gewissen“.

Es ist wichtig, über eigene Erfahrungen zu reden. Wir reden über Schwierigkeiten, die es unter uns gibt, wir umkreisen Befürchtungen, deren Tragweite wir nicht ermessen – und wir lecken Wunden, bevorzugt eigene. Stark sein – für sich allein – hat keine Zukunft. Der Beter, der sich Gott zuwendet, erbittet von ihm Leben und empfängt es. In dem Gebet sollte die größte Bitte stehen, die ein Mensch äußern kann: die Liebe Christi zu erkennen, die „alles Erkennen übertrifft“. Denn erst die Liebe Christi macht Menschen für einander stark. Das Gebet, das wir im Epheserbrief entdecken, gibt den Jüngern Jesu Worte, um den eigenen Weg zu bitten, selbständig zu werden – und selbstbewusst.  Als Gemeinde Jesu machen wir es so, wie es die Jünger gemacht haben: Wir fragen nach Jesu Wort – und finden die Worte, die wir sagen können. Das ist dann unsere Erkenntnis.

IV.

Am Anfang hatten wir Eltern und Kinder im Blick, denen die Worte fehlen, noch einmal darüber zu reden, was sie glauben können. Wir hörten jemanden erzählen, der nicht nur aus der Kirche austritt, sondern sich von seinem Kinderglauben verabschiedet, ohne ihm die Chance zu lassen, auch groß zu werden. Uns begegneten Menschen, die sich Sorgen – und viel Mühe um die Kirche machen. Lösungen? Wir können sie gemeinsam suchen. Dem „Abnehmer“ (dem Fried ein Gedicht widmete) verkaufen wir die Seelen nicht. Aber der Epheserbrief schenkt uns ein Gebet. Vor langer Zeit für Menschen aufgeschrieben, denen im Alltag der Glaube immer flacher, abgenutzter, verbrauchter wurde.

Ein Schüler des Paulus formuliert die Gewissheit, dass die „ganze Gottesfülle“ Menschen aufnimmt. Bedingungen, Einschränkungen? Nichts dergleichen. Denn bevor wir die Liebe Christi erkennen, die alles Erkennen übertrifft – sind wir von ihm erkannt und geliebt. Das führt uns hoch hinaus und  geht  mit uns in die Tiefe, das wirkt in der Breite und ist uns doch um Längen voraus. Aus dem Evangelium hallt noch der Satz nach: „Denn ich war bei euch“. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,  dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit!

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Ein Kommentar zu ““Exaudi …” – Gott, höre meine Stimme (Psalm 27,7)

  1. Chr. Kühne

    Nach den exegetischen Studien ist man auf die Predigt gespannt, die doch einen schwierigen und komplizierten Text als Grundlage hat! Der Beginn der Predigt greift die letzten Worte des Sonntagevangeliums auf und macht neugierig: Ich war bei euch, sagt Jesus bei seinem Abschied. Jetzt sind wir, die Jünger, auf uns selber gestellt. Wächst unser Glaube mit unserem Leben mit, verändert er sich, wird erwachsen? Der Predigttext hofft auf unser Zutrauen: „stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen“. Dagegen stellt der Prediger ein Gedicht von Erich Fried, das von Menschen handelt, „die ihr Leben abgeben“. Und es gibt dann auch die „Abnehmer“, die „Abhängigkeiten immer neu ausbauen und ihren Einfluss zu erhalten suchen“. Ist Gott unser „Abnehmer“? Nein, eher der, der eine Liebe „abgibt“, die Menschen füreinander stark macht. Die Predigt schließt mit der Gewissheit, „dass die „ganze Gottesfülle“ Menschen „aufnimmt““. „Das führt uns hoch hinaus und geht mit uns in die Tiefe“. Die Form des neutestamentlichen Predigttextes ist dabei keine wissenschaftliche Darlegung sondern ein Gebet: In dieser Dimension kann Glaube erwachsen werden. Danke für diese intensive Predigt!

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