Gottessehnsucht
Die Antwort des Propheten
Predigttext: Jesaja 2,1-5 (Übersetzung nach Martin Luther)
1 Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem:
2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen,
3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
4 Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Erste Gedanken beim Lesen
Ein strahlender Text! Die Bilder entstehen sofort in meinem Kopf und wollen gar nicht mehr hinaus! Kein Krieg mehr auf Erden?! Wie heißt das Lied: Down by the Riverside / Ain't gonna study war no more. Wikipedia: „Ein US-amerikanischer Gospelsong, dessen Ursprünge bis zum amerikanischen Bürgerkrieg zurückzuverfolgen sind und der schon damals als Friedenslied unter dem Titel Gwine-a study war no more nachweisbar ist“. Das Wort wird Juda (= Israel) zugerufen von einem Propheten. Dennoch kommen alle Völker der Erde in den Blick. Sollen sie = wir alle zu Israeliten oder Juden werden? Ist dies ein Missionsruf des Jesaja („Gotthilf“) an die Heiden = uns? Ein Gericht unter den Heiden wird angesprochen. Aber das Ziel dieser Ansage ist: Die Völker - wohl auch die Israeliten?! - werden „hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“.
Anmerkungen zu den Propheten Proto-Jesaja und Micha
Der Predigttext findet sich teilweise wörtlich in Mi 4,1-3, erinnert aber auch an Jes 9,6 und Jes 11,6-9. Und Sacharja verbindet mit diesem Bild eine Einladung (3,10).
Jes I kommt wahrscheinlich aus Jerusalem und wirkt in Juda. Er hatte einen Kreis von Jüngern um sich versammelt. Seine Frau nennt er Prophetin, seine Kinder tragen Symbolnamen. Im Todesjahr des Usia - ca. 740vC - in einer Zeit des Friedens wird er zum Propheten berufen. „Ca. 40 Jahre lang steht er vor den Königen, dem Adel und den einfachen Menschen in Jerusalem: klagend und anklagend, mahnend und warnend.“ (Gradwohl 141) Er predigt gegen falschen Opfergottesdienst und Scheinfrömmigkeit. In bewegten politischen Situationen soll man sich auf Gott verlassen. Er kündigt einen neuen David sowie ein neues Friedensreich an. Aber die Leute lehnen ihn ab.
Micha stammt aus Moreseth-Gath und wirkte in Juda. Er war ein jüngerer Zeitgenosse von Jesaja. Er wirkte hauptsächlich unter Hiskia. Seine Predigten sind Unheilsankündigungen über Israel und Juda angesichts des Treibens der Fürsten und Propheten. Angeklagt werden Großgrundbesitz, ungerechte Oberschicht, bettelnde Heilspropheten und bestechliche Priester.
Mi 4,4 fügt in den Jes-Text das Sitzen unter Feigenbaum und Weinstock ein - ein Symbol des Gelobten Landes; vgl. 1 Kg 5,5: die Israeliten wohnten z.Z. des Königs Salomon „jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum, von Dan bis Beersheba, solange Salomon lebte“; vgl. auch die Erweiterung in Sa 3,10: „Zu derselben Zeit, spricht der Herr Zebaoth, wird einer den andern einladen unter den Weinstock und unter den Feigenbaum.“
(Eigene Übersetzung Christoph Kühne)
Das Wort, das geschaut hat / Jesaja, Sohn des Amoz // über Juda und Jerusalem:
Und in einer späteren Zeit wird es geschehen: Festgegründet wird der Berg sein mit SEINEM Haus
an der Spitze der Berge / und erhöht über (die) Hügel // und hinströmen zu ihm alle Nationen. Und viele Völker gehen und sagen:
Auf, und lasst uns hinaufziehen zu SEINEM Berg, zum Hause des Gottes Jakobs / er soll uns lehren seine Worte / und wir wollen gehen auf seinen Wegen // Denn von Zion (über die Grenze hinaus) geht die Thora aus / und SEIN Wort von Jerusalem. Und er richtet zwischen den Nationen und schlichtet zwischen vielen Völker // und sie schmieden ihre (Kurz-) Schwerter zu Pflugscharen um und ihre Speere zu Winzermessern. Keine Nation erhebt gegen eine andere Nation ein (Kurz-) Schwert / und sie lernen weiterhin nicht (den) Krieg
(Mi 4,4 Und jeder wird unter seinem Weinstock wohnen / und unter seinem Feigenbaum und (es gibt) keine Störung // Denn SEIN, Zebaoths, Mund hat es gesagt) Haus Jakob // Auf und lasst uns gehen in SEINEM Licht!
Lieder:
"Du hast uns Herr gerufen" (EG 168)
"Herr, bleibe bei uns" (483)
"Es wird sein in den letzten Tagen" (426)
Literatur:
Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Bd. 1, S. 140ff.
Wir kommen um Gott nicht herum
Was will Gott? Oder sollten wir zuerst fragen, ob es Gott überhaupt gibt? Es scheint so zu sein, dass Mensch und Gott immer eine Beziehung zueinander hatten. Und das, seit es überhaupt Menschen gibt. Zu den ersten Hinweisen auf Gott gehören die Begräbnisriten der Menschen. Die Menschen fragen sich bis heute, was nach dem Tod geschieht. Und sie haben Vorsorge getroffen und den Verstorbenen Dinge beigelegt, die ihnen auf dem Weg nach „Drüben“ helfen sollten. Tun wir das nicht auch noch heute, wenn wir z.B. ein Photo auf dem Grabstein anbringen oder für den Musiker eine Harfe aus Stein herstellen lassen? Vielleicht kann der Verstorbene Gott damit noch erfreuen. „Viel Vergnügen, lieber Gott!“
Und dann gibt es noch den berühmten öffentlichen Briefwechsel zwischen dem Autor von „Der Name der Rose“, Umberto Eco, und dem Mailänder Erzbischof Carlo Maria Martini zum Thema „Woran glaubt, wer nicht glaubt?“ (1998). Kalt scheint niemanden Gott zu lassen – in der Bejahung wie in der Ablehnung. Dies gilt vielleicht auch in unserer Zeit, die von der Künstlichen Intelligenz (KI) träumt oder sich von ihr bedroht fühlt. Lernende Maschinen mögen einen Gott überflüssig machen. Doch dann gibt es wiederum den Glauben an den großen Gott „big data“.
Wir kommen um Gott nicht herum. Er scheint uns im Wege zu stehen. Wir reagieren emotional oder auch rational auf ihn – in Ablehnung oder auch in festem Glauben. Und dann stehen wir wieder bei der Eingangsfrage: Was will Gott? Was will er von uns? Was wollen wir von ihm? Und was bedeutet dann die Vater-Unser-Bitte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“?
Alle Nationen
Der heutige Predigttext ist in gewisser Weise der Anfang des Jesajabuches. Zu Beginn des 2. Kapitels hat der Prophet eine Vision, die mich beim Lesen jedes Mal berührt. Es ist ein großes, weltumspannendes Bild, das Jesaja schaut.
(Lesung des Predigttextes)
Bevor wir auf das große Bild von den Pflugscharen kommen, die aus Schwertern geschmiedet werden, sehen wir Menschen aus vielen Völkern – ja, der Prophet sagt: „alle Nationen“! – zu einem Ort strömen, an dem sie Gottes Willen zu erfahren hoffen – ja, WISSEN. In der Übersetzung von Martin Luther handelt es sich hier um „die Heiden“, also Menschen wie wir, die wir weder aus dem israelitischen Volk kommen noch Menschen jüdischen Glaubens sind. Diese Heiden, also wir, strömen zu einem Berg, auf dem wir Gott WISSEN. Sind wir eingeladen? Sind wir von Gott gerufen?
Gottessehnsucht
In dem Bild des Propheten ermuntern sich die Menschen gegenseitig: „Auf, lasst uns hinaufziehen zu seinem Berg!“ Gibt es für uns heute einen solchen Ort, an dem uns Gott seinen Willen kundtut? Ich bin vor einigen Wochen in Berlin bei der „Nacht der Religionen“ gewesen. Solche Events gibt es auch in anderen Städten. Vor gut zwei Monaten war in Dortmund der Deutsche Evangelische Kirchentag. Viele Menschen haben sich gegenseitig ermutigt: „Lasst uns zum Kirchentag fahren! Dort soll uns Gott seine Worte lehren! Und wir wollen auf seinen Wegen gehen!“ Ich kenne Menschen, die sonst selten in die Kirche gehen – aber zum Kirchentag strömen sie alle zwei Jahre.
Vielleicht ist ein Grund für diese Gottessehnsucht unser Hunger nach Worten, nach Bildern, nach Gesprächen, die uns sättigen, aufrichten, stärken.Vielleicht ist es dieser Hunger, der unsere species „homo sapiens“ über tausende von Jahren begleitet hat – zuerst physisch und konkret und heute geistig und geistlich. Wir werden eben nicht satt allein von fast food oder regelmäßigen Urlauben auf Mallorca oder in Spanien. Und auch unser Beruf, unsere Freundschaften und Hobbys scheinen unseren Hunger nach Sinn nicht hinreichend zu befriedigen. Eugen Eckert hat dies in seinem Lied „Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott nach dir“ in anrührender Weise deutlich gemacht.
Dieses Sehnen in uns hat eine Kraft wie es das Licht im Dunklen hat: Wir fühlen uns hingezogen, fühlen uns sicherer als in der Dunkelheit. Wir fühlen wieder den Raum, der uns umgibt. So mag das Sehnen „der Völker“ ausgesehen haben, die sich auf den Weg machen mussten – vielleicht wie die Flüchtlinge über das Meer, durch Not und Elend, wie ein Zug durch die Wüste in das Gelobte Land …
Und der Inhalt der Sehnsucht? „Gott soll uns lehren seine Worte, und wir wollen auf seinen Wegen gehen!“ Ist dies nicht oft auch unsere Erfahrung, dass wir unterwegs sind zu Gott und dass wir hören wollen? Viel später wird ein Autor des Neuen Testaments (der Apostel Paulus) sagen, dass der Glaube aus dem Zuhören käme (Röm 10,17). „Die Kunst des Zuhörens“ ist eine wichtige Facette der Psychotherapie. Einem Mensch zuhören heisst, ihn verstehen lernen. Viele Völker machen sich im Bild des Propheten Jesaja auf, um Gott zuzuhören. „Rede, Herr, dein Knecht hört!“ (1 S 3,9).
Diese Kunst und Sehnsucht des Hörens auf Gott will so gar nicht passen zu den vielen Versuchen der Menschen, den Willen Gottes zu berechnen, zu erschließen, zu raten. Ist nicht vielleicht der Wille Gottes unser Bedürfnis nach Liebe – nur eben viel größer? Oder seine Gerechtigkeit – unendlich potenziert von allem was, wir für richtig halten? Wir haben doch alle das Bedürfnis, den Saum des Mantels Gottes anzufassen, einmal seinen Hauch wahrzunehmen, in seinem Licht zu stehen! Und dazu lassen wir ein in die Schönheit der Musik, in die Tiefe der Kunstwerke oder auch in die Gedanken der Dichter und Philosophen.
Doch tief in uns WISSEN wir, dass wir mit alledem Gott keinen Millimeter näher kommen. Kein Computer oder die gesammelten Algorithmen von big data bringen uns dem näher, was der Prophet Jesaja in seiner Vision andeutet. „Wir sollen uns aufmachen zu Gott! Er soll uns lehren!“ Ist es vielleicht schon der Aufbruch ins Ungewisse, der uns Gott näher bringt? Ist es die Wanderung durch die Wüste, ist es der Hunger, der unser Ohr für Gottes Wort öffnet?
Schwerter zu Pflugscharen
Und jetzt erscheint – das ist der 3. Punkt – die große Vision von den Pflugscharen, die zerstört werden, umgeschmolzen und -geschmiedet aus Schwertern. Das Emblem „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde in den 1980er Jahren das Motto der Friedensbewegung. Und damit war die Hoffnung verbunden, dass „keine Nation (…) gegen eine andere Nation ein (Kurz-) Schwert (erhebt) / und sie (…) weiterhin nicht (den) Krieg (lernen). Der Prophet Micha, der dieses Bild später noch einmal aufgreifen wird, stellt noch das Bild dazu, dass „jeder (…) unter seinem Weinstock wohnen (wird) / und unter seinem Feigenbaum und (es …) keine Störung (gibt)“. So stellen wir uns das Paradies vor. So sollte und könnte (?!) unsere Welt sein! Was sollen wir tun? Stimmt es wirklich, dass wir mithilfe von KI die Kriege in der Welt beenden, den Hunger beseitigen und die Ungerechtigkeit tilgen können? Ist nicht homo sapiens schon längst zum „homo deus“ mutiert, wie der israelische Historiker Yuval Harari sehr anschaulich darlegt?
Und doch zieht es viele Menschen zum „Berg Gottes“. Und sie wollen Gottes Stimme hören, wollen „auf seinen Wegen wandeln“. Viele können die Stimme der Menschen – auch der klugen! – nicht mehr hören. Die Welt scheint von Wörtern (und von Bildern) übervoll zu sein. Wo ist ein Raum der Stille? Jesaja sieht einen solchen Raum „an der Spitze der Berge / und erhöht über (die) Hügel“. Offenbar nicht im „Dickicht der Städte“ oder im Gedränge der U-Bahnen und Straßen. Und merkwürdigerweise zieht es viele Menschen die Stille. Ich habe Berichte von Menschen gehört, die diese „Stille“ auf dem Jakobsweg gefunden haben. Wo sie mit anderen Menschen unterwegs waren – und doch auch für sich gelaufen sind.
Vielleicht ist schon dieses Unterwegssein, dieses Erlebnis von Stille, ein Teil des „Gelobten Landes, in dem Milch und Honig fließt“. Und wir hören anders, sehen anders, fühlen und empfinden anders. Sind ganz anders empfänglich für die „Weisungen Gottes“. Vielleicht hören wir im Gespräch mit dem Mitwandernden ein Wort Gottes. Vielleicht ist es ein Erlebnis, wie es die Emmausjünger hatten, als sie spürten, wie ihr Herz „brannte“ (Luk 24,13ff). Dass wir auf das Brennen unseres Herzens achten, wenn wir unterwegs sind zu Gott, und dass unsere Ohren und alle Sinne offen sind für Gott, der auf uns zukommt, das sei unsere Sehnsucht.
„Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod, und vergibt ihnen beiden.“ (D. Bonhoeffer)
Mit der spannenden Frage nach dem ewigen Leben steigt der Prediger ein. Wir kommen um Gott nicht herum, und was will er von mir ? Jesaja verkündet eine weltumspannende und berührende Vision: Alle Völker werden sich mal friedlich am Gottesberg Zion versammeln. Ein wenig trifft man diese Sehnsucht heute beim Kirchentags-Treffen, in der Friedensbewegung und wenn wir uns aufmachen zu Gott. Er soll uns lehren! Im dritten Teil geht es um die Friedensvision, vom Schmieden der Schwerter zu Pflugscharen. Das ist das große Programm des Friedens und auch für die meditative Wanderung zum Berg Gottes. – Eine berührende und aktualisierende Predigt, welche die Zuhörer gewiss ermutigt und ihren religiösen Blick erweitert. – Weil die Vision des Jesaja zur friedlichen Völkerwallfahrt zum Zion sehr stark mit dem himmlischen Jerusalem und Jesus und dem Trost und Tränentrocknen nach Offenbarug Joh 21 AT und NT positiv verbindet, sollte man darüber betonter predigen.Wir leben doch von Glauben an das ewige Leben bei Gott