“Was Gott an uns gewendet hat …” – Ein einziger GOTT

Gedenktag der Reformation -Erfahren und miteinander darüber sprechen, "was Gott an uns gewendet hat"

Predigttext: 5. Mose / Deuteronomium 6,4-9 (mit exegetischen und liturgischen Hinweisen)
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 31.10.2019
Kirchenjahr: Gedenktag der Reformation
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Dr. theol. Heinz Janssen

Predigttext: 5. Mose / Deuteronomium 6,4-9 (Übersetzung nach Martin Luther)

4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.  5 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.  6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen  7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
8 Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,  9 und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

Hinweise zum Predigttext

Die Gebetsbänder

Die Gebetsbänder („Phylakterien“) werden hebräisch tefillin  (abgeleitet von tephillā = Gebet) genannt. Sie werden um den linken Arm und um die Stirn gebunden. Eine kleine Gebetskapsel wird  an „Kopf und Hand“ angebracht wird, um an die Zusammengehörigkeit von Hören und Tun / Bewahren des Wortes Gottes zu erinnern. Auf kleinen Pergamentröllchen, die in die Gebetskapsel gelegt werden, stehen bekenntnisartige Bibeltexte geschrieben (2. Mose / Exodus 13,1-10.11-16; 5. Mose / Deuteronomium 6,4-9; 11,13-21; vgl. 4. Mose / Numeri 15,37-41).

Übersetzungen

Die erste Übersetzung betont das Bekenntnis zur alleinigen Verehrung JHWHs, des Gottes Israels, gegenüber den kanaanäischen Gottheiten, die zweite das Ungeteiltsein Gottes gegenüber pluralen JHWH-Traditionen und Kultorten. Beide Übersetzungen haben Anhalt in der deuteronomischen Theologie. Sie lassen (bewusst?) verschiedene Betonungen und Bekenntnisausrichtungen offen. Timo Veijola sieht in V. 4b zwei parallel aufgebaute Nominalsätze, wobei der zweite den ersten verstärkt: JHWH ist unser Gott // JHWH ist einer bzw. ein einziger bzw. (im emphatischen Sinn) einzig. „Es geht also in V. 4b um nichts anderes als das zentrale Anliegen des Ersten Gebots (mit dem Prolog) des Dekalogs…“ (Timo Veijola, ATD 8,1, Göttingen 2004, S. 177-179: 178; Gerhard von Rad, ATD 8, 2. Aufl., Göttingen 1968 (= 4. Aufl., 1984), S. 45).

Eins aber ist not“

Lukas 11,28; vgl. Lk 10,42 „Eins aber ist not“: Für „Eins“ steht im griechischen Bibeltext henos; dieser Genitiv Singular zu dem Zahlwort heis ( mia, hen) muss nicht zwingend neutrisch, sondern kann auch grammatisch korrekt maskulinisch mit „Einer“ übersetzt und auf JHWH / GOTT bezogen werden. (Diesen Hinweis verdanke ich Gerd Theißen in seiner Predigt zu Lk 10,38-42 zum Sonntag Estomihi am 6. März 2011 in der Peterskirche in Heidelberg.)

Hinweise zu einem Gottesdienst mit dem  Schema‛ Jisra’el 

Ich stelle mir den Gottesdienst, in dem das Schema‛ Jisra’el Predigttext ist, als einen Weg des Einfühlens in das jüdische Glaubensbekenntnis vor sowie als ein Herantasten, sich von der Art und Weise des Weitergebens des Glaubens anregen und zu einem offenen dankbaren Bekenntnis zu dem einen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, „mit Herzen, Mund und Händen“ (EG 321,1) ermutigen zu lassen. Die Aufnahme des Evangeliums nach Markus 12,28-34  in der Predigt erscheint mir als geeignete christologische Brücke. Vielleicht ist es möglich, das „Schema“ hebräisch zu rezitieren, und der Gemeinde eine Anschauung für Tefillin und Mezuza zu geben sowie Anregungen zu „Erinnerungszeichen“ in der christlichen Glaubenspraxis zu geben. Aufgrund der exegetischen Gegebenheiten legt es sich nahe, den Bibeltext in verschiedenen Übersetzungen vorzulesen (vielleicht durch Sprecher und Sprecherinnen aus der Mitte der Gemeinde heraus). Eine Predigt zum Schema‛ Jisra’el bietet ebenso wie eine Predigt zu einem christlichen Glaubensbekenntnis Gelegenheit, die (Körper-)Haltung beim Bekenntnis zu reflektieren – oft werden dabei im Sinn eines Gebetsgestus die Hände gefaltet und der Blick gesenkt. Aber wäre die Zuwendung zum Nachbarn in der Kirchenbank nicht angemessener, ihn dabei anzuschauen und so einander bestärkend zu sagen, was uns der Glaube bedeutet?

 

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Dieser Bibeltext gehört zu den wichtigsten Texten der Bibel. Diese Bibelstelle hat ihren ursprünglichen Ort in der Hebräischen Bibel und der jüdischen Religion, und sie ist zugleich ein Schlüsseltext im 5. Buch Mose. Wegen seiner beiden einleitenden hebräische Anfangsworte wird das  Bekenntnis das „Schema Jisrael“ – “Höre, Israel” – genannt. Bis heute wird dieses Bekenntnis von jedem Angehörigen des Judentums gesprochen: schema‛ jisra’el ’adonaj ’aelohenu ’adonaj ’aechad – “Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein”. Das Bekenntnis verbindet in besonderer Weise die Angehörigen der christlichen und der jüdischen Religion. Abgesehen davon, dass es selbstverständlich auch das Glaubensbekenntnis Jesu von Nazareth war, wird diese Verbindung hervorgehoben, als Jesus auf die Frage eines Schriftgelehrten nach dem höchsten Gebot eben mit dem „Schema Jisrael“ antwortet. Dass Jesus die Worte  mit dem Gebot der Nächstenliebe verbindet, das weiter vorne in seiner Bibel steht, ist keineswegs eine „neutestamentliche“ „Überbietung“ des „alttestamentlichen“ Bibeltextes. Das Bekenntnis zu dem einen Gott umfasst in gleicher Weise das Bekenntnis zum Mitmenschen. So kann Martin Luther sagen:

“Unser Nächster ist jeder Mensch, besonders der, der unsere Hilfe braucht”.

Eigentlich unterscheidet sich das jüdische Bekenntnis  vom christlichen, denn es fordert Israel auf zu hören („Höre Israel“) und in der Konsequenz dieses Hörens, Gott „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele – d.h. mit jedem Atemzug, mit der ganzen Person – und mit ganzer Kraft“ zu lieben. Der Aufruf steht im großen Zusammenhang des 5. Buches Mose (Deuteronomium). Dieser ist als eindringliche letzte Rede des Mose an sein Volk gestaltet, das sich an der Schwelle zum „Gelobten Land“ befindet. Die Israeliten sollen im verheißenen Land Kanaan die Liebe Gottes nicht vergessen, sondern sich stets an die „Großen Taten Gottes“ erinnern. Sich stets erinnern – dazu Martin Luther:

“Unser Leben ist nicht eine Frommheit, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber”.

Die Liebe zu Gott ist Antwort auf die vorausgehende Liebe Gottes, die das Volk schon oft erfahren hatte und die jedem einzelnen Menschen gilt. „Diese Worte“ sollen „auf dem Herzen“ (geschrieben) sein, heißt es. Dies erinnert an das Bild der Gebotstafeln, auf die Gott seine Thora, seine Weisungen, schrieb. Sie sollen den Kindern, der heranwachsenden Generation, im Sinne der Weitergabe des Glaubens „immer wieder vorgesprochen“ und „wiederholt“ werden bei jeder Gelegenheit (zu Hause, unterwegs, beim Zubettgehen und beim Aufstehen). Außerdem sollen „diese Worte“ als „(Erinnerungs-)Zeichen“ auf die Hand und die Stirn gebunden und auf die Türpfosten des Hauses und die Tore geschrieben werden. Die Bedeutung der Bibel fasst Martin Luther in die Worte:

“Es ist auf Erden kein klareres Buch geschrieben als die Heilige Schrift; sie ist gegenüber anderen Büchern wie die Sonne im Vergleich mit jedem andern Licht – Die Schrift ist ein Kräutlein, je mehr du es reibst, desto mehr duftet es”.

Auf die Weisung, die Gottesworte auf Hand und Stirn zu binden (V. 8), bezieht sich bis heute die jüdische Gebetspraxis mit Gebetsbändern.  Ebenso erinnert das religiöse Brauchtum der „Mesusa“ an die entsprechende Weisung: Eine kleine Kapsel mit den genannten Schriftstellen sollen an dem Türpfosten eines Hauses und auf die Tore geschrieben werden (V. 9). Die Zeichen an Arm und Hand, Stirn und Tür sind gleichsam öffentliche Kundgabe, Bekenntnis im wesenhaften Sinn. Die eigentliche Bekenntnisaussage spricht aus: “Der HERR ist unser Gott, der HERR allein”. Die Bedeutung der vier hebräischen Worte ist im hebräischen Bibeltext durch je einen großen Buchstaben am Ende des ersten (hörE) und vierten (alleiN) Wortes hervorgehoben.

Wie „positioniert“ sich die christliche Gemeinde im Geist des jüdischen Credo , das auch Jesu Glaubensbekenntnis  war? Darf  Christo-Logie, d.h. Rede von Christus, stillschweigend in Theo-Logie, Rede von Gott, aufgehen oder verschwinden, indem in Gebet, Predigt und Bekenntnis ausschließlich von „Gott“ die Rede ist? Gibt es in der christlichen Verkündigung heute eine „Christusvergessenheit“ oder „Christusverschwiegenheit“? Heißt  nicht von Gott reden im christlichen Sinn von Jesus Christus reden, der sich von dem einen Gott Israels in die Welt gesandt wusste und sich im Namen dieses Gottes den Menschen zuwandte? Von Martin Luther stammt der Ausspruch:

“An Christus glauben … ist die Kunst, daß einer aus seinem Haus in die Sonne springe”.

Dass den Hörenden die Liebe zu Gott, die in der Liebe Gottes zu seinem Volk gründet, mit dem “Höre, Israel” so sehr ans Herz gelegt wird, muss in einer christlichen Tradition aufhorchen lassen, diese hat sich jahrhundertelang daran gewöhnt, das „Neue“ Testament über das „Alten“ Testaments zu stellen und in diesem Sinn zu meinen, dass der Gott der Liebe (noch) nicht im ersten großen Bibelteil zu finden sei. Die in der christlichen Tradition geläufige Bezeichnung „Altes“ Testament hat das Ihrige zu dieser Auffassung beigetragen. Darum ist es angebracht, nicht vom “Alten Testament”, sondern vom „Erstes Testament“, der „Hebräischen Bibel“ oder „Bibel Israels“ zu sprechen.

Die Ehrfurcht vor dem Gottesnamen praktiziert die jüdische Gemeinde dadurch, dass sie den Gottesnamen (JHWH) nicht ausspricht, sondern umschreibt, es z. B. durch ´adonaj (Herr), ha-schem (Name) oder ha-olam (der Ewige). Wäre von einer solchen Praxis der Umschreibung  im Sinne eines achtsamen Redens von Gott in der christlichen Gemeinde nicht zu lernen? Ich wünsche für unsere Gottesdienste, dass wir dabei erfahren,

„was Gott an uns gewendet hat“,

und sie uns immer neue Impulse geben, über Glauben und Leben miteinander ins Gespräch zu kommen. Helfen wir einander  zu einem mutigen Bekenntnis zu dem einen Gott, der die Liebe ist und den beide Glaubensbekenntnisse, das jüdische und das christliche, loben und ehren. Im Hinblick auf diesen Einen und Einzigen rief Jesus von Nazareth aus: „Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren”.

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