Feindesliebe?

Jesus lehrt zu vergeben

Predigttext: Lukas 6,27-38
Kirche / Ort: Friedrichskirche / Worms
Datum: 10.11.2019
Kirchenjahr: Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: Lukas 6,27-38 (Übersetzung nach Martin Luther)

27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen;
28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.
29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht.
30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück.
31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!
32 Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen.
33 Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Das tun die Sünder auch.
34 Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch Sünder leihen Sündern, damit sie das Gleiche zurückbekommen.
35 Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.

 

 

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 Biblische Forderungen

Unser Glaube verlangt uns ja schon manches ab! Mal von Glaubensinhalten ganz abgesehen, bei denen uns nicht selten Zweifel und ungeklärten Fragen quälen, mal von der Gebetserhörung abgesehen, die uns angesichts so vieler unerfüllter Wünsche und Bitten hin und wieder höchst zweifelhaft erscheint, einmal von alledem abgesehen, gehen die ethischen Forderungen unseres Glaubens – gerade die, die uns die Bergpredigt – auferlegt, oft weit über unser Vermögen hinaus.

Allein die Seligpreisungen verlangen von uns, geistlich arm zu sein, Leid klaglos zu tragen, sanftmütig zu bleiben, nach der Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten und zugleich immer barmherzig zu bleiben. Frieden sollen wir stiften mit reinem Herzen und uns es auch noch gefallen lassen, uns um der Gerechtigkeit willen verfolgen und schmähen zu lassen. Wer bitte schön, schafft es allen Ernstes, diesem Idealbild eines glücklich gepriesenen Christen zu entsprechen? Wir sind doch keine Heiligen! Und nun auch noch das: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen. Ein Gebot, das die Seligpreisungen noch überbietet. Wir sollen nicht nur den Mitmenschen lieben, sondern ganz besonders auch unsere Feinde. Sind wir damit nicht heillos überfordert?

Lassen Sie uns ehrlich sein: Wenn wir über unser Leben nachdenken, erstehen vor dem inneren Auge eines jeden und einer jeden von uns Menschen, die wir nicht leiden können. Entweder sind sie uns feindlich gesinnt – oder wir ihnen. Menschen, mit denen wir nicht mehr reden. Menschen, bei deren Anblick wir die Straßenseite wechseln. Menschen, bei denen wir den Telefonhörer lieber liegen lassen, wenn deren Telefonnummer angezeigt wird. Durch einen unseligen Konflikt ist der Kontakt abgerissen. Ein Erbschaftsstreit hat Familien entzweit. Sie haben uns irgendwann einmal verletzt oder belogen – oder sie gehen uns schlichtweg auf die Nerven. Da müssen wir nicht gleich von Hass reden. Eher vielleicht von Groll oder Abneigung. Ganz sicher aber nicht von Liebe. Muss ich ausgerechnet diese Menschen lieben?

Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen. – Dieser Satz aus der Bergpredigt empfinden wir als eine ganz besondere Zumutung. Wie soll das gehen? Soll ich alle Verletzungen runterschlucken? Soll ich mir wirklich jede Schmach gefallen lassen? Ist es nicht besser, wenn ich zu solchen Menschen auf Distanz gehe, um weitere Verletzungen zu vermeiden? Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen. Wie kann unser Glaube so etwas von uns fordern? Da muss einer schon ordentlich Überzeugungsarbeit leisten, um mich dazu zu bringen, die zu lieben, denen ich grolle. Genau das versucht die Bibel. An mehreren Stellen versucht sie, Überzeugungsarbeit zu leisten für die Feindesliebe. Darauf wollen wir heute einmal unser Augenmerk richten.

 Feindesliebe

Das hören wir im Sprüchebuch des Alten Testaments in Kapitel 25: Da heißt es: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem… Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herrn! Vielmehr wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln (Spr 25,21f).“

Zunächst einmal klingt das nach einer besonders perfiden Art der Rache. Wenn Dich einer geärgert hat, dann sei besonders nett zu ihm. Damit wirst Du ihn beschämen, und er wird sich vielleicht eingestehen müssen, dass er falsch gehandelt hat. Und diese Scham brennt dann auf seinem Kopf wie glühende Kohlen. Aber so ist das hier gar nicht gemeint! Es würde ja auch gar nicht zum ersten Satz dieses Perikope passen, wenn wir Böses nicht mit Bösen, sondern mit Gutem überwinden sollen.

Das Bild von den glühenden Kohlen soll etwas anderes bedeuten: Wenn früher eine Feuerstelle kalt geworden ist, häufte man neues brennbares Material auf. Man bildet gewissermaßen eine „Krone“ von Kohlen darauf. So können auch gute Taten das Herz eines Feindes erwärmen, das eiskalt war, und durch Liebe zum Glühen bringen. Oder wenn in einer Schmiede das Feuer erloschen ist, dann kann das Aufhäufen glühender Kohlen die Temperatur wieder erhöhen, so dass das Metall wieder glüht. Genauso kann auch unbeirrbare Liebe gegenüber einem Feind dessen harte Haltung aufweichen und ihn dahin bringen, seinen Weg als falsch zu erkennen. In beiden Fällen überwinden „feurige Kohlen“ etwas Böses mit Gutem.

Lerne zu vergeben

Wir kennen das Gespräch Jesu mit Petrus aus dem Matthäusevangelium im 18. Kapitel. Petrus war vermutlich ganz stolz auf sich selbst, dass er es schon hinbekommen hat, seinem Bruder siebenmal hintereinander zu verzeihen. Und möglichweise mit der Hoffnung auf ein dickes Lob fragt er Jesus: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal? Jesu Antwort kennen wir – und sie ist ernüchternd: Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal – also letztlich unendlich oft! Aber warum? Was hätte ich für einen Grund, immer und immer wieder zu vergeben, ohne dass der andere sich auch nur einen Deut bessert? Die Antwort finden wir im Gleichnis vom Schalksknecht, das direkt im Anschluss an das Gespräch Jesu mit Petrus erzählt wird.

Gott vergibt

Das Gleichnis an sich überzeugt uns natürlich! Dem Knecht wird seine ganze große Schuld erlassen – eine Schuld, die so hoch war, dass der Herr sogar dessen Frauen und Kinder hätte verkaufen müssen, um seine Schulden einzutreiben. Der Herr verzichtet auf die Riesensumme allein deshalb, weil der Knecht ihn auf Knien um Vergebung angefleht hat. Und nun geht ausgerechnet dieser so reich beschenkte Knecht seinem Kollegen an den Kragen – wegen einem Bruchteil seiner eigenen Schuld. [Nota bene: Mitarbeiter der „Arche Wesel“ haben sich einmal die Mühe gemacht, auszurechnen, was die beiden Schuldenbeträge in unserer heutigen Währung wert sind: Die Schuld des Knechtes gegenüber seinem Herrn betrug zehntausend Zentner Silber = 7,3 Mrd. Lepta = 3,8 Milliarden Euro. Die Schuld des Mitknechtes betrug dagegen 100 Denare = 12.800 Lepta = 6.400 Euro.] Wir empfinden es durchaus gerecht, dass der Herr nun sein Gnadengeschenk wieder zurücknimmt und seinerseits kein Erbarmen mehr zeigt.

Natürlich überzeugt uns das. „Recht hat er, der Herr!“, so empfinden wir und lehnen uns zurück, zufrieden mit dem Ausgang dieser Geschichte. Wenn es dann daran geht, dieses Gleichnis auf unser eigenes Leben zu übertragen, da tun wir uns schwer. Ist es wirklich so, dass Gott mir in meinem Leben schon so viel, so unendlich viel vergeben hat wie die legendäre Schuldenlast des Knechtes? Das kann doch gar nicht sein!

Es lohnt sich wirklich, unter diesem Aspekt mit aller Ernsthaftigkeit das eigene Leben zu bedenken. Wir dürfen zugeben: So manches ist gut gelaufen und war von Erfolg gekrönt. Aber da ist manches – wenn nicht sogar vieles –, das nicht in Ordnung war. Wir brauchen uns nur die zehn Gebote wie einen Spiegel vorhalten. Was sehen wir, wenn wir ehrlich sind und genau hinsehen? Sehen wir wirklich einen Menschen, der nie etwas anderes Irdisches über Gottes Liebe gestellt hat, der Gottes Namen stets in Ehren gehalten und den Sonntag nie zum Abarbeiten von Liegengebliebenen benutzt hat? Sehen wir einen Menschen, der niemals neidisch war, niemals gestohlen, getötet oder die Wahrheit verbogen hat? Wir sehen ihn nicht. Ich auch nicht. Selbst wenn’s weh tut: Wir haben sieben mal siebzig Mal Vergebung empfangen. Und für unseren Bruder oder unsere Schwester sollte es mit nur siebenmal genug sein. Der vierte Versuch, uns von dem unbedingten Wert der Feindesliebe zu überzeugen, steht sogar in unserem heutigen Predigttext:

Gott ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen

Vertrauter ist uns die Formulierung aus dem Matthäusevangelium – übrigens auch in der Bergpredigt! Da heißt es: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Auch wenn es uns bitter schwer fällt: Wir haben kein Recht, über andere zu urteilen, anderen die Schuldvergebung zu verweigern oder gar selbst zur Strafe zu greifen. Es ist die Sache Gottes – allein seine Sache –, über die Welt und über die Menschen zu richten. Und da ist es gut, wenn wir selbst in unserem Leben Barmherzigkeit geübt haben und – ja, auch wenn es schwer fällt – dem Gegner freundlich begegnet sind.

Es wird immer wieder Menschen geben, die uns verletzen. Es wird immer wieder Menschen geben, die uns unsympathisch sind oder die uns mit ihrer Lebenseinstellung, ihrer politischen Überzeugung oder ihrem Lebenswandel gehörig gegen den Strich gehen. Es wird uns auch nicht immer gelingen, ruhig und gelassen zu bleiben. Dazu sind wir zu sehr menschliche Wesen. Was wir aber versuchen können, ist: Durch Menschenfreundlichkeit und Liebe auch in denen Menschenfreundlichkeit zu wecken, die uns feindlich gesinnt sind,

Darauf vertrauen, dass wir, wenn wir Barmherzigkeit verschenken, auch Barmherzigkeit empfangen werden. Und darauf vertrauen, dass Gott gerecht ist und sich als solcher erweisen wird am Ende unserer Tage. Heilige müssen wir nicht werden. Wir können das auch nicht. Aber wir können uns dieses Wort Jesu immer wieder neu zu Herzen nehmen: „Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen“.

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3 Kommentare on “Feindesliebe?

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr einfühlsam und empathisch beginnt Pfarreri Zager ihre Predigt, indem sie die ethischen Überforderungen der Bergpredigt anspricht. Das fängt an mit den Seligpreisungen und der Aufforderung zur Feindesliebe. Über diesen Aspekt predigt die Pfarrerin. Schon in den Sprüchen 25,21 im AT wird die Vergeltung mit Rache verboten. Jesus spricht mit Petrus im 18. Kap. von Matthäus-ev. Im Gleichnis vom Schalksknechte wird jemandem viel vergeben und der wandelt es sofort in Forderungen an seinen Schuldner um. Deshalb sollten wir alle unser eigenes Leben bedenken, wo uns sieben mal siebzig Mal vergeben wurde und wir trotzdem unbarmherzig gegen nahe Mitmenschen waren. Immer wieder werden Menschen aneinander schuldig werden. Resumee: Christlich ist, durch Menschenfreundlichkeit unter uns Menschenfreundlichkeit zu wecken auch bei Menschen. die uns feindlich sind. Eine sehr erhellende Predigtfür uns. Ergänzen sollte man noch, dass die Bergpredigt die Ethik des Reiches Gottes zeigt. Teilhard de Chardin sagt: darin liegt die Zukunft und Hoffnung auf eine Humanisierung der Menschheit.

  2. Dorothea Zager

    Lieber Herr Rußmann,
    Vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Ergänzung durch den Gedanjenvon Teilhard de Chardin.

    Gerne werde ich diesen Aspekt noch aufnehmen, wenn ich Sonntag predige …

  3. Dorothea Zager

    Lieber Herr Rußmann,
    wie versprochen habe ich mir Ihre Anregung zu Herzen genommen und das Ende der Predigt nocheinmal abgeändert:

    “…
    Und da ist es gut, wenn wir selbst in unserem Leben Barmherzigkeit geübt haben und – ja, auch wenn es schwer fällt – dem Gegner freundlich begegnet sind.

    Nun gibt es sicher einige, die sagen: Das klingt ja alles plausibel und von der Vernunft her auch überzeugend – aber für mich bleibt die Feindesliebe immer noch eine unerfüllbare die Zumutung. Das, was hier verlangt wird, schaffe ich nie.

    Dem sei zum Trost gesagt:
    Gott erwartet nicht von uns, dass wir Heilige werden. Er weiß: Es wird immer wieder Menschen geben, die uns verletzen. Und Gott weiß: Es wird uns auch nicht immer gelingen, ruhig und gelassen zu bleiben. Dazu sind wir zu sehr menschliche Wesen.

    Die Bergpredigt sind ja auch kein unerfüllbarer ethischer Aufruf, sondern sie zeichnet das vollkommene Bild des zukünftigen Reiches Gottes:
    So wird es einmal sein, wenn alles menschliche Leiden und das Stöhnen der Erde überwunden ist, und Christus uns alle erlöst hat.

    So geht es nicht in erster Linie darum, dass wir uns anstrengen, all die ethischen Forderungen der Bergpredigt zu erfüllen – und dabei natürlich auch immer wieder scheitern.

    Sondern wir dürfen uns freuen – vorfreuen auf den Tag, an dem das Reich Gottes in seinem ganzen Glanz Wirklichkeit wird. Und bis dahin versuchen, in all unserer Unvollkommenheit ein biss-chen von diesem Reich Gottes hier und jetzt schon lebendig werden zu lassen.

    Dietrich Bonhoeffers Worte, die er zu Weihnachten 1942 an sei-ne Familie schrieb, können uns da ermutigen und ermuntern:
    „Uns bleibt nur der sehr schmale und manchmal kaum noch zu findende Weg, … in Glauben und Verantwortung so zu leben, als gäbe es noch eine große Zukunft … Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“
    (Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, S. 177)
    Amen.

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