Vision in Bedrängnis

Christenverfolgung ist kein Relikt aus alten Zeiten

Predigttext: Offenbarung 1,9-18 (mit Exegese)
Kirche / Ort: 26721 Emden
Datum: 02.02.2020
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphania
Autor/in: Dipl.-theol. Pfarrerin Christiane Borchers

Predigttext: Ofenbarung 1,9-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

8 Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.

9 Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen. 10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, 11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.

12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter 13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. 14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme 15 und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; 16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.

17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.19 Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach.

Exegetische und homiletische Vorüberlegungen

Der Predigttext ist eine gewaltige Audio und Vision des Sehers Johannes, die ihn zu Boden wirft. Johannes hört und sieht. Die Bilder der Vision wirken zunächst fremd und andersartig, erschließen sich aber aus ersttestamentlichen und griechisch-römischen Vorstellungen. Die Bilder lassen sich schlüssig deuten, es bleibt die Audio und Vision als solche, die kaum ein Mensch je erlebt.

Die Schau des Johannes fasziniert mich. Christus, gekreuzigt und gestorben, am dritten Tage auferstanden, offenbart sich als der Auferstandene, der wieder kommen und die Welt richten wird. Die jungen christlichen Gemeinden in Kleinasien leben in der Naherwartung. Sie hoffen auf die Wiederkunft Christi und dass er ihnen Recht verschaffen wird. Damit befinden sie in guter Tradition der Gerichtspsalmen (vgl. u.a. Psalm 54 – 59, aber auch Ps 139).

BeterInnen bringen ihre Notlage vor Gott und erwarten von ihm Hilfe und Gerechtigkeit.

Die gegenwärtige Situation der jungen christlichen Gemeinden ist schwierig. Sie sind eine religiöse Minderheit und leben in der Bedrängnis. Politisch gehören die sieben Gemeinden zum Römischen Reich, der Kaiserkult ist unumstößlich. Christlicher Glaube ist schwer durchzuhalten in einem Umfeld, das Menschen, die sich zu ihm bekennen, nur unter bestimmten Voraussetzungen duldet. Die Schau des Johannes ist Trost in der Verfolgung und Unterdrückung. Christus zeigt sich im Licht als Weltenrichter. Das Richteramt Christi ist tröstlich, weil die Welt ungerecht ist. Die Sehnsucht bedrängter Menschen nach Hilfe und Gerechtigkeit ist groß.

Der letzte Sonntag nach Epiphanias schließt die Weihnachtszeit ab. Der 2. Februar ist traditionell Lichtmess. Weihnachten kommt Gottessohn als  Mensch in die Welt, Epiphanias offenbart er sich in seiner Macht als Weltenrichter.

Lieder

„Gott hat das erste Wort“ (EG 199)

„Gott liebt diese Welt“ (409)

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Anippe sitzt auf dem Schoß ihrer Mutter und weint. Zu tief sitzt ihr der Schock im Nacken. Sie und ihre Mutter haben als einzige von den Verwandten überlebt, die am Freitag einen Ausflug ins christliche Kloster St. Samuel unternommen haben. Es ist immer ein besonderes Ereignis, wenn die Familie zu einem Freitagsausflug ins Kloster aufbricht. Anippe freut sich schon Wochen vorher darauf. Zwei, manchmal auch dreimal im Jahr fährt die Familie Makarios in das christliche Kloster. St. Samuel Das Kloster ist ein beliebter Ausflugsort christlicher Familien in Ägypten. Hier treffen sie sich in angstfreier Atmosphäre, geschützt hinter Klostermauern spielen die Kinder ungezwungen und frei. In ihrem Heimatdörfern können sie das nicht. Die Familie Makarios gehört zu den koptischen Christen in Ägypten. Christen sind nicht mehr gern in Ägypten gelitten, dabei leben sie seit 700 Jahren in diesem Land.

Der Apostel Markus hat in Ägypten im Jahr 61 n. Chr. eine christliche Gemeinde gegründet. Sie ist der Ursprung der koptischen Kirche. Die koptische Kirche ist der orthodoxen Kirche ähnlich, die Gottesdienste gestalten sich nach einem bestimmten Ritus und dauern lang. Über mehrere Stunden zelebriert der Priester die Rituale.

Nie wieder will Anippe nach St. Samuel, obwohl sie immer mit den anderen Kindern gern gespielt hat. Der Tag war abwechselungsreich für die Kinder. Wer wollte, konnte ein Instrument erlernen, tanzen oder Theater spielen. St. Samuel war wunderbar. Aber jetzt treibt es Anippe die Tränen in die Augen, wenn sie an den Ausflug denkt.  Am letzten Freitag ist der Bus nach St. Samuel überfallen worden. Vermummte Männer mit Maschinenpistolen tauchten unvermittelt auf, zwangen den Bus, anzuhalten. Maskierte Islamiten stürmten herein, bedrohten sie mit ihren Maschinenpistolen und forderten sie auf, das muslimische Glaubensbekenntnis zu sprechen.

Als einige Frauen und Männer sich weigerten, schossen die maskierten Männer wahllos in den Bus, mehrere starben, andere erlitten schwere Schussverletzungen. Das war furchtbar. Von ihrer Familie sind nur noch Anippe und ihre Mutter am Leben. Die anderen Verwandten sind alle tot.

Ihre Mutter versucht ihre kleine Tochter zu beruhigen, wiegt sie auf dem Schoß, summt ihr Lied ins Ohr, sie braucht selber Trost. Das Leben ist für Christen in Ägypten gefährlich geworden. Christen sind Repressalien ausgesetzt, werden beobachtet und verfolgt. Seit dem Anschlag fühlen sich Anippe und ihre Mutter in ihrem Haus nicht mehr sicher, besonders in der Nacht ist die Angst groß. Deshalb verlassen sie abends das Haus, schlafen jede Nacht wo anders,  finden Zuflucht bei Glaubensgeschwistern.

Das ist bittere Wirklichkeit für koptische Christinnen und Christen in Ägypten, einem Land, das in den ersten 700 Jahren nach unserer Zeitrechnung ausschließlich christlich gewesen ist. Bis heute gibt es noch über 2000 Kirchen und 50 Klöster. Inzwischen ist Ägypten mehrheitlich muslimisch. Die Islamisierung von Ägypten ist noch nicht abgeschlossen, sie geht bis heute – oft blutig –  weiter.

Christenverfolgung ist kein Relikt aus alten Zeiten, Christinnen und Christen werden auch in der Gegenwart in verschiedenen Ländern der Welt verfolgt. Nicht immer gibt es Todesopfer, Verfolgung und Unterdrückung haben viele Gesichter mit vielen Abstufungen. Da werden z.B. an hohen christlichen Feiertagen in einem muslimischen Umfeld gezielt Klassenarbeiten in der Schule angesetzt. Auf diese Weise werden christliche Kinder gehindert, die Ostergottesdienste zu besuchen. Oder defekte Wasserleitungen und Dächer dürfen an Kirchen nicht repariert werden, die Versammlungsräume der christlichen Gemeinde verfallen. Oder die Polizei kommt nicht, wenn Christen sie um Hilfe rufen. Wer öffentlich Unrecht anprangert, muss Angst haben, ins Gefängnis geworfen zu werden. Verfolgung, Hass, Schmähreden ziehen sich über Jahrhunderte hinweg.

Der heutige Predigttext aus der Offenbarung führt uns auf die griechische Insel Patmos und in die Situation der sieben christlichen Gemeinden in Kleinasien um 100 n. Chr. Schon bald nach ihrer Entstehung  sind sie Verfolgung und Repressalien ausgesetzt. Gemeindeglieder aus den  sieben christlichen Gemeinden in der heutigen Türkei Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea knien nicht vor dem großen Standbild des Kaisers nieder, das in jeder größeren Stadt auf einem zentralen Platz aufgebaut ist. Sie beten ihn nicht als ihren Gott an, sie geben Christus allein die Ehre.

Das lässt sich Kaiser in Rom nicht gefallen und leitet Verfolgungen ein. Wer sich hingegen der Verehrung für Kaiser nicht verschließt, dem gesteht er relativ große Freiheiten zu, er darf Handel treiben, die Muttersprache sprechen, sogar den eigenen Glauben behalten. Aber sie können das nicht, Christus anbeten und gleichzeitig dem Kaiser die Ehre erweisen. Das käme einen Verrat an Jesus Christus gleich.

Christliche Gemeindeglieder sind in Kleinasien nicht mehr sicher. Wer zum Gottesdienst geht, lebt gefährlich. Dennoch treffen sie sich am Sonntag zum Gottesdienst, versteckt in Häusern und unauffälligen geschützten Scheunen. Sie feiern Gottesdienst, schöpfen Kraft aus dem Gebet, tauschen sich aus. „Habt ihr schon gehört? Johannes ist verhaftet worden.“ Schrecken breitet sich aus, Angst greift um sich. Sie sind alle in Gefahr.

Die Römer haben Johannes am Leben gelassen, aber sie haben ihn in die Verbannung geschickt. Er sitzt jetzt fest auf der kleinen griechischen Insel Patmos. Johannes kann das Festland ist bei gutem Wetter sehen, aber er kommt hier nicht weg. Er sitzt hier in verlorener Einsamkeit. Die Römer haben ihn isoliert von seiner Glaubensgemeinschaft, auf Patmos hier kann er  nicht wirken und keinen Schaden anrichten, glauben die Römer jedenfalls. Sie haben sich geirrt.

In der Verbannung hat Johannes eine Vision. An einem Sonntag, also an dem Tag, an dem seine Glaubensgeschwister in Kleinasien  Gottesdienst feiern, wird er vom Geist ergriffen. Der auferstandene Christus begegnet ihm in einer lichten Schau. Dass Christus sich ihm an einem Sonntag offenbart, ist kein Zufall. Der Sonntag ist der Tag der Auferstehung.  „Ich wurde am Tag des Herrn vom Geist ergriffen“ schreibt Johannes. „Hinter mir hörte ich eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: „Was du siehst, das schreibe und sende es an die Gemeinden in Kleinasien.“ Johannes hört die Stimme, sieht aber niemanden. Wer spricht mit ihm? Er kann keinen Menschen entdecken, sieht sieben große, goldene Leuchter, davor eine Gestalt, einem Menschen ähnlich, bekleidet ist mit einem goldenen Gürtel. Die menschenähnliche Gestalt ist von einem reinen hellen leuchtenden Licht umhüllt, Haupt und Haar glänzen weiß wie Schnee. Seine Füße leuchten wie feuriges Gold, aus seinem Mund kommt ein zweischneidiges Schwert, in seiner rechten Hand hält die Lichtgestalt sieben Sterne.

Die Vision überwältigt Johannes, vor Schreck fällt er zu Boden. Die Lichtgestalt berührt ihn mit der Hand, spricht zu ihm die Engelsworte: „Fürchte dich nicht.“ Diese Schau ist eine Berufung des Johannes. Er soll schreiben, was er gesehen hat und die Botschaft den sieben Gemeinden in Kleinasien senden. Der Seher wird berufen wie die ersttestamentlichen Propheten, er kommt in Kontakt mit dem Heiligen. Johannes erfährt eine Offenbarung des auferstandenen Christus. Die Bilder, die Johannes in dieser Schau sieht, haben Anklänge an ersttestamentliche Vorstellungen, sie sind ähnlich und doch verschieden. Die sieben Leuchter erinnern an den siebenarmigen Leuchter. Johannes schaut sieben Leuchter, die die sieben christlichen Gemeinden in Kleinasien symbolisieren. Alle diese sieben Gemeinden befinden sich in Städten, die an der Römerstraße liegen. Sie sind Orte mit Gerichtplätzen, an denen der Kaiserkult besonders gefordert wird. Verfolgung und Repressalien sind hier verstärkt zu erwarten. Insbesondere diese Gemeinden, die sich in der Bedrängnis befinden, sollen in ihrem Glauben gestärkt werden. Jesus ist nicht tot, er lebt, er hat sich Johannes in der Verbannung in einer Schau gezeigt.

Anklänge an Vorstellungen aus dem Ersten Testament finden sich in der Schau ferner in der Kleidung der Lichtgestalt. Das lange Gewand ist ein Zeichen hohenpriesterlicher Würde, die Lichtgestalt trägt einen goldenen Gürtel. Goldene Gürtel sind Königen vorbehalten. Der goldene Gürtel ist ein Hinweis auf Christi Königsamt. Als Priester und König ist der kommende Christus von unvergleichlicher Hoheit. Die Vision des Johannes vermittelt nicht den irdischen Jesus, der zu Weihnachten geboren wird, hier erscheint der Erhöhte, der die Schlüsselgewalt über Himmel und Erde hat. Das zweischneidige Schwert aus seinem Mund deutet auf seine Richterfunktion hin. Aus seinem Mund kommt das richtende Wort über die Welt, über alle Mächte und Gewalten.

In der rechten Hand hat die Lichtgestalt sieben Sterne. Das Bild von den sieben Sternen ist den Menschen aus der Antike bekannt. In der griechisch-römischen Welt wird der Kaiser wird mit sieben Sternen in der Hand dargestellt. Die Zahl sieben hat selbst Symbolik, sie steht für Ganzheit und Vollendung. Sie setzt sich zusammen aus drei und vier. Die drei ist ein Zeichen für die göttliche Trinität, die vier symbolisiert die vier Himmelrichtungen, sie zusammen die ganze Welt umfassen.

Sowohl die Sterne als auch die Zahl sieben stellen Christi und Gottes Weltherrschaft dar. Der erhöhte Christus offenbart sich dem Johannes mit den Insignien der Weltherrschaft, das heißt: Christus hat alle Macht hat und nicht der Kaiser in Rom.

Das ist für die in Bedrängnis lebenden christlichen Gemeinden in Kleinasien ein gewaltiges Bild und ein Trost. Sie erfahren gegenwärtig die Macht des Kaisers und nicht die Macht Christi. Die Schau des Johannes vermittelt ihnen die Hoffnung und Gewissheit, dass sich letztlich auch ein Kaiser der Macht Christi beugen muss. Böse Mächte in der Welt behalten nicht das letzte Wort. Das erste und das letzte Wort hat der allmächtige Gott, der Christus die Schlüssel des Todes gegeben hat. Mögen Tod und Teufel sich wild gebärden und wüten, sie werden untergehen. Christus ist es, der alles in Händen hält. Am Ende wird Gerechtigkeit sein.

Ist das ein Trost in schlimmen Zeiten? Damals und heute? Ich glaube wohl. Wir werden in Deutschland für unseren Glauben nicht verfolgt, wir können ihn in Freiheit leben. Aber Menschen in der Verfolgung verzweifeln an dem Unrecht. Menschen ohne Menschlichkeit morden unter dem Vorwand des Glaubens, fügen Überlebenden von Gräueltaten grausamen Verlust zu. Wie sollen sie Hoffnung behalten, wenn vor ihren Augen nichts als die brutale Wirklichkeit steht. Die Vision des Johannes lässt zerstörten Seelen wie Anippe und ihrer Mutter einen Blick in den Himmel werfen. Für einen Moment erfahren sie Auferstehung mitten in der Todeswelt. Hoffnungsbilder trösten aber nicht nur für den Augenblick, sie haben Langzeitwirkung.

Helles Licht, leuchtender Glanz, Feuerflammen, Füße wie glühendes Gold im Ofen, Sterne, langes Gewand, goldener Gürtel, eine Stimme wie gewaltiges Wasserrauschen, Engelsworte: Fürchte dich nicht. Johannes versucht eine Vision zu beschreiben, für die es keine Worte gibt. Die Vision von dem lichterfüllten auferstandenen Christus hat Macht. Gott bleibt Gewalt und Unrecht nicht verborgen. Christus wird wieder kommen und richten, Unrecht wird geahndet.   

Christus ist der Erste und der Letzte, lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit. Johannes findet Trost in der Schau in der Verbannung auf Patmos, die Gemeinden werden gestärkt in der Anfechtung. Mögen auch Menschen wie Anippe und ihre Mutter Trost finden in der Verzweiflung, in der Hoffnung und Sehnsucht nach Gerechtigkeit.   

     

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