Mit neuer Kraft

„Ist es bald vorbei?“

Predigttext: Jesaja 40,26-31 (mit Vorbemerkungen)
Kirche / Ort: Aurich
Datum: 19.04.2020
Kirchenjahr: Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pastorin Theda Frerichs

Predigttext: Jesaja 40,26-31 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. 27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«? 28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. 29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. 30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Zur Predigt

Eine Predigt, die nicht im gewohnten Modus eines öffentlichen Gottesdienstes gehalten werden kann, denn aufgrund der politisch verordneten Kontaktsperre werden auch an diesem Sonntag die Kirchenbänke leer sein müssen. Doch sie muss nicht ohne Zuhörende oder Zuschauende auskommen, denn viele Kirchengemeinden stellen ihren Gottesdienst ins Internet und manche erreichen damit mehr Menschen als zuvor.

Die Corona – Pandemie hat weitreichende Auswirkungen auf unser Leben. Manches, was unvorstellbar erschien, ist Wirklichkeit geworden. Die Bundesregierung hat seit Wochen Einschränkungen angeordnet, die europarechtlich verbriefte Grundrechte tangieren, die Reisefreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Ausübung der Religionsfreiheit, um nur einige zu nennen. Auch wenn manche Geschäftszweige, die still lagen, ihren Betrieb ab kommenden Montag wieder aufnehmen dürfen, enige Schulklassen wieder unterrichtet werden - das Abstandsgebot bleibt. Die Kirchen dürfen noch immer bis auf weiteres keine öffentlichen Gottesdienste feiern. So ist die Sehnsucht nach dem alten Leben, nach Normalität groß. Doch die Politik mahnt: „Das Eis ist dünn!“ Noch haben wir die Pandemie nicht im Griff. Dass einige Einschränkungen aufgehoben werden, sei nur ein „Zwischenerfolg“, ein „zerbrechlicher Zwischenerfolg“, wie die Bundeskanzlerin in dieser Woche nachsetzt. Doch kann es überhaupt eine Rückkehr zum Alten geben oder müssen wir uns auf etwas Neues einstellen?  

Zum Predigttext

Der Predigttext aus Deuterojesaja („zweiter Jesaja“) stellt einen Ausschnitt dar aus einer Rede des unbekannten Propheten, der nach der Katastrophe 587 v. Chr. etwa um 540-550 v. Chr., zu den Exilierten in babylonischer Gefangenschaft spricht. Das von früheren Propheten lange angekündigte Strafgericht ist eingetroffen. Seit zwei oder drei Generationen leben die Menschen fern ab ihrer Heimat. Das Leben im Exil hat tiefe Wunden geschlagen, das Vertrauen zu JHWH, dem Gott Jakobs, dem Gott Israels, ist erschüttert. Er scheint sich nicht mehr um sie zu scheren noch um das, was er ihnen einst zugesagt hat, so schreit ihre Klage zum Himmel (V27).  Nun, nach Jahrzehnten in der Gefangenschaft, bekommt einer von den Exilierten von Gott selbst den Auftrag, die Menschen in dieser tiefen Krise aufzurichten, sie zu trösten, eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Er wird zum Propheten berufen (Jes 40,1ff). Doch wie kann er sie erreichen? Der Rückblick auf frühere Zeiten kann die Menschen hier nicht mehr überzeugen. Das alte Leben ist nur noch Erinnerung. Der vertraute Verweis auf den Exodus und den Segen aus der Zeit der Erzeltern trägt nicht mehr nach dem Verlust des Landes, des Tempels, nachdem die Hauptstadt Jerusalem und mit ihr die (Heils-)Gewissheit in Trümmern liegt. So muss der Prophet seine Botschaft wieder von Grund aufbauen, Stein für Stein. Er bedient sich dabei eines neuen Fundaments, indem er in Disputationsworten große Bilder und ehrfürchtige Szenarien von JHWH als Schöpfergott entwirft. Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, der auch Herr ist über alle  Gestirne und damit über die Götzen Babylons, er, der auch Jakob und Israel erschaffen hat (Jes 43,1), er ist mächtiger als jedes unerbittliche Schicksal. Er ist der mächtige Herrscher, der unser Leben und die Welt in Händen hält. Gott, dessen kreative Kraft unermesslich ist, wird auch sein müdes, kraftloses und gefallenes Volk wieder aufrichten. Wer ihm vertraut, der wird innerlich und äußerlich aufstehen und die Zukunft meistern. Ein Blick in den Kontext des Predigttextes macht deutlich: Eine Rückkehr zum Alten verspricht der Prophet hingegen nicht; er fordert seine Mitmenschen vielmehr auf, dem Früheren nicht nachzutrauern, sondern die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten. Im Hier und Jetzt heißt es, achtsam zu sein und wahrzunehmen, was Gott durch seine Schöpferkraft an Neuem entstehen lässt (vgl. Jes 43,18f).

Lieder

„Bewahre uns, Gott“ (EG 171)„Es mag sein, dass alles fällt“ (378)
„Wach auf, mein Herz, und singe“ (446)

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Ist es bald vorbei? Haben wir das Schlimmste überstanden?

I.

Unzählige Menschen in unserem Land haben am Mittwoch Abend ungeduldig die Ergebnisse der Pressekonferenz der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten erwartet; sie alle sind abhängig von den Entscheidungen der Politik. Den Schülerinnen und Schülern ist längst die Lust an unfreiwilligen Ferien und am Home-Schooling vergangen; sie sehnen sich nach ihren Freunden und – wer hätte das gedacht – nach ihrem normalen Schulalltag. Eltern kommen an ihre Grenze mit der Betreuung ihrer Kinder, sie wollen und müssen selbst wieder arbeiten und hoffen, dass die KiTa wieder für alle öffnet. Unzählige Arbeitnehmer wurden in Kurzarbeit geschickt. Nicht wenige Unternehmen müssen Kredite aufnehmen, um zu überleben. Vielen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals. Gerade über Ostern hatten viele Geschäftsleute mit Einnahmen gerechnet, die ausblieben. Der Druck auf die Politik ist über die Maßen hoch. Wann können wir endlich wieder zum normalen Tagesgeschäft übergehen? Wann ist diese Krise vorüber? Viele  Menschen stehen in den Startlöchern, um ihre Existenz zu retten.

II.

 Mitten in die bittere Zeit des Exils im 6. Jahrhundert v. Chr. spricht ein unbekannter Prophet zu Menschen aus Gottes Volk, die eine große Katastrophe erlebt haben. Das Königtum Juda ist besiegt worden, der Tempel in Jerusalem verbrannt, die Hauptstadt gleicht einem Trümmerhaufen. Viele Menschen sind aus ihrer Heimat vertrieben und nach Babylonien verschleppt worden. Sie sind schockiert, verzweifelt, fühlen sich total verlassen. Sie finden sich in einer Lage wieder, die sie niemals für möglich gehalten hatten. Waren sie nicht immer sicher gewesen in ihrer Stadt, in ihrem Leben, in ihrem Glauben? Hatten sie nicht immer unter dem besonderen Schutz ihres Gottes gestanden? Nach dem Verlust von Heimat, dem Leben im Exil, abgeschnitten vom Ort ihres vertrauten Glaubens macht sich tiefe Verunsicherung unter den Menschen breit. Sie klagen in ihrer Not: Werden wir je wieder nach Hause zurückkehren können? Wann haben wir diese Katastrophe hinter uns? Und wo ist Gott? Hat er uns denn aus den Augen verloren? Sind wir ihm egal? Sind wir denn nicht mehr sein Volk? Haben wir denn unser Recht verloren? Hat er uns nicht einst Segen versprochen von Generation zu Generation?

Mitten in dieses Elend hinein bekommt ein Mensch von Gott den Auftrag, zu seinem Volk zu sprechen. Es ist einer von ihnen, einer aus ihrer Mitte; er kennt ihre Not genau. Eines fällt den Leuten sofort auf: dieser Prophet redet – anders als die früheren – nicht vom kommenden Unheil, nicht von Strafe und Gericht. Seine Worte sind ganz anders, sie klingen freundlich, ja, sie wirken wie Labsal für die geschundene Seele. Doch soll man ihnen glauben? Die Menschen sind noch mittendrin in der Krise, es ist noch nicht vorbei. Sie brauchen in ihrer Situation einen langen Atem, doch viele Menschen sind müde. Ihr Vorrat an Hoffnung ist verbraucht. Ihr Zuversicht dahin. Ihre frühere Gewissheit trägt nicht mehr. Was kann sie trösten, welches Wort kann sie aufrichten? Um alle Zweifel und Sorgen der Zuhörenden zu zerstreuen, holt der Prophet weit aus. Bei den Grundfesten der Welt beginnt er, Stein für Stein. Er malt den Menschen Gottes Schöpferkraft in einem mächtigen Bild vor Augen. „Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen?“ (V26) Er fordert er die Menschen auf, aufmerksam hinzuschauen, den Kopf zu heben, sich aufzurichten, das Gesicht in Richtung Himmel zu halten. Der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt“ (V28). Ja, schaut euch um im Hier und Jetzt, nehmt achtsam wahr! Ihr, die ihr müde seid und hinfallt, ihr seid gehalten von Gottes starkem Arm. Fürchtet euch nicht! Nehmt wahr, dass der allmächtige Gott jetzt wirkt, er hilft und rettet. Er wird euch die Kraft geben, die ihr jetzt braucht. Mit ihm wird es eine Zukunft geben.

 III.

Ist es nun vorbei? Haben wir diese Plage überstanden? „Wir bewegen uns auf dünnem Eis“, so sagte ein Politiker auf der Pressekonferenz am Mittwoch. Die Krise ist noch nicht vorbei, wir tasten uns vor, Schritt für Schritt. Haben wir das Schlimmste hinter uns oder erwarten wir noch eine zweite Krankheitswelle? Die Botschaft lautet: Ein Stück weit haben wir es selbst in der Hand. Nur jetzt nicht übertreiben. Einerseits ist der Wunsch da, möglichst schnell zurück zur Normalität zu kommen, andererseits kommen viele ins Nachdenken. Wie bisher geht es nicht weiter. Wir werden durch Corona und nach Corona andere sein. Diese Erfahrung der weltweiten Pandemie wird ihre Spuren hinterlassen, sie wird Auswirkungen haben. Diese tiefe Verunsicherung, dass von einem Moment auf den anderen alles wegbrechen kann, – sie zu verarbeiten wird Zeit brauchen. Auf der anderen Seite erleben viele Menschen in ihrer Einschränkung derzeit eine Welle von Hilfsbereitschaft und Solidarität, von Rücksichtnahme und Unterstützung. Werden wir uns diese Werte über diese Zeit hinaus bewahren können?

„Tröstet, tröstet mein Volk!“, so beginnt der Neuanfang Gottes mit seinem Volk. Auch wir brauchen heute Trost. Auch wir brauchen in diesem Kampf um Gesundheit und Leben eine Perspektive, einen Halt, der weiter trägt als ein zerbrechlicher Zwischenerfolg. Darum tut es gut, die Worte des unbekannten Propheten zu hören, die uns in Erinnerung rufen, wer diese Welt in Händen hält. Es ist der ewige Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat. „ER gibt den Müden Kraft und Stärke.“ (V29) Vertrauen wir auf Gott jeden Tag neu! Er gibt uns die Kraft, die wir jetzt brauchen, um die Krise zu meistern. Und dann geht es mit ihm in die Zukunft.

 

 

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Ein Kommentar zu “Mit neuer Kraft

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Kein Prophet im Alten Testament kommt der Botschaft Jesu so nah, wie der unbekannte Prophet Deuterojesaja, der im babylonischen Exil bei den verschleppten Juden auftrat. Als göttliche Fügung kann man sehen, dass seine Trostworte gerade jetzt Predigttext für heute sind, die wir von der Corona- Epidemie noch eine ganze Zeit gefangen sein werden. – Sehr einfühlsam verkündigt uns Pastorin Frerichs diese Botschaft heute: Gott ist wichtiger als unser gegenwärtiges Schicksal. Wir sollen achtsam sein, was Gott an Neuem entstehen lässt. Die Israeliten fragten damals: Hat uns unser Gott verlassen, sind wir nicht mehr sein Volk ? Der Prophet verweist auf unseren Schöpfer . Menschen sollten Gesicht und Gedanken Richtung Himmel haben, weil Gott Kraft gibt für die Zukunft ! Und wie ist es bei uns, fragt die Pastorin, wo bei uns so Vieles anders ist. Wir brauchen nicht nur organisierte Zwischenerfolge bei Corona, sondern einen Halt an Gott und dadurch eine Perspektive. Der die Welt in Händen hält nur er kann die Kraft geben, die wir brauchen. – Eine bemerkenswert aktuelle, gut aufgebaute und prägnant formulierte und vor allem hoffnungsvolle Predigt, genau richtig, um sie heute zu verteilen zum Trost !

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