“Ein Herz und eine Seele …”
Verkündigung und Diakonie
Predigttext: Apostelgeschichte 4,32-37 (Übersetzung nach Martin Luther)
32 Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.
33 Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen.
34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte
35 und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.
36 Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig,
37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.
Sie waren „ein Herz und eine Seele“. Wie schön, wenn eine Gemeinschaft das von sich sagen kann.
I.
Für die urchristliche Gemeinde in Jerusalem waren diese Tage wunderbar, sie waren himmlisch. Der Heilige Geist hatte seine Kraft segensreich entfaltet. Alle waren sich einig, wie der Not der vielen Hinzugekommenen zu begegnen sei. Es waren ja Tausende, die nach Jerusalem gekommen waren, um sich der neuen Gemeinde anzuschließen, meist völlig mittellos, ohne Arbeit, ohne Geld, obdachlos und hungrig. „Wir müssen ihnen helfen“, das war eine Einsicht, der sich niemand verschloss.
Anschaulich erzählt die Apostelgeschichte, wie dieses Hilfsprojekt umgesetzt wurde. Viele verkauften ihren Besitz oder einen Teil davon und gaben den Erlös bei den Aposteln ab, die dafür sorgten, dass jeder das Nötigste bekam. Es war das erste große diakonische Projekt in der Geschichte der Christenheit. Seitdem ist soziales und diakonisches Engagement für jede christliche Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit.
Auch Organisationen, die mit dem Christentum nicht in Verbindung gebracht werden möchten, sogar politische Ideologien mit atheistischen Akzenten, haben Anleihen beim christlichen Gedankengut gemacht und sich das soziale Thema auf die Fahnen geschrieben. Und so könnten tausende von christlichen und nichtchristlichen Gemeinschaften aufgezählt werden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Gedanken der Nächstenliebe in die Tat umzusetzen, und es ist gut und empfehlenswert, wenn wir ihnen beitreten und sie unterstützen. Bemerkenswert ist aber auch die große Zahl von Einzelnen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, aus Sport, Kultur und Wirtschaft, die sich mit Stiftungsprojekten und auch persönlich vorbildlich engagieren.
II.
Alles gut? Natürlich nicht. Die Not in unserer Umgebung und in der Welt ist zu groß, um sich zufrieden zurück lehnen zu können. Aber wir tun unser Bestes, um Armut, Hunger, Krankheit und Elend zu bekämpfen. Es leben zurzeit etwa 8 Milliarden Menschen auf der Erde. Den meisten geht es nicht gut. Wir müssen ihnen helfen, aber „ihnen allen helfen zu wollen, ist eine ethische Überforderung“, so hat ein zeitgenössischer Philosoph dieses Dilemma in Worte gefasst.
Die Forderung, unseren Besitz mit ihnen zu teilen, klingt für die Armen in unserem Lande, für die immer größer werdende Zahl der Arbeitslosen, die vielen mittellosen Künstler, die Menschen, die an den Tafeln anstehen müssen, nach wenig Mitgefühl. Und so bleibt die Not der Menschen in der Nähe und der Ferne ein ständiger Stachel im Gewissen derer, denen es einigermaßen gut geht und ein Ansporn, nach Kräften zu helfen und nach Auswegen zu suchen.
Unter denen, die in Vergangenheit und Gegenwart zu Helfern angesichts von Not und Elend geworden sind und auch heute in dankenswerter Weise Nächstenliebe üben, greife ich eine Gestalt heraus: Barnabas, der in unserem Predigttext lobend erwähnt wird. Er besaß einen Acker – die Ausleger sind sich nicht einig, ob es eines von mehreren Grundstücken war, oder ob er nur dieses eine besaß – und verkaufte ihn. Den Erlös spendete er der Gemeinde und unterstütze damit das Hilfswerk für die Bedürftigen. Das brachte ihm Lob und Anerkennung ein.
Barnabas wurde ein wichtiges Mitglied in der Gemeindeleitung. Später ebnete er dem gerade bekehrten Paulus den Weg in den Kreis der Apostel und arbeitete eine Zeit lang mit ihm in verschiedenen Missionsprojekten zusammen. Leider gab es zwischen den beiden auch unschöne Reibereien, die dazu führten, dass man sich trennte und auch nicht immer gut über einander sprach.
„Schade“ möchte man sagen, dass so etwas unter Menschen geschieht, die doch vom Heiligen Geist beseelt sind und einmal ein Herz und eine Seele waren. Darin liegt aber auch etwas Tröstliches angesichts von Konflikten, in die wir zuweilen hineingeraten und nicht wissen, wie wir sie auflösen können. Ein Schicksal, vor dem auch so herausragende charismatische Persönlichkeiten wie Paulus und Barnabas nicht gefeit waren.
III.
Das harmonische Gemeindeleben und das geschwisterliche Teilen fand auch Beachtung und Anerkennung bei den Nichtchristen. Vor allem die praktizierte Nächstenliebe beeindruckte sie. Dennoch gab es innerhalb der Gemeinde auch Missstimmung. Es wurde beklagt, dass die Witwen von Nichtjuden bei den Hilfsmaßnahmen benachteiligt würden. Wie sollte man darauf reagieren? Man fand eine gute Antwort. Die Lösung dieses Problems war für die Zukunft christlicher Gemeinden und Kirchen wegweisend: Die Wahl von Armenpflegern. So entstand das diakonische Amt. Damit war die Grundstruktur christlichen Handelns gegeben, Verkündigung und Diakonie. Das hat sich bis heute erhalten und bewährt.
Dass die Verkündigung bei allen sozialen Maßnahmen nicht zu kurz kommen darf, darauf weist Vers 33: „Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen.“ Manche Ausleger sind der Auffassung, dieser Vers sei später eingefügt worden. Sie empfinden ihn als sprachlichen Fremdkörper, der nicht in die ursprünglich verfasste Erzählung passt. Das mag sein, zeigt aber auch, für wie wichtig den Bearbeitern des lukanischen Berichtes die Ausgewogenheit von Verkündigung und Diakonie angesehen wurde. Ja mehr noch:
Wie viel bedeutsamer die Verkündigung von ihnen erachtet wurde. Ihr zentrales Thema wird hier klar und deutlich formuliert: Die Auferstehung Jesu. Sie ist die Quelle, aus der die Ströme des Segens für das Heil und das Wohl der Menschen fließen. Hier ist die Sonne, die ihren Glanz und ihre Wärme ausstrahlt und Menschen zu nachhaltiger Fürsorge und Liebe ermutigt und befähigt. Zinzendorf hat es in seinem Lied „Herz und Herz vereint zusammen sucht in Gottes Herzen Ruh“ schön in Worte gefasst: „Er das Haupt, wir seine Glieder, er das Licht und wir der Schein, er der Meister, wir die Brüder, er ist unser, wir sind sein.“
IV.
Ohne Stolz, ohne Selbstlob, ohne Fehler zu vergessen, aber in Dankbarkeit unserm Herrn gegenüber dürfen wir Manches aufzählen, womit seither Menschen und Gemeinschaften christlichen Glaubens die Welt positiv beeinflusst haben:
Grausamkeiten, früher oft fälschlich als gesunde Härte gepriesen, wurden als schändlich betrachtet. Der bisher zuweilen sanktionierte Kindermord als abscheulich deklariert und aus der Gesellschaft verbannt. Sklaven wurden befreit. Das Knüpfen sozialer Netze sowie Krankenpflege wurden Standart. Die Stellung der Frau wurde verbessert. Mitleid, früher als Fehler gebrandmarkt, wurde zur Tugend. Arbeit, oft als lästiges Übel oder sogar als Schande empfunden, wurde wichtiger Bestandteil eines erfüllten Lebens.
Toleranz, vorher oft als Schwäche belächelt, wurde zum Maßstab für friedvolles Miteinander. Nächstenliebe, zunächst nur für den engen Kreis von Nachbarschaft und Familie vorgesehen, wurde ausgeweitet auf den „fernen“ Nächsten, ja auf die ganze Menschheit. Aus dem christlichen Bereich kommen auch immer wieder wichtige Impulse, wenn es um aktuelle Themen geht wie Klima-, Natur- und Tierschutz oder Menschenrechtsfragen.
In allen Ländern und Gesellschaften, in denen christlich gesonnene Menschen und Gemeinschaften den Ton angeben, gibt es deutlich mehr Frieden und Glück als dort, wo der christliche Glaube nicht Fuß gefasst hat. Damit loben wir uns nicht selbst, sondern preisen den, der uns teilhaben lässt an der Gestaltwerdung einer neuen, besseren Welt, die auf Christus gegründet ist. Wir vertrauen darauf, dass er seine Vorhaben zu einem guten Ende bringt.
Sehr geschickt und aktuell hebt Pastor Krüger beim Pfingstfest jetzt die menschenfreundliche soziale Wirkung vom Pfingstereignis hervor. Die Christen waren nicht nur mit Jesu Heiligem Geist durchdrungen und waren dadurch untereinander ein Herz und eine Seele. Sie verkündigten nicht nur-vorbildlich für heute- begeistert und geisterfüllt Jesus, nein, sie hatten sofort auch ein Herz für alle Armen und Bedürftigen in ihrer Umgebung. Nächstenliebe und Diakonie gehören seitdem zur Kirche dazu und verbreitet sich auf viele Vereinigungen auf dem Erdball. – Nächstenliebe für viele millionen elender und hungriger Mitbürger in der Welt ist sehr aktuell. Damals opferte Barnabas sein ganzes Vermögen dafür. Die Gemeinde schuf dann das Amt der Diakone. Aber die Verkündigung von Jesus und seiner Auferstehung und Wiederkunft blieb genauso wichtig. In Jahrhunderten wurde dadurch unsere Welt positiv beeinflusst. In christlichen Staaten gibt es dadurch mehr Frieden und Glück. Jesus wird sein Ziel vom Reich Gottes überall gewiss zum Ziel vollenden! – Als Predigt sehr gut und interessant aufgebaut und tiefgegründet, warmherzig und mit ansteckende Nächstenliebe durch Jesus ist es für mich eine vorbildliche Predigt. Man trägt sie im Herzen.
Lieber Pastor Krüger,
vielen herzlichen Dank für Ihre sehr anregende Predigt.
Es sind großeartige Gedankengänge, die sehr geschickt miteinander verbunden sind. Klasse!
Könnten Sie uns bitte den Namen des zeitgenössischen Philososphen nennen, der von der “ethischen Überforderung” gesprochen hat.
Meinen Sie Brad Hooker?
Freundliche Grüße und nochmals Dank!
Ihre Dorothea Zager, Worms
Danke für den freundlichen Kommentar, über den ich mich sehr freue. Der “zeitgenössische Philosoph” ist Peter Sloterdijk, der in einem langen, interessanten Interview, das ich bei youtube gefunden habe, diesen Begriff von der “ethischen Überforderung” gebraucht hat und zwar in dem Zusammenhang, in dem ich ihn auch verwendet habe.
Liebe Kollegin Zager,
Danke für den freundlichen Kommentar zu meiner Predigt, über den ich mich sehr freue. Der von mir erwähnte Philosoph ist Peter Sloterdejk, der in einem Interview auf Youtube diese Formulierung “ethische Überforderung” im Blick auf die Unmöglichkeit, allen Menschen zu helfen, gebraucht hat.
Herzliche Grüße aus Lübeck
Ihr Hans-Dieter Krüger