Zum Israelsonntag – Klug werden an Gottes Treue
Staunen über den fremden, seltsamen treuen Gott Israels
Predigttext: Römer 11,25-32 (Übersetzung nach Martin Luther)
25 Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist.
26 Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. 27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«
28 Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
30 Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Hinführung zum Predigttext
Mit „damit ihr euch nicht selbst für klug haltet“ legt Paulus selbst eine homiletische und exegetische Schneise. Das Gegenteil zu „selbst“ ist die Schrift, die von Gottes Taten spricht. Die Schrift gibt Zeugnis: Der HErr ist der Retter Israels. Der HErr kann Verstockung widerfahren lassen. Der HErr ist Israel Erlöser vom Zion. Stiftet den Bund. Nimmt Sünden weg. Schenkt die Erwählung. Von ihm kommen Gaben und Berufung. Von ihm kommt Erbarmen über die im Ungehorsam. In Summe: Treue Gottes. Treue Gottes zu Israel.
Ein Wert, den kein Mensch ins Minus setzen kann. Ein Wert, der nicht aufzuheben ist. „Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“. Wollten Christen von einem Gott Jesu reden ohne Treue zu Israel, ohne Liebe zu Israel (Erwählung) und Erbarmen, wäre das eine christlich geschaffener Götze, aber nicht der biblische Gott. Wie verbreitet solch Häresie ist, mag jede und jeder selbst ermessen.
Eine selbstzerstörerische Häresie. Würde man Gottes Gaben und Berufung als widerruflich einschätzen, auf was wollte man dann den eigenen Glauben stützen? Müsste man dann doch gleichfalls ständig mit dem Entzug der Gaben rechnen. - Paulus leitet uns an, klug zu werden an Gottes Treue.
Liedempfehlungen:
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355, bes. 1.3.4)
All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad (440)
Nun danket alle Gott (290)
Der Frieden gibt in den Höhn (NL 17)
Gedenken der wiederholten Zerstörung Jerusalems
- Av: war am 30 Juli.
Besondere Gebetsanliegen
Die Menschen, die involviert sind in den Gerichtsprozess wegen des Anschlags auf die Synagoge in Halle:
Nebenkläger, deren Leben in Gefahr war,
Richterin, Anwälte, Angehörige der Ermordeten;
Menschen, die das Video der Tat herunterladen.
Ins Totengedenken einschließen
Die Theologin Edith Stein, ermordet am 9. August 1942;
der im KZ Dachau geweihte Priester Karl Leisner, gestorben am 12. August 1945;
Maximilian Kolbe, ermordet am 14. August 1941.
Klug ist, wer auf Gott schaut
Natürlich bin ich öfter schon gefragt worden, warum ich denn Theologie studiert habe. Aber zugegeben, wie Paulus habe ich noch nicht geantwortet, der als Begründung für sein Schreiben nach Rom festhält: damit ihr euch nicht selbst für klug haltet. Klug, sagt Paulus, ist nicht, wer auf sich selbst schaut. Klug in Bezug auf den Glauben, so Paulus, ist, wer auf Gott schaut. Den biblischen Gott. Paulus sucht Gott immer in seinen Taten. Von denen erzählt die Schrift.
Der biblische Gott
Und wie zeigt sich dort der biblische Gott? Es ist ein Gott des Erbarmens. Ein Gott voller Zuwendung. Ein Gott der liebt und rettet. Israel hat es erfahren. Israel ist geliebtes, erwähltes Volk Gottes (so auch der Wochenspruch). Israel erfährt: der Gott, der sich sein Volk ruft, der es begleitet und rettet, der ist vor allem ein Gott der Treue. Gott bleibt sich selbst treu. Und zwar im Blick auf seine Freundlichkeit. Im Blick auf seine Gnade. Gott bleibt sich treu, wenn es drum geht, was er Israel zugesagt, immer wieder einzulösen. Immer wieder zu bestätigen. Dass ganz Israel Gottes Kind und Sohn ist, aufgenommen in den Bund, von Gott beschenkt mit seinem Wort, seiner Weisung, seiner Gnade, mit Gottes- und Tempeldienst, und was nicht noch mehr.
Überall in der Schrift gibt es zwar Stellen, wo Gott sich vornimmt etwas zu vergessen oder wo Gott sich selbst zurücknimmt. Er ist bereit, Missetaten zu vergessen und ihrer nicht zu gedenken. Immer wieder berichtet die Schrift: Gott ist bereit, eigenes Verhalten zu ändern, abzulassen vom Zorn oder von Schreckenstaten. Niemals aber lässt ab von Gnade. Von Freundlichkeit. Von Gaben. Niemals nimmt Gott eine Zusage zurück. Niemals steht der Bund mit Israel infrage. Niemals die Erwählung. Niemals seine Liebe. Der biblische Gott Israels ist ein treuer Gott.
Jesus ruft Gottes Freundlichkeit ins Gedächtnis
Daran macht der Jude Jesus auch seine Verkündigung fest. Ruft Gottes Freundlichkeit den Menschen in Judäa, Samaria, in Galiläa und Jerusalem ins Gedächtnis. Und gerade, wenn Menschen jenseits von Israel die treue Bindung und Selbstbindung Gottes an Israel erleben und darum wissen wie die Frau aus Syrophönizien oder der eine römische Hauptmann oder der Hauptmann unterm Kreuz, erleben wir bei ihnen besondere Resonanz, erfahren wir von ihrem Glauben. Von ihrem Staunen über den fremden, seltsamen treuen Gott Israels. Es sind einzelne.
Der jüdische Schriftgelehrte Schaul,
der sich in internationalen Zusammenhängen auch Paulus nennt, entscheidet sich nach einigen Wirren, und angesichts des neuen österlichen Lebens, durch das Jesus ihm begegnet und gemäß dem, wie er die Schriften interpretiert: hier ist der Messias. Jetzt ist Zeit, dass die Völker der Welt zum Zion kommen. Und er erlebt, dass Jesusleute aus den Völkern zu gewinnen, das eine ist. Das andere aber, wie sich andere jüdische Leute seiner Zeit dazu verstehen, in diesen Jahrzehnten nach dem Tod und nach der verkündeten Auferweckung Christi. Dass in Kürze der Herr erscheint, dass in Bälde mit der erneuten Gegenwart des Messias zu rechnen ist, das ist verständlicherweise nicht jedermanns Sache.
Aufs Ganze gesehen, folgt neben einer Reihe von griechischen und anderen heidnischen Leuten vor allem aus dem Sympathisantenumfeld der Synagogen eine winzige Minderheit jüdischer Leute den Gedanken des Paulus. 25 Jahre sind vergangen seit Jesu Tod und Auferstehung. Paulus hat eine weitere große Missionsreise vor, über Rom will er bis nach Spanien. Jemand anderes würde vielleicht sagen: ich bin gescheitert. Paulus tut das nicht. Paulus denkt alles noch mal gründlich durch. Und als er nach Rom schreibt, um sich anzukündigen, packt er all sein Nachdenken über die großen Themen seiner Missionen hinein. Und weil der Brief nach Rom der letzte ist, den wir kennen, vielleicht auch der letzte überhaupt in dieser Form, ist der Römerbrief ein Testament. Ein Vermächtnis. Paulus schaut dabei nicht auf sich selbst. Er vergleicht sich auch nicht mit dem Wirken anderer. Er schaut auf Gott. Auf den biblischen Gott, von dem er weiß: der ist treu. Und von der Treue Gottes, vom Bleiben seiner Erwählung, vom Bleiben seiner Liebe nimmt er die Fragen auf: wie ist das mit Israel, Gottes Volk, und all den anderen Völkern der Welt.
Israel, Gottes Volk, und die anderen Völker
Wenn Gott treu ist, dann ist die Zusage, dass Gott vom Zion kommt, sein Volk zu befreien, von Feinden wie von den eigenen Sünden, dann ist die Zusage, dass Gott seinen Bundesschluss bestätigt, vor dem die Irrwege und Verfehlungen nichtig werden, dann gilt das. Natürlich. Woher sollten die Völker der Welt von Gottes Gnade wissen, wenn nicht durch Gottes Treue zu Israel.
Wir dürfen nicht vergessen: es gibt, als Paulus reist und schreibt, vom Messias Jesus erzählt und verkündet, als er wirbt und leidet, noch kein Gleichnis vom verlorenen Schaaf. Es gibt keine Geschichte vom barmherzigen Samariter. Es gibt keine Bergpredigt in der Gestalt, wie wir sie heute kennen, keine geschriebene Weihnachtsgeschichte, kein Osterevangelium. Es gibt die Menschen, die mit Jesus zusammen waren. Es gibt deren Predigt und Verkündigung. Und es gibt Paulus und seine Briefe. Und des Paulus Rede von der Treue Gottes, von Gottes Erbarmen und Rettung. Das ist, was jüdische und heidnische Leute von ihm hören. Das ist, was jüdische und heidnische Leute von Gott hören und wie und warum er im Leben und Kreuz Jesu erkennbar wird.
Die Treue Gottes bleibt
Wenn Israel auf Distanz geht zu dem Gedanken, dass jetzt die messianische Zeit begonnen habe – die Treue Gottes bleibt.
Ist es Gelassenheit des Alters bei Paulus, Altersweisheit und Nachsicht? Ist es eine Ahnung seines Todes, seines Martyriums? Seine Gestalt der Klugheit: Er hört nicht auf zu arbeiten. Paulus kommt weiter seiner Aufgabe nach, zu der er sich berufen sah. Er ist Apostel der Völker. Er wird nach Rom fahren. Er wird die Jesusleute dort treffen. Er hat noch viel vor. Und zugleich ist er versöhnt mit dem Widerstand, den er unter seinen Leuten antrifft.
Paulus schaut auf Gott. Was für Gott gut ist, soll für ihn selbst gut sein. Gott kommt vom Zion. Warum sollte er an Gottes Rettung und Gottes Befreiungshandeln zweifeln. Gott kommt vom Zion – wenn es in oder außerhalb Israels Gottesferne geben sollte, Gott nimmt sie weg. Dass das Judentum vorsichtig ist mit einem Messias, dass es weiter wartet und hofft und sehnt, ändert nichts an Gottes Treue zu seinem Volk. Haltet euch nicht selbst für klug. Sondern schaut auf Gott, dass und wie er seine Zusagen hält. Ganz Israel wird gerettet werden. In Israels Rettungssog zieht der Messias Jesus auch die Heiden mit, die Völker der Welt. Das ist dann unsere Rettung. Gott sei Dank: Gottes Treue ist groß.
Die Eingangsfrage wird so manchen Gottesdienstbesucher interessieren: Warum studiert ein Mensch Theologie? Wie kann Theologie helfen, die Fragen der heutigen Zeit zu beantworten: Corona, Klimawandel, wachsender Antisemitismus, Xenophobie! Die Pfarrerin wendet ihren Blick zu Gott und treibt Theo – Logie. Denn das meint „Rede von Gott“. Und damit stehen wir in einer Reihe mit Jesus und Paulus. Wer ist Gott? Was ist Gott? Gott ist treu. Und das angesichts der großen Themen unserer Zeit. Was das praktisch bedeutet? Hier ist der Leser aufgefordert, eigene Antworten und Lösungen zu finden!
Ihre Predigt hat mich sehr berührt. Vielen Dank. Meine Predigt umrundet das Erbarmen Gottes “… auf dass er sich aller erbarme…”