Wort und Brot

Gabenorientierte Organisation

Predigttext: Apostelgeschichte 6,1-7
Kirche / Ort: St. Andreas-Gemeinde / Hildesheim
Datum: 06.09.2020
Kirchenjahr: 13. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin PD Dr. Martina Janßen

Predigttext: Apotselgeschichte 6,1-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der  täglichen Versorgung. 2Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen. 3Darum, liebe Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind, die wollen wir bestellen zu diesem Dienst. 4Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben. 5Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Proselyten aus Antiochia. 6Diese stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten ihnen die Hände auf. 7Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.


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„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18). So lautet Gottes Gebot. Wir haben es im Evangelium gehört ((Lk 10,25-37, Evangelium des 13. S. n. Tr.).

I.

Der Gesetzeslehrer wird von Jesus gefragt: Was steht im Gesetz geschrieben? Der weiß es ganz genau: Das Gesetz will Gottesliebe und Nächstenliebe. Aber der Gesetzeslehrer will es noch genauer wissen und fragt nach. Wer ist mein Nächster?

Jesus erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der dem, der in Not war, geholfen hat. Der ist der Nächste. Und sprach Jesus zu dem Gesetzeslehrer: So geh hin und tu desgleichen! Soweit so gut.

Geh hin, tu anderen Gutes, geh nicht vorbei! Wer würde da nicht zustimmen? Aber das Gleichnis birgt Sprengstoff in sich. Die Frommen, der Levit und der Priester, gehen an dem Notleidenden vorbei. Die, die Gottes Wort kennen, setzen es nicht in die Tat um. Das tut ein Ausländer, ein Samariter, vermutlich nicht ganz so thorabewandert wie die anderen beiden. Und doch ist er es, der „ohne Tadel lebt und im Gesetz des HERRN wandelt“ (Ps 119).

Die Rollen scheinen klar verteilt: Dort die scheinheiligen Wortkundigen – der Priester und der Levit; da der heilige Samariter, der Barmherzigkeit übt und so Gottes Gebot erfüllt. Doch ganz so leicht ist es nicht. Ich glaube, wenn man die achtlos vorbeigehenden Frommen, den Priester und den Leviten, fragen würde, ob sie die Schrift erfüllen und im Gesetz des Herrn wandeln, würden auch sie sagen: Ja, wir lieben Gott von ganzer Seele und all unserer Kraft und unseren ganzen Gemüt, denn wir lesen sein Wort und ehren ihn durch Gebete. Und damit haben sie Recht. Aber eben nur halb, denn den Nächsten lieben – das gehört eben auch dazu, nicht zuletzt weil man in jedem Armen Christus liebt und was man dem geringsten seiner Brüder tut, auch an ihm tut (vgl. Mt 25,40b, Wochenspruch).

“Willst du den Leib Christi ehren? Dann übersieh nicht, dass dieser Leib nackt ist. Ehre den Herrn nicht im Haus der Kirche mit seidenen Gewändern, während du ihn draußen vernachlässigst, wo er unter Kälte und Blöße leidet“ (Johannes Chrysostomos: Predigt zum Matthäusevangelium, 50, 3: PG 58).

II.

Was macht Kirche für Sie aus? Gebet, Gottesdienst und Hören des Wortes? Oder Diakonie? Reines Evangelium oder soziales Engagement? Bekenntnis oder Barmherzigkeit? Oder von allem ein bisschen und wenn ja, wieviel Prozent von jedem? In dieser Frage gibt es so manchen Konflikt in unserer Kirche. Da hört man bei manchen Entscheidungen Meckern, Murren, Maulen. Die einen sagen, es geht um die Option für die Armen, das Schiff im Mittelmeer, die Diakonie; die anderen sagen, es geht um Verkündigung und Gotteslob. Wenn wir unserer Gemeinde ein Leitbild geben würden – was käme dabei heraus: der „Barmherzige Samariter“ oder Psalm 103: „Lobe den Herrn“? Oder vielleicht etwas ganz anderes?

Diese Frage: Wort oder Tat? ist alt. Es gibt dazu eine kluge jüdische Überlieferung. Einst waren Rabbi Taphon und die Ältesten im Obergemach des Hauses Nitsa in Lud versammelt. Da wurde unter ihnen die Frage gestellt: Ist Studium größer oder ist Tun größer? Rabbi Taphon antwortete: Tun ist größer. Rabbi Akiwa antwortete und sagte: Studium ist größer. Da antworteten alle und sagten: Studium ist größer, denn Studium führt zum Tun.

Beides tut Not. Wort und Brot. So sagt es das Gebot. Gott lieben und den Nächsten lieben. Das ist eine Wahrheit, die wir als Christen wahrscheinlich prinzipiell alle unterschreiben können. Aber Wahrheit ist immer konkret. Doch wenn es konkret wird, kann es schwierig werden, denn der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. Manchmal reicht es eben nicht für beides, es fehlen Kraft oder Geld. Dann muss man entscheiden. Investieren wir dann in Wort oder Brot? In Kantorei- und Verkündigungsarbeit oder in den sozialen Mittagstisch? Da keimt ein Konflikt in Gottes Gebot, und zwar von Anfang an: Gott lieben und den Nächsten lieben. Wer hat das bessere Teil – der liebevoll Tätige oder der Gott Lobende?

Worauf kommt es mehr an? Auf Martha, die Jesus bewirtet und mit Brot stärkt, oder auf Maria, die zu seinen Füßen sitzt und ganz auf sein Wort hört. Was hat im Vorrang? Tätige Nächstenliebe oder theologisches Studium? Brot verteilen oder an Predigten feilen? Wer so fragt, fragt falsch. Im Konfliktfall stehen wir alle vor einem Dilemma. Denn Gott will beides: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten. Das kann man nicht gegeneinander ausspielen. Das bedingt einander oder wie es in der rabbinischen Geschichte – etwas paradox anmutend – heißt: Studium ist größer, denn Studium führt zum Tun. Ohne Zweifel, da keimt ein Konflikt in Gottes Gebot, und wenn es hart auf hart kommt und der Druck wächst, wenn die Kräfte gering oder wenn das Geld knapp ist, dann bricht der Konflikt auf. Wir hören Apostelgeschichte 6. Da gibt es einen Konflikt um Wort und Brot und mangelnde Ressourcen – und es gibt eine Lösung!

(Lesung des Predigttextes Apostelgeschichte 6,1-7).

III.

Am Anfang dieser Geschichte steht das Wort, konkret. Am Anfang steht das Meckern, Murren, Maulen. Das Wachstum der Gemeinde hat Schattenseiten: Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt. Das klappte nur im kleinen Kreis, als es überschaubar und zu bewältigen war. Ganz am Anfang des Christentums funktionierte es. „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. […]. Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.“ (Apostelgeschichte 2,42; 4,32).

Jetzt ist es komplizierter. Die Gemeinde ist nicht nur größer geworden, sondern auch bunter. Da keimen Konflikte auf. Viele griechischsprachige Menschen, Hellenisten, sind dazu gekommen, mit ihren Ideen, ihren Bräuchen – und mit ihren Witwen und Armen. Die werden übersehen, die werden nicht satt, die Gemeinschaft im Brotbrechen schließt einige aus, man ist nicht mehr ein Herz und eine Seele, es wird gemeckert, gemurrt und gemault. Und das wird gehört. Die Apostel hören zu, gehen nicht über das Meckern, Murren und Maulen hinweg, sondern fühlen sich verantwortlich. Sie wissen, dass Dienst an den Armen und ihre Versorgung nötig ist und Gottes Gebot entspricht.

Denen, die in Not sind, muss geholfen werden. Jede Tat der Barmherzigkeit ist eine Tat an Jesus selbst. Darum wird nicht herum geredet. Aber das zu organisieren, können die Apostel nicht auch noch leisten, denn sie sind Diener des Wortes, sie wollen Gott loben und seine Botschaft weitersagen: „Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.“ Deshalb schlagen sie eine Lösung vor und delegieren den Armendienst an andere, die es tun wollen. Die sieben ersten Diakone werden gewählt – unter großer Zustimmung der Menge – und sie sind bereit, sie nehmen die Wahl an. Sie sind es, die den Armendienst organisieren und ermöglichen, dass in der Gemeinschaft im Brotbrechen alle satt werden.

IV.

Dem Brotleidenden dienen und beim Dienst des Wortes bleiben – jetzt geht beides. Und beides ist miteinander verbunden. Die sieben ersten Diakone. „stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten ihnen die Hände auf.“ Ein Zeichen: Das Wort führt zum Tun. Beides ist nicht trennen. Diese Geschichte ist ein Musterbeispiel für gabenorientierte Organisation und für eine gelungene Konfliktlösung. Das benannte Problem wird ernstgenommen und es wird eine Lösung gefunden, die von allen akzeptiert wird.

Das Ergebnis spricht für sich. „Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem.“ Das ist ohne Frage ein Erfolg, aber trägt sicher auch den Keim für neue Konflikte in sich. Aber das macht nichts, denn man weiß, man kann sie lösen, wenn man weiß, worauf es ankommt und bereit ist, sich zu entwickeln. So können auch wir gemeinsam versuchen „ohne zu Tadel leben und im Gesetz des HERRN zu wandeln, uns an seine Zeugnisse zu halten und ihn von ganzem Herzen zu suchen“ (Ps 119).

Wort und Tat sind nicht zu trennen, wenn es um Liebe geht. Und oft sagt eine kleine Geste mehr als große Worte. Das ist bei uns Menschen so und bei Gott erst recht. Denn Gott ist Liebe – in Wort und Tat. „Am Anfang war das Wort und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Joh 1,1.14). Gottes Wort ist mehr als die Verheißung: Dein Leben wird gut und heil werden. Gottes Wort ist Tat. „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. (…). Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben“ (1 Joh 4,9-11): So geht nun hin und tut desgleichen!

 

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