„Tu es …“

Gottes Wort will in unserem Leben konkrete Tat werden

Predigttext: 5. Mose / Deuteronomium 30,11-14 (mit exegetischen und
Kirche / Ort: 66989 Nünschweiler / Kirchenbezirk Pirmasens
Datum: 11.10.2020
Kirchenjahr: 18. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Anke Andrea Rheinheimer

Predigttext:  5. Mose / Deuteronomium 30,11-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

11 Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.
12 Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?
13 Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?
14 Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Exegetische und homiletische Anmerkungen

Vielstimmig, wie ein cantus firmus, spricht aus der Bibel in beiden Teilen, im AT wie NT zu uns der Appell, nicht nur Hörer, sondern auch Täter des Wortes Gottes zu sein. An vielen Stellen begegnet uns dieser Aufruf immer wieder im biblischen Schrifttum. Glaube und Handeln gehören zusammen. Gottes Wort will in unserem Leben konkrete Tat werden und weist uns damit auch immer an unseren Nächsten. Wie auch im Sinne Jesu Gottesliebe und Nächstenliebe untrennbar zusammengehören, wobei niemand sich selbst vergessen und jeder seine eigene kleine Kraft dabei realistisch einschätzen sollte.

Es geht nicht um ethisch-moralische Höchstleistungen, sondern um das Tun des Gerechten – mit Gottes Hilfe und durch Gottes Gnade. Die gute Richtschnur, die er uns für unser Leben gibt – als Juden und Jüdinnen, wie als Christinnen und Christen in dieser Welt, finden wir in seinem Wort in seiner Vielstimmigkeit, die jedoch immer wieder zusammengeführt wird auf grundlegende Regeln im Umgang miteinander und den Dingen der Welt. In der hebräischen Bibel, wie auch im neutestamentlichen Schrifttum. Sei es in den 10 Geboten, in der Frage nach dem höchsten Gebot oder der sog. „Goldenen Regel.“

So bietet dieser Predigttext eine wunderbare Gelegenheit zum konkordanten Hineinhören in den großen Echoraum der Bibel, der vieles Mitschwingen lässt und doch immer wieder auf zentrale Aussagen komprimiert. So auch in 1 Mose 30,14: „Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.“ Tatwort Gottes, das uns Menschen zum Tun ermutigt und ermuntert. Dieser Spur folgt die nachfolgende Predigt.

Literatur

Perikopenbuch. Nach der Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder. Mit Einführungstexten zu den Sonn- und Feiertagen, hg. von der Liturgischen Konferenz für die Evangelische Kirche in Deutschland, Bielefeld/Leipzig 2018.

Lesungen

Psalm 1
2. Mose / Exodus 20,1-17
Epistel: Eph 5,15-20
Evangelium: Mk 10,17-27

Lieder

„Lass mich, o Herr, in allen Dingen“ (EG 414)
„Herr, dein Wort, die edle Gabe“ (198)

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„Sie werden lachen: die Bibel!“ – Berthold Brechts überraschende Antwort auf die Frage, welches Buch denn am meisten Eindruck auf ihn gemacht habe. Mittlerweile ist sie zum geflügelten Wort geworden.

I.

Was bedeutet Ihnen das Wort Gottes, die Bibel, Ihr Glaube, der das Wort ins Leben zieht? Denn wir sollen ja nicht allein Hörer, sondern auch Täter des Wortes sein. Dazu ermuntert uns unser heutiger Predigttext aus dem Alten Testament, der uns zuruft: „Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.“ Ganz ähnlich im Neuen Testament, in Jak 1,22, wo es heißt: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“

Was wir lesen und hören in der Bibel, das soll bei uns nicht auf taube Ohren stoßen. Es soll auch nicht ins eine Ohr rein und ins andere wieder rausgehen, ohne dass wir uns davon innerlich bewegen und auch in Bewegung setzen lassen. Denn wie Gottes Wort Tatwort ist, so kommt es bei uns, als ChristInnen, auch nicht nur auf die rein innerliche Frömmigkeit in einem verborgenen Winkel unseres Herzens an. Sondern Gottes Wort soll in unserem ganz normalen Alltagsleben in die konkrete Tat münden, ganz praktisch werden – kurzum: Tatwort. Es ermuntert uns zur Gottesliebe und zur Nächstenliebe in Wort und Tat. Was jedoch manchmal fehlt, ist die Fantasie, wie wir es im realen Leben in die Tat umsetzen können. Oder noch schlimmer: Oft wissen wir eigentlich sehr gut, was zu tun wäre, sind aber zu bequem, scheuen die Anstrengung, die uns das u.U. abverlangt. Das erleben wir auf vielen Feldern des Lebens, auf den ganz großen, gesellschaftspolitischen, aber auch in unserem ganz privaten Nahbereich.

Nehmen wir z.B. den Klimaschutz: Da sind die Handlungsempfehlungen zum Schutz der Schöpfung, von Mensch und Natur, die konkreten Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase und Verlangsamung der Erderwärmung mittlerweile von der Wissenschaft gut beschrieben.  Allein, es fehlt die Umsetzung. Zu groß die Befürchtungen der Wirtschaft und der Politik vor Kosten und Konsequenzen.

Und bei uns privat genauso: nachhaltig zu leben, weniger Abgase zu produzieren, weniger vermeidbaren Müll, sinnvoll haushalten mit Energie und Ressourcen, das nehmen wir uns zwar immer wieder vor, aber wie oft gehen wir dann im Alltag den bequemen Weg oder sind achtlos und manche auch schlicht ignorant? „Man müsste“ oder „ich sollte besser/oder besser nicht“ – wie oft ertappen wir uns dabei, aus diesem Gedanken nichts folgen zu lassen. Damit bleiben wir jedoch unseren Nächsten, unserer Umwelt, letztlich auch uns selbst und Gott oft etwas schuldig.

II.

Ganz nah ist mancher sinnvolle und eindringliche Appell bei uns, auch mancher Gewissensbiss und doch unserem Tun so fern. Wir hören Sätze aus der Bibel, aber sie bleiben ohne praktische Konsequenz in unserem Leben. Wir verbannen sie „in den Himmel“, auf den Sankt Nimmerleinstag, ins Jenseits oder verlagern die Verantwortlichkeit und das konkrete Tun zu den anderen, ans andere Ende des Meeres. Aber wie unser Predigttext sagt: Das Gebot und Wort Gottes „…ist nicht im Himmel …Es ist auch nicht jenseits des Meeres … sondern ganz nah bei dir.“ Gottes gute Weisung will uns immer wieder in Bewegung setzen –  zu unseren Nächsten; zum rechten und gerechten Tun.

Das Zuwegebringen ist oft das Problem, selbst wenn wir es wollen. Konkret auf ganz normale Alltagssituationen heruntergebrochen, noch ein Beispiel: „Ich sollte mal wieder meine alte Nachbarin besuchen.“ Aber: „Heute habe ich so viel zu tun, das passt zeitlich gerade gar nicht. Am Wochenende vielleicht.“ – „Vielleicht!“ – gleich ist die innere Reserve aufgebaut, wie bei so vielen Dingen im Leben.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Nein, es geht hier nicht um ethische Höchstleistungen, nicht um einen perfekten Lebenswandel, nicht um vermeintlich typisch protestantische Strenge gegen sich selbst. Es geht nicht um Unerfüllbares, sondern um die oft kleinen, aber mühsamen oder unbequemen Schritte im Leben. Und der erste Schritt ist manchmal der schwerste, wäre aber immerhin ein Anfang.

Was ist Ihnen beim Nachdenken in den Sinn gekommen? Was wäre bei Ihnen dran, was sie innerlich bewegt, was Sie eigentlich tun oder schon längst getan haben müssten und tun wollten? Manchmal ist es schlicht die „Aufschieberitis“, in der Psychologie „Prokrastintation“ genannt, die uns davon abhält, etwas endlich anzupacken, zu tun, was wir uns lange schon vorgenommen haben. Oft genug bleiben wir dann uns selbst, unseren Mitmenschen und auch Gott etwas schuldig oder tun Dinge, von denen wir objektiv wissen, dass sie falsch sind, fallen aber doch wieder in die alten Gewohnheiten und Mechanismen zurück.

Ein Beispiel: Wir wollen weniger streiten mit anderen, vielleicht dem Ehepartner oder unserem Nachwuchs – aber sind flugs genauso rechthaberisch, ungeduldig, ungehalten, wie wir eigentlich nicht sein sollten, wollen das letzte Wort behalten, anderen Vorschriften machen. Oder jemand bittet uns um Unterstützung, Hilfe, einen kleinen Dienst und wir sind mal wieder nicht um eine Ausrede verlegen, warum das gerade bei uns nicht geht. Klar, keiner von uns ist perfekt. Aber darum ist die Erinnerung daran, was „dran“ ist im Sinne des guten Zusammenlebens, eines Miteinanders wie es Gott gefällt, so wichtig. Wider besseres Wissen bleiben wir einander, uns selbst und auch Gott viel zu oft etwas schuldig, obwohl unsere innere Stimme und Gottes Wort uns ins Gewissen redet. 

III.

Tatwort – nicht Worthülse ist Gottes Wort. Es hat Kraft, es ist „schärfer als ein zweischneidiges Schwert“, wie der Hebräerbrief sagt. Es will und kann uns manchmal haarscharf ins Gewissen schneiden, unsere wunden Punkte treffen. Und das ist gut so! Damit wir nicht in unserer Bequemlichkeit erstarren oder taub und blind für andere durch die Welt laufen und so letztlich am rechten und guten Leben vorbei. Welches Gotteswort ist „nah bei Ihnen“?

Als ChristInnen sind es immer wieder Bibelworte, die ganz konkret in unser Leben hineinsprechen, die uns Orientierung geben, uns motivieren, manchmal auch mahnen, uns eine gute Richtschnur für unser Handeln, unser Tun und Lassen geben. Seien es die 10 Gebote in den Alltag gezogen, an zehn Fingern abzuzählen; sei es die „Goldene Regel“ von Jesus: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch!“ (Mt 7,12). In Christi Spur gehen, der Gottesliebe und Nächstenliebe immer untrennbar zusammengedacht hat, heißt, das „höchste Gebot“ befolgen: “‘Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot.‘ Das andere aber ist dem gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt 22,37-40).

Die Mühe, das auf unseren Alltag herunterzubrechen, zu überlegen, was das konkret für uns heißt, müssen wir uns allerdings schon selbst machen. Unsere Fantasie sollten wir dabei spielen lassen; unsere Kraft dafür sammeln und realistisch einschätzen. Denn es geht nicht um ethische Höchstleistungen. Das haben wir von Martin Luther gelernt: Unser christlicher Glaube ist keine Leistungsreligion. Es geht nicht um Werkgerechtigkeit, aber der gute Baum soll im Leben auch gute Frucht tragen. Hören wir also auf Gottes Anrede, wann immer sie unser inneres Gewissen konkret anspricht. Stellen wir unsere Ohren nicht „auf Durchzug“ – auch wenn es sein kann, dass das gerade nicht in unseren Plan passt, sondern uns mitten im ohnehin schon anstrengenden Alltag ganz schön fordert. „Tu es“! Gottes Wort spricht mich und Dich an, „dass Du es tust.“ Wir sind angesprochen! Du bist gemeint!  Gottes Wort, das durch uns Tatwort werden will, ist „ganz nah bei  mir und bei dir.“ Möge Gott uns Kraft geben, es zu tun mit unserer kleinen Kraft, in kleinen, alltäglichen Schritten.

Was ist bei Ihnen „dran“, was bei dir, was bei mir? Nehmen wir diese Frage mit in die nächste Woche, ganz nah bei uns. Möge der erste innere Impuls nicht leer wieder zu Gott zurückgehen und nicht folgenlos in uns verhallen. Tu’s! Und fang‘ an mit dem ersten konkreten Schritt. Dazu gebe Gott uns allen immer wieder Gnade, Kraft und seinen Segen.  

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