„Neu eingekleidet“
Die Liebe zu Gott und das neue Verhalten zu unseren Mitmenschen ist etwas „Vernünftiges“
Predigttext: Epheser 4,22-32 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. 23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn 24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. 25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. 29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. 32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.
(Eigene Übersetzung Christoph Kühne)
Legt den alten Menschen und mit ihm auch eurem früheren Lebenswandel ab. War er nicht „korrumpiert“ (so im lat. Text) durch die Gier nach Illusionen?! Erneuert euch wieder im Geist eures Verstandes! Zieht den neuen Menschen an, der von Gott geschaffen ist und der Gerechtigkeit und die „Heiligkeit der Wahrheit“ kennt! Konkret bedeutet das: Legt die Lüge ab, und jeder spreche mit seinem Nachbarn die Wahrheit! Sind wir nicht alle Glieder in einem Körper? Seid zornig - aber versündigt euch nicht: die Sonne soll nicht über eurem Zorn untergehen! Und gebt dem Teufel keinen Raum: Also soll der Dieb nicht mehr stehlen. Er soll sich bemühen, mit den eigenen Händen etwas Gutes zu erwirtschaften, damit er dem geben kann, der es nötig hat. Kein hässliches Wort soll euren Mund verlassen - vielmehr ein gutes, das in der Not aufbaut und denen, die es hören, zum Segen gereicht. Betrübt nicht den Heiligen Geist, in dem ihr (durch die Taufe) zum Tag der Erlösung versiegelt seid. Entfernt jeden Dreck von Härte und Erregbarkeit, von Zorn, von Lärmsucht und „Blasphemie“! Und werdet einander liebreich, barmherzig und vergebt einander wie auch Gott euch in Christus vergeben hat! Werdet Nachahmer Gottes!
Erste Gedanken beim Lesen des Predigttextes
Schon der erste Satz ist eine Herausforderung, eine Zumutung: Als ob man so eben schnell „den alten Menschen“ ablegen könnte. Was bleibt dann? Und dann die Ermutigung, „den neuen Menschen“ anzuziehen, „der nach Gott geschaffen ist“. Als ob das so einfach wäre! Was dann folgt, klingt machbar, „vernünftig“: die Lüge ablegen für die Wahrheit, den Zorn nicht dominieren lassen, nicht stehlen. Und bitte: Kein „faules Geschwätz“! Doch zeigt sich nicht oft erst im Nachhinein, was faul und was gut ist? Dann spricht der Epheserbrief vom Heiligen Geist, mit dem wir (Christen) versiegelt seien. Für ihn tragen wir Verantwortung! Die letzten „Gebote“ sind einleuchtend: Bitte kein Gezänk sondern Freundlichkeit, Herzlichkeit und Vergebung. Abschließend: Gott habe uns in Christus vergeben - eine Deutung von Karfreitag?! Steile Theologie - gemischt mit „menschlicher“ Ethik. Wie gehen wir mit einem solchen Wort in Zeiten der Corona-Pandemie um?
Anmerkungen zum Predigttext
Der Verfasser ist nicht Paulus und hat auch keine Beziehung zu der Gemeinde (!). Eph ist ein hellenistischer Judenchrist der ersten nachapostolischen Generation. Er versteht sich aber als Schüler von Paulus. Eph ist kein Brief sondern mehr eine brieflich eingekleidete Abhandlung, geschrieben 80-100nC, möglicherweise in Kleinasien (heute: Türkei). Die judenchristlichen Anfänge sind vergessen. Die gnostischen Einflüsse werden stärker und formen ein Christentum ohne Verpflichtung zum rechten Handeln. Eph betont die Einheit der Kirche aus Juden und Heiden. Wichtig ist das richtige, gerechte Handeln in der Kirche. Daher auch die vorliegenden Tugend- und Lasterkataloge.
Von Bertolt Brecht stammt der Ausspruch: Der, den ich liebe, hat mir gesagt, daß er mich braucht. Darum gebe ich auf mich acht, sehe auf meinen Weg und fürchte von jedem Regentropfen, daß er mich erschlagen könnte. Ist das nicht Liebe? Wenn wir lieben, dann ändert sich unser Verhalten. Wir achten auf unsere Wörter, auf unsere Mimik, auf unser Verhalten. Wir fallen unseren Mitmenschen auf: Sag mal, bist du verliebt? werden wir manchmal auch von wildfremden Leuten gefragt. Seit über einem halben Jahr sind wir mit dem pandemischen Virus Corona konfrontiert. Es beherrscht alle Bereiche dieser Welt. Und auch die, die sich versucht haben rauszuhalten, haben ihr Verhalten geändert. Ein Freund erzählte mir, dass ihm plötzlich aufgefallen wäre, dass er in Schlangenlinien auf dem Bürgersteig gehe: Er versucht Abstand zu halten. Und dieses Verhalten sei ihm gar nicht mehr bewusst – er geht „automatisch“ um die Menschen herum. Auch der heutige Predigttext spricht von einer Veränderung des Verhaltens, Redens, Tuns, Denkens. Ich lese aus dem 4. Kapitel des Epheserbriefes die Verse 22-32 und füge von Kapitel 5 noch den ersten Satz hinzu.
(Lesung des Predigttextes)
Dieser Text ist so dicht geschrieben, als ob er von dem Apostel Paulus wäre. Aber der Verfasser ist „nur“ ein geistiger Schüler des Apostels. Auch er schreibt gedrängt, als ob er keine Zeit mehr habe. Vielleicht steht „der Tag der Erlösung“ schon vor der Tür? Und bis dahin ist noch viel zu tun!
Den einleitenden Gedanken werden wir alle schon einmal gehört haben: Legt den alten Menschen ab und zieht den neuen Menschen an! Wenn das so einfach wäre! Ja, ist es, wenn wir an die letzten Worte des Textes denken: Werdet einander liebreich, barmherzig und vergebt einander wie auch Gott euch in Christus vergeben hat! Sind das nicht Worte, die die Liebe spricht? Wenn das wirklich die Grundlage unseres Glaubens ist, dann kann „der neue Mensch“ nicht so schwierig sein. Vielleicht erinnern wir uns, als wir verliebt waren. Da hatte, wie unser Text sagt, der Teufel keinen Raum: Warum sollten wir lügen, warum stehlen? Ein hässliches Wort? Zorn, Härte oder aggressive Erregung? Wenn wir lieben, dann sind dies alles Verletzungen, die unter die Haut gehen. Wir wollen doch eigentlich wie „Glieder in einem Körper“ sein, wollen den Anderen verstehen, in seinen Schuhen laufen, mit seinen Augen sehen.
Das ist dann schon der neue Mensch, den wir anziehen können und an den wir uns gewöhnen wollen, der mit uns wächst und groß wird. Der Epheser sagt, dass dieser neue Mensch von Gott geschaffen sei, dass er die Gerechtigkeit liebe und die „Heiligkeit der Wahrheit“ kenne. Sind das nicht auch wieder Zeichen der Verliebtheit in Gott? Und das Großartige besteht darin, dass wir dies erkennen können mit unserem Verstand: Die Liebe zu Gott und das neue Verhalten zu unseren Mitmenschen ist etwas „Vernünftiges“. Es ist keine Illusion, wie Eph gleich im ersten Satz (V 22) schreibt.
Und dieses neue Verhalten, dieser neue Mensch, den wir anziehen dürfen – haben wir ihn nicht schon in der Taufe bekommen und sollten ihn im Laufe unseres Lebens nur noch festzurren und leben?! – dieser neue Mensch ist ein „Nachahmer Gottes“ (Eph 5,1), ein (lat.) Imitator Dei. Joh 3,16: So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben … das ewige (= richtige) Leben haben. Wir haben den neuen Menschen bereits angezogen, wir sind von Gott „neu eingekleidet“. Jetzt lasst euer Licht leuchten, und stellt es nicht unter einen Scheffel, hatte Jesus einmal in seiner Bergpredigt (Mt 5,14) gesagt.
Können wir den neuen Menschen auch in Zeiten von Corona leben? Wir hatten schon gesehen, dass Corona unser Verhalten, unser Denken, unsere Sprache verändert hat. Es gibt heute einen „Corona-Menschen“, den wir angezogen haben, weil es die Regeln so wollen. Was können wir von dem neuen Menschen aus Eph 4 übernehmen und leben? Mir fallen – aus dem Text – folgende Punkte ein:
– Zorn ist menschlich. Aufregung und Protest gehören zu unserer Demokratie. Aber: Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen!
– Übt mit euren Nachbarn die „Heiligkeit der Wahrheit“! Glaubt nicht alles, was gesagt wird, sondern guckt hin, was verlässliche Autoren schreiben!
– Wie bei Liebenden: Werdet einander „gut“, tut euch gut! Werdet einander „herzlich“: Man sieht nur mit dem Herzen gut! Werdet einander zur Freude, wenn Trauer und Traurigkeit zu stark werden!
– Wir sind wie Glieder in einem Körper: Wir gehören zusammen, brauchen in diesen Zeiten echten Kontakt. Wir können auf die Lüge verzichten.
– Wir gieren nicht nach Illusionen, sondern wir gebrauchen „den Geist unseres Verstandes“, um „Liebe zu üben“ und den neuen Menschen noch beherzter zu tragen und zu leben.
Wir sind als Geliebte Gottes Menschen, die diese Welt lieben cum ira et studio, mit Zorn und Eifer. Damit sind wir die richtigen „Nachahmer Gottes“, kreativ, mutig und gelassen. Denn: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit (2 Tim 1,7).
Nach der sehr liebenswerten Einleitung mit der Feststellung, dass sich unser Verhalten sehr ändert, wenn wir lieben, kommt die Anklage,dass sich heute unser Verhalten durch die Angst vor Corona verschlechtert. Was kann man mit den Aufforderungen des Predigttextes tun, um ein liebevoller Christ zu bleiben ? In der Predigt führt der Prediger mit dem Text viele Argumente für den Hörer auf. Am Schluss folgt die erfreuliche Zusammenfassung, dass wir Geliebte Gottes sind und mutige Nachahmer Gottes. – Die Predigt ist gut und verständlich aufgebaut. Navh einer originellen Einleitung und den Argumenten folgt ein Schluss, der den Hörer nachdenklich und froh weitergehen lässt in seinem Leben.