Kluge Zeitplanung
Sich von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, von Angst und Kleinmut nicht lähmen lassen
Predigttext: Lukas 16,1-8 (Übersetzung nach Martin Luther)
Er (Jesus) sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“
Schwere Weizensäcke und alte Holzfässer mit Olivenöl regen die Phantasie an und lassen das Bild vom ländlichen Idyll eines Bauernhofs in der verglühenden Abendsonne entstehen: Die Ernte ist eingefahren, die Vorräte für die kühlere Jahreszeit sind aufgefrischt. Der bäuerliche Hausherr kann sich nach getaner Plackerei zurücklehnen und auf der Bank vor dem Haus einen Krug Wein genießen. Aber der romantische Eindruck vom Idyll trügt. Wenn man diese Geschichte in eine Tageszeitung einordnen will, so gehört sie als Aufmacher in den Wirtschaftsteil, nicht in das Reiseblatt am Wochenende.
I.
Das ist eine knallharte Geschichte über den kreativen Umgang mit Geld und Schulden, und sie läßt sich ganz leicht in die ökonomische Gegenwart umsetzen: Steuersparmodelle, Cum-Ex-Geschäfte, Abschreibungsmöglichkeiten und, man muss es so sagen, Bilanzbetrug vor den Augen des Wirtschaftsprüfers und des Finanzamts.
Tschaka! Tschaka!! Tschaka!!!
Ein Bauernhof im alten Israel zieht wie ein global operierender Investmentfonds eine Menge Papierkram nach sich, heutzutage selbstverständlich digital gespeichert. Das Erstellen von Jahresbilanzen, der Ausgleich von Soll und Haben, das Bedienen der Kredite, der Überblick über Zinsen und Abschreibungen gestaltet sich als ein schwieriges, zeitraubendes Geschäft. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater wissen ein Lied davon zu singen, dem das Finanzamt durch unangekündigte Steuerprüfungen deutliche Mißtöne in die Bilanzpartitur einflechten kann.
Die alte Predigtgeschichte und der tägliche Wirtschaftsteil des Handelsblatts liegen gar nicht so weit auseinander. Eine rasante Story über geistliche Wirtschaft und wirtschaftlichen Geist.
Die Predigtgeschichte zielt auf Abrechnungen und Bilanzen, und wer das hört, vor dessen geistigem Auge tut sich das Panorama eines ausgreifenden symbolischen Feldes auf. Erschrocken sehen wir die berüchtigten Heuschrecken der Venture Kapitalfirmen, die brave Aktienunternehmen finanziell aussaugen und ohne Rücksicht auf Arbeitnehmer und Gemeinwohl gewinnorientiert verscherbeln. Im Hintergrund beobachten wir die altgewordenen Unternehmer des rheinischen Kapitalismus: Sie haben jahrzehntelang von ihren guten Beziehungen zu den Arbeitnehmern im Betriebsrat gelebt. Pragmatisch und am Konsens orientiert wurde vieles geregelt, was nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte.
Als ein Gespenst aus der Vergangenheit sehen wir den angeklagten Bankenmanager, der grinsend den Kameras das Victory Zeichen entgegenstreckt und sich dann wundert, wenn alle Welt sich darüber empört. Wir sehen die Kohorten schwarzer Anzugträger auf den Aktionärsversammlungen, wie sie über Jahresbilanzen, Dividenden und Aufsichtsratsmandate abstimmen. Wir hören Worte wie shareholder value und Eigenkapitalrendite, Steuererhöhungen und Zinssätze, Briefkastenfirmen und schwarze Kassen. Und erinnern Sie sich an die berühmten Anderkonten in der kleinen Alpenrepublik Liechtenstein.
Wichtig ist: Ich habe von den Bildern gesprochen, die vor unserem geistigen Auge auftauchen. Ich lasse dahingestellt, inwieweit die Bilder auch der Wirklichkeit entsprechen. Wichtig ist mir: Der Verwalter des reichen Mannes könnte mit den Fingern auch ein Victory Zeichen geformt haben. Zwischen fünfzig Sack Weizen und fünfzig Milliarden Aktien besteht nur ein quantitativer Unterschied. Auch die Tätigkeiten gleichen sich: Schreibe einfach 50 Liter statt 100 Liter Olivenöl. Schreibe einfach 5 Milliarden statt 30 Milliarden Aktien. Schreibe einfach 2,9 Prozent statt 3,5 Prozent Umsatzbeteiligung.
II.
Bischöfe beklagen immer wieder beredt und vielstimmig die Ökonomisierung aller Bereiche der Gesellschaft, aber Jesus ökonomisiert die Gnade in einer Betrugsgeschichte. Wie kommt das zusammen?
Auf den ersten Blick wird von einer gewöhnlichen Unterschlagung erzählt. Einem leitenden Angestellten, dem Geschäftsführer, droht Arbeitslosigkeit. Seine offensichtlich nicht völlig von Ungereimtheiten freie Geschäftspraxis würde vermutlich keiner strengen Wirtschaftsprüfung standhalten. Um das zu vertuschen, fälscht der schlaue Geschäftsführer Schuldscheine, und er übervorteilt den Besitzer seines Unternehmens zugunsten der Schuldner. Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn nicht erstaunlicherweise Jesus von Nazareth selbst diese Geschichte erzählen würde.
Und mehr: Jesus lobt den Verwalter ausdrücklich. Dieser Mann hat klug gehandelt. Also Sympathie für einen Wirtschaftskriminellen mit weißem Kragen und schräg gestreifter Krawatte, für einen Aktenkofferträger, womöglich auch noch zur Nachahmung empfohlen? Wo bleibt die Solidarität mit Armen und Entrechteten? Natürlich ist das keine Aufforderung zum Betrug, wie wahrscheinlich die meisten, auch ich, beim ersten Lesen und Hören der Geschichte gedacht haben.
Der entscheidende Satz dieser Geschichte lautet: „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Jesus erzählt diese Geschichte, um die Glaubenden klug zu machen. Jesus will Augen öffnen, aufwecken, Furcht vertreiben. Er macht Mut, weckt Hoffnung, kämpft mit seiner Erzählung gegen die Verzweiflung der Menschen.
Auf einer zweiten Ebene erweist sich dieser Bericht über den ungerechten Haushalter als Gleichnis. Jesus von Nazareth erzählt sie, um uns Menschen mit Gottes Reich bekannt zu machen. Dieses Reich ist so großartig und herrlich, so unvorstellbar, daß man es nicht mit Worten beschreiben kann. Die Erzählung, das Gleichnis hilft für das Verständnis des Himmelreichs. Jesus umschreibt in menschlichen Geschichten, wie dieses Reich einmal aussehen wird.
„Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Diese Klugheit entscheidet. Worin besteht nun diese Klugheit des Geschäftsführers? Sein vermögender Arbeitgeber hat ihm eine Frist gesetzt: Er soll Stellung nehmen zu Vorwürfen der Untreue. Der Verwalter nimmt die Vorwürfe ernst, darum überlegt er genau, was zu tun ist, denn er hat wirklich allen Grund zur Sorge. Die Zukunft sieht düster aus, er wird mit den Fehlern seiner Vergangenheit konfrontiert. Dem Verwalter droht die Entlassung. Und wer wird einem Verwalter einen neuen Arbeitsvertrag geben, wenn sich herumgesprochen hat, daß er auf seiner letzten Arbeitsstelle geschummelt hat? Der Verwalter befürchtet mit Recht, daß ihn die Fehler der Vergangenheit in der Zukunft verfolgen werden.
Was soll er also tun? Betteln mag er nicht, dazu ist er zu stolz. Als Totengräber arbeiten mag er auch nicht, dazu fühlt er sich zu schwach. Also entschließt er sich, die kurze Frist, die ihm noch bleibt, zum energischen Handeln zu nutzen. Er entlastet die Schuldner, und genau darin liegt die Klugheit des Verwalters, die Jesus so sehr lobt. Er nutzt die Frist der Gegenwart, um seine Zukunft zu retten. Er nutzt die Gegenwart aus, um die Schatten der Vergangenheit wettzumachen. Das ist die Klugheit eines Christenmenschen, daß er in der Gegenwart ein rechtes Verhältnis zu Vergangenheit und Zukunft findet.
III.
Wie bedrückend und beklemmend der Blick in die Vergangenheit sein kann, merkt jeder, der einmal in seiner Stadt die vielen Stolpersteine mit den Namen der Verfolgten und Ermordeten aus dem Nationalsozialismus abgegangen ist. Die einzelnen Steine stehen für jeweils einen Verfolgten oder Ermordeten. Aber die einzelnen Toten weisen auch darauf hin, daß sich die Millionen Toten nicht verdrängen lassen, sie nehmen weiter unseren Blick gefangen.
Wir denken an diese Opfer heute, weil wir den Volkstrauertag begehen. 1939 ist von Deutschland ein verheerender Krieg ausgegangen. Deshalb erinnern wir uns heute der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wir geben allen Opfern die Ehre, indem wir diese Vergangenheit nicht verdrängen, sondern sie bleibend in Erinnerung behalten. Und wir gedenken der Opfer in Gebet und Fürbitte, denn sie leben in der Erinnerung des Gottes, der verheißen hat, alle Tränen abzuwischen und Gerechtigkeit zu schaffen. Es lohnt nicht, Vergangenheit zu verdrängen. Verdrängung schiebt nur vergangene Schuld beiseite, aber sie kann diese Schuld nicht aufheben. Vergangenheit, auch wenn sie bitter ist, darf nicht geleugnet werden.
Jeder Mensch, jedes Land und jede Gesellschaft muß mit der eigenen Vergangenheit leben. Sie läßt sich nicht mit Taschenspielertricks beseitigen; dafür wäre der Verwalter aus Jesu Gleichnis das falsche Vorbild. Ein wahrhaftiges Vorbild jedoch ist der Verwalter darin, daß er sich von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, von Angst und Kleinmut nicht lähmen läßt. Darin schlägt sich die Klugheit des Verwalters nieder. Und genau darin besteht auch die Klugheit der Christenmenschen.
Sie leugnen die Vergangenheit nicht, sie leben schon in der Gegenwart aus der Hoffnung auf die Zukunft. Das Reich Gottes, von dem Jesus in Gleichnissen erzählt, ist der Inbegriff dieser Zukunft. Und es macht sie aus, daß wir in ihr gerade nicht mit den Fehlern unserer Vergangenheit konfrontiert werden, sondern daß wir in diesem Reich dem gnädigen und barmherzigen Gott begegnen.
Ich habe gesagt: Christen leugnen die Vergangenheit nicht. Es gibt eine Tendenz, Ereignisse aus der Vergangenheit, die mit eigener Schuld und Fehlverhalten verbunden sind, einfach zu leugnen, zu verdrängen, zu beschönigen, zu verharmlosen. Das Beschönigen macht das Leben in der Gegenwart vermeintlich einfacher. Aber das Beschönigen der Vergangenheit befreit niemanden von der Sorge um die Zukunft. Denn das, was ich verdränge, könnte ja einmal – wie auch immer – in der Zukunft auf mich zurückschlagen. Niemand kann seine Vergangenheit verändern oder ungeschehen machen oder revidieren. Vom Verwalter läßt sich lernen: Christen leben aus ihrer Zukunftshoffnung. Genauer: Nur aus der Hoffnung auf die Zukunft können Christen mit ihrer Vergangenheit leben. Auf die Zeitverhältnisse kommt es an.
IV.
Manche Menschen leben nur in der Zukunft. Sie haben eine Utopie darüber entwickelt, wie die Welt sein sollte, und sie leben jetzt schon, als ob die Zukunft schon angebrochen sei. Aber das wäre Schwärmerei, und davon unterscheiden sich die Christen. Ein Schwärmer ist, wer allein aus der Zukunft lebt; er verwechselt Gegenwart und Zukunft. Christen dagegen orientieren sich an der Klugheit des Verwalters, der aus seiner miesen Vergangenheit eine gelungene Zukunft macht. Das macht die christliche Klugheit aus, nämlich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in das rechte Verhältnis zu bringen.
Aber da ist noch ein wichtiger Unterschied zwischen den Christen und dem klugen Verwalter. Der Verwalter stellt seine Zukunft selbst her, und er scheut dabei nicht die kriminelle Tat, um die schlechte Vergangenheit in gute Zukunft zu verwandeln. Christen dagegen lassen sich ihre Zukunft schenken; sie läßt sich nicht herbeizwingen, aber sie läßt sich in einen Begriff fassen. Christen hoffen auf Gottes Reich, auf jene gewaltige Veränderung, welche die Verhältnisse dieser Welt vollständig verwandeln wird. Sie hoffen auf den, der in Gleichnissen von Gottes Reich erzählt hat, auf Jesus Christus, der in seinem Kreuz die Sünden der Welt auf sich genommen hat.
Die Verzweifelten leben nur aus dem Gestern; ihre Gegenwart wird von der Vergangenheit überschattet, so daß sie nur Dunkelheit wahrnehmen und Bitterkeit empfinden. Schwärmer leben nur aus dem Morgen; ihre Gegenwart wird von der Zukunft so hell angestrahlt, daß sie blind werden für Hindernisse und Verwerfungen der Gegenwart.
Es kommt alles darauf an, die Verzweifelten aus der Vergangenheit und die Schwärmer aus der Zukunft zurückzuholen. Jesus hat den Verwalter für seine Klugheit gelobt. Diese besteht darin, daß er die Gegenwart, die Frist zwischen Zukunft und Vergangenheit, genutzt hat. Wir Christen leben in einer Gegenwart, in der die Schatten der Vergangenheit noch sichtbar sind und nicht verdrängt werden, in der aber auch die hellen Strahlen der Zukunft des Reiches Gottes schon wahrgenommen werden können.
Was die Vergangenheit angeht, so leben wir aus der Vergebung, aus der Gewißheit, daß Gott in Jesus Christus barmherzig auf uns zukommt. Diese Gewissheit gewinnen wir nicht aus eigener Kraft. Was die Zukunft angeht, so leben wir gelassen aus der Hoffnung, aus dem Glauben, daß Gottes Reich kommt und daß in ihm alles Elend der Welt aufgehoben wird und endlich Gerechtigkeit herrscht. Und was die Gegenwart angeht, so leben wir im Übergang – zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Angst und Vertrauen, zwischen Zuversicht und Furcht. Wir dürfen darauf vertrauen, daß Gott uns immer wieder hineinnimmt in diese große Bewegung aus der Vergangenheit in die Zukunft, hinein in das Reich Gottes.
Diese Predigt ist sehr tiefschürfend und sehr ausführlich. Deswegen ist sie nicht ganz einfach zu verstehen. Das ist darin begründet: Das Lob Jesu für einen Betrüger ist schwer zu begreifewn. Eugen Drewermann schreibt in seinem Kommentar zu Lukas, Bd. 2 Es ist das “toll-dreiste, frechste, kühnste Gleichnis Jesu, aber es enthält in nuce seine ganze Botschaft.” Das Erbarmen des Evangeliums und die Vergebung steht im Notfall sogar über der knallharten Vergeltung des Gesetzes. Mit der Heilsbotschaft Jesu schliesst auch die interessante Predigt von Pfarrer Dr. Vögele.