“… dass du seinen Weg bereitest”
Heilvoller und befreiender Gottes-Dienst
Predigttext: Lukas 1, 67-79 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
67 Und sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: 68 Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk
69 und hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils im Hause seines Dieners David – 70 wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten –, 71 dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, 72 und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund, 73 an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben,
74 dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht 75 unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen. 76 Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest 77 und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, 78 durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, 79 auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Exegetische (I.) und homiletische (II.) Einführung
I.
Die Poesie der Übersetzung von Martin Luther, besonders von V. 78f, verlockt mich zur Lektüre des Urtextes. Da fällt mir einiges auf:
V. 68: Parallel und betont am Ende stehen „Israel“ und „sein Volk“. Den sich selbst Entfernten wird ihre eigene Identität wieder zugesprochen: Besinnt euch auf das, was ihr seid. Habt Mut und erlaubt euch, es wieder zu werden!
„Besuchen“ erscheint noch einmal in V. 78 und schafft dadurch einen Rahmen. Besuche sind gerade in diesem Jahr ein belastetes Thema – daran ließe sich anknüpfen. Besuch ist Gegenwart auf Zeit: Der Besucher geht auch wieder und überlässt die Besuchten ihrer eigenen Selbständigkeit!
Wenn Gott zu Besuch kommt, kündigt sich Gutes an: Ein Kind für Sara (Gen 21,1) oder Errettung aus Tyrannei (Ex 3,16: Ich habe mich euer angenommen). Das griechische Wort episkeptomai lässt zudem an den wahren Sinn bischöflicher (Episkopus) Auf-Sicht denken.
Interessant am griechischen Text ist auch die Formulierung „Er hat sich Erlösung (im Sinne von Lösegeld nach Mk 10,45!) gemacht“. Auch in V. 72 heißt es, dass Gott an den Vätern Erbarmen „gemacht“ hat. Der Erbarmer erscheint als der Schöpfer! Erbarmung schafft eine neue Welt mitten in der alten, knüpft an an das Bestehende, aber verändert wesentlich.
V. 69: Die Macht oder das Horn des Heils wird nicht nur aufgerichtet, sondern im griechischen Wortlaut „aufgeweckt“ - wie Jesus von den Toten aufgeweckt wurde! Auch dies deutet völlige Erneuerung an.
Ab V. 72 wird der Satzbau erst recht kompliziert. Gottes Gedenken an seinen Bund und der Eid für die Väter stehen im Griechischen nicht additiv; vielmehr erklärt das zweite das erste: im geleisteten Eid drückt sich der Bund aus. Der Ausdruck „ohne Furcht“ steht so nah bei den „Feinden“, dass er sich inhaltlich auch darauf beziehen kann – selbst wenn syntaktisch an die Verbindung zu „Dienst“ gedacht ist.
Dass man Gott auch „mit Furcht“ dienen könnte oder gar sollte, ist nicht im Blick. Eher vielleicht dies, dass Gott zu dienen in Situationen führen kann, die ihrerseits zum Fürchten sind – Johannes und Jesus haben das erlebt!
V. 75: „Unser Leben lang“ heißt wörtlich „an allen unseren Tagen“. Das ist konkreter: Auch ein einzelner Tag kann zur Herausforderung des ganzen Glaubens werden.
Ab V. 76 wendet sich der Blick von der Vergangenheit in die Zukunft. Der „Weg“, den das Kind vorbereitet, ist der „Weg des Friedens“ aus V. 79!
Tou dounai aus V. 77 entspricht derselben Wendung in V. 73: Durch Johannes' Gabe der Heilserkenntnis realisiert sich die Gabe Gottes, ihm zu dienen. Das scheint die zentrale Funktion des Täufers zu sein: Den Blick zu schärfen für die richtige, d.h. heilvolle und befreiende Art von Gottes-Dienst.
V. 78: Das „herzliche“, d.h. von Herzen kommende Erbarmen Gottes, begründet die Vergebung der Sünden (V. 77) und realisiert sich im Besuch des „aufscheinenden“ Lichtes – wörtlich parallel dazu scheint in Mt 2,2 den Weisen der Stern auf! „Ach du Aufgang aus der Höh“ (EG 450, Str. 4) gibt die substantivische Wendung zutreffend wieder. Man spürt die Bewegung, in die sich Hörende und Lesende hinein nehmen lassen können.
II.
Dass der Advent eigentlich Bußzeit ist, rückt gerade am 3. Advent mit der Zentrierung auf die Person Johannes' des Täufers in den Vordergrund. Aber mitten in zunehmenden Beunruhigung durch die Corona-Pandemie zur Umkehr rufen? Gar anpredigen gegen den letzte verbliebenen Rest Vorweihnachtsseligkeit mit Glühwein und Kerzenlicht? Das sei ferne!
Eher: Positiv in dem Bedürfnis nach Stimmung schon den ersten Schritt der Umkehr erkennen! Wer es sich gemütlich macht, kehrt sich für diesen Moment ab von Stress und innerem Zwang. Wird friedlich, sucht den Frieden in sich selbst und mit anderen. Wie schön, wenn Zeit dafür ist – wenigstens etwas!
An Weihnachten bauen wir ein Haus. Die Wände sind aus Tannenzweigen und die Decke aus süßem Duft. Die Zeiger der Uhr dürfen ruhen, ebenso wie die Lampen – Kerzenlicht reicht. Die Krippe unter dem Baum sagt uns, dass unser Haus eigentlich gar kein Haus mehr ist, sondern ein Stall – nur zum Glück mit festeren Wänden. Wenn der Friede nicht zu uns kommt, dann müssen wir uns zu ihm begeben – so direkt wie möglich nach Bethlehem. In diesem Weihnachtshaus möchten wir gerne ein paar Tage wohnen. Und einfach mal spüren, es wäre wie damals.
I.
An Weihnachten bauen wir ein Haus – aus Erinnerungen. Traditionen halten wir wach, die wir schon als Kinder kannten und fügen andere schöne hinzu. Die Erinnerung führt uns über sich hinaus in die große Erinnerung, die wir brauchen: An Heimat. An Friede. An etwas, das es gibt und das wir doch suchen. In unserer Kindheit vermuten wir Beides am ehesten, manchmal wider besseres Wissen. Aber wo sonst?
In unserem Weihnachtshaus wohnen andere Menschen als sonst. Menschen kommen zu Besuch so wie in den Stall die Hirten. Leider fehlen in diesem Jahr einige! Es sind Menschen, die zu uns gehören und mit denen wir dennoch nur auf Zeit zusammen wohnen und auch zusammen wohnen wollen. Aber sie sind uns vertraut, wir können sie einschätzen – da unterscheiden wir uns von Maria und Josef im Stall. Die mussten für Hirten und Könige ihr Herz weiter machen. Aber dafür hatten sie den Frieden ja auch direkt vor sich in der Krippe liegen und brauchten ihn nur anzuschauen, um an ihn zu glauben. Trotzdem – auch wir bilden mit unseren Weihnachtsgästen die Hoffnung ab, dass Menschen, ja alle Menschen, einander wieder zur Familie werden.
II.
Weihnachten – ein Haus aus Erinnerungen – in der Hoffnung, dass etwas gegenwärtig wird. Dass da ein Funke hinüber springt wie von Kerzenlicht. Dieser Funke springt wechselseitig, springt auch von der Gegenwart in die Vergangenheit. Wer in seinem Leben hier und jetzt keinen Grund mehr zum Feiern sieht, wird auch die Weihnachtstraditionen schneller aufgeben. Es lohnt sich doch nicht mehr, sagt die Seniorin, deren Wohnung an Weihnachten leer bleibt. Auch die Vergangenheit braucht das Feuer der Gegenwart, um ihre Leuchtkraft entfalten zu können.
Da geht es uns nicht anders als Zacharias, dem Vater Johannes des Täufers. Das Wort „Erinnerung“ steckt schon in seinem Namen – Zachar heißt erinnern. “Der, der sich Gottes erinnert”, bedeutet sein Name. Sich Gottes erinnern – das hatte Zacharias bisher auch durchaus getan. Als Diener am Heiligtum bestand seine Aufgabe genau darin – sich Gottes zu erinnern, die Erinnerung an ihn im Opferkult lebendig zu halten. Nur manchmal fragte er sich wohl, ob die Erinnerung wirklich mehr als bloße Erinnerung war. Ob der Leer-Raum des Allerheiligsten, diese Dunkelheit hinter dem Vorhang, tatsächlich mehr als nur leer war. Ob Gott noch jemals kommen würde … ! Dennoch, Zacharias versah seinen Dienst regelmäßig. Ganz die Hoffnung aufzugeben, wäre noch ernüchternder gewesen. Erinnerung, an die keine Hoffnung geknüpft ist, ist wirklich nur noch tot. Da erging es Zacharias nicht anders als uns.
Zum Glück gab Zacharias nicht auf – genauso wenig wie zuhause seine Frau Elisabeth, die auch die Hoffnung nicht aufgeben wollte, ein Kind zu bekommen, trotz ihres Alters. Vielleicht gab Zacharias ja auch um ihretwillen die Hoffnung nicht ganz auf und hielt die Traditionen wach – was nicht das Schlechteste wäre. Manche gibt es, die lernen wieder zu hoffen, weil sie für einen anderen hoffen – weil sie diesen anderen lieben.
Zum Glück war es bei Zacharias so – sonst hätte er vielleicht den Engel gar nicht gesehen. Anfangs glaubte er ihm nicht, dass seine Frau tatsächlich schwanger werden würde. Dass Hoffnung auch wahr werden könnte, machte ihm etwas Angst. Darum ließ ihm der Engel Zeit und verordnete ihm genügend Schweige-Zeit – eine Art Quarantäne sozusagen, einen ungewollten und doch wichtigen Rückzug.
Zacharias brauchte die Zeit, es war wie seine eigene Schwangerschaft. Und dann wird Johannes geboren, und sein Name sagt alles: Gott ist gnädig. Die Wahrheit dieses Namens hat Zacharias jetzt zu glauben gelernt. Die Geburt seines Sohnes hat ihm seine Erinnerung glaubhaft gemacht. Und Zachariaser fängt an, Gott zu loben. Zu loben dafür, dass die Erinnerung mehr als bloße Erinnerung ist. Dass die Erinnerung vielmehr schwanger mit Hoffnung geht und das Erinnerte irgendwann aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurück kehrt – und da zur neuen Zukunft wird.
Erinnerung und Zukunft verknüpft Zacharias in zwei wortreichen Sätzen – und beginnt mit der Gegenwart. Mit dem, was er als seine Gegenwart gerade erlebt hat. Ich lese den Lobgesang des Zacharias, das so genannte Benedictus.
(Lesung des Predigttextes)
III.
Zacharias erfährt: Wenn ein Kind geboren wird, dann ist Gott zu Besuch gekommen. Wenn ein Wunsch in Erfüllung geht, ist Erlösung geschehen. Auch bei uns. Darum schenken wir am heiligen Abend. Damit Wünsche erfüllt werden. Damit Hoffnung geboren wird. Die Freude, die wir schenken wollen und geschenkt bekommen: Sie erlöst. Sie ist ein Stück neue Geburt. Und Zacharias weiß: Gott hat sein Versprechen gehalten – “wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten”.
Da steht Gottes Barmherzigkeit in der Mitte. Gottes Verständnis und Mitleid. Hilfe sollen wir erfahren, woher sie auch kommt. Und diese Hilfe soll uns auf den richtigen Weg bringen, den Weg des Vertrauens, das alle Bedrohung überwindet. Zacharias sagt: Das gibt uns Gott, “dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen”.
Was Zacharias erfahren hat, das wird sein Sohn nun allen Menschen weitersagen: “Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden. Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens”. Das aufgehende Licht aus der Höhe! Die Friedens-gerichteten Füße. Da ist Bewegung drin. Bewegung in die richtige Richtung.