Die Weihnachtspredigt von Johannes, Jesu Lieblingsjünger
Das Zeugnis des Johannes
Predigttext: Johannes 21, 20-25 (Übersetzung nach Martin Luther)
20Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus lieb hatte, der auch beim Abendessen an seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist’s, der dich verrät? 21Als Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem? 22Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! 23Da kam unter den Brüdern die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? 24Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. 25Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.
Tag des Evangelisten Johannes - Zum Predigttext
Der dritte Weihnachtstag fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag. Dadurch bietet es sich an, das vierte Evangelium in seiner Bedeutung der Gemeinde vorzustellen – und das heißt, sie wenigstens in Umrissen mit der "Johanneischen Frage" vertraut zu machen, die von den Theologen schon lange kontrovers diskutiert wird. Ohnehin gehört zum Christfest nicht nur Luk.2,1-20, sondern ebenso Joh.1,1-16.
Für Martin Luther war das Johannesevangelium „das eine rechte Hauptevangelium“. Friedrich Schleiermacher hielt es für das ursprüngliche und älteste Evangelium. Für die moderne kritische Exegese ist es dagegen das späteste wegen seiner hohen dogmatischen (?) Christologie. Rudolf Bultmann sieht in ihm eine Antwort auf frühe gnostische und doketische Anschauungen.
Aber inzwischen hat sich die Johannes-Forschung um 180 Grad gedreht, die judenchristliche Prägung sowie genaue palästinensische Ortskenntnis führen zu einer ganz anderen Sicht, wie sie z.B. von dem kürzlich verstorbenen Neutestamentler Klaus Berger in seinem Buch „Im Anfang war Johannes“ entfaltet und mit differenzierten Argumenten begründet wird. Dazu gehört auch die Verfasserfrage: Hat der „Lieblingsjünger“ das vierte Evangelium geschrieben – oder ist er eine symbolische Idealgestalt, die zu allen Zeiten in der christlichen Kirche präsent sein wird?
Diese Frage steht im Zentrum des Abschnittes Joh. 21, 20-24. Der Text schließt an den dramatischen Dialog des Auferstandenen mit Petrus an, dem trotz der dreimaligen Verleugnung das Leitungsamt des Hirten in der Nachfolge des guten Hirten anvertraut wird, worauf die Ankündigung seines Martyriums erfolgt.
Wie aber geht es nach dem Tod des Petrus mit der Kirche und deren Leitung weiter? Der Lieblingsjünger wird Petrus überleben, er wird „bleiben“, er soll sehr alt geworden sein. In der Situation der urchristlichen Naherwartung heißt das: Er wird nicht vor der Parusie Christi sterben, er wird von ihr als irdischer Mensch angetroffen werden. So kommt es zu dem Wort, das in der Gemeinde umgeht: „Dieser Jünger stirbt nicht“. Er ist aber dann doch gestorben. Wie wird danach die eschatologische Erwartung durchgehalten bzw. umgeprägt? Der Verfasser von Joh 21 sagt es so: „Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an“.
Das ging in Erfüllung und betrifft auch uns bis heute. Jesus Christus ist noch nicht wiedergekommen, aber er kommt gewiss. Und der Jünger, der mit ihm in besonderer Liebe verbunden ist – der „Lieblingsjünger“ – er bleibt in der Kirche präsent, nicht nur als eine symbolische Idealgestalt, wie die Exegeten sagen, sondern es wird zu allen Zeiten Menschen geben, die zur Leitung fähig sind, weil sie in der Liebe des Auferstandenen brennen.
Dennoch verbindet unser Text die Gestalt des Lieblingsjüngers mit der Verfasserfrage. Die Aussage lautet: „Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“ Der Zeuge ist ein Augenzeuge, er steht mit Jesu Mutter unter dem Kreuz, während die anderen Jünger alle geflohen sind. Als mit dem Speer des Soldaten die Seite des Gekreuzigten geöffnet wurde und Blut und Wasser herausfloss, heißt es: „Und der das "gesehen" hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt“(Joh.19,35).
Die Person des Verfassers und die Schriftlichkeit ist um der Weitergabe willen wichtig, allein wegen der Wahrheit seines Zeugnisses. Petrus und der Lieblingsjünger stehen sich in unserem Text als Kontrastfiguren gegenüber – sollen wir also von zwei Kirchentypen sprechen, dem petrinischen, der im römischen Papstamt zum Ziel kam, und einem johanneischen, der in der Mystik der Ostkirche erschienen ist? Wohl lieber nicht, heute konvergieren die Konfessionen und erstreben mehr und mehr das gemeinsame Zeugnis. Wir kennen nur den einen Jesus Christus, den Gekreuzigten, der auferstanden ist und uns in seinem Licht verklärt.
Der leuchtende Johannesprolog gehört zu Weihnachten, die heilige Christnacht empfängt ihr Licht von der Osternacht des Auferstandenen. Es tut gut, den dritten Weihnachtstag zu feiern als den „Tag des Evangelisten Johannes“, dessen Zeugnis uns froh und stark macht – denn in Jesus, dem Fleisch gewordenen Wort, sahen wir seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. (Joh.1,14 und 16).
Dies ist der wunderbare Weihnachtsklang des vierten Evangeliums, und in den Chorälen und Hymnen der ganzen Christenheit klingt er weiter: „Das ewig Licht geht da herein…“
Auch im Ausklang des Nachtragskapitels Johannes 21 ist er zu hören. Sein Schlusswort wird darum hier zitiert, im vollen Wortlaut, einschließlich der rhetorischen Übertreibung, die in der Antike bei solchen Schlussworten zum Stil gehörte (Text nach der Lutherbibel 1984):
„Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus lieb hatte, der auch beim Abendessen an seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist`s, der dich verrät? Als Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber aus diesem? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! Da kam unter den Brüdern die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem anderen aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“
Nach den nur für Theologen geschriebenen Ausführungen stellt sich die Frage; Wie kann heute der „Tag des Evangelisten und Apostels Johannes“ angemessen begangen und gepredigt werden? Ich habe die Idee, im Schatten der Corona-Pandemie eine kursorische Lektüre des vierten Evangeliums vorzuschlagen – als Hilfe, getröstet durch diese Krise zu kommen. Dabei können nur einige Hauptlinien angedeutet und Wendepunkte markiert werden, mehr ist bei dem an sich unmöglichen Unterfangen nicht möglich.
In diesem besonderen Jahr 2020 fällt der 27. Dezember als dritter Weihnachtstag auf einen Sonntag, zugleich gilt er nach kirchlicher Tradition als der „Tag des Evangelisten und Apostels Johannes“. Der dafür vorgeschlagene Predigttext Joh. 21,20-25 nimmt im Rückblick das ganze vierte Evangelium in den Blick und fragt: Was ist sein besonderes Zeugnis und was ist es um diesen Zeugen „Johannes“, der hinter dem Ganzen steht?
(Lesung des Predigttextes)
In der Mitte dieser Worte erscheint die Gestalt des Jüngers, den Jesus lieb hatte und der am letzten Abend an seiner Brust lag und fragte: Wer ist es, der dich verrät? Ein wunderbar inniges Bild – man nennt und kennt es in christlicher Kunst als „die Johannes-Minne“. Das Bild dieser Nähe des Jüngers zum Meister bewegt uns im Herzen. Nach dieser Nähe sehnen wir uns. Was hat uns dieser Jünger zu sagen, der nach der Tradition der Autor des vierten Evangeliums ist?
Johannesevangelium
Ich empfehle Ihnen für das vor uns liegende ungewisse Jahr ein kühnes Projekt – einmal das ganze Johannes-Evangelium zu lesen – es wird sich lohnen, Martin Luther nannte es „das eine rechte Haupt-Evangelium“. Schön wäre es, diese Lesung als einen geistlichen Weg zu gehen, den Herzschlag dieses Evangeliums mystisch zu erspüren wie der Lieblingsjünger an der Brust Jesu.
Das vierte Evangelium ist ganz anders als die ersten drei; Matthäus, Markus und Lukas bringen viele kürzere Einzelworte, auch Gleichnisse sowie die gewaltige Bergpredigt. Stattdessen enthält das Johannes-Evangelium lange Reden, oft im Anschluss an Wundertaten Jesu oder an Streitgespräche mit feindseligen Gegnern. Man hat diese Reden Offenbarungsreden genannt, weil darin die Herrlichkeit Jesu strahlend zur Sprache kommt – schon im 1.Kapitel heißt es : „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des einzig geborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (1,15 f.).
Doch dieser Anspruch stößt auf Widerspruch, Pharisäer und Schriftgelehrte sehen darin Anmaßung, ja Gotteslästerung – und so erfahren die Leser schon im 2.Kapitel, wohin die Tempelreinigung vorverlegt wird : Der Weg des Gottessohnes führt an das Kreuz, seine Herrlichkeit ist es gerade, am Kreuz „erhöht“ zu werden, das Leiden ist bereits österlich durchleuchtet. „Es ist vollbracht,“ lautet das letzte Kreuzeswort.
Kreuz und Krippe
Der Evangelist nennt die sieghafte Kreuzesstunde „seine Stunde“, auf sie hin zieht sich wie ein roter Faden ihre mehrfache Erwähnung; so im Kapitel 2 an der Hochzeit von Kana das Wort an Maria: “Meine Stunde ist noch nicht gekommen”, und dann wieder Kapitel 13 kurz vor der Fußwaschung heißt es „Vor dem Passafest aber “erkannte” Jesus, “dass seine Stunde gekommen sei”, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater… Und dann wieder 17,1: „Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche…“
Dieses Ineinander von Leiden und Herrlichkeit prägt seinen ganzen Weg von Anfang bis zum Ende. Eine unerhörte Spannung. Sie kommt bereits im ersten Kapitel in dem berühmten Wort zur Sprache : “und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns – und wir sahen seine Herrlichkeit“ (1,14). „Fleisch“ meint die ganze menschliche Bedürftigkeit und Leidensfähigkeit und lässt Krippe und Kreuz als Einheit erscheinen.
Es ist darum nicht richtig zu behaupten, das vierte Evangelium zeichne den Erlöser als eine nicht mehr menschliche Himmelsgestalt, die auf ihrem Weg über die Erde kaum den Boden berühre. Sondern er ist wirklich ein Mensch geworden wie wir alle, war angefochten und angefeindet, hat gehungert und gedürstet, aber er hat auch gesagt: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen meines Vaters und vollende sein Werk“ (4,14).
Das Geheimnis Jesu nach dem Johannesevangelium ist unermesslich tief und umfassend – es offenbart die Liebe Gottes, an die wir glauben und auf die wir im Leben und Sterben hoffen: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh.3,16).
Heinrich Schütz hat diese Worte in seiner Motette strahlend schön vertont – hören Sie es wieder und gehen Sie in das kommende Jahr gestärkt mit der Gewissheit: Was auch immer geschehen wird, Gott hält uns in seinen barmherzigen Händen.