Altjahresabend 2020 – GOTT war immer bei seinem Volk

Wanderung, Begleitung, Führung

Predigttext: 2. Mose / Exodus 13,20-22
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 31.12.2020
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: 2. Mose / Exodus 13,20-22 (Übersetzung nach Martin Luther)

20So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
21Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
22Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Erste Gedanken beim Lesen

Das ist die Wüstenwanderung des Volkes Israel - ein Vorgeschmack auf die Heimatlosigkeit, die die Juden später mit der Babylonischen Gefangenschaft erleiden werden. Und doch ist Gott bei ihnen in Gestalt einer Wolkensäule tagsüber und einer Feuersäule nachts, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Und wann haben die Menschen geschlafen? Wann gab es Zeiten der Ruhe? Immerhin heisst es zu Anfang, dass die Israeliten am Rande der Wüsteein Lager gefunden hätten. Mich beeindruckt, dass Gott immer bei seinem Volk war - sichtbar, lebendig, fast spürbar. Ich blättere in der Bibel: Zurück liegt die Knechtschaft in Ägypten. Zurück liegen die 10 Plagen. Vor den Flüchtenden liegt der Durchzug durchs Schilfmeer und die Verfolgung durch die Ägypter mit Rossen, Wagen und ihren Männern und mit dem ganzen Heer des Pharao(Ex 14,9). Die Perikope beschreibt die Wanderung des Volkes Gottes und Seine Begleitung und Führung.

(Eigene Übersetzung, Christoph Kühne)

20 (Nach einem eiligen Aufbruch am Tage aus der Knechtschaft in Ägypten:) Und sie brachen auf aus Sukkot (Hütten) / und lagerten bei Etham / am äussersten Rande der Wüste
21 Und IHVH geht vor ihnen tagsüber in einer Wolkensäule, sie zu führen auf dem Weg / und nachts in einer Feuersäule, ihnen zu leuchten / gehen zu können tags und nachts
22 Nicht weicht die Wolkensäule tagsüber / und die Feuersäule nachts / vor dem Volk.

Anmerkungen zum Text

Nach Ex 12,37 sind 600.000 Israeliten (ohne Frauen und Kinder) aus Ägypten ausgezogen. Und es zog auch mit ihnen viel fremdes Volk, dazu Schafe und Rinder, sehr viel Vieh. Und sie backten aus dem rohen Teig, den sie aus Ägypten mitbrachten, ungesäuerte Brote; denn er war nicht gesäuert, weil sie aus Ägypten weggetrieben wurden und sich nicht länger aufhalten konnten und keine Wegzehrung zubereitet hatten(Ex 12, 38f). Nach dieser Rechnung wären wohl 1,5Mill Menschen aus Ägypten weggezogen

Der Ort des Auszugs ist Sukkot / Ramses - wohl die von Ramses II im östlichen Nildelta erbaute Residenz(Gradwohl 1,1 53). Ist Sukkot ein Hinweis auf die letzte Situation, wo die Israeliten in Hüttengelebt haben? Etham ist nicht (mehr) lokalisierbar, liegt  womöglich an der Wüste Schur und ist offenbar die letzte Station im bewohnten Land, nahe bei der Wüste(aaO 53).

Interessant ist im Folgenden das Präsenz: Der Herr geht vor den Israeliten her - tags wie nachts. Sie (die beiden Säulen) waren Merkmal und Zeichen, dass Gott Tag und Nacht mit ihnen war, um ihnen den Weg zu zeigen und sie vor der Bedrängnis zu schützen und (aus der Not) zu erretten(R. Bachja ben Ascher aus Gradwohl 55). Diese Erscheinung wird nicht rational begründet, sie bleibt ein Wunder. Die beiden Säulen haben sowohl eine führende wie auch eine absichernde Aufgabe für die Israeliten (firewall). Ihre Anwesenheit ist nicht von Verhalten oder auch Glauben der Menschen abhängig.

Ziel der Perikope: Gott begleitet sein Volk. Dabei ist Er unsichtbar, aber Seine Zeichen sind sichtbar. Gilt diese unbedingte Gegenwart auch heute? Wenn ja, wie sehen die Zeichen von Führung und Schutz heute aus?

Die Situation der Predigt

Die Perikope steht über Silvester 2020. Das vergangene Jahr ist geprägt von Corona. Die Pandemie hat die ganze Welt erfasst. Sie hat alle wirtschaftlichen, privaten und kulturellen Bereiche in der Tiefe gestört und verändert. Den guten Zeichendieses Jahres stehen katastrophale gegenüber: auf der einen Seite blühen Kreativität, aber auch Anpassung der Menschen an die Regeln; auf der anderen Seite brechen (kleine) Betriebe zusammen, ist die Angst vor sozialen Kontakten groß und gibt es keinerlei Planungssicherheit. Das Kontaktverbot greift in das menschliche Verhalten ein. Niemand weiss, was nach Coronakommt. Eine Bewertung dieser Pandemie wird wohl noch Jahre dauern.

 

 

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An diesem Silvestertag schauen wir zurück auf das vergangene Jahr. Es ist üblich, die vergangenen Ereignisse so zu bewerten, dass störendeszurückgelassen wird und uns das gelungene Schwung gibt, mit Hoffnung, Zuversicht und Freude ins neue Jahr zu rutschen. 2020 ist geprägt von vielen wirtschaftlichen, kulturellen, menschliche und sozialen Katastrophen. Und es werden sichtbar viele kreative Versuche in der Kultur, aber auch im Arbeitsleben und im Miteinander.

I.

Unter der Überschrift Nähe durch Abstandschreibt Ludwig Greven im Deutschen Kulturrat: Die Corona-Krise schärft den Blick dafür, was wichtig ist. Die Mehrzahl in unserem Land beugt sich den verordneten Regeln, eine Maske zu tragen und Abstand zu halten. Aber es gibt auch Unmut unter den Menschen, die eine Verbesserung des Lebens anzweifeln, obwohl sie die Regeln einhalten. Es ist erstaunlich, dass wir alle immer noch so friedlich leben und es kaum nennenswerte Aufstände gegen das offizielle Reglement gibt.

Für mich befinden wir uns nach diesem Jahr 2020 unterwegs. Wir haben viele Gewohnheiten hinter uns gelassen. Vertrautes haben wir regelgerecht aufgegeben. Aber wohin gehen wir mit diesem neuen Jahr 2021? So bin ich dankbar für unseren Predigttext aus dem 2 Mose. Finden wir uns in diesen 3 Versen wieder? Kann uns dieses Bild weiterhelfen? Ich lese 2. Mose 13,20-22.

(Lesung des Predigttextes)

Was für ein großartiges Bild! Und wem stehen diese beiden Säulen nicht sofort vor Augen? Wie gut hatten es die Israeliten damals! Dieses Phänomen ist wissenschaftlich immer noch nicht zu ergründen. Es ist und bleibt ein echtes Wunder. Und wunderbar ist auch das Präsens: Gott geht vor ihnen her – als ob es keine zeitliche Beschränkung gäbe – auch bis heute? Und noch etwas ist wundervoll: Die Anwesenheit Gottes ist unabhängig vom Verhalten der Menschen.

Wie oft wird in der Bibel davon erzählt, dass Gott sich wegen der Sündender Menschen von ihnen abwendet. Oder auch, dass er sich zuwendet, weil ihm ein Opfergeruch besonders gut in die Nase gezogen sei. In unserem Text ist Gott gegenwärtig in jeder Situation. Keine Nacht kann so dunkel und angsterregend sein, als dass Gott sie nicht in Licht verwandeln könnte. Und kein Tag mit seinen Konflikten, Sorgen und Nöten kann so verzweifelt machen, als dass Gott nicht in seinen Zeichen und Merkmalen bemerkbar wäre.

II.

Können wir uns in diese Situation der Israeliten versetzen? Sind wir aus einem „Ägyptenausgezogen, in dem wir zwar abhängig waren aber dennoch unser Auskommen hatten? Ausgezogen sind wir aus dem Bewusstsein, immun zu sein gegen Krankheiten. Ausgezogen sind wir aus dem Wissen, dass unsere Arbeitsplätze gesichert seien. Ausgezogen sind wir aus dem sozialen Kuschelraum der Liebe, in dem Umarmungen oder zumindest Händeschütteln normal waren. Jetzt gilt es, Liebe mit Abstand zu üben und Zeichen der Nähe zu geben und zu nehmen!? Dieses „Ägyptenliegt hinter uns. Und manche sehnen sich danach zurück – oder auch danach, dass alles wieder gut wird. So schlecht war die vergangene Zeit doch gar nicht.

Vielleicht ist unser Gottesdienst ein Innehalten in Sukkot, auf dt. Hütten. Noch haben viele ein Dach über dem Kopf, haben etliche ihr Aus- und Einkommen; noch lachen wir / noch machen wir nur Witzesingt Wolf Biermann. Und einige von uns haben den Eindruck, dass wir wie die Israeliten damals am äußersten Rande der Wüsteleben. Die Pandemie hat die Seele von vielen Menschen erreicht. Corona macht sich breit mit Angst, Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit. Was wird morgen sein? Wie wird 2021 verlaufen? Ich bin sicher, dass die Israeliten damals ähnliche Gedanken hatten. Und Wüste ist ein Ort des Todes, menschenfeindlich, freudlos, planlos.

Ein einfaches undverbindet die Situation der Menschen mit der Gegenwart Gottes: Und Gott geht vor ihnen her – tagsüber in einer Wolkensäule, um sie auf dem Weg zu führen und nachts in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie tags und nachts laufen können. Nicht weicht tagsüber die Wolkensäule noch die Feuersäule nachts vor dem Volk.Wo haben wir heute solche Zeichen Gottes bei uns? Zeichen, die nicht von unserer Haltung oder auch Zustimmung abhängen. Zeichen, die alle, die unterwegs sind, wahrnehmen und sehen können.

III.

An dieser Stelle hat mich der Gedanke eines Freundes tief bewegt. Er sagte, dass er nur noch solche Menschen besucht, bei denen sich eine Infizierung lohne. Und es ist unschwer zu erkennen, dass damit das alte Konzept von Nähe, also: Kontakt mit allen Menschen um jeden Preis zerbricht. Ein anderer Gedanke stammt von Martin Luther, der 1527, als die Pest in Wittenberg ausbricht, sagte:

Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der  Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.

Sind nicht diese beiden Äußerungen Zeichen, die uns durch die Zeit der sog. Pandemie geleiten können? Vielleicht lernen wir ein neues Hinsehen auf das, was oder wer jetzt wichtig für uns ist. Auch das Volk in der Wüste musste die Gegenwart Gottes wahrnehmen und darauf vertrauen, dass ER mitgeht und den Weg weiss. Aber dieses Vertrauen war keine Bedingung dafür, dass Gott mit den Menschen durch die Wüste geht. Gott ist bei uns am Abend und Morgen / und ganz gewiss an jedem neuen Tagschreibt Dietrich Bonhoeffer in dunkelster Zeit des III. Reiches aus dem Gefängnis.

Können wir mit diesen Gedanken vom Gott, der mit uns geht, einen guten Rutsch ins neue Jahrwagen? Vielleicht können wir unsere Wüsten-Situation besser ertragen, wenn wir das Bild von der Wolken- und der Feuersäule vor unsere Seele stellen. Dann können wir vielleicht besser hinter uns lassen, was uns im vergangenen Jahr belastet, verzweifelt und krank gemacht hat. Und in manchen Familien hat sich viel Wüsteausgebreitet!

Und vielleicht ist hier Luthers Bemerkung zu einem gottesfürchtigen Glauben hilfreich und weiterführend: Wenn mein Nächster mich aber braucht, weil ihn die Wüste der Angst und Verzweiflung zu ersticken droht, dann will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfenSo geht Gott mit uns auch in dieses neue Jahr 2021.

Literatur

Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen Bd 1, Teil 2, Ss. 51ff, 1987; M. Luthers Werke, Bd. 5, Seite 334f

Lieder

„Gott ist gegenwärtig“ (EG 165)
„Befiehl du deine Wege“ (361)
„Von guten Mächten“ (65)
„Gott liebt diese Welt“ (409, V. 3!)

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Ein Kommentar zu “Altjahresabend 2020 – GOTT war immer bei seinem Volk

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Kurz erinnert Pastor Kühne an das schreckliche Korona-Jahr 2020, an unser schreckliches Dauerthema. Dann wendet der Pastor schnell den Blick auf die erfreuliche und solidarische Disziplin bei uns, um die Seuche zu vermeiden. Ganz vorbildlich und ergreifend parallelisiert der Prediger dann die Wüstenwanderung der Israeliten auf der Flucht aus Ägypten mit unserer Situation. Dann parallelisuet er unsere Hoffnung mit der Hoffnung der Israeliten. Das göttliche Hoffnungszeichen der Feuer-Säule in der Wüste ist bis heute nicht erklärt, aber es ist ein hilfreiches göttliches Wunder für uns. Martin Luther hat schon sehr ergreifend formuliert, was wir bei der Seuche tun sollten: zu Hilfsbedürftigen mutig gehen und ihnen helfen. Die großen Christen Luther und Bonhoeffer werden zum Schluss der Predigt zitiert: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.Mein großartiger Vikarsleiter Pastor Dr von Schlippe hat gesagt: Entscheidend ist, mit welchem positiven Gefühl man aus der Kirche geht. Dank für diese Trostpredigt in dunkler Zeit.

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