Überraschende Töne
Contra Unrecht und Ungerechtigkeit
Predigttext: Jesaja 5,1-7 (Übersetzung nach Martin Luther)
1 Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.
2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!
4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.
6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.
Lieder
„Sonne der Gerechtigkeit“ (EG 262,1-4)
„Du schöner Lebensbaum“ (96,1-3+6, Wochenlied, nach der Predigt)
„Bewahre uns, Gott“ (171)
Psalm: 25
Schriftlesung: Markus 12,1-12
Trinken Sie gern Wein? Vielleicht auch Pfälzer Wein? Der vermutlich älteste Wingert der Pfalz ist in Rhodt unter Rietburg. Seit Jahrhunderten hängen Gewürztraminer-Stöcke des „Rhodter Rosengartens“ Jahr für Jahr voller Trauben. Und bei der Lese von Hand hilft die ganze Winzerfamilie mit, hegt und pflegt diesen uralten Weinberg. Eine 2-Liter-Bodenprobe von diesem Wingert wurde 1998 sogar auf der Expo-Weltausstellung zusammen mit 7000 weiteren Proben aus aller Welt Teil des sogenannten „Eine-Erde-Altars“ in einer neuerbauten Holzkirche in Schneverdingen bei Hannover. Dieser Altar diente als Symbol für die Einheit und die Verbundenheit aller Menschen in dieser Welt, die sich die eine Erde miteinander teilen.
I.
Weinberge sind ein wichtiger Teil der Landschaft, der Natur und der Kultur nicht nur in der Pfalz, sondern auch z.B. in Baden und Württemberg, in Franken, in Rheinhessen, an Saale und Unstrut. Klangvolle Namen tragen die Pfälzer Weinberge: so gibt es bei Neustadt an der Weinstraße die Lage „Hambacher Feuer“ oder den „Diedesfelder Paradiesgarten.“ Auch entlang der Saar, der Mosel und des Rheins bedecken Weinberge die Hänge. Die Dichter der Romantik, Clemens Brentano oder Achim von Arnim etwa, haben im Weinland ihre Lieblingslandschaft gefunden.
Doch bei aller Naturromantik – Weinberge machen auch viel Arbeit und Mühe, selbst in einem mit modernster Weinbautechnik gut ausgestatteten Weinbaubetrieb. Sie fordern fast das ganze Jahr hindurch Zuwendung – denn Wein ist eine Kulturpflanze, die nicht von allein wächst. Weinreben müssen als Kultur erst angelegt und dann gepflegt werden, damit sie wachsen und blühen. Dann bringen sie im Herbst mit den Trauben süße Frucht und leuchten in ihrem bunten Blattwerk in den herrlichsten Farben.
Um einen Weinberg geht es auch in unserem heutigen Predigttext. Bilder vom Weinbau begegnen uns, wie sie auch heutigen Winzern noch immer sehr vertraut sind. Aber dieser Weinberg aus Jesaja 5 macht seinem Besitzer wenig Freude. Er macht ihn nicht stolz – im Gegenteil! Der Weinbauer in Jesaja 5 hat sich viel Mühe mit seinem Weinberg gemacht, den er auf einer „fetten Höhe“, also in bester Lage angelegt hat. Er pflegt ihn und hegt ihn; gräbt ihn um und entsteint ihn; er beschneidet ihn und hackt ihn. Er baut darin einen Wachturm und schlägt eine Kelter in den Boden, da damals die Trauben noch mit den Füßen gekeltert wurden. Kurzum – der Weinbauer scheut keine Kosten und Mühen, keine Arbeit und keine Investition für seinen Weinberg. Nun kann er hoffen, auf reiche Ernte, denkt er.
„Hoffen“, dieses Wort kommt im sog. Weinberglied in Jesaja 5 immer wieder vor, wie ein roter Faden. Der Winzer ist also voller hoffnungsvoller Erwartung, aber er wird immer wieder bitter enttäuscht. Ein kurzer Satz zeigt den Grund seiner Enttäuschung über den Weinberg an, wenn es im Bibeltext heißt: er „… wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.“
Trotz dieser intensiven Pflege und Hege bringt der Weinberg nur mickrige, saftarme, saure Beeren hervor. Das gibt keinen rechten Wein, schon gar keinen guten! Alle Mühe war also letztlich vergebliche Liebesmühe. Wer wäre da nicht bitter enttäuscht?! Und so verwundert es nicht, dass der Winzer zornig wird. Hat er etwa nicht genug getan? Was soll er denn noch tun? Resigniert überlässt er den Weinberg sich selbst: er beschneidet ihn nicht mehr und hackt ihn nicht mehr. Er lässt ihn links liegen. – Eine menschlich sehr verständliche Reaktion!
II.
Da macht sich jemand Mühe und Arbeit und erntet am Ende doch nichts. So eine Enttäuschung kann bitter wehtun. Würde es uns nicht genauso gehen? Wenn man z.B. viel Kraft und Zeit in etwas gesteckt, sich mit ganzer Kraft für eine Sache eingesetzt hat, aber dieser Einsatz war vergeblich und es kommt am Ende nichts dabei heraus, kein Erfolg, kein Dank, kein Lohn – wären wir da nicht auch bitter enttäuscht? Oder man hat sich um einen Menschen besonders bemüht, sich für ihn eingesetzt, ihm geholfen, ihn unterstützt und unter die Arme gegriffen und muss auf einmal feststellen: Es kommt absolut nichts zurück, kein Dank, keine Reaktion, keine Erwiderung, stattdessen Undank, Ignoranz, und die kalte Schulter – tut das nicht verdammt weh? Vergebliche Liebesmühe ist menschlich sehr enttäuschend. Angesichts solcher frustrierenden Vergeblichkeitserfahrungen kann man schon mal zornig werden und sich fragen: Was soll ich noch tun? Ich habe doch schon alles versucht!
Jesaja hat sein Lied von Weinberg einst bei einem fröhlichen Weinfest gesungen. Man kann sich leicht vorstellen, wie irritiert die Feierwütigen wohl waren, als sie merken, dass es darin um mehr als um die vordergründige, landwirtschaftliche Seite geht. Sie selbst waren gemeint! Ihr moralisches und ethisches Fehlverhalten gegenüber anderen Menschen und auch gegenüber Gott. Der Weinberg und sein Besitzer, das ist ein Gleichnis für die Beziehung Gottes zu seinem Volk, seinem geliebten Eigentum, das er hegt und pflegt, dem er es an nichts fehlen lässt, das er liebt und begleitet und das ihn trotzdem so oft enttäuscht. Um die enttäuschte, vergebliche Liebe Gottes und seinen Zorn über sein undankbares, widerspenstiges Volk, seine Menschenkinder, die ihn so oft enttäuschen in ihrem Umgang miteinander – darum geht es auch im Lied vom unfruchtbaren Weinberg.
III.
Um zu verstehen, vor welchem geschichtlichen Hintergrund dieses Lied ursprünglich entstanden ist, müssen wir mehr als 2800 Jahre zurückgehen. Nach allem was wir wissen, hat der Prophet Jesaja im 8. Jhdt. vor unserer Zeitrechnung in Jerusalem gelebt. Seine Wirksamkeit begann in einer Zeit relativer politischer Ruhe und wirtschaftlicher Stabilität, aber diese Phase brachte nicht für alle Menschen in Juda Wohlstand und ein gutes Auskommen. Während die politische Oberschicht und die wirtschaftliche Führungselite des Volkes sich bereicherte und die Taschen vollstopfte, verarmte ein Großteil der Landbevölkerung.
Die Großgrundbesitzer reihten Haus an Haus und rissen sich Acker an Acker unter den Nagel, während die schwächsten Glieder der Gesellschaft, das Landvolk, die Kleinbauern, Landlosen und Tagelöhner, die Armen, die Witwen und Waisen ihre materielle Existenzgrundlage verloren und vielerorts in Schuldknechtschaft gerieten. Und nicht gut war es auch um die öffentliche Moral bestellt: Bestechung, Korruption und Übervorteilung waren an der Tagesordnung; Recht und Gesetz wurden mit Füßen getreten; Habgier, Raffgier und Trunksucht grassierten in der Führungsschicht. Auf diese bedenkliche Entwicklung reagierte Jesaja mit seiner eindringlichen Sozialkritik, die er übt an der skrupellosen Elite der damaligen Gesellschaft und der politischen Führungsclique. Ausgerechnet auf einem weinseligen Weinfest reibt er ihnen den Kümmel, als er ihnen auf den Kopf zusagt: „Er [Gott] wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.“
Jesaja hält den Großgrundbesitzern, die die arme Landbevölkerung ausbeutete, gehörig den Spiegel vor. Da hat sich wohl mancher an seinem Wein kräftig verschluckt, haben sich doch viele ertappt gefühlt. Was für ein gelungener Kunstgriff von Jesaja, seine Gesellschaftskritik in die Form eines leichten Liedchens zu kleiden, das sich schnell als Spottlied entpuppte – rhetorisch überaus geschickt!
IV.
Langsam merken wir, wie das Weinberglied plötzlich anfängt, auch in unsere Zeit hineinzusprechen. Auch da gibt es viele ungute Entwicklungen, wenn sich manche Großinvestoren und Eigner von Investmentgesellschaften auf Kosten anderer bereichern; wo Tricks und Betrug auch immer wieder vorkommen im Wirtschaftsleben und im Handel. Denken Sie an die vielen Finanzskandale der letzten Jahre, zuletzt Wirecard. Oder die Agrarkonzerne, die insbesondere im Osten Deutschlands ganze Landstriche aufkaufen, so dass die örtlichen Landwirte keine Chance mehr haben, bei den Preisen für Ackerland und Nahrungsmittelproduktion mitzuhalten. – Der unfruchtbare Weinberg – eine Warnung für jede Gesellschaft, die statt guter Trauben viele faule Früchte hervorbringt….
Wie gut, dass die Bibel sagt: Jeder Mensch ist Gott Rechenschaft schuldig für sein Tun und Lassen. Gott sieht, ob es recht oder unrecht ist, was jemand tut. Er ist der absolute Garant der Gerechtigkeit, durch nichts zu täuschen und zu korrumpieren. Und er sieht vor allem auf die, denen Unrecht getan wird und steht auf ihrer Seite. Darum kann Gott regelrecht zornig werden, wo und wann immer Unrecht geschieht und Menschen ausgebeutet werden. Bei den Schwächeren, Übervorteilten, den Ausgebeuteten und Wehrlosen ist seine Gnade und Barmherzigkeit; für sie schlägt sein Herz. Gott ist auf der Seite aller Menschen, denen Unrecht getan wird in dieser Welt, die Opfer ungerechter Verhältnisse werden.
Das ist auch die Botschaft der Passionszeit, in die wir am Aschermittwoch hineingegangen sind. Denn das größte Zeichen für Gottes Nähe und Solidarität mit allen wehrlos Leidenden in dieser Welt ist sein Sohn Jesus Christus, der Mann am Kreuz. Im Glauben wird uns sein Kreuz zum Lebensbaum, d.h. zum Zeichen der Hoffnung und des neuen Lebens – wider Tod, Not und Ungerechtigkeit in dieser Welt. Jesus verkörpert Gottes Liebe in Fülle, seine Gerechtigkeit. Bei ihm ist Hingabe, aber auch die Kraft der Auferstehung in ein neues, befreites Leben bei Gott. So ist Gott auf der Seite der Schwachen und in ihnen doch mächtig. Unser großes christliches Gegenbild gegen alle Ungerechtigkeit und Ausbeutung in dieser Welt.