Ostern – Raus aus der Höhle, sich umwenden dem Leben zu
Ostern - Liebe ist stärker als der Tod
Predigttext: Johannes 20,11-18 (Alternative Perikope), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.
Vorbemerkungen
Der eigentlich für dieses Osterfest vorgeschlagene Predigttext 2. Mose 14,8-14.19-23.28-30a; 15,20-21 war mir nicht zugänglich. Ich wollte mich daran nicht auftreiben und habe den Text der Perikopenreihe I gewählt. Als Textgrundlage habe ich die BasisBibel gewählt.
Johannes 20,11-18 ist ein emotionaler Text. Schwer zu sagen, ob ich diesem gerecht werden kann. Da wir eine emotionale Zeit haben, halte ich es für angemessen, ihn zu predigen.
Dieser Predigttext ist reich an Symbolik: Die Johanneische Kategorie des Missverständnisses. Das dunkle Grab und weißgekleidete Engel. Das Umdrehen Marias, das zum Umgedrehtsein führt. Das Zurückholen wollen im doppelten Sinne. Die Anrede, die Beziehung lebendig werden lässt. Das nicht Festhalten an alten Vorstellungen. Die prozessuale Entmaterialisierung Jesu. Die Zuwendung zum Leben und Beauftragung Marias. Jünger, die jetzt Brüder und Schwestern sind.
Eine Predigt kann all dies nicht ausschöpfen. Das würde die Hörer/innen überfordern. Die Akzente können ganz unterschiedlich gesetzt werden. Nur Mut …
Zum Weinen zumute
Maria steht vor Jesu Grab und weint.
Es ist zum Weinen, dass eine Pandemie die Welt überzogen hat mit Krankheit, Leid und Tod. Über ein Jahr nun sind wir gefangen in den Beschränkungen, die uns zur Eindämmung auferlegt sind. Sind eingeschlossen in der Angst, selbst an Covid-19 zu erkranken. Zeigen unserschüttert von den Bildern auf Intensivstationen und von den Zahlen derer, die an oder mit Covid-19 verstorben sind.
Es ist zum Weinen, dass Menschen in ihrer materiellen Existenz bedroht sind, weil die Wirtschaft nicht so funktionieren kann, wie es nötig wäre. Dass Lebensplanungen von heute auf morgen umgeworfen werden und mancher nicht weiß, wie es weitergehen kann. Dass unsere Kinder und Jugendliche weder bildungsmäßig noch sozial das bekommen, was sie so dringend brauchen. Dass Menschen in die Einsamkeit getrieben sind und seelisch leiden.
Es ist zum Weinen, dass wir von Lockdown zu Lockdown wandern und nicht sehen, wie wir aus dieser Schleife entkommen sollen. Dass die Politik sich schwertut mit befreienden Lösungen. Dass Querdenker Covid-19 leugnen und sich nicht an die Hygieneregeln halten wollen. Ja, dass wir verschiedene Impfstoffe haben und zum einen die Impfung keine Fahrt aufnimmt und zum anderen Impfgegner den Kampf gegen Covid-19 boykottieren.
Maria steht vor Jesu Grab und weint.
Es ist so vieles zum Weinen. Was uns abverlangt wird – und wir nicht zu leisten vermögen. Was uns zugemutet wird – und wir nicht zu schultern in der Lage sind. Was uns genommen wird – und wir nicht einfach hinter uns lassen können. Was wir für unser seelisches Gleichgewicht brauchen – und uns nicht einfach gegeben wird. Was anders daherkommt, als wir es uns gewünscht oder ausgerechnet haben.
Nicht selten stehen wir vor einer dunklen Höhle. Wir sehen Dunkelheit und schwarz. Das Grab ist leer. Was ist, was bleibt, was kommt? Wo läuft der Weg des Lebens weiter? Was gibt mir Kraft? Wo finde ich Halt? Wie setze ich meine Schritte, die aus meiner Lähmung oder gar Erstarrung herausführen. Es ist nichts zu sehen und wir können uns nicht ausmalen, was uns wieder auf positive Gedanken und einen guten Weg bringen kann.
Durch alle Gesellschaftsschichten hindurch hat diese Pandemie Lebensfreude vernichtet und unzählige Menschen in Trauer und Wut hineingetrieben. Ich habe Verständnis für alle Ungeduld, die zutage tritt. Ich leide mit denen, die um ihre Existenz fürchten und ihren Lebenstraum vernichtet sehen. Der Schatten, den die Pandemie über unser seelisches Wohlbefinden wirft, wird uns noch lange begleiten. Die Verwerfungen, die Covid-19hervorgerufen hat, werden sich nach Aufmerksamkeit sehnen und nach Heilung schreien.
Maria steht vor Jesu Grab und weint. Die Tränen sind Ausdruck ihres Schmerzes.
Wie umgedreht
In ihrer Untröstlichkeit wagt Maria einen Blick ins Grab. Anstelle des Leichnams Jesu sieht sie zwei himmlische Gestalten sitzen, die sie nach ihrer Untröstlichkeit fragen: „Frau, was weinst du?“ So fragt das Dunkle (leere Grab) und Undurchschaubare uns nach dem Grund unserer Tränen. Aber anders als wir erwarten würden, antwortet Maria, sie weine, weil sie den toten Herrn weggenommen haben und sie nun nicht weiß, wohin er ist.
Wenn ein geliebter Mensch schon nicht mehr unter uns ist, so soll es wenigstens eine Stättegeben, an der die Trauer ihren Ort haben darf. Weil Maria in diesem Augenblick etwas hinter ihr hört, dreht sie sich um. Der hinter ihr stand, fragt einfühlsam nach ihren Tränen und nach dem, den sie sucht. Maria vermutet in ihm den Gärtner, der ihren Geliebten weggetragen hat. „Sage mir, wo du ihn hingelegt hast, ich will ihn zurückholen.“
Bei aller Trauer mag uns diese Selbstüberschätzung ein wenig schmunzeln lassen. Wo soll sie die Kraft hernehmen, den Leichnam Jesu holen zu können. Und dann aber sagt dies auch auf eine unmissverständliche Weise, dass Maria Jesus gerne wieder ins Leben zurückholen würde. Maria kann nicht loslassen. Es ist Ausdruck ihrer ungebrochenen Liebe. Die Sehnsucht nach Nähe ignoriert den Tod und verneint das Wirkliche.
Jesus kommt dieser Sehnsucht entgegen mit der Anrede „Maria“. Sie hört ihren Namen von dem Geliebten zärtlich gesprochen. Gesprochen von der Stimme, die sie doch kennt. Von dem ihr zugerufen, den sie so gerne zurückholen möchte. Da gehen Maria die Augen auf und sie erkennt Jesus an dem Zuruf ihres Namens. Maria reagiert, wie auch wir reagieren würden, und antwortet aus der Tiefe ihres Herzens „Rabbuni, mein Herr!“
Wir spüren, wie sehr Maria an dem hängt, was hinter ihr liegt, was sie erlebt und erfahren hat. Bis eben war sie so sehr in ihren Gedanken an den Tod gefangen, dass sie Jesus nicht erkennen konnte. Bis eben war sie so sehr in ihrer Trauer eingeschlossen, dass sie nur sich selbst gesehen hat. In der Tat fällt es schwer zu sehen, wenn man eine dunkle Höhle vor sich hat. Mit einem Male aber ist Maria wie umgedreht. Umgedreht schaut sie dem Leben entgegen.
Loslassen und neu gewinnen
„Halte mich nicht fest“, sagt Jesus zu Maria.
Wen will Maria festhalten? Den Jesus, den sie gekannt hat. Den Jesus, der ihr in Galiläa in Fleisch und Blut begegnet ist. Der sie beeindruckt hat mit seiner Art und seinem Auftreten. Mit seiner Sprache, in der er von der Liebe gesprochen hat. Mit seinem Einfühlungsvermögen, wie er Menschen ernstgenommen und in Gottes Nähe gebracht hat. Der sie einst zärtlich in die Nachfolge gerufen hat – bei ihrem Namen: „Maria“!
„Halte mich nicht fest“, sagt Jesus. Schwer zu begreifen für jemanden, der liebt.
„Ich hätte so gerne noch festgehalten.“ Das sagen wir, wenn unser Leben schlagartig eine andere Richtung einschlägt. Wenn eine Pandemie unsere eingefleischten Lebensmuster zerreißt. Wenn Unabänderliches all das bisher Gewohnte unmöglich macht. Wenn wir nicht zurückholen können, was gestern war und heute nicht mehr sein kann. Dann ist das Ausdruck unserer Trauer und unseres Schmerzes.
„Ich hätte so gerne noch festgehalten.“ Hören wir das nicht aus dem Mund derer, die einen Menschen, gleich welchen Alters, durch Covid-19 verloren haben. Die gehofft und gebangt haben und nicht verstehen, warum gerade sie dieses Schicksal getroffen hat.
„Ich hätte so gerne noch festgehalten.“ Das sagen all die, die ihr Lokal oder ihren Laden schließen mussten. Die sich eine Existenz als Solokünstler aufgebaut hatten und nicht auftreten können. Die gut in der Spur waren und jetzt unsanft ausgebremst wurden.
„Ich hätte so gerne noch festgehalten.“ Wir sagen das, wenn zerbricht, woran uns Herz gehangen hat und worin unsere Leidenschaft zuhause war.
Maria hat sich umgedreht. Sie hat das Grab, die dunkle Höhle hinter sich gelassen. Sie hört ihren Namen und schaut ihrer Liebe entgegen. Das Geheimnis des Glaubens wird an dieser Stelle offenbar. Sich gerufen wissen, sich angesprochen fühlen. Sich geliebt wissen. Von dem, der seine Liebe mit seiner Stimme hörbar macht. Von dem, der uns beim Namen ruft und an uns festhält. Den wir aber nicht festhalten brauchen.
Aus diesem Gefühl der Liebe heraus, das stärker ist als der Tod und alles andere, erwächst die Kraft, nach vorne zu schauen. Jesus ermutigt Maria: „Halte mich nicht fest! Wende dich dem Leben zu.“ „Die Liebe, die ich gepredigt habe“, sagt Jesus zu Maria, „spüre sie und lebe sie!“ „Die Worte, die ich gesprochen habe, sie sollen dir Kraft schenken.“ „Das Vertrauen, das ich zu Gott vorgelebt habe, mache es zu deinem Gottvertrauen.“
Auf diese Weise wird Jesu Auferstehung zu unserer Auferstehung ins Leben! Aus unserer Trauer keimt Trost. Aus diesem Trost erwächst Mut und Kraft. Wir werden die Pandemie hinter uns lassen und ins Leben zurückkehren. Wir werden das Grab, die dunkle Höhle hinter uns lassen und das Mögliche des Lebens vor uns sehen.