Trost- und Lebensworte

Suchen - zurückbringen - verbinden - stärken

Predigttext: Hesekiel 34,1-2(3-9)10-16.31 (mit Exegese)
Kirche / Ort: Groß Grönau
Datum: 18.04.2021
Kirchenjahr: Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pastor em. Rudolf Albrecht

Predigttext: Hesekiel 34,1-2(3-9)10-16.31 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? (3Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 4Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 5Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 6Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder sie sucht.

7Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort! 8So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragen, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, 9darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort!) 10So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.

11Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 12Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 13Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. 14Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 15Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 16Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.

31Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Kurze Exegese

V.1 Der Predigttext beginnt mit der typischen prophetischen Einleitungs-Formel: „Und des HERRN Wort geschah zu mir“.Sie soll die folgenden Gottesworte als geschichtliches, objektives Ereignis und das Wirken des Propheten unter der direkten göttlichen Führung dokumentieren.

V.2 leitet den Weheruf ein: „Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels…: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels“ … Die regelmäßige namenlose Anrede ben-adam kennzeichnet die menschliche Schwäche im Unterschied zur Majestät Gottes.

V.3-6 folgt die harte Anklagerede gegen die schlechten Hirten.

V.7-10 Nach erneuter Rahmung (V7) werden die Vorwürfe zusammenfassend begründet (V8). Die nochmalige Aufforderung zum Hören (V9) sagt mit dem Drohwort (V10) das Ende der schlechten Hirten und die Rettung der Schafe an.Radikaler als die Propheten vor ihm klagt Hesekiel die politische Führung in Juda an. Ihre Misswirtschaft und Ausbeutung führt zu der Entfernung aus ihrem Amt und endgültigen Verwerfung.

V.11-15 Mit V.11 geht die Gerichtspredigt in Heilsverheißung über. Durch das vergeltende Einschreiten Gottes als des Eigentümers der Herde wird ein Neuanfang gesetzt: Jahwe will sich selbst seiner Herde annehmen (V11; anders 34,23ff!);er will die zerstreuten Schafe von allen Orten erretten (V12),aus den Ländern sammeln (hebr. kabaz; im Kibbuz haben sich Überlebende nach dem Holocaust gesammelt) und in ihr Land bringen (V13); er will sie auf die beste Weide führen (V14)und selbst seine Schafe weiden (V15).

V.16 In umgekehrter Reihenfolge zu V4-6 und positiver Sicht wird geschildert, dass Jahwe das Verlorene suchen, das Verirrte zurückbringen, das Verwundete verbinden, das Schwache stärken will. Auch die Fetten und Starken, die kräftigen und gesunden Tiere, der Stolz eines Hirten, will Jahwe als der rechte Hirt behüten und weiden, wie es sich gehört.

V.31 Kapitel 34 wird mit der alten Bundesformel („ihr mein Volk, ich euer Gott“) abgeschlossen. Dieser Schlussvers weistals späterer Zusatz unter dem vertrauten Bildwort Hirt/Herde auf den Anfang zurück und bindet das ganze 34. Kapitel zusammen.

Zusammenfassende und weiterführende Gedanken

Vom ersten bis zum letzten Satz redet und handelt nur Gott.Gottes Wirken durch Gericht und Neuanfang entfaltet Hesekiel durch das uralte, vertraute Bildwort von Hirt und Herde (vgl. Jer 23,1ff ). Die „Hirtenrede/Hirtenschelte“ c. 34 wird allgemein nach dem Fall Jerusalems 587 v.Chr. datiert. Sie markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Gottesvolkes: mit dem Niederbrennen des Tempels auch das Ende des Staates Juda und des Königtums, und zugleich die Wende in Gott und seinem Propheten von der Gerichts- zur Heilsansage. Das ist das Besondere unseres Predigttextes.Nach dem vernichtenden Drohwort V.10 schlägt die Gerichtspredigt gegen die Führungsschicht in Heilsverheißung für das Volk um. Gott verheißt einen Neuanfang: er will als der rechte, verantwortungsvolle Hirte sich seines Volkes selbst annehmen, es suchen und sammeln, erretten und weiden (V.11ff).

Jahwes einzigartige Heiligkeit und Majestät ließ seinem untreuen Volk die Schändung seines Namens (schem) und seiner Herrlichkeit (kabod), den wiederholten Bundesbruch und Götzendienst und unmenschliches Verhalten im Alltagnicht durchgehen. Das Gericht Gottes ist in den Katastrophen Jerusalems und Judas 598 und 587 v.Chr. und den Deportationen nach Babylon geschehen (s.33,21).

Erst nach vollzogenem Gericht an den schlechten Hirten (34,2ff) und der Herde (34,17-22) schließt Gott aus Treue zu sich selbst einen neuen „Bund des Heils“ (34,25). Hes 34 ist eine Einheit. Aus zeitlichen Gründen kann eine Einbeziehung von 34,23ff  (Friedensreich mit sicherem Wohnen und reichen Ernten) in der Predigt nur knapp erfolgen. Ebenso ist nur ein kurzer Hinweis auf Gottes Gabe eines neuen Herzens und Geistes (36,26; vgl. Jer 31,33) als Beispiel für Gottes neues gnädiges Handeln möglich. Hesekiels strenges Gottesbild möchte ich mit tröstlichen Gottesworten aus Deuterojesajaergänzen.

Hinführung zur Predigt

Durch die Dörfer ziehen keine Hirten mehr mit ihren Schafen, in den Schlafzimmern hängen keine Hirtenbilder mehr, das Kinderlied: „Weil ich Jesu Schäflein bin“ wird nicht mehr gesungen. Doch das alte Bildwort Hirt/Herde wird auch heute verstanden.

Der Schritt von der Hebräischen Bibel zum Neuen Testament ergibt sich am Hirtensonntag von selbst: unser guter Hirte Jesus hat uns glaubhaft zu dem gerechten, rechten Hirtengeführt. Er hat uns in seinem Gleichnis von den verlorenen Söhnen und der grenzenlosen Liebe ihres Vaters Gott als den uns vorbehaltlos liebenden Vater nahegebracht (Lk 15). Mit seiner großen Hirtenrede vom Guten Hirten (Joh 10) bekennt seine Gemeinde, dass in ihm die prophetische Weissagung erfüllt ist.

Meine Fragen: Wurde der Predigttext den ersten Hörer/innen zu einem hilfreichen, heilenden Lebenswort und Wegweiser?Wie war ihre historische Situation? Welches Gottesbild vermittelt Hesekiel? Welche Lebensworte tragen uns? Wem folgen wir?

Während der Ausarbeitung wechselte ständig die tagespolitische Situation. Darum habe ich die biblisch-theologischen Zusammenhänge stärker betont. Der Predigttext ist sehr lang und sollte für die Gemeinde vervielfältigt werden.Coronabedingt muss der Versuch unterbleiben, mit derGemeinde im Dialog Worte und Sprüche, die uns im Leben begleitet und getragen haben, zur Sprache zu bringen.

Leitgedanken

Gott will, dass wir leben; er gibt uns heilende, weiterhelfende Worte des Lebens.

Gott handelt als ‚rechter Hirt‘ in Gericht und Gnade verantwortungsbewusst an seinem Volk.

Gott tröstet sein Volk und schafft neues Leben.

Gott verheißt seinem Volk seinen Schalom, dauerhaften Frieden und heilvolle Zukunft.

Unser gute Hirte Jesus Christus hat Gott als uns liebenden Vater vorgelebt.

Literatur

W. Eichrodt, Der Prophet Hesekiel, Kapitel 19-48, ATD 22/2, Göttingen 1969. G.v.Rad, Theologie des Alten Testaments, Band II, München 1965. C. Kuhl, Israels Propheten, Dalp-TB, Band 324, 1956, S. 87ff. W. Zimmerli, Das Gesetz und die Propheten, Jeremia und Ezechiel, S. 119ff, Göttingen 1963. J. Jeremias: Der Hirte im AT und NT, Theologisches  Wörterbuch zum Neuen Testament, Band VI, 1959, S. 486-495 und: Die Gemeinde als Herde im AT und NT, S. 499-501. Preisker/Schulz, Art. probaton, ThWBNT, Band VI, S. 689ff.

H-D Neef / B. Weyel, Predigtstudien III,1. 2020/21, S. 244-251; auch: Predigtstudien III,1. 1998/99, S. 257ff und 2004/05, S. 257ff. M. Lehmann-Etzelmüller, Gottesdienstpraxis III,2. 2021, S. 137-145; auch: Gottesdienstpraxis III,2 1999, S. 135ff und 2005, S. 118ff.De.wickipedia.org.: Hesekiel; auch: Babylonisches Exil; mehrMaterial im Internet.

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Gott will, dass wir leben

„Ich weiß, Du kommst wieder!“ Mit diesem Satz verabschiedet die Großmutter den  siebzehnjährigen Leopold Auberg in Herta Müllers Roman „Atemschaukel“, (2009 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet). Er wird am 15. Januar 1945 wie 80000 andere Rumäniendeutsche aus Hermannstadt/Siebenbürgen in das stalinistische Arbeitslager Nowo-Gorlowka/Ukraine verschleppt. Der Satz der Großmutter wird ihm zum Lebensretter. Er hilft ihm, denKampf gegen Durst und Hunger und insbesondere den „Hungerengel“ zu bestehen, und gegen Frost und Hitze, Läuse und das Schleppen der Zementsäcke, gegen Einsamkeit und Langeweile, gegen Todesängste. Nach fünf Jahren wird Leopold aus dem Straflager entlassen, aber die erfüllte Sehnsucht nach der Heimat verwandelt sich nicht in Freude.Er findet keinen Kontakt zu seiner Familie, der Alltag ist hart, er tut sich schwer in dem freien Leben. Den Satz der Großmutter, seinen Lebensretter, vergisst er.

Worte des Lebens

Mutmachende, liebevolle Worte: ich mag dich, ich hab‘ dich lieb, du schaffst das … erfahren wir als hilfreiche und heilende Kraft. Wir dürfen sie nicht vergessen. Heute, am Hirtensonntag, ist als Mutmacher der unvergleichliche Psalm 23 zuallererst zu nennen. Auch in unserer Zeit wählen Konfirmandinnen und Konfirmanden einen Satz daraus als ihren Konfirmationsspruch. Psalm 23 ist mit dem Vaterunser das bekannteste biblisch-christliche Gebet. Besonders bei Abendmahlsfeiern mit Kranken habe ich es oft erlebt, dass plötzlich in die reglos Liegenden Leben kam beim Beten der uralten vertrauten Worte und sie ihre Hände falteten. Durch die Jahrhunderte gaben sie unzähligen Menschen Halt und Zuversicht. Schlaflosen helfen seine Worte mehr als Schäfchenzählen.

Es gibt sehr viele wunderbare biblische Worte, die Menschen als Lebensmotto und mut- und trostspendende Wegweisung geleitet haben und leiten, z.B.: So spricht Gott der HERR: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein (Gen 12,2). „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein“ (Jes 43,1)! Oder Jesu wunderbare Seligpreisungen: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“. Selig sind die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die Frieden stiften (Mt5,1ff). Oder seine Ich-Bin-Worte: Ich bin das Brot des Lebens(Joh 6,35). Ich bin das Licht der Welt (8,1). Ich bin der gute Hirte (10,11), u.a.m. Gute Worte, zumal die biblischen, sind lebenswichtige Kraft- und Trostspender, Lebensbrot, Lichtund Freude auf unseren Lebenswegen.

Gottes Handeln in Gericht und Verderben

Ich kann mich nicht erinnern, dass aus unserem Predigttext ein Satz als Lebensspruch gewählt worden ist. Konkret und aktuell war er für die Menschen, die ihn zuerst hörten vor über zweieinhalbtausend Jahren im Hause des Propheten Hesekiel oder am Fluss Kebar in Babylonien. Sie saßen als Gefangene an den Wassern zu Babel und weinten, wenn sie an Zion, an Jerusalem, gedachten (Ps 137). Mitglieder der führenden Schichten und Handwerker waren nach der Eroberung Jerusalems 598 v.Chr. nach Babel verschleppt worden. Unter ihnen war der Sohn des Priesters Busi, Hesekiel. Gott erwählte ihn im Jahre 593 v.Chr. zu seinem Propheten (Hes 1,3). Nach der endgültigen Niederlage 587 v. Chr. kam die nächste Gruppe mit Verbannten nach Babel.

Als Deutung dieser Katastrophe hat Hesekiel Gottes Verwerfungsurteil über die schlechten Hirten (V.2-10) ausgerufen. Jahrhundertelang hatte Gott sein Volk durch seine Propheten mit Drohworten zur Umkehr gerufen, ohne Erfolg. Nun hat er selbst ihm ein Ende bereitet. Er hat es durch seinen Knecht Nebukadnezar II gestraft. In seiner souveränen Macht als Herr der Geschichte pfiff sich Jahwe Völker herbei (Jes7,18ff), die seine Gerichte an seinem Volk vollzogen. In unserem Predigttext ist nur die Führungsschicht für den Missbrauch ihres Hirten-Amtes und ihrer Macht, ihre Misswirtschaft und Ausbeutung vom Gerichtsurteil Gottesbetroffen: „Ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, sie sollen sich nicht mehr selbst weiden“ (V.10).  Jede/r wusste, dass die Könige und die Führungsschicht, auch Priester und Propheten, gemeint waren, und dass weiden eine Umschreibung für regieren war, in der Praxis das Wirtschaften zum eigenen Vorteil.

Unerbittlich und radikaler als seine Vorgänger hat Hesekiel nicht nur den Untergang der Führenden, sondern auch die Niederlagen und Leiden des Volkes als Gottes Strafgericht gedeutet. Gott war nicht zu schwach, sondern ließ den Untergang zu als Strafe für ihre Sünden. Israel litt in seiner Geschichte unter den unerforschlichen Wegen und unbegreiflichen Gerichten seines Gottes, unter Kriegen, Wirtschafts- und Glaubenskrisen, besonders unter den unmenschlichen Anfeindungen der Völker und ihrem tödlichen Hass. Aber Gott hat Israel nicht fallen lassen.

Gottes Handeln in Gnade und Neubeginn

Unvermittelt und überraschend folgen auf das harte vernichtende Gerichtswort Gottes gegen die Führungsschicht (V.10) wunderbare Worte der Verheißung – nur an das Volk (V.11ff): „Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen… und will sie auf beste, fette Weide führen auf den Bergen Israels“.

Ich will, ich will: 17mal spricht Gott in acht Versen des Predigttextes (V.10-16.31) seinen Willen den Verbannten zu: Ich selbst will das Verlorene suchen und das Verirrte zurückbringen, ich will das Verwundete verbinden und das Schwache stärken… (V.16). Es wird nicht berichtet, wie die Menschen diese Verheißungs-Worte aufgenommen haben, ob sie ihnen zu Trost- und Lebensworten wurden.

Gott tröstet sein Volk

Nachdem das Gericht vollzogen war, lässt Gott nur Heil verkündigen. Tröstlicher als Hesekiel und unbeschreiblich schön verkündigt der uns mit Namen unbekannte Prophet, den wir Deuterojesaja nennen, Gottes Heil und Trost in Babylon – einige Jahre, bevor der Gesalbte Gottes, der Perserkönig Kyros (Jes 45,1), die Babylonier besiegte und den Gefangenen die Heimkehr erlaubte. Schöner und wunderbarer können Worte des Lebens nicht sein: „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist“ (Jes 40,1.2). „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln“. „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer“ (Jes 54,7.10). „Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden“ (Jes 55,12).

Die prophetische Botschaft ermutigte nicht alle Verbannten zum Aufbruch, obwohl sie sich nach der Heimat sehnten. Eine erhebliche Anzahl blieb in Babylon. Sie hatten sich in den Jahrzehnten im Exil gut eingerichtet. Nicht wenige werden abgewunken haben: was sollen die schönen Worte nach dem Gericht? Warum muss uns Gott in seiner Enttäuschung und seinem Zorn erst kaputtmachen? Hätte er nicht andere Möglichkeiten gehabt, uns so zu führen, wie er uns haben will?

Gottes schöpferisches Schaffen und Wesen

Ja, Gott hat andere Möglichkeiten und Gedanken als nur Gericht und Verderben. Gott tut, was wir nicht können: er schafft neues Leben durch die Gabe eines neuen Herzens und Geistes (11,19f; 36,20f; vgl. Jer 31,33). Nach der Wende Gottes vom Gericht zum Heil lässt er dem Volk seinen Schalom ansagen, einen dauerhaften Frieden und heilvolle Zukunft, eine Wiederherstellung des Bundes, des Volkes und seines Landes mit sicherem Wohnen und reichen Ernten (Hes34,23ff.). Aus den Überlebenden will sich Gott seine neue Gemeinde schaffen. Es ist Gottes Geheimnis, warum er unendliches Leid zulässt und Leben und Heil erst nach Gericht und Tod schenkt.

Hesekiel zeigt uns die beiden Seiten im Wesen Gottes: die dunkle des sich wie hinter einer Maske verbergenden, richtenden, vernichtenden Gottes. Gott hatte die Größe, sich von dieser Seite seines Wesens abzuwenden. So kann uns Hesekiel auch die helle, vergebende, zukunftoffene Seite Gottes offenbaren. Gott rettet, sammelt, heilt seine Herde. Er sucht das Verlorene und Verirrte, er verbindet das Verwundete und stärkt das Schwache. Als ‚der rechte Hirt‘ führt er uns zum frischen Wasser und deckt uns überreich den Tisch.

Gottes Verheißung und Amen in Jesus Christus

Unser Predigttext schließt mit einer weiteren großartigen Verheißung Gottes: „Ja, ihr sollt meine Herde sein“, meine Gemeinde, und meine Herrlichkeit erfahren. „Und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR“ (34,31). Sein Ja zu uns und sein Amen hat Gott in Jesus verbürgt. Wenn ich unter dem harten prophetischen Gottesbild eines allmächtigen Herrschers und der dunklen, schrecklichen Seite in Gottes Wesen leide, flüchte ich zu dem Gott und Vater Jesu. Er hat uns Gott als den uns vorbehaltlos und grenzenlos liebenden und vergebenden Vater nahegebracht. In Jesus hat Gott seine Masken des Zorns und Gerichts, der unnahbaren Majestät abgelegt. Wir schauen in Jesus Gottes liebevolles, barmherziges Angesicht. Jesus, unserem guten Hirten, wollen wir folgen. In Jesu Auferweckung hat sich Gottes Schöpfermacht zu unserem Heil stärker erwiesen als der Tod und uns die Tür zu einem neuen Leben und Zukunft geöffnet.

Gott tut alles, damit unser Leben gelingt. Als seine Werkzeuge und Boten seines Friedens dürfen wir Liebe üben, wo man sich hasst; zum Glauben und Vertrauen und Weitermachen ermutigen, wo Zweifel und Resignation niederdrücken; Hoffnung wecken, wo Verzweiflung quält (s. EG 825) – so tragen wir Licht und Freude in die Welt hinein. Das wird künftig vermehrt über digitale Angebote geschehen. Die Corona-Pandemie hat nicht nur gelähmt, sondern die Phantasie vieler Gemeinden zu neuen digitalen Verkündigungsformaten beflügelt.

Die Zukunft ist Gottes Land

Corona hat unser Leben verändert und unseren Steigerungszwang nach immer mehr gebremst. Sind wir barmherziger und demütiger geworden? Die Bewältigung der Krisen bestimmt unseren Alltag. Gott und Gottes Ewigkeit verschwindet aus unserem Blickfeld. Doch „Gott sitzt im Regimente“ (EG 361,7) und lässt sich seine Schöpfung nicht aus der Hand nehmen und zerstören, damit unsere Welt trotz aller Bedrohung eine Zukunft hat. Gott will seine Macht und Majestät nicht mehr mit Drohen und Strafen ausüben, sondern setzt auf seinen gekreuzigten Christus und ruft uns in seine Nachfolge, in die Spur seiner Liebe. Er ist in Jesus einer von uns geworden; er ist in die Niederungen und Niederlagen unseres Lebens hinabgestiegen und teilt und trägt unsere Not. In Jesu Namen bitten wir Gott um ein Herz, das ‚mutiger bekennt, treuer betet, fröhlicher glaubt und brennender liebt‘.

Leopold Auberg hat die gute gewisse Ermutigung seiner Großmutter vergessen: „Ich weiß, Du kommst wieder!“ Danach hat ihm niemand mehr ein Lebens-Wort zugesprochen. Er fand sich im Leben nicht zurecht. Wir müssen uns immer wieder mutmachende Worte sagen, besonders Worte, die von weiter herkommen als von uns, Worte Gottes. Gott lässt sich finden und gibt uns Zeichen seiner Nähe und Liebe. Wir müssen hinschauen und wahrnehmen, was Gott unter uns wirkt. Immer gewisser dürfen wir werden in unserem Vertrauen in Gottes Verheißungen und Führung. Nichts und niemand kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Bruder und Herrn und guten Hirten.

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