Alles möglich?

Nicht nur für Neu- und Wissgierige

Predigttext: Apostelgeschichte 17, 22-34 (mit exegetischer Skizze)
Kirche / Ort: Düsseldorf
Datum: 25.04.2021
Kirchenjahr: Jubilate (3. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Johannes Gerrit Funke

Predigttext:  (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. 23 Denn ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. 24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. 25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. 26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, 27 dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. 28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.

29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. 30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. 31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er richten will den Erdkreis mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat und den er vor allen Menschen bestätigt hat, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. 33 So ging Paulus weg aus ihrer Mitte. 34 Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

(Übersetzung: Elberfelder Bibel)

Als Paulus nun vor dem Rat stand, rief er: »Männer von Athen, ich habe bemerkt, dass ihr den Göttern besonders zugewandt seid, denn als ich umherging, sah ich eure vielen Altäre. Einer davon trug die Inschrift: `Dem unbekannten Gott´. Ihr habt ihn angebetet, ohne zu wissen, wer er ist, und nun möchte ich euch von ihm erzählen. Er ist der Gott, der die Welt und alles, was darin ist, erschuf. Weil er der Herr über Himmel und Erde ist, wohnt er nicht in Tempeln, die Menschen erbaut haben. Er braucht keine Hilfe von Menschen. Er selbst gibt allem, was ist, Leben und Atem, und er stillt jedes Bedürfnis, das ein Mensch haben kann. Aus einem einzigen Menschen hat er alle Völker der ganzen Welt hervorgebracht. Er hat im Voraus festgelegt, welche aufsteigen und welche stürzen sollten, und er hat ihre Grenzen festgelegt. Von Anfang an war es sein Plan, dass die Völker Gott suchen und auf ihn aufmerksam werden sollten und ihn finden würden - denn er ist keinem von uns fern. In ihm leben, handeln und sind wir. Wie einer eurer eigenen Dichter gesagt hat: `Wir sind seine Nachkommen`.

Deshalb sollten wir uns Gott nicht als Götzenbild vorstellen, das Kunsthandwerker aus Silber, Gold oder Stein anfertigen. Bis jetzt hat Gott über die Unwissenheit der Menschen hinweggesehen, doch nun gebietet er den Menschen auf der ganzen Welt, sich von den Götzen abzukehren und sich ihm zuzuwenden. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er die Welt gerecht richten wird, und zwar durch den Mann, den er dazu bestimmt hat. Und er hat allen bewiesen, wer dieser Mann ist, indem er ihn von den Toten auferweckte.«

Als sie Paulus von der Auferstehung eines Menschen reden hörten, der tot gewesen war, lachten die einen, doch andere sagten: »Wir würden gern später mehr darüber hören.« Damit verließ Paulus die Versammlung, doch einige schlossen sich ihm an und fanden zum Glauben. Unter ihnen waren Dionysius, ein Ratsmitglied, eine Frau mit Namen Damaris und andere mehr.

Exegetische Skizze

Der Text zum 3. Sonntag nach Ostern enthält eine kurze, aber ungewöhnliche österliche Predigt. Denn die Botschaft von der Auferstehung des Gekreuzigten von den Toten ist mit der alten biblischen Tradition vom Tag Gottes verbunden, der ebenso ein Tag der Erlösung ist wie auch ein Tag, an dem Gott sein Recht aufrichtet, was uns zur radikalen Umkehr anhält.

Mit Empörung (vgl. V.16) hatte Paulus den Ausdruck der religiösen Vitalität in Athen wahrgenommen. In ihr bekundet sich zwar eine bewunderungswürdige religiöse Vitalität. Doch ebenso zeichnet sich in ihr Doppelbotschaft ab. „Alles ist möglich“, so könnte sie auf eine Formel gebracht werden. Das heißt zu einer Seite hin: nichts muss für immer unmöglich bleiben. Doch es kann auch bedeuten, dass nichts für immer völlig ausgeschlossen werden kann. Wir leben dann letztlich unter einem zweischneidigen Damoklesschwert. Doch nicht Gott hat dieses Damoklesschwert über uns aufgehängt.

Hier setzt die befreiende, wenn auch ungewöhnliche Osterbotschaft an. Gott hat den Tag angesetzt, an dem er sein Recht inmitten aller Kreatur zur Geltung bringt. Dieser Tag hat am Ostermorgen begonnen, als er den gekreuzigten Jesus von den Toten auferweckte. Das heißt zum einen: Gott fordert von seinem Geschöpf sein alleiniges Hoheitsrecht zurück, über Leben und Tod zu entscheiden. Das heißt aber vor allem und zuletzt: wir werden befreit von dem zweischneidigen Damoklesschwert, das über uns hängt, wo es heißt: alles ist möglich.

 

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„Alles ist möglich!“ mit diesem Slogan warb eine Autofirma.  Darin stecken große Versprechen. Kein Traum muss ewig bloß Traum bleiben. Kein Rätsel der Welt muss für immer ungelöst bleiben. Wird man vielleicht sogar einmal alle Krankheiten heilen? Womöglich sogar unsterbliches Dasein erlangen können?

I.

Seltsam, dass man dieselben Worte auch komplett andersherum hören kann. Dann werden sie bedrohlich. „Alles ist möglich.“ Du musst mit allem rechnen. Es kann alles gut ausgehen, aber auch katastrophal enden. So verstanden, kann die Aussage: „Alles ist möglich“ zu einer Falle werden, die einem dann zur ewigen Tretmühle wird. Man kann sich das an der inneren Zwangslage von Menschen verdeutlichen, die einen nahen Angehörigen vermissen. Sie haben nie eine Gewissheit davon erhalten, was mit diesem Menschen zuletzt geschehen ist. Deswegen beginnt eine Suche, in die kaum je völlig Frieden einkehren kann. Denn wirklich abschließen kann man mit ihr wohl niemals ganz.

Stets kann einen die Frage anfallen, ob da nicht doch noch etwas möglich wäre, was man tun könnte, um endlich Gewissheiten zu erlangen – für sich selber, aber auch, um sie mit der vermissten Person innerlich teilen zu können. In Chile suchen noch heute einige Frauen nach ihren Partnern oder Kindern, die vor mehr als 40 Jahren abgeholt wurden und seitdem verschwunden sind. Eine solche innere Lage gleicht der des Sisyphos im alten gleichnamigen Mythos. Sisyphos musste immer wieder einen Felsbrocken auf einen hohen Berg wälzen. Doch kaum oben angekommen, rollte dieser wieder herunter. Die sprichwörtliche Sisyphusarbeit begann von neuem.

Ob wir manches von dieser inneren Zwangslage auch kennen, selbst wenn wir keine Angehörigen vermissen? Ich meine, sie ist überall dort auf ihre gespenstische Weise präsent, wo unter uns jenes zweischneidige Motto wirkt. „Alles ist möglich“. Denn das heißt einerseits: nichts soll uns für immer unmöglich sein. Doch es kann auch bedeuten: ganz und für immer auszuschließen ist nichts. Und dann beginnt für Menschen, die bei diesem Glücksspiel eher dessen Schattenseiten erleben, eine Tretmühle. Ein nicht enden wollendes Schattenboxen. „Alles ist möglich“ – das hängt dann wie ein zweischneidiges Damoklesschwert über einem.

II.

In vielen Ländern errichtete man nach den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts Gedenkstätten mit der Inschrift: „Dem unbekannten Soldaten“. Man würde sich heute eine allgemeinere Inschrift wünschen: „Den unbekannten Kriegstoten.“ Mit diesem Beispiel sind wir nahe an den biblischen Text für die heutige Predigt herangekommen. Denn auf seinen Rundgängen durch das antike Athen ist Paulus neben unzähligen Tempeln und Denkmälern für allerhand Götter, Idole, Heroen und Autoritäten ein Altar mit einer sonderbaren Inschrift aufgefallen. „Einem unbekannten Gott“ stand darauf. Sollte diese Inschrift als Einladung zu verstehen sein?

Nach Athen kamen Menschen aus aller Herren Länder. An die religiösen Bedürfnisse aller sollte gedacht sein. Doch unmöglich, alle Gottheiten namentlich zu kennen. Also macht dieser Altar das Unmögliche möglich. Hier konnte jeder und jede Andacht halten. Doch man könnte den Altar mit seiner Widmung an einen unbekannten Gott auch anders verstehen. Man würde sich bei einer unbekannten Gottheit gleichsam vorab entschuldigen, dass man ihr nicht namentliche Reverenz erweisen und einen eigenen Altar aufstellen kann.  So zeigt man mit dieser Blankowidmung, dass man ihr die gebührende Ehre jederzeit zu erweisen erbötig ist.

Paulus wird gebeten wird, seine Lehre genauer darzulegen. Denn in Athen war man immer sehr neugierig und wissbegierig, was es Neues auf dem Markt von Wissenschaften und Weltanschauungen gab. Paulus hält dann vor einer erlauchten Expertenrunde eine kurze, aber sehr ungewöhnliche Osterpredigt. Er knüpft zunächst daran an, was er bei seinen Gängen durch die Stadt wahrgenommen hat. Er erzählt, wie ihm unter all den Tempeln und Statuen, Denkmälern und Gedenkstätten für alle möglichen Gottheiten und Heroen, Idole und Autoritäten dieser Altar mit seiner Inschrift besonders aufgefallen ist. Dann fällt er fast ein wenig mit der Tür ins Haus.

Dem fremden unbekannten Gott hält er den Gott entgegen, an den er glaubt. Doch darin steckt natürlich weit mehr ein bloßes: „Ich sehe was, was ihr nicht seht.“ Vielmehr zeichnet er zwei deutlich und klar voneinander unterscheidbare Profile – das Profil einer Welt unter den Gottheiten, denen mit den prachtvollen Tempeln und Gedenkstätten Ehrfurcht erwiesen wird hier; dem Gott, von dem die biblische Botschaft kündet, dort. „Ich merke“, sagt der Apostel, „wie ehrerbietig ihr gegenüber allem seid, was menschlichen, gar göttlichen Rang und Namen trägt. Doch zeigt mir dieser Altar mit seiner Inschrift, wie sehr sich mitten in all dieser Ehrerbietung ein abgründiges Elend verbirgt.

Es ist, als ob all diese beeindruckenden Leistungen menschlicher Baukunst, all dieses viele demonstrative Gold und Silber in ihnen, all diese nicht zu übersehende Willenserklärung, denen Ehre zu erweisen, denen Ehre gebührt, wie eine gute Kosmetik übertüncht, was Menschen in deren Schattenzonen erleben. Es ist, als würde durch all diesen Diensteifer überdeckt, unter welchen Zwängen Menschen unter dem Damoklesschwert leiden, wo einerseits die Heilsversprechung geboten wird: alles ist möglich, und diese woanders tyrannisch werden kann.

„Doch nun“, fährt Paulus fort, „hört, was ich, euch von dem einen, dem einzigen wahren Gott zu verkündigen habe. Er ist der Gott, dem allein wirklich nichts unmöglich ist. Schließlich hat er das ganze Universum mit allem, was darin ist, erschaffen. Aber darauf besteht er nicht, um mit uns um die Wette zu bieten. Er hat es gar nicht nötig, mit uns in irgendeine Konkurrenz um die Frage zu treten, wer am Ende am meisten vermag. Er hat doch selber Menschen mit einer Intelligenz begabt, mit der sie so vieles erfinden und im Voraus zu regulieren kann. Er hat doch sogar den Menschen dazu berufen, inmitten der Geschöpfe als sein, Gottes eigenes Ebenbild zu wirken.

III.

Paulus zitiert einen griechischen Dichter, um seinen Zuhörern nahezubringen, was das biblische Wort Gottes uns seit eh und je sagt: Gott freut sich doch mit uns darüber, wie mit unseren Gaben an dem teilhaben, was ihm möglich ist. Eines allerdings, das ist und bleibt ihm zuletzt allein vorbehalten. Das bleibt sein Vorrecht als Schöpfer von Himmel und Erde. Über Leben und Tod zu entscheiden – das ist und bleibt zuletzt sein ausschließliches Hoheitsrecht. Zwar steht außer Zweifel: auch in dieses Hoheitsgebiet Gottes sind Menschen, ist Gottes Geschöpf eingedrungen. Faktisch töten ja Menschen andere Menschen. Faktisch tötet ja die eine Kreatur die andere. Faktisch können wir uns sogar gar nicht mehr vorstellen, wie es in einem gemeinsamen geschöpflichen Leben zugehen könnte, ohne dass die eine Kreatur die andere tötet, um selber zu überleben.

Faktisch haben Menschen ihre Methoden, in diesem System zu bestehen, unvorstellbar perfektioniert. Ihnen ist es inzwischen sogar möglich geworden, mit einem Knopfdruck massenhaft zu töten. Doch so unbestreitbar Menschen fähig sind, über Leben und Tod zu verfügen, so wenig wird das deswegen zu ihrem Recht. Nein: an dieser Stelle wird Gott auf seinem alleinigen Recht bestehen. Dieses Recht wird er von uns Menschen zurückfordern. Seine alleinige Hoheit an dieser Stelle wird er einmal so zur Geltung bringen, dass sie für alle Kreatur in Kraft gesetzt ist. So hat es Gott als Horizont für seine ganze Schöpfung bestimmt. Paulus zitiert aus den biblischen Psalmen: „Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er einmal in seiner ganzen Schöpfung für das Recht sorgen wird, das vor ihm gerecht ist.“

Der Morgen dieses Tages, so höre ich bei Paulus dann, ist schon angebrochen. Am Ostermorgen ist das geschehen. Als Gott Jesus, den Gekreuzigten, von den Toten auferweckte, begann dieser Tag Gottes zu dämmern. Gott hat damals den von Menschen gewaltsam Gekreuzigten beglaubigt. In ihm begegnet uns sein, Gottes eigenes Ebenbild ganz unverfälscht. In ihm, dem Gekreuzigten, können wir ablesen, für welches Recht Gott seinen Tag angesetzt hat. Es begegnet uns dabei zunächst ein klares und unzweideutiges Nein Gottes.

Gott sagt mit allem Nachdruck Nein dazu, wie Menschen sich das Recht angemaßt haben, über Tod und Leben zu verfügen. Dieses Recht hat Gott am Ostermorgen als sein alleiniges Hoheitsrecht von seinem Geschöpf zurückgefordert. Doch das enthält für uns dann vor allem eine wunderbare, befreiende Botschaft. Denn indem wir dem glauben, den Gott selber als sein Ebenbild beglaubigt hat, können wir schon jetzt, solange wir noch auf den Abend des Tages warten, den Gott am Ostermorgen hat dämmern lassen, etwas von dem Leben spüren, in dem Gottes Recht einmal von aller Kreatur erlebt werden wird.

Wir können so leben, als sei das zweischneidige Damoklesschwert, das uns hier mit dem Heilsversprechen kommt und dort mit einer womöglich nie endenden Bringe-Schuld tyrannisiert, längst wie ein großer Bluff enttarnt. Ich möchte sagen: Wir können dann ein wenig so erleben wie die, bei denen Jesus als Mensch unter Menschen gegenwärtig war. In ihm war  tatsächlich ein Stück einer neuen Schöpfung gegenwärtig, in der allein Gottes Recht gilt.

 

 

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