Kirche ist mehr
Zukunftsgewissheit
Predigttext: Epheser 1,15-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
15 Darum, nachdem auch ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen,
16 höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet,
17 dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.
18 Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist
19 und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke.
20 Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel
21 über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.
22 Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles,
23 welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.
Exegetische Bemerkungen
Der Eph gliedert sich in ein Lehrstück von der Kirche (1–3) und einen ethischen Teil (4–6). Beide Teile sind untrennbar aufeinander bezogen durch den Grund-Satz: „Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus (4,15). Der Brief nimmt liturgisches Gut auf, das den Gemeinden bekannt sein dürfte: den Lobgesang 1,3-14; das Bekenntnis 1,20f. Aus dem Christushymnus stammt der meditative Schluss des Predigttextes, der von der Fülle (plērōma) Christi spricht, die alles in allem erfüllt (vgl. 1,5). – Der lehrhaft-paränetische Ton, die unspezifische Anrede (vgl. auch den Zweifel an der Adresse „Ephesus“ in 1,1) und der Rückgriff auf bekannte Gottesdienstformen lassen mich an einen Hirtenbrief an die Kirchen in Ephesus und Umgebung (Asia) denken.
Eph 1,15-23 sehe ich zweigeteilt: 1,15-19 spricht vom Gebet für die Gemeinde (1,16). Es ist Dankgebet im Blick auf vorhandenen Glauben und tätige Liebe (1,15) und Fürbitte im Blick auf die Hoffnung (1,18). 1,20-23 entfaltet die Hoffnung mit bekenntnisartigen Worten. Sie gründet in der Inthronisation Christi (kathísas) (1,20), in der Unterwerfung der Schöpfung unter seine Füße (hypétaxen) und in der Gabe Christi zum Haupt der Kirche (édōken). Diese Gabe ist kein Herrschaftsakt und auch keine Unterwerfung, sondern – wie auch die Gabe des Heiligen Geistes (1,17) – Geschenk.
Homiletische Bemerkungen
Die Form des Hirtenbriefes kommt mir im Blick auf meine Gemeinde sehr entgegen. Ich kann mich erst einmal bedanken, wann tue ich das schon mal? Und zwar nicht bei ihr direkt – das hieße ja: ihre Leistung würdigen –, sondern bei Gott – das heißt: für sein Gnadengeschenk an die Gemeinde. Sodann kann ich „lehren“: Was feiern wir eigentlich an Himmelfahrt? Diese Frage wurde mir so gestellt, und ich versuche sie immer wieder in mehreren Anläufen zu beantworten.
Medium
Das in der Predigt erwähnte Christusbild ist zu finden unter https://verlag-christusbruderschaft.de/content/Karten/Abendmahl/index.php
Danke
Zuerst und vor allem möchte ich Dank sagen. Denn das tut der Bischof, der diesen Hirtenbrief an die Kirche in Ephesus schreibt, auch. Ich jedenfalls stelle mir einen Bischof vor, der viele Gemeinden unter sich hat. Denn er hat „gehört von dem Glauben an den Herrn Jesus“ und von vielen guten Dingen mehr – nicht unmittelbar erlebt, aber gehört. Das kann nur der Bischof sein. Ich möchte, wie gesagt, das Gleiche tun: Dank sagen für euren Glauben! Dank sagen bei Gott. Denn er hat die Augen eures Herzens erleuchtet. Ihr habt ihn „erkannt“. Ihr ahnt, dass es ihn gibt. Ihr habt erfahren, dass er euch trägt. Ihr wisst, dass er euch leitet. Und seit über einem Jahr seid ihr mit wachsender Begeisterung dabei, Gottesdienste in verschiedenen Formaten, sei es drinnen oder draußen, mitzugestalten und mitzufeiern – ich denke an die stimmungsvollen Andachten in der Weihnachtszeit und die Ostergottesdienste mit ihrer Aufbruchsstimmung – Kirche ist überall, wo Christus lebt und gelobt wird, nicht nur in der Kirche! Ich danke Gott für euern Glauben. – Ich danke Gott auch für eure Liebe. Die beweist ihr als Christengemeinde jeden Tag untereinander – durch ein respektvolles und wertschätzendes, aber auch zugeneigtes und helfendes Miteinander, nicht nur in Corona-Zeiten. – Und nicht zuletzt schließe ich mich dem Bischof an in der Bitte, dass ihr weiter aus der Hoffnung leben möget.
Hoffnung
Aus welcher Hoffnung? Liebe Gemeinde, aus der Hoffnung, die „Christus“ heißt. Christus ist unsere Hoffnung. Das führt der Bischof in seinem Hirtenbrief an die Kirchen in Ephesus weiter aus. „Christus sitzt zur Rechten Gottes“, sagt er. Das kennen wir. „Christus hat Macht über alle Mächte“, sagt er, „in dieser und in der zukünftigen Welt.“ Das ist uns auch nicht ganz fremd: „… zu richten die Lebenden und die Toten …“. „Wenn die Kirche lebt, dann nur, weil Christus in ihr ist“, sagt er; und zugleich ist Christus ihr Haupt.
Das ist die Hoffnung, aus der Kirche lebt; das ist die Hoffnung, aus der wir als Gemeinde, als Christen, leben. Nicht eine Hoffnung, die auch zerplatzen kann, sondern eine Hoffnung, die Gewissheit bedeutet, Zukunftsgewissheit. Gewissheit, weil wir jetzt schon etwas vom Wahrwerden der Hoffnung merken können: Christus wandelt nicht auf Erden, und doch ist er da. Zukunft: Es wird in alle Zukunft so sein, und die beginnt schon in der Gegenwart. Diese Zukunftsgewissheit beschreibt die Bibel mit den Geschichten von der Himmelfahrt Jesu, wie wir sie als Epistel und Evangelium gehört haben. Weil Christus unsere Hoffnung ist jetzt und allezeit, hier und überall, darum feiern wir das Fest der Himmelfahrt Jesu.
Gewissheit
Ich möchte Ihnen nun sagen, was mir diese Himmelfahrtsgewissheit bedeutet. Ich will dies in drei Punkten tun:
1.Thema: „Es wird regiert.“
2.Thema: Christus ist immer und überall für dich da.
3.Thema: Kirche ist mehr …
Zum ersten Thema: „Es wird regiert“
Christus – so schreibt der Bischof – ist von Gott eingesetzt über alle Reiche, Gewalten, Mächte, Herrschaftsformen und über alle berühmten oder auch berüchtigten Namen. „Eingesetzt“, in einem feierlichen Akt hat Gott das getan, inthronisiert – so haben die Alten sich das vorgestellt. Das muss etwas weltbewegend Gutes sein. Ist es auch. Denn seit ich weiß, dass Christus von allerhöchster Stelle eingesetzt ist als Macht über alle Mächte, muss ich mich vor niemandem und nichts mehr fürchten. Zur Zeit des Kalten Krieges hat der berühmte Theologe Karl Barth in seinen letzten Tagen an einen Freund geschrieben: „Ja, die Welt ist dunkel. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder Washington oder Peking, aber ganz gewiss von oben, vom Himmel her. Gott sitzt im Regimente. Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich auch in den dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns und uns alle miteinander nicht! Es wird regiert!“ – Das ist auch meine Hoffnung. Dem ist nichts hinzuzufügen. Darum feiern wir zusammen die Einsetzung Christi zum Herrn der Welt, Himmelfahrt.
Zweites Thema: Christus ist immer und überall für dich da
Das Gefühl, dass alle an Ihnen zerren, alle zu gleicher Zeit etwas von Ihnen wollen, möglichst sofort, das kennen Sie auch. Und Sie versuchen sich aus der Überforderung zu befreien mit den Worten: „Ich kann nicht überall gleichzeitig sein.“ Nein, das können Sie wahrlich nicht. Niemand kann überall gleichzeitig sein. Wir sind erdverbunden, erdgebunden. Und wer erdgebunden ist, der kann nicht überall gleichzeitig sein. Der kann nur zu einen bestimmten Zeit an einem Ort sein. Sicher lässt sich im digitalen Zeitalter manches möglich machen: Ich bin zu Haus bei meiner Familie und gleichzeitig per Videoschaltung bei einem wichtigen Meeting. Aber das ist nur scheinbare Allgegenwart. Ich bin nicht überall leiblich greifbar. Ich kann nicht immer und überall in gleicher Weise präsent sein. – Ich bin aber gewiss, dass einer das kann: Jesus Christus. Er kann das, eben weil er nicht mehr erdgebunden ist, weil er – wie die Bibel sagt – aufgefahren ist in den Himmel. Und vom Himmel her kann er – losgelöst von allen irdischen Fesseln – immer und überall bei dir, bei mir, bei uns allen sein. Das ist tröstlich und ermutigend zugleich.
3.Thema: Kirche ist mehr …
Im Deutschlandfunk gibt es jeden Sonntagmorgen eine Sendung: „Denk ich an Deutschland …“. Da kommen Schriftsteller, Philosophen, Kulturschaffende zu Wort und äußern sich zu der Frage, welches Verhältnis sie zu Deutschland, zu seiner Geschichte und Gegenwart haben. Wie wäre es, wenn es eine Sendung gäbe: Denk ich an die Kirche …? Jeder von Ihnen hätte dazu einen konstruktiven, vielleicht auch kritischen Beitrag; selbst ein vernichtendes Urteil ist erlaubt. Wenn ich an die Kirche denke, ersteht vor meinen Augen ein Postkartenbild. Es ist wohl ein fotografierter Wandteppich von der Christusbruderschaft in Selbitz. Übergroß sind darauf die Umrisse Christi zu sehen, ganz in weißem Gewand, das Gesicht gelblich erleuchtet vom Heiligenschein. Die Arme hält er abgewinkelt vom Körper. Mit ihnen umfasst er gewissermaßen einen trapezförmigen Tisch, auf dem Brot und Wein angedeutet sind. An ihm bzw. an den beiden Armen aufsteigend und von ihnen mitumfasst sitzen die Jünger. Christus waltet über allem. Sein Haupt ist in das Blau des Himmels getaucht, während seine Füße auf dem Dunkelbraun der Erde stehen.
Dieses Bild steht mit vor Augen, wenn ich an die Kirche denke. Ich gestehe: Ich kann dieses Bild fast besser lesen als den Bibeltext, der sich im vielstimmigen Lobpreis verliert. Dort heißt es: Gott hat Christus der Gemeinde gesetzt zum Haupt über alles: Im griechischen Text steht: „Gott hat Christus der Gemeinde gegeben zum Haupt über alles.“ Das finde ich schöner. Denn das klingt wie ein Geschenk. Und das ist es ja auch. Im Himmel hat Gott ihn inthronisiert, aber der Gemeinde hat er ihn geschenkt. Ich möchte sagen: Christus ist unser lebendiges christliches Innenleben hier in unserer Gemeinde und zugleich unser Haupt. Er sagt uns, wo es lang geht. Er regiert.
Denk ich an die Kirche … Einige denken, dass die Effektivität kirchlicher Arbeit zu steigern sei durch Zielvorgaben; Rechenschaftsberichte und Fusionen kleinerer mit größeren Gemeinden. Hier geht es um das Überleben der Kirche als Organisation und Institution. Da mögen Bischöfe und Kirchenpräsidenten ein gewichtiges Wort zu sagen haben. Aber Kirche ist mehr!
Denk ich an die Kirche … Einige denken an Skandale und Missbrauchsfälle und deshalb aus der Kirche austreten. Kirche ist menschlich, allzu menschlich, vielleicht gelegentlich auch unmenschlich. Das ist hart und schwer zu ertragen. Trotz allem sollte Kirche nicht darauf reduziert werden. Kirche ist mehr!
Denk ich an die Kirche …, dann denke ich: Kirche ist Christus. Er umfasst sie hier auf Erden überall, belebt sie zu allen Zeiten und regiert sie vom Himmel her. Kirche ist Christus. So seid bewegt durch ihn und bewegt euch in ihm. Ihr könnt es! Glaubt mir: So ist es! Amen!