„Seine Hilfe ist nahe …“
Beten im Alltag - die Psalmen zeigen, was und wie wir beten können
Predigttext: Psalm 85,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther)
1 Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen.
2 HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs;
3 der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; – Sela –
4 der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen und dich abgewandt von der Glut deines Zorns:
5 Hilf uns, Gott, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns!
6 Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für?
7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!
9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten.
10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne;
11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen;
12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue;
13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe;
14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.
Einführung in den Predigttext
I.
Mit der dunklen Jahreszeit rücken bedrängende Themen in den Mittelpunkt: persönliche und gesellschaftliche Notlagen, Vergänglichkeit, Ungerechtigkeit und Tod. Mit den dunklen Stunden und ihren Anfechtungen ist zugleich die uralte Sehnsucht nach Gottes Eingreifen und die Bitte um Hilfeverbunden: „Wann kommt das Reich Gottes?“, wird Jesus im Evangelium gefragt. Seine Antwort: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, greift eine Grundspannung des Glaubens auf (Lk 17,20f.) Mit Jesus Christus beginnt bereits, was in den Nöten der Zeit noch verborgen ist. Da steht noch was aus, worauf Glaubende hoffen dürfen!
Auch die Psalmbeter wissen um diese Spannung. In dunkler Stunde ist es not-wendend, sich an Gottes Güte zu erinnernund wieder um neuen Segen zu bitten. Über Ps 85 in voller Länge zu predigen (der Eingangspsalm des Gottesdienstes ist verkürzt auf die Verse ab V 9ff.), bietet die Gelegenheit, Hoffnungsworte und die mitunter bedrückende Wirklichkeit zu verschränken. Es empfiehlt sich deshalb, den kompletten Psalm bereits im Eingangsteil des Gottesdienstes mit der Gemeinde zu beten und ggf. abzudrucken.
II.
Über Psalmen zu predigen ist ähnlich, wie über das Vaterunser zu sprechen. Es handelt sich um Modellgebete und Gebrauchstexte, die überliefert sind, um gebetet zu werden. Aufgabe der Predigt kann deshalb sein, zur Wiedergewinnung des Psalmbetens beizutragen.
„In vielen Kirchen werden sonntäglich oder sogar täglich die Psalmen im Wechsel gelesen oder gesungen. Diese Kirchen haben sich einen unermesslichen Reichtum bewahrt, denn nur im täglichen Gebrauch wächst man in jenes göttliche Gebetbuch hinein. Bei nur gelegentlichem Lesen sind uns diese Gebete zu übermächtig in Gedanken und Kraft, als dass wir uns nicht immer wieder zu leichterer Kost wendeten. Wer aber den Psalter ernstlich und regelmäßig zu beten angefangen hat, der wird den anderen, leichten, eigenen‚ andächtigen Gebetlein bald Urlaub geben und sagen: ach, es ist nicht der Saft, Kraft, Brunst und Feuer, die ich im Psalter finde, es schmeckt mir zu kalt und zu hart‘“ (Bonhoeffer im Anschluss an Luther, zitiert nach DBW 5,115).
S. mein Predigtimpuls zu Psalm 85 "Vom Reden zum Hören kommen", in: DtPfrbl, 121. Jg., 2021, Ausgabe 9, Seite 590.
Verwendete Quellen zu Jürgen Klopp (aufgesucht am 01.11.2021):
https://www.die-bibel.de/index.php?id=388&L=0
https://www.jesus.ch/magazin/people/214133-ich_beende_jeden_tag_mit_einem_gebet.html
https://www.bild.de/sport/fussball/ich-rede-jeden-tag-mit-gott-5730220.bild.html
Liedempfehlung:
„Schweige und höre“ (EG Plus 56)
I.
Jürgen Klopp, genannt „Kloppo“, ist wahrscheinlich der fröhlichste und verrückteste Fußballtrainer der Welt. Zugleich ist er auch ein tief gläubiger Mensch, was er gerne kundtut. Mit der Lutherübersetzung 2017 hat die deutsche Bibelgesellschaft sogar eine „Jürgen Klopp Edition“ aufgelegt. In vielen Interviews hat sich Jürgen Klopp als evangelischer Christ geoutet und schwärmerisch über seine Beziehung zu Gott gesprochen. „Der Glaube an Gott ist mein Halt und mein absoluter Leitfaden durchs Leben. So wie ich Gott kennengelernt habe, ist er der verlässliche Partner, der immer mit uns geht, auch wenn wir selbst nicht verlässlich sind,“ bekennt er und empfindet dafür große Dankbarkeit. „In meinem Leben gibt es unglaublich viele Gründe, dass ich mich im Minutentakt bei Gott bedanken könnte.“
II.
„Ich beende jeden Tag mit einem Gebet!“, sagt Jürgen Klopp in einem Interview mit der BILD-Zeitung. Nicht nur für Promis ist das tägliche Beten wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Generationen von Gläubigen haben aus dem Gebet ihre Kraft bezogen und tun das bis heute. Martin Luther sprach sogar mit seinem Frisör darüber, wie er es mit dem Beten hält und wie Beten auf einfache Weise wie ein Handwerk gelernt werden kann (Wie man beten soll. Für Meister Peter den Barbier). Seine Empfehlung dabei: Nehmt das Vaterunser und betet die Psalmen nach. Hier sind Texte und Modellgebete überliefert, mit denen Jesus und seine Jünger gebetet haben. Beten lernt man nur durch Beten. Die Psalmen sind eine Anleitung und Sprachhilfe für das persönliche Beten. Sie können uns beim täglichen Beten helfen, sie können den Glauben frisch und lebendig halten, auch in schwerer Zeit. Die Psalmen – das sind 150 verschiedene Gebete für jede Lebenslage, die uns zeigen, was und wie wir beten können.
III.
Heute steht Psalm 85 im Mittelpunkt der Predigt – in voller Länge. Wir haben ihn bereits im Eingangsteil des Gottesdienstes gebetet. Sie finden den Wortlaut abgedruckt. Bei genauem Hinsehen, beim aufmerksamen Nachbeten, wird eine Gliederung erkennbar. Drei Stationen des Betens zeichnen sich ab. Ein Dreischritt, der auch unser persönliches Beten leiten kann. Wie heißen die drei Weisen des Betens, in die uns Psalm 85 mitnimmt? Erinnern – bitten – hören. Schauen wir uns diese drei Gebetsformen näher an!
IV.
Erinnern. Die Beter beginnen mit einem dankbaren Rückblick (V. 2-4): Gott hat in der Vergangenheit sein Volk befreit, ihm die Sünde vergeben und seinem Zorn keinen Raum mehr gegeben. Es tut auch uns gut, immer mal wieder innezuhalten und Gott für das Gute zu danken, das er uns schenkt. Nicht jeder wird das so überschwänglich tun können wie „Kloppo“, der fast im Minutentakt Dinge benennen kann, für die er Gott dankbar ist. Es lohnt sich für jede und für jeden, regelmäßig innezuhalten und Gott „Danke“ zu sagen. Erinnern ist auch beim Beten wichtig, weil wir zur Vergesslichkeit neigen: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Psalm 103,2).
V.
Bitten. Allerdings – die Wirklichkeit sieht anders aus (V. 5-8). Deshalb ruft die Gemeinde Gott um Hilfe an. Sie appelliert an ihn, Ungnade und Zorn abzuwenden und Erquickung, Gnade und Heil zuzuwenden. Die Not lehrt beten. Vermutlich liegt uns diese Weise des Betens am nächsten. Aus diesem Grund besteht das Vaterunser aus sieben Bitten. Und auch bei den 150 Psalmen finden wir sehr viel mehr Klage und Bitte als Dank.
Alles, was uns Not macht, können wir vor Gott bringen. Gut, wenn wir wie die Beter der Psalmen auch in dunkler Stunde an Gott festhalten können und zu ihm bitten und beten!
Sind das nicht auch Worte, die zu unserer Not heute passen? Gott wird regelrecht genötigt, endlich einzugreifen: „Herr, erweise uns deine Gnade! (Ps 85,8)“ Oder mit meinen Worten formuliert: „Du kannst doch helfen, nun zeig dich doch bitte endlich wieder!“
VI.
Hören. Ab Vers 9 kommt es zu einem Bruch. Der bittenden Gemeinde antwortet ein Einzelner: „Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet.“ Noch genauer müsste man an dieser Stelle übersetzen: „Ich horche auf das, was Gott, der Herr, redet.“
Hier wird eine wichtige Erfahrung des Betens angesprochen – beten ist viel mehr als das eigene Reden, als das Erinnern, als das Bitten. Im besten Fall öffnet das Gebet für das Reden Gottes und komme ich vom Reden zum Hören. Nicht ich rede (mehr), sondern Gott redet und lässt von sich hören.
VI.
Sören Kierkegaard, ein reifer Beter, fasst exemplarisch die hörende Haltung des Betens in folgende Worte:
Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörender. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt: still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.
VII.
Was können wir von Gott hören? Psalm 85 führt das in schöner Weise aus (ab V 9). In wunderbaren Bildern wird der Friede Gottes zugesprochen. „Seine Hilfe ist nahe“ – die Beter dürfen wissen, dass Gott Gebete erhört.
Gott erhört Gebet, er ist nahe – ich weiß, diese Überzeugungder Psalmbeter kann uns Mut machen und bestärken. Zugleich ist diese Glaubensaussage mit vielen Fragezeichen verbunden und für manche Menschen eine Provokation. Wir wissen nicht, wann und in welcher Weise Gott Gebete erhört. Manches werden wir erst in der Ewigkeit verstehen. Jesus sagt in den Abschiedsreden einmal zum Jünger Thomas: „An dem Tag werdet ihr mich nichts mehr fragen“ (Joh 16,23). Erinnern wir uns an das Evangelium des heutigen Sonntags. Wir leben noch mit der Spannung, dass mit Jesus Christus das Reich Gottes mitten unter uns beginnt, aber in den Nöten der Zeit noch verborgen ist. „Wann kommt das Reich Gottes?“ Diese drängende Frage wird nicht so beantwortet, wie wir uns das wünschen.
Aber, die Zusage gilt hier und heute: Gottes Hilfe ist nahe. Jesus Christus ist da. Er ermutigt uns wieder und wieder zum vertrauensvollen Beten. Dazu gehört, dass wir hören lernen, was Gott uns zusagt und mit diesen Zusagen leben.
VIII.
Gottes Hilfe zeigt sich in seiner Güte und Treue, in seiner Gerechtigkeit und seinem Frieden. Jede dieser Zusagen ist gleichzeitig eine Beschreibung für Jesus Christus und das, was er für uns ist. Wer betet und sich an Gott wendet, hört Jesus Christus und empfängt einen Frieden, den wir uns selbst nicht geben können (Joh 16,27). In Christus begegnen uns Güte und Treue, Gerechtigkeit und Friede kommen sich so nah, wie es sonst nur Liebende tun: Sie küssen sich!
Kann man die Innigkeit und Überschwänglichkeit der Beziehung zu Gott besser beschreiben als im Bild der Liebenden? Im Nach-Beten der Psalmen öffnen sich viele Türen – zu Gott, zueinander und zu mir selbst.
Mit den Glaubensbekenntnissen des vorbildlich frommen Fußballtrainers Klopp beginnt die Predigt sehr interessant einladend und schwungvoll. Wir werden sehr überzeugend aufgefordert, auch jeden Tag zu beten und die Psalmen sind dazu eine sehr gute Hilfe. Psalm 85 erinnert uns zuerst an das Gute, das wir von Gott bekommen haben. Weil es viel Not gibt, beten wir um Gottes Hilfe in allen Nöten und hören auf Gottes Stimme. Kierkegaard emphiehlt das besonders. Jesus ist nahe in solchem Gebet um Gottes Hilfe und schenkt uns einen Frieden, wie nur Liebende ihn füreinander schenken können. Sehr zusammenenfassend ist der letzte Satz der Predigt: Psalmen öffnen Türen zu Gott, zueinander und zu mir selbst.- Die Predigt ist eine wunderbare Einladung für alle Christen, neu auch die Psalmen zu beten. Auch die verschiedenen Perspektiven des Betens werden empfohlen. Insgesamt eine Predigt auch zum Weitergeben, um unsere Beziehung zu Gott zu stärken !