Auftakt
Adventlich vorausleuchtende Botschaft
Predigttext: Jesaja 65, 17-25 (Übersetzung nach Martin uther Revision 2017)
17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. 21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. 22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. 23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. 25 Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.
Exegetisch-homiletische Skizze
Die prophetische Vision des Textes spricht in ihren Bildern von einem neuen Himmel und einer neuen Erde derart anschaulich, dass es kaum einer exegetischen Übersetzung bedarf. Diese Bilder bahnen sich von sich selbst ihren Weg zu den Hörerinnen und Hörern.
Was eher verhindert, dass die frohe Botschaft der eschatologischen Verheißung Gottes als Tröstung von Trauernden am letzten Sonntag des Kirchenjahres ankommt, ist eine lange Tradition, in der bei uns kaum noch zwischen Sterben hier und Tod dort wirklich unterschieden wird.
In der Bibel ist der Tod aber mehr als das Sterben. Er wird in ihr z.B. als „der letzte Feind“ bezeichnet (1. Kor 15, 26), während auf der anderen Seite die Sterblichkeit allein keinen Ruf nach Erlösung auslöst („Abraham starb alt und lebenssatt“).
Stattdessen ist der erste Ruf nach Erlösung in der Bibel das zu Gott schreiende Blut des getöteten Abel. Die Herrschaft des Todes in, über und unter uns wird dann darin gesehen, dass nicht Gott, sondern seine Kreatur angefangen hat, über Leben und Sterben zu entscheiden.
Von der so begründeten Herrschaft des Todes werden wir durch den gekreuzigten und auferweckten Jesus Christus befreit – nicht vom Sterben. In der Predigt versuche ich, das darzulegen.
Janus hieß eine römische Gottheit, die Anfang und Ende vertrat. Diese Gottheit war mit zwei Gesichtern ausgestattet. Mit dem einen blickte sie nach vorne; mit dem anderen nach hinten.
In der Verheißung einer prophetischen Vision begegnet die Stimme des Gottes, der Himmel und Erde erschaffen hat. Sie weist uns klar und unmissverständlich auf eine Zukunft hin, die er für seine Schöpfung vorgesehen hat. Die Verheißung kündigt uns an, dass Gott noch einmal ganz neu auf seine Schöpfung zukommen wird. Das ist für uns an diesem Sonntag, an dem wir der Menschen gedenken, die aus unserer Mitte in den vergangenen 12 Monaten verstorben sind, wie eine vorweggenommene adventliche Botschaft. Denn „Advent“ bedeutet: Ankunft.
Wir erinnern uns an die Menschen, die wir verloren haben. Dabei gehen unsere Gedanken natürlich immer wieder zurück in das, was nun vergangen ist. Unsere Gefühle können wollen sich nicht einfach davon lösen. Das ist auch gut so. Gottes Verheißung will keinesfalls für uns wie eine Art Kommando werden, uns von dem, was für uns vergangen ist, loszureißen. Aber sie stellt uns eine adventlich vorausleuchtende Botschaft zur Seite. Dem, was vergänglich ist, stellt sie etwas entgegen, was adventlich ist. Vielleicht können wir dann – und sei es mit Tränen in den Augen – neu aufsehen auf eine Zukunft, die Gottes Kommen verheißt. Vielleicht können wir – und sei es mit Tränen in den Augen – in dieser Verheißung wie in einem Spiegel auch noch einmal neu wahrnehmen, woran unser Herz hängt.
Gottes Verheißung beginnt wie mit einer feierlichen Fanfare: „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.“
Wenn besondere Auftritte angekündigt werden, erklingen oft ganz bestimmte Hymnen, z.B. vor besonderen Sportveranstaltungen oder deren Fernsehübertragung. Früher wurde die Ankunft hoher Majestäten mit Fanfaren angekündigt. So ähnlich klingt der Auftakt der biblischen Verheißung Gottes in der prophetischen Vision. Man muss es ganz betont hören: „Siehe, ich, ich ganz allein schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde.“
Aber gibt es denn irgendwen oder irgendwas, das Gott Konkurrenz zu machen versucht? Gibt es irgendetwas oder irgendjemanden, der Gott seine Schöpfer-Hoheit streitig macht? Die biblische Verheißung setzt das in der Tat voraus. Es gibt etwas, was angetreten ist, Gott in seinen alleinigen hoheitlichen Rechten Konkurrenz zu machen.
Die prophetische Vision spielt in ihren Bildern darauf an. Ihre Bilder sind sehr anschaulich und eindrücklich. Man könnte sich fast einen Film vorstellen, der uns gezeigt wird. Zu Bild und Ton hinzu würden aber auch alle unsere anderen Sinne mit geweckt.
„Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.“
Man sieht Menschen, die, wenn sie sterben, ganz und gar erfüllt von ihrem Leben sind und es so abgeben, dass ihnen nichts mehr fehlt. So erzählt es die Bibel etwa von Abraham und hat damit unsere Sprache geprägt: Denn Abraham, so heißt es, starb alt und lebenssatt – in vollkommenem Frieden, und ohne dass etwas fehlte.
Wir hören in der prophetischen Vision ferner von Menschen in der Blüte ihrer Schaffenskraft. Was sie arbeiten und an Kräften ausgeben, kommt auf sie in voller Ernte zurück. Nicht die Spur von einem Lebensgefühl, wie wir es alle wohl zur Genüge kennen: man schuftet und rackert sich ab. Aber der größte Ertrag wandert schließlich doch woandershin.
Die prophetische Vision erzählt dann, wie kein Mensch mehr vorzeitig stirbt. Wenn Kinder sterben oder junge Leute, ist das immer besonders erschütternd. Wenn Eltern ihre Kinder überleben, bleibt das meist eine lebenslange Wunde.
Halten wir einen Moment inne. Was die biblische Verheißung uns bis dahin vorstellt, wäre ein Leben, das man zwar sicherlich paradiesisch nennen kann. Aber fehlt nicht eines, wovon Menschen von je her immer geträumt haben – ein Leben ganz ohne Sterben, ein unsterbliches Leben? Deswegen mögen die einen sich schließlich enttäuscht von dieser Verheißung abwenden, weil sie ihnen zu wenig gibt.
Zugleich könnten andere gegen sie einwenden, ein Leben, wie es hier verheißen wird, sei doch womöglich auch von Menschen allein erreichbar. Dazu bräuchte es im Grunde keiner derart feierlichen Verheißung Gottes. Ist es dem Menschen nicht z.B. gelungen, in Ländern, in denen eine einigermaßen gute medizinische und soziale Versorgung existiert, die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Jahrhunderten um ein paar Jahrzehnte zu steigern? Warum sollte es der Mensch nicht eines Tages schaffen, sie auf ein Alter zu steigern, wie es bei Jesaja genannt wird?
Umgekehrt ist es gelungen, die Säuglings- und Kindersterblichkeit in diesen Ländern gehörig zu senken? Warum, so könnte dann weiter eingewendet werden, sollte es nicht machbar sein, sie eines Tages gen null zu bekommen? Gewiss, in Kriegsgebieten werden immer viel zu viele Menschen und Kinder unzeitig sterben. Aber auch da könnte man doch träumen, dass es dem Menschen einmal gelingt, solchen Irrsinn zu beenden. Wenn es dann auch noch gelänge, technisches und menschliches Versagen auszuschließen, wäre dann nicht ein Leben, wie es die prophetische Vision vorstellt, erreichbar, ohne dass es dazu einer derart feierlich eröffneten Verheißung Gottes bedürfte?
Das letzte Bild, mit dem Jesajas Vision endet, kann uns nun allerdings noch einmal ganz neu aufhorchen lassen. Hören wir, was sie uns von der adventlichen Botschaft Gottes verkündet.
„Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr.“
Auch in diesen Worten wird an alle unsere Sinne appelliert. Wir sehen vor den inneren Augen, wie Tiere friedlich zusammen grasen – Tiere, von denen wir wissen, dass die einen typische Fressfeinde der anderen sind. Wir sehen, wie eine Schlange, die sonst mit tödlichem Gift wie auch dem Nichts zuschnappt, um Beute zu machen oder um sich zu verteidigen, darauf ganz zu verzichten gelernt hat. Sie begnügt sich mit dem, was die Erde für sie an Mineralien zur Ernährung bereithält. Da ist keine Todfeindschaft mehr.
Es ist, als habe alles ausgedient, was eine Kreatur dazu veranlassen könnte, einer anderen ihr Leben zu nehmen, um selber leben zu können. Wo das erfüllt wäre, da sind der neue Himmel und die neue Erde, wie sie Gottes Ankunft mit sich bringt. Da ist der Tod endlich ganz entmachtet. Denn wie ein realer harter Kern in unserem Leben und dem aller Natur ist. In ihm geht etwas um, was angetreten ist, um Gott Konkurrenz zu machen. In ihm geht etwas um vom Tod.
Fakt ist: Ein Wolf frisst Lämmer, um selber zu leben. Eine Schlange schnappt mit tödlichem Gift zu, sei es, um von ihrer Beute zu leben, sei es um sich zu verteidigen, wenn sie ihr Leben bedroht fühlt. So sehr ist dem Tod gelungen, sich in Gottes Schöpfung regelrecht einzunisten. Denn so scheint es, als sei nicht Gott allein der einzige Herr über Leben und Sterben. So scheint es, als führe auch er, der Tod, Regie in unserer Geschichte und weise uns dabei – wie es Regisseure und Regisseurinnen tun – unsere Rolle zu.
Doch Gottes Advent befreit uns von solchen Ansinnen. Gottes Verheißung kann uns heute schon neu auf seine Zukunft ausrichten. Die Verheißung bei Jesaja verbindet sich mit der adventlichen Botschaft, dass Gott in Jesus Christus als Mensch unter Menschen zu uns gekommen ist.
Auch ein menschliches Sterben hat Gott in diesem seinem Sohn mit uns geteilt. Ja, es war ein gewaltsamer Tod am Kreuz, den dieser erleiden musste. Doch indem Gott ihn, Jesus Christus, vom Tod auferweckte, hat er sich noch einmal gegen den Tod als der alleinige und einzige Herr erwiesen, der über Leben und Sterben entscheidet.
Gott hat seine alleinige Hoheit als Schöpfer des Himmels und der Erde aufs Neue erwiesen. Darin hat er den Grundstein eines neuen Himmels und einer neuen Erde gelegt.
„Man soll darin nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens“, heißt es in der prophetischen Botschaft. Diese Zusage möge uns stärken auf allen Wegen der Trauer. Sie möge uns dazu ausrichten, die von Gott verheißene Zukunft zu erwarten, in der dem Tod seine angemaßte Macht genommen ist.
Sehr hoffnungsvoll ist die Vision des sog. Tritojesaja, des dritten Jesaja, in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft der Israeliten. Die Weltgeschichte wird vollendet durch einen neuen Himmel und eine neue Erde. Das ist die Verheißung des Textes. Die Vision verspricht, dass keiner mehr vorzeitig sterben wird. Am Ende gibt es auch keine Bosheit mehr. Wir wissen heute, dass Gott sich schon einmal in Jesu Auferstehung als Schöpfer eines ewigen Himmelsreichs gezeigt hat. Das hat Pfarrer Funke klar und hoffnungsfroh gesagt.- Diese Botschaft ist heute den Zeitgenossen schwer zu vermitteln. Meine Primaner im Reli-Unterricht fanden das heute nicht glaubwürdig. Überzeugend war dann für sie die Theologie von Pierre Teilhard de Chardin, der die Stufen der Evolution mit der Heilsgeschichte verband bis zur überzeugenden Vollendung im Punkt Omega. Das ist ein begründeter christlicher Trost und die Bestätigung des Predigttextes. (https://www.pkgodzik.de>teilhard de chardin.dezember05: Die Stufen der Evolution Teilhard de Chardin).