„… um Gott aus dem Himmel zu holen“
Ein Gott der Befreiung - es gibt keinen, der so wohl tut denen, die auf ihn hoffen
Predigttext: Jesaja 63, 15-64,3 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. 16Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht.
Du, Herr, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. 17Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersachen haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! 3Von alters her hat man es nicht vernommen, kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.
Gedanken zur Einführung
Ein Kollege, der mehrere Iraner auf ihrem Weg zur Taufe begleitet hat, erzählte von einem der Taufbewerber, dass er als Grund für seinen Glaubensweg die biblische Hiobsgestalt angab. Dass Gott mit sich reden lässt, selbst im Schmerz und der Bitterkeit, selbst im Vorwurf und in Verzweiflung, das schien ihm so ungeheuer neu und anziehend, dass er dem nachgehen wollte.
Eine ähnliche Gestalt finden wir in dem namenlosen Propheten und Beter des Klagepsalms in Jesaja 63/64. Alles kreist um die doppelte Erfahrung von erfahrener Nähe und erlebter Distanz, von historischer Verbundenheit und empfundener Einsamkeit derer, die sich von Gott verlassenen erleben. Es tut gut, dass im Vorfeld allzu vollmundiger Weihnachtsbotschaft (Erlöser! Frieden! Heiland der Welt!) auch Ratlosigkeit ihren Platz behalten darf. Sollte nicht Gott selbst Schmerz und Trauer empfinden über die Entfremdung zwischen ihm und den Seinen, soviel, dass er den Himmel zerreißen könnte in einer gewaltigen, kosmischen Trauergebärde, um zu erscheinen in seiner Theophanie, um gerade so sich zu zeigen und zu offenbaren?! Der Prophet und Psalmbeter weiß, was er riskiert mit der Bitte um Theophanie und geht das Risiko gerne und bewusst ein um der Gottesnähe willen.
Von Vergeltung, wie es in der Einleitung des Perikopenbuch zum Sonntag und den Jesajatexten zugeschrieben wird (gezielt ist vermutlich Jes 35,4) ist nichts zu sehen! Stattdessen vielmehr alle Bereitschaft zur Umkehr, in die der Prophet stellvertretend für sein Volk und als Fürbitter in der Nachfolge eines Abraham und Mose eintritt.
Und: mit dem Wochenspruch sollen biblisch ja nicht zuerst „die Christen … sich nicht ängstlich ducken“, wie das Perikopenbuch suggeriert – Jesus richtet das Wort von der nahenden Erlösung den Menschen im Tempel Jerusalems, seinen jüdischen Glaubensgenossen, Gottes Volk, Israel. Am letzten Tag von Chanukka können wir unseren Gemeinden solches mit gutem Gewissen allenfalls weitergeben, wenn wir zugleich davon ausgehen, dass auch die jüdischen Gemeinden und Menschen in aller Welt erhobenen Hauptes in den Feiertag gehen können.
Lieder
Natürlich „O Heiland reiß die Himmel auf“ (EG 7), vielleicht findet ganz am Ende korrespondierend doch noch die Freude Platz, die „kein Aug… je gespürt, kein Ohr … mehr gehört“ hat.
Es steht ja auch fest: „Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt“ (11, 5).
„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld“ (16,4-5), stimmt Jochen Klepper dem kritischen Blick auf den Menschen zu.
Über die Distanz hinweg erhofft sich das Kommen Gottes EG 19: „O komm, o komm du Morgenstern …“
Knock-, Knock-, Knocking on Heavens Door – so viele kennen das alte Lied von Bob Dylan. Wo einer gegen den Himmel klopft, am Himmel anklopft. Aber wohl eher unfreiwillig. Der alte Sheriff ist angeschossen. Und mit jedem Herzschlag klopft er an die Himmelspforte, geht dem Ende entgegen.
Knock-, knock-, knocking on heavens door – das macht auch unser Prophet, aber mit all seiner Kraft und mitten im Leben. Nicht, um in den Himmel hinein zu kommen, sondern um Gott heraus zu holen, heraus zu rufen auf die Erde zu seinem Volk, zu den Stämmen Israels, zu den Verirrten und vaterlos gewordenen, zu denen, die sich mutterseelenallein fühlen..
Knock-, knock-, knocking on heavens door – der Prophet weiß, worauf er sich einlässt, wenn er eine Gotteserscheinung, eine Theophanie herausfordert. Das ist wie ein Vulkanausbruch und Erdbeben, da vergeht einem Sehen und Hören. Aber alles ist besser, als alleinH zu bleiben, gottverlassen, Feinden ausgeliefert und ausgeliefert den eigenen Taten und Untaten, ausgeliefert der Hilflosigkeit und Verzweiflung. Dann doch lieber die eigene Schuld eingestehen und wieder in Kontakt kommen mit dem himmlischen Gott. So der Prophet in seinem Psalm, in seinem Gebet.
Knock-, knock-, knocking on heavens door. In Goethes Gedichten über den griechischen Götterhimmel gibts auch so einen, Prometheus. Der aber zeigt sich am Ende überzeugt, dass im Himmel doch nichts zu holen ist. Ihm scheint es eine Illussion, dass der Göttervater Zeus den Betern Auge, Ohr oder gar sein Herz widmete. Prometheus vertraut nur noch dem eigenen Handeln.
Der biblische Prophet ist da kritischer. Davon, dass „wir sündigten“ ist die Rede (4b), und wenige Verse jenseits unseres Abschnitts, bekennt er Schuld und Unrecht. Nein, Menschen sind nicht nur „jung und gut“ wie es von Prometheus bei Goethe heißt. Und umgekehrt; hinter dem Propheten mit der Geschichte Israels liegen andere Erfahrungen als hinter dem mythischen Prometheus, nämlich gute, in die er sein Vertrauen setzen kann. Er kann bekennen: außer dem Gott der Befreiung gibt es keinen, der so wohl tut denen, die auf ihn hoffen. Im entlarvenden Blick auf die Götter sind Prometheus und der Prophet sich einig. Bei den Göttern auf dem Olymp, bei den Göttern der Welt tut sich nichts. Den Blick auf den biblischen Gott kennt nur der Prophet.
Knock-, knock-, knocking on heavens door, der Prophet des Jesajabuches klopft an den Himmel, am Ende im festen Vertrauen, dass Gott sicher nicht anders kann, als sich bewegen zu lassen. Wir hören auf den Propheten, können uns ihm anschließen. Können feststellen: wie sehr bestätigt hat sich wieder und wieder sein kritischer Blick auf Menschen. Warum sollte dann aber nicht gleiches gelten für seine Erwartung, dass der Himmel sich öffne, dass Himmel auf Erden erschiene, dass die Erde voll werde der Gegenwart Gottes. Lassen Sie uns davon die ganze Adventszeit über reden, lassen Sie uns darauf hoffen. Amen.
Bemerkenswert konzentriert und aktuell predigt Pfarrin Busch-Wagner über einen “harten” Text des Propheten Tritojesaja. Er enthält hauptsächlich Klagen und endet aber mit einer hoffnungsvollen Verheißung. In dem bekannten Lied von Bob Dylan versucht ja ein Leidender in einer Leidenzeit den im Grunde doch gütigen Gott vom Himmel auf die Erde zu locken. Der Prophet kennt unsere Sünden . Am Ende sprechen der Prophet und die Pfarrerin von der Hoffnung, dass Gott den Himmel wieder öffnet und mit Güte zu uns kommt. Darauf sollen wir in der Advents- und Weihnachtszeit hoffen.
Durch den klaren Realismus der Predigt ist dann die Hoffnungsbotschaft besonders eindringlich und überzeugend.