„Bei dir, Jesu, will ich bleiben…“

Ruf zur Wachsamkeit

Predigttext: Matthäus 26,36-46
Kirche / Ort: Emmaus-Gemeinde / Karlsruhe-Waldstadt
Datum: 13.03.2022
Kirchenjahr: Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrer Dr. theol. In Jung

Predigttext: Matthäus 26, 36-46 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, tohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte. Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

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Pfarrer Dr. theol. In Jung zum Gruß

Nach seiner theologischen Promotion bei Professor Dr. Peter Lampe (NT) an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg mit dem Thema „Passio Christi, Tribulatio Discipuli. Eine exegetische und narratologische Untersuchung zu den Leidensvorstellungen des lk Doppelwerks“ (Göttingen 2020, NTOA/StUNT, Bd. 125) ist In Jung Pfarrer an der Emmaus-Gemeinde in Karlsruhe-Waldstadt. In Jung stammt aus Südkorea und lebt mit seiner Familie in Karlsruhe. Zusammen mit dem Redaktionsteam heiße ich Pfarrer Dr. In Jung im Kreis der Autorinnen und Autoren des Heidelberger Predigt-Forums herzlich willkommen und danke ihm für seine Mitarbeit.

Dr. theol. Heinz Janssen, Herausgeber und Schriftleiter des Heidelberger Predigt-Forums, online seit 1. Advent 2002.

 

Er wusste alles; auch den ganzen Vorgang seines Todes in allen Einzelheiten. Unmittelbar vor unserem heutigen Predigttext spricht Jesus zu Petrus: „Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“. (Matthäus 26,34) Im Gegensatz zu Jesus wussten seine Jünger nichts. Darum antworteten Petrus , und die anderen Jünger stimmten mit ein: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen“. (26,35) Danach setzt der heutige Predigttext ein. Ein Garten am Ölberg, die Dunkelheit der Nacht und Tränen. In dem einsamen Garten Gethsemane überfiel Jesus die Angst, und er wurde zu Tode betrübt. Er fiel auf sein Angesicht, und er wusste, was der nächste Morgen ihm bringen wird. Er betete zu Gott, seinem Vater im Himmel.

(Lesung des Predigttextes, Matthäus, 26,36-46; Kanzelgebet: GOTT, himmlischer Vater, schenke Hören, Verstehen und Reden durch deinen Heiligen Geist.)

Jesus erscheint in seiner ganzen Menschlichkeit, voller Angst. Er ringt mit Gott und bittet seine Vertrauten um Beistand. Menschlich, allzu menschlich scheinen seine Angst und Traurigkeit. Tritt die Beschreibung des Evangeliums der religiösen Autorität oder Dignität unseres Herrn zu nahe? Ein griechischer Philosoph aus dem dritten Jahrhundert, der dem berühmten Kritiker des Christentums, Celsus, unmittelbar folgte, verhöhnte Jesus: Dass „er doch selbst zitterte und zagte, in der Erwartung des kommenden Schrecklichen schlaflos war, im Gebet erflehte, es möge das Leiden an ihm vorübergehen … Das sind doch keine Worte, die eines Kindes Gottes würdig sind, ja nicht einmal eines weisen Mannes, der den Tod verachtet“. Welches Gefühl haben Sie, wenn Sie von der Angst Jesu und seinem Ringen mit Gott in Gethsemane hören? Das Evangelium deutet an, dass Jesus in der Sprache der Leidenspsalmen betet. Das bedeutet: Wir dürfen uns angesichts der Leiden Gott unsere Angst sagen. Das ist nicht nur menschlich, sondern auch biblisch. Auch heute haben wir gemeinsam einen Psalm gesprochen: „Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten“. (Psalm 25,17)

Jesus war und ist „wahrer Mensch und wahrer Gott“, das bekennen wir. Darum ist Jesus unser Vorbild und kann mit den Menschen in Todesnot solidarisch sein. Anders als bei dem antiken Philosophen ist Jesus unser Herr, nicht deshalb, weil er ein weiser Mann war, der den Tod verachtete, sondern weil er in seiner Angst Gott vertraute und den bitteren Kelch für uns austrank. Wie der Verfasser des Hebräerbriefes schrieb: „Da er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden“. (Hebräer 2,18) Die Tränen steigen Jesus in die Augen, sooft Menschen leiden, hier und jetzt und in diesen Tagen in der Ukraine, wo der russische Machthaber unter weltweitem Entsetzen einen blutigen Krieg begann.  Es ist andererseits auch menschlich, nur allzu menschlich, Gott und seinen Messias, den Christus, sich nur in Macht oder in unbeschränkter Herrschaft vorzustellen. Christus, der Messias, bedient sich nicht der Waffengewalt, wie auch Jesus von Nazareth das römische Reich nicht durch äußere Gewalt und Blutvergießen besiegte, sondern bei den Leidenden, Trauernden und Sterbenden ist, mit ihnen geht  und für sie da ist.

„Bleibt hier und wachet mit mir!“ (V. 38), bittet Jesus. Auch Sie waren schon für Menschen da, wenn Sie Hilfe brauchten. Sie blieben bei ihnen und wachten mit ihnen. Vielleicht standen Sie Ihren Kindern  bei, wenn sie vor Klassenarbeiten oder Prüfungen aufgeregt waren und Angst hatten. Oder Sie waren für Ihre Eltern da, wenn sie  krank waren. Weitere Beispiele ließen sich anfügen. Vor geraumer Zeit musste ich eine Witwe, ein Gemeindeglied, beerdigen. Sie starb bald nach ihrem Mann. Ich lernte sie zuvor mit der Trauerfamilie kennen. Beruflich war sie im Schichtdienst tätig. Über zwanzig Jahre brachte ihr Mann sie frühmorgens zu ihrer Arbeitsstelle in der Innenstadt, und er holte sie auch ab, wenn sie Nachtschicht hatte. So wachte er für sie, wenn sie Nachts arbeitete. Jetzt ruhen sie gemeinsam im Frieden Gottes.

„Wahrer Mensch und wahrer Gott“ war und ist Jesus Christus. Jesu wünscht sich, dass seine Jünger mit ihm wachen. Jesus schenkt sich nicht allein den Seinen, sondern sucht auch die Gemeinschaft mit ihnen. „Wachet mit mir.“ Auch wenn Jesus wusste, dass seine Jünger ihn verlassen werden, bat er um ihre Gemeinschaft. Seine Vertrauten waren aber schwach (V. 41). Nichteinmal eine Stunde konnten sie mit ihm wachen (V. 40f). Immerhin wachten sie mit Jesus, als er in Gethsemane zu beten anfing. Wir erinnern uns an seine Worte: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“. (V. 38) So teilte sich Jesus seinen Jüngern mit. Obwohl sie gar nichts verstanden, hielt er an der Gemeinschaft mit ihnen fest. Jesus bittet uns auch heute: „Wachet mit mir!“ Was bedeutet es, mit Ihm zu wachen? Lasst uns dankbar an die Gemeinschaft denken, die Jesus uns schenkt. Jesus ist und bleibt bei uns „bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Auch wir wollen bei ihm bleiben – „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“, heißt es in einem Lied. Stimmen wir in die erste Strophe des Liedes ein.

Lied: „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“ (EG 406,1)

Mit Jesus wachen und bei ihm bleiben, hier in unserer Gemeinde und weltweit! Vom griechischen Wort für „wachen“ leitet sich der Name „Gregor“ ab. Dieser Name war in den ersten christlichen Gemeinden sehr beliebt, er war ein Bekenntnis zur bleibenden Wachsamkeit in Glaube, Hoffnung und Liebe und dass wir in dieser Gesinnung einander in Leid und Trauer beistehen. Auch heute fragt uns Jesus besorgt: „Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen?“, und er weckt uns aus dem Schlaf: „Steht auf …“.

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2 Kommentare on “„Bei dir, Jesu, will ich bleiben…“

  1. Prof. Sontraud Speidel

    Sehr schön und schlüssig ist Jesus als Mensch mit Emotionen UND als Gottes Sohn in seiner Funktion als Erlöser dargestellt.

  2. Prof. Sontraud Speidel

    Schöne und eindringliche Schilderung von Jesus als Mensch mit Emotionen UND von Jesus als Gottes Sohn in seiner Funktion als Erlöser.

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