„Im Bauch des Fisches …“
Österliche Wandlung
Predigttext (in der Predigt als eigene Übersetzung des Predigtautors zitiert):
Jona 2,(1-)3-10(11)
Erste Gedanken beim Lesen
Dass ein Fisch einen Menschen frisst, kann man sich vorstellen. Aber dass er (lebendig) im Fischbauch lebt - und betet, ist eine sagenhafte Vorstellung. Das Gefühl der Angst kann man sich gut vorstellen. Was sind das für Worte, die Jona ausstößt! Nicht Menschen haben ihn ins Wasser gestoßen - im 1. Kapitel wird der Grund dafür erzählt -, sondern Gott hat den Propheten „in die Tiefe“ geworfen, „mitten ins Meer“. Die Schilderung des Ertrinkens berührt mich sehr. „Der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich“. Das ist das Ende. Das ist das „Reich des Todes“.
Und dann das „aber“. Am tiefsten Punkt wird der Ertrinkende „aus dem Verderben geführt“ - wie aus einem dunklen Wald. Am tiefsten Punkt „gedachte ich an den Herren“. Die Geschichte vom Verlorenen Sohn fällt mir ein. Das Gebet Jonas gelangt in den Tempel Gottes wie ein Brief, der zugestellt wird. Zum Dank will der Prophet Opfer darbringen und seine Gelübde erfüllen. All dies sind Gedanken und Gebete und Geschehnisse in der Zeit des Fischbauchs. Und dann kommt die „Geburt“ Jonas: Auf Geheiss Gottes „spie (der Fisch) Jona aus ans Land“.
Es ist die Geschichte einer Katastrophe, eines Untergangs. Bilder aus dem Krieg tauchen auf. Unendliche Zerstörungen. Millionen Menschen auf der Flucht. Wohin? Gibt es ein Zurück? Was kann uns der Jona-Psalm heute sagen? Was soll die Botschaft einer Predigt sein, wenn Menschen aus der Ukraine unter der Kanzel sitzen?
Anmerkungen zum Predigen
Die Geschehnisse der Zeit müssen Auswirkungen für alles Predigen heute haben:
- der Krieg in der Ukraine, wie auch die Kriege in vielen Teilen der Welt
- die Corona-Pandemie
- die weltweite Klimakrise
Die Symbolik des Untergehens, des Leidens und Sterbens ist in kaum einem anderen biblischen Text so beschrieben wie im sog. Jonapsalm. Manche Kirchen wie z.B. die Auferstehungskirche in Siegburg haben Darstellungen der Jona-Erzählung, die Passion und Ostern wiederspiegeln.
V6 mag eine Vorlage zur Credo-Aussage „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ sein. Ebenso kann V8 eine Vorlage sein für den „Verlorenen Sohn“: „ich habe an GOTT gedacht, mich seiner erinnert“. Der Bauch des Fisches wird beschrieben mit Organen, die mit der Geburt zusammenhängen: Herz, Leib, Gedärm; auch das „Ausspucken“ V11 könnte an eine „Austreibung“ bei der Geburt erinnern.
Auffällig auch die gleiche Reaktion auf die „Rettung“ von Jona wie vorher der Seeleute, die Jona ins Wasser geworfen haben (Jona 1,16b): Opfer bringen sowie Gelübde erfüllen; vgl. den „Blitzschlag bei Stotternheim“ Anfang 1505, der den 21-jährigen Martin Luther das Gelübde fassen ließ, ins Kloster zu gehen.
Wie und was können wir heute noch predigen? Die Nachrichten aus der Ukraine, aber auch aus Mali, aus Syrien, aus Äthiopien und anderen Teilen der Welt können uns doch nicht einfach ruhig lassen. Und wir sitzen hier in der Kirche wie weiland Jona im Bauch des Fisches und versuchen, uns zu sortieren, versuchen, Antworten zu finden, zu unterscheiden, was gut ist und „was Gott von uns fordert“ (Mi 6,8). So wollen wir die Geschichte des Jona hören – genau genommen die Worte und Gedanken, die er im Bauch des Fisches geäußert hat. Hören wir Jona, Kapitel 2:
1 Und es bestellte GOTT einen großen Fisch, den Propheten Jona zu verschlingen.
Und Jona war in den Eingeweiden des Fisches drei Tage und drei Nächte.
2 Und Jona flehte zu GOTT, seinem Gott aus den Eingeweiden des Fisches
3 und sprach:Ich habe geschrien aus meiner Not zu GOTT, und er erhört mich.
Aus dem Leib der Hölle (Scheol) rief ich um Hilfe, du hörtest meine Stimme.
4 Du hast mich in die Tiefe geworfen, in die Mitte des Meeres, und Ströme umgaben mich. Alle deine Brandung und deine Wellen strömten über mich,
5 sodass ich dachte, ich wäre vor deinen Augen vertrieben.
Sollte ich nochmal deinen heiligen Tempel sehen können?
6 Wasser stiegen mir bis zur Gurgel. Tiefe umgab mich.
Tang umschlang meinen Kopf;
7 bis zu den untersten Gründen der Berge bin ich hinabgestiegen, die Erde (verschloss) ihre Riegel hinter mir für immer. Aber du hast mein Leben herausgezogen aus der Grube, GOTT, mein Gott.
8 Als in mir meine Seele verschmachtete, habe ich an GOTT gedacht.
Und es kam zu dir mein Gebet zum heiligen Tempel.
9 Die windige Nichtse verehren, die verlassen ihre Gnade (Liebe).
10 Doch ich will dir mit lauter Stimme opfern, was ich gelobt habe, ich werde meinen Dank abstatten dir, GOTT, der mich gerettet hat.
11 Und es sprach GOTT zum Fisch, und er spie Jona aus ans trockene Land.
Sie werden die Geschichte von dem Propheten Jona kennen, den Gott beauftragt hat, der sündigen Stadt Ninive ihren Untergang zu prophezeien. Doch Jona will nicht. Er „rettet“ sich auf ein Schiff, das in einen gefährlichen Seesturm gerät. Die Matrosen suchen den „Schuldigen“ für das Unwetter, und Jona gibt sich zu erkennen als treulosen Propheten: „Nehmt mich, und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen“ (Jona 1,12a). Nach einigem Zögern folgen die Seeleute dem Wunsch Jonas. Doch sogleich schickt Gott einen großen Fisch, der Jona aufnimmt. Für 3 Tage. Eine märchenhafte Erzählung, die man kaum glauben kann.
Doch wenn man die Gedanken und Worte auf sich wirken lässt, die der Eingeschlossene im Bauch des Fisches äußert, dann werden bei uns Situationen wach, die wir kennen. Es sind Bilder, die an eine große (äussere) Not erinnern. In unseren Tagen stehen uns die furchtbaren Bilder aus der Zeitung vor Augen, aber auch die Berichte von Betroffenen, von Journalisten, von den ukrainischen Frauen, die es zu uns (z.B. nach Hamburg) geschafft haben mit Sack und Pack und ihren Kindern. Können sie – und wir – wirklich sagen, dass GOTT sie „in die Tiefe“ (V4) geworfen habe? Waren es nicht Menschen, die sie „mitten ins Meer“ der Katastrophe gestürzt haben – wie auch Menschen Jona über Bord geworfen haben?
Sind es nicht Menschen, die Menschen Böses oder auch Gutes antun? Wieso wendet sich Jona in unserer Geschichte an Gott? Jona spricht sogar davon, dass Gott zuhört und antworten kann. Können wir das heute noch? Können wir die Kriege z.B. in Mali Gott in die Schuhe schieben – so wie Jona? Ich bin sicher, er wusste um die Tat der Matrosen! Doch was geschieht in dem Propheten? In seinem Psalm sagt er: „Als in mir meine Seele verschmachtete, habe ich an GOTT gedacht.“ (V8a)
Hier mag uns Jesu Geschichte vom Verlorenen Sohn einfallen, der sich auf dem Tiefpunkt seines Lebens an seinen Vater erinnert und ein langes Selbstgespräch führt, das ihm die Kraft gibt, wieder nachhause zu gehen (Luk 15,17-19). Ist der Jona-Psalm die Vorlage für die Erzählung Jesu? Vielleicht kennen wir das, dass wir „in der Tiefe“ zur Besinnung kommen, zum Nach-Denken. Und dass wir dann etwas ganz anderes und neues tun. Jona wenigstens bekommt eine neue Haltung zu seinem Leben. Er stellt fest, dass die, „die windige Nichtse verehren, … ihre Gnade (Liebe) (verlassen)“ (V9). Das hebräische Wort für Gnade (chäsäd) enthält eine Liebe und Treue, auf die wir Menschen uns verlassen können. Es meint eine Weichheit, eine Anmut, die uns guttut.
Und genau dies brauchen wir wie auch die Menschen, die zu uns flüchten. Jona spürt diese Treue Gottes. Darum kann er sich wie der Verlorene Sohn aufmachen: „Doch ich will dir mit lauter Stimme opfern, was ich gelobt habe, ich werde meinen Dank abstatten dir, Gott, der mich gerettet hat.“ (V10) Würde nicht jeder ein Gelübde ablegen, nur um aus der Katastrophe, aus dem Elend, aus dem Krieg heil herauszukommen? Vielleicht denken wir hier an den 21-jährigen Martin Luther, den auf dem Rückweg von seinen Eltern in die Universität in Erfurt ein Gewitter ereilte. In der Nähe von Stotternheim schlug der Blitz ein. Voller Panik rief Luther: Hl. Anna, ich will ein Mönch werden. Wenig später, am 17.7.1505, trat er in das Schwarze Kloster zu Erfurt ein.
Vielleicht will uns der Jona-Psalm an einer Wandlung teilnehmen lassen, die ein Mensch erlebt hat. Einige Worte des Textes tragen die Symbolik einer Geburt, wenn es heisst, dass Jona in den Gedärmen des Fisches haust, oder wenn vom Bauch oder vom Herzen, als dem Innersten im Menschen die Rede ist. Vielleicht ist auch das „Ausspeien“ Jonas aus dem Fisch ein Bild für die Geburt: Jetzt ist er wirklich zur Welt gekommen. Jetzt kann er stracks nach Ninive gehen und Gottes Botschaft ausrichten …
Vielleicht brauchen wir Menschen gelegentlich eine „neue Geburt“ aus einer Katastrophe, die wir nicht gewollt, aber – wenns gut geht – angenommen haben. Vielleicht müssen wir mehrfach zur Welt kommen, um ein Mensch zu werden. „Wieviel Zeit braucht ein Mensch, um ein Mensch, um ein Mensch zu werden?“ hat der Sacro-Pop-Musiker Peter Janssen in den 80er Jahren gesungen. Jona wäre um ein Haar im Tode geblieben. Manche sehen in den Bildern des Psalms eine furchtbare Depression, die ihn hinabsteigen lässt „bis zu den untersten Gründen der Berge. … , die Erde (verschloss) ihre Riegel hinter mir für immer.“ (V7) Wie kann man sich dagegen schützen?
Was will uns dieser Jona-Psalm am heutigen Ostermontag sagen? Was sagt er uns über Jesus, der ebenfalls „hinabgestiegen (ist) in das Reich des Todes“, wie es unser Glaubensbekenntnis sagt? Und der dann „am dritten Tag“ aufsteht aus den Toten. Hier kommt eine Hoffnung zum Ausdruck, die alle Menschen be-geistern will: Der große Gott, der sich erniedrigt hat, den man „ins Meer“ geworfen hat und der immer in Liebe und Treue mit seinen Menschen verbunden war, der lebt und hält die Tür zum Leben offen, sodass wir unversehrt (wieder) zur Welt kommen und den Auftrag erfüllen, den wir in uns spüren. Ist es nicht der Auftrag der chäsäd, der Liebe und Treue zu den Menschen, der uns wandeln und zu Menschen machen will? Und das, auch wenn unsere Seele verschmachtet (V8), wenn wir glauben, dass sich „die Riegel hinter uns für immer (schließen)“ (V7b), dass wir untergehen „bis zu den untersten Gründen der Berge“ (V7a). Unser aller Gott ist das Leben, ist die Liebe, ist die Hoffnung. Diese Auferstehung, diesen Aufstand gegen den Tod, lasst uns am heutigen Tag feiern!