“Wie neugeboren…”

Neue Sicht auf das Leben

Predigttext: Kolosser 2,12-15
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 24.04.2022
Kirchenjahr: Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Dr. theol. Heinz Janssen

Predigttext: Kolosser 2,12-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

12 Mit ihm (Christus Jesus) seid ihr begraben worden in der Taufe;
mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.
13 Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches,
und hat uns vergeben alle Sünden.
14 Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war,
und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet.
15 Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet
und sie öffentlich zur Schau gestellt
und über sie triumphiert in Christus.

 

zurück zum Textanfang

Eine Woche nach Ostern ermutigt de Predigttext aus dem Kolosserbrief  erneut, die österliche Freude, die Zuversicht und die Hoffnung lebendig zu halten. Die orthodoxe Kirche feiert heute den Festtag der Auferstehung Jesu, weil sie Ostern von der jüdischen Pessachfestwoche unterscheiden möchte, die in diesem Jahr gestern endete. Papst Franziskus setzte im Jahre 2015 mit seiner Empfehlung, für die gesamte Christenheit einen gemeinsamen Ostertermin zu vereinbaren, ein starkes Zeichen, sie ist aber bis heute noch nicht verwirklicht.

„Quasimodogeniti“ heißt dieser erste Sonntag nach Ostern, in den katholischen Gemeinden in Erinnerung an die Taufe auch „Weißer Sonntag“ genannt. Die lateinische Bezeichnung bedeutet „wie eben geborene“ – „wie die neugeborenen Kindlein“ übersetzt Martin Luther, und sie stammt aus dem
1. Petrusbrief, dort heißt es (2,2f.):  „seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie wachset zum Heil”. Wachsen auf das Heil hin, d. h. wir haben keinen fertigen Osterglauben, er ist eher wie ein zarter Keim, ein kleines Pflänzchen, die Pflege brauchen, danut sie wachsen und gedeihen können. Unser Glaube braucht Raum zur Entfaltung, eine Gemeinschaft, in der wir einander an den Grund des Glaubens erinnern und bestärken. Zuweilen muss solcher Glaube in uns neu geweckt werden. Ein solcher Erinnerungs- und Weckruf sind auch die vier Verse aus dem Kolosserbrief.

I.

Der Apostel Paulus oder ein Schüler von ihm schrieb den Brief an die Gemeinde in Kolossä (heute: Honaz). Epaphras, ein Mitarbeiter des Paulus hatte die Gemeinde gegründet. Nach dem Verlesen in Kolossä sollte der Brief auch an die Nachbargemeinde Laodicaea weitergereicht werden (4,16). Inhaltlich bestimmt ist der Brief einerseits von der Dankbarkeit des Apostels für den lebendigen Glauben in der Gemeinde, für die Liebe und die Hoffnung (1,3-5), andererseits von der Sorge, dass die Gemeinden von diesem Glauben abzuweichen (2,4). Denn, wie wir im Brief erfahren, traten in der Gemeinde Prediger auf, die das Evangelium, die Christusbotschaft, mit problematischen Ideologien vermischten (2,8). Der Brief gibt uns allerdings keine näheren Auskünfte über diese Prediger. Nur soviel, dass sie ihre Christusverkündigung mit Lehren verbanden, die nach Überzeugung des Apostels vom biblischen Glauben wegführten (z.B. die Lehre von den vier Elementen „Wasser, Erde, Feuer, Luft“ und die Lehre von kosmischen „Mächten“, 2,8.10.15).

Der Predigttext gibt uns Einblick in die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen der ersten Gemeinden um den Glauben und seine Folgerungen für das Leben in Gemeinde und Gesellschaft. Ich wünsche mir heute in unseren Gemeinden solche Leidenschaft. Nicht, indem wir uns über Andersdenkende, Andersglaubende oder angeblich Nichtglaubenden stellen, sondern mit ihnen argumentativ um Verständigung ringen, nicht “auseinander setzen”, sondern “zusammen setzen”, bereit, voneinander zu lernen. Ich denke dabei an die Worte, die für mich zu den schönsten im Kolosserbrief gehören: „zu erkennen das Geheimnis Gottes, das Christus ist. In ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (2,2f.).

II.

„Mit ihm (Christus Jesus) seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.“ Mit der Erinnerung an die Taufe greifen diese Worte in den Streit ein. „Mit ihm (Christus Jesus) seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.“ Eine neue Sicht auf das Leben. Zielt darauf unsere Leidenschaft in der gemeinsamen Suche nach dem verheißenen Schatz? Zielt sie auf  gegenseitige Vergewisserung: Christus, das Licht in der Nacht?

„Mit ihm begraben – mit ihm auch auferweckt.“ Mit ihm auch auferweckt? Jetzt schon? Heute? Was für eine Aussage! Auch für unsere Ohren ungewöhnlich, die wir doch sonst die Auferstehung der Toten erst in der Zukunft, am „jüngsten Tag“, erwarten. So haben wir es heute mit dem Nizänischen Credo ausdrücklich bekannt: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“.

Die Betonung, durch den Glauben jetzt schon mit Christus auferweckt zu sein, knüpft vielleicht an die Lehre jener anderen Prediger an, die damit um die Gemeinde werben. Jetzt schon, gleichsam im „siebenten Himmel“. Das Leben hier spiele nicht mehr die gewichtige Rolle. Man habe die Welt bereits hinter sich gelassen. Nur komme jetzt alles darauf an, nicht mehr zurückzufallen. Konzentration auf sich selbst habe oberste Priorität. Dazu gehöre besonders, sich zu wappnen gegenüber bedrohlichen kosmischen Mächten, z.B. durch Einhaltung rigoroser Vorschriften und die Praxis  radikaler Änderung der Lebensgewohnheiten.

III.

Ausdrücklich ist im Brief vermerkt, jene Prediger setzten auf das schlechte Gewissen derer, die sich in Christus nach wahrem Leben sehnten (2,16). Dem setzt der Autor entgegen: Gott „hat die (bedrohlichen) Mächte entmachtet und über sie triumphiert in Christus“ (2,15). Ja, Christus Jesus ist „das Haupt aller Mächte“ (2,10), darum haben sie keine Macht mehr über die, die sich an ihn halten (2,8).

Dennoch leben wir als Glaubende noch nicht im „siebenten Himmel“. Es gilt, was der Gemeinde am Schluss des Briefes ans Herz gelegt wird (3,17) und das Dietrich Buxtehude in seiner gleichnamigen Kantate besingt: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn“.

In Christus hat Gott die Liebe auferweckt. Sie ist das wärmende Leuchtfeuer in unserer Welt. Darum will ich mich heute von neuem wecken lassen und mich an Gott und Jesus, seinen Christus, halten. „Mit ihm seid ihr auferweckt durch den Glauben“ – was dies bedeuten kann, hat Marie Luise Kaschnitz in die orte gefasst: „Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage“.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.