Verantwortlich

Hoffnung auf den lebensschaffenden Geist Gottes

Predigttext: Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 03.07.2022
Kirchenjahr: 3. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Uwe Hauser

Predigttext: Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden«?     3 So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. 4 Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben.

21 Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. 22 Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat. 23 Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? 24 Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern wegen seines Treubruchs und seiner Sünde, die er getan hat, soll er sterben.

30 Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der HERR. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. 31 Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? 32 Denn ich habe kein Gefallen am Tod dessen, der sterben müsste, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.

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Sie haben im Augenblick keine Zahnschmerzen? Gut! Dann lehnen Sie sich enstpannt zurück und gehen ein wenig in sich. Denken Sie an den letzten Zahnarzttermin, den Sie versäumt, die Untersuchung, die dringend anstünde und vielleicht die Wurzelbehandlung, die Ihnen noch bevorsteht! Keine angenehmen Aussichten! Gewiss wird Tante oder Onkel Doktor beim nächsten Mal feststellen, woran es liegt, dass Sie eine Krone oder eine Füllung brauchen. Zuviel Schokolade genascht, zu selten die Zähne richtig gründlich geputzt. (Ach ja, was hat ein treuer Zahnarzt mich hier schon ermahnt…)

Ja, ja, jedes Törtchen hat seine Folgen, jedes Tun zeitigt Konsequenzen, bisweilen auch die Unterlassung und an wenigen Stellen unseres Körpers spüren wir einen so direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen unserem Handeln und unserem Ergehen wie bei unseren Zähnen. In diesem Fall ist es auch schlecht möglich, die Schuld für unseren schlechten Zahnbestand auf andere zu schieben: “also wenn meine Frau nicht so leckere Torten backen würde oder die Regale in den Supermärkten nicht so wunderbar schmeckende Süßigkeiten anböten, dann ja, dann wäre mein Zahnbestand entschieden besser.“

So spricht Hesekiel von der Sünde:  Jedem geschieht es nach seinen Handlungen. Jedem, nach seinen Verfehlungen. Sie fallen wieder auf einen zurück! Unmittelbar und ohne wenn und aber. „Jeder, der sündigt soll sterben!“

Nun denn, wollen wir dann antworten und sagen: „Lieber Hesekiel! Ist das wirklich so! Haben wir nicht genug Kerle in der Geschichte der Menschheit gehabt , die gut davon gekommen sind, obwohl sie große Sünder waren? Hat denn Putin oder Saddam Hussein oder Hitler der Schlag getroffen, ob der Kriege, die sie geführt haben? Und umgekehrt: Haben wir nicht viele Menschen erlebt, die „anständig“ gelebt haben und trotz alledem elend gestorben sind, denen es trotz alledem richtig schlecht ging?

Geht die Gleichung wirklich so glatt auf: Du bist ein anständiger Mensch, dann wirst du leben, du bist ein unanständiger Mensch, und du musst sterben?

Gute Einwände! Hesekiel würde sie nicht gelten lassen!  Vielleicht müssen wir deswegen ein wenig genauer hinschauen, was der Prophet  eigentlich meint!

Hesekiel lebt „in the eye of the Tiger“, in der Welt- und Hauptstadt Babylon, die den ganzen damals bekannten Nahen Osten beherrscht.  587 v. Chr. haben die Babylonier Jerusalem erobert und um ein Haar das jüdische Volk ausgelöscht. Die Babylonier haben die jüdäische Oberschicht nach Babylon deportiert. Fern von der geliebten Heimat Israel leben sie im Exil an Euphrat und Tigris. Die dort geborenen und aufgewachsenen Kinder sagen:

„Unsere Väter haben gesündigt, deswegen hat unser Volk das Land verloren, deswegen mussten sie damals ins Exil! Aber wir müssen die Folgen der Fehler unserer Väter ertragen! Wir sitzen hier im fernen Babylon! Unsere Väter haben saure Trauben gegessen und wir haben stumpfe Zähne bekommen!“

Dieser Relativierung der eigenen Verflechtung in Schuldzusammenhänge setzt Hesekiel eisern entgegen, dass jeder Mensch vor Gott in einer letzten Verantwortung für sein eigenes Leben steht. Jeder muss für sein Leben gerade stehen, keiner kann Verantwortung an andere für seine Taten abschieben. Geschichte, Traditionen, Bedingungen, Zeitläufe, nein jeder ist verantwortlich für sein Leben.

Das können wir gut verstehen: War es doch bis vor nicht allzu langer Zeit üblich, bei Straftätern die Schuld immer in seinem Umfeld zu suchen:  Er ist straffällig geworden, weil er aus diesem oder jenem sozialen Milieu kommt. Sie kann gar nicht anders. Ihre Mutter war auch schon Prostituierte. Der Vater war auch schon mit sechzehn im Jugendarrest. Das muss beim Sohn genauso sein.

Oder schauen Sie in die Hirnforschung: Je genauer wir die Areale unseres Gehirnes erforschen, desto mehr Menschen behaupten alles läge nur daran, dass dieser oder jener Lappen unseres Gehirns mehr oder weniger aktiviert wird. Alles biochemische Prozesse. Da haben wir überhaupt keinen Einfluss drauf!

Oder eine noch elegantere These zur Vermeidung von Verantwortungsübernahme: es ist genetisch bedingt, dass ich diese oder jene Straftat verübe, weil ich darauf programmiert bin.

Die Behauptung laufen immer auf dasselbe hinaus: Für unsere bösen Taten sind wir letztlich gar nicht verantwortlich. Das passiert einfach so mit uns. Dagegen können wir uns letztlich gar nicht wehren. Es kommt einfach über uns und dann müssen wir es eben erdulden, aushalten und sind – entschuldigt.

Hesekiels Botschaft lautet: Keine Ermäßigung, weder durch die Geschichte, noch durch die eigene Biographie, das Milieu, die biophysikalischen Bedingtheiten der eigenen Existenz. Seine klare Botschaft lautet. Wir stehen in einer letzten Verantwortung vor Gott für all unser Tun.

Das hat einen befreienden Charakter. (Ja!). Denn wir müssen nicht mehr irgendeine andere Ursache benennen für unsere Schuld als uns selber. Wir müssen keine Entschuldigung mehr suchen und es macht auch niemand besser oder schlechter.

Denn es macht uns frei davon anderen die Schuld in die Schuhe schieben zu müssen. Und es verbindet uns mit allen anderen. Hier steht keiner besser da, als der oder die andere.

In alledem gibt es nur Hoffnung auf den lebensschaffenden Geist Gottes. Denn Gottes Wunsch ist nicht unsere Vernichtung: „Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen. Vielmehr dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt“.

Gott zielt auf unsere grundlegende Verwandlung. Gottes größter Wunsch und all sein Trachten sind unser Leben. Er möchte, dass wir neue Menschen werden, die mit ganzem Herzen stehen können zu ihrer Schuld. Aber die auch fest darauf vertrauen, dass er uns nicht aufgibt, sondern seine Güte und Treue alle Morgen ganz neu ist.

Sie wissen, was es bedeutet in einer Familie, in einer Ehe, wenn einer hartnäckig jede Schuld an einer Krise und an einer Trennung verleugnet.  Sie kennen das, wenn einer behauptet, immer alles richtig zu machen und dass die anderen falsch liege. Wenn eine so penetrant schuldlos und rein und gut und heilig ist und die anderen Versager klein und schwach. Wie befreiend, wenn wir darum wissen, dass wir vor Gott alle im gleichen Boot sitzen, das keine und keiner einen Vorzug hat und dass Gottes Willen unser gelingendes Leben ist.

Da ist die schwerkranke, depressive und psychotische Frau. Seit Jahren muss sie vor allem in Zeiten, in denen sie Anfälle hat, in denen sie in eine Krise hineinschlittert, schwere Medikamente nehmen. Bisweilen muss sie auch in die Psychiatrie. Wie befreiend, ja nahezu erlösend ist es, als ich sie in der Klinik besuche und ihr zuspreche, dass für sie Hoffnung besteht, dass egal wie schwer ihre Erkrankung ist, ganz egal wie sehr sie sich alledem ausgeliefert erlebt, wie sehr sie glaubt da nie und nimmer herauszukommen, Gott keinen Gefallen hat an ihrer Erkrankung. Sie wird noch viele Jahre Ihre Medikamente nehmen müssen, sie wird noch lange der Betreuung bedürfen, aber es besteht Hoffnung gegen alle Hoffnungslosigkeit. Gott hat sie nicht abgeschrieben. Die Ärzte auch nicht und ich als Pfarrer und Christenmensch schon gar nicht. Ich hoffe ja schließlich für alle Menschen – sogar für mich.

Oder da ist der Alkoholiker. Sein Alkoholabhänigkeit hat seine ganze Familie zerstört. Seine Frau hat ihn verlassen. Mit den Kindern hat er nur noch am Rande Kontakt. Immer wieder kommt es zu Ausfällen und zur Gewalttätigkeit unter Alkohol. Gibt es noch Hoffnung für ihn? Ist er aufgegeben, als „austherapiert“ abgeschrieben? Er weiß um seine Gefährdung! Er kämpft sein Leben gegen den Absturz! Gott hat keinen Gefallen an seinem Tod, sondern vielmehr dass er wieder das Leben lernt. Wie sehr bedarf er des Zuspruchs. Es fällt mir so schwer für ihn zu hoffen! Aber ich hoffe doch, dass Gott auch mich nicht aufgibt.

Ich höre schon Ihren Einwand. Aber das sind doch alles Menschen, die gar nichts dafür können, die da reingerutscht sind. Nein. Keine Ermässigung. Wie immer unser Leben ist. Wir stehen vor Gott in einer letzten unumkehrbaren Verantwortung.

Vielleicht liegt mein – und vielleicht auch Ihr – Widerstand darin begründet, dass wir der festen Überzeugung sind, eigentlich reine Hände und reine Herzen haben. Dass es eigentlich ganz ok mit uns ist.

Aber sind wir nicht auch hinein verflochten in ein System, dass Gewinner und Verlierer herstellt? Ist es nicht so, dass wir gerne auf der Seite der 20 % der Menschheit sind, denen es gut geht, die ganz gut leben können? Tragen wir nicht mit unserem Lebensstil unseren Teil dazu bei, dass unser Planet unbewohnbarer wird andere ausgebeutet und wir reicher werden?

An der Kasse bei einem Discounter. Vor mir drei braungebrannte junge Frauen. Sie waren nicht in Mallorca, sie kamen nicht aus Djerba, nein sie haben auf den Spargelfeldern rund um Karlsruhe gearbeitet. Abends um fünf nach 10 Stunden Arbeit hastig durch den Discounter gerannt, vorsichtig abwägend und prüfend, was alles kosten darf, die Taschen nicht zu voll. Dann wieder raus in die Hitze den Regen, drei Monate nonstop Arbeit, zehn bis elf Stunden Arbeit. Das Pfund Erdbeeren in meinem Wagen und das Kilo Spargelhätte ich gerne bezahlt angemessen, dass auch diese Menschen unter anderen Bedingungen arbeiten und leben können. Schuldig sein, Verantwortung tragen oder alles abschütteln. Die Dinge sind wie sie sind. Wir können sowieso nichts ändern alles wird blieben wie es ist. Da kann man nichts machen.

Hesekiel vertraut auf den verändernden Geist Gottes, der aus mir gottlosem Menschen einen neuen Menschen macht, dessen Herz sich wandelt, der in Gottes Wegen wandelt, der neu wird in seinem ganzen Wesen jeden Tag. Das ist seine große Hoffnung. Am Ende des Hesekielbuches steht deswegen die große Vision von einem neuen Jerusalem, in denen Gerechtigkeit lebt und wohnt.

Das ist die Hoffnung für uns: Ich kann ein neuer Mensch werden. Gottes Geist wird mich wandeln. Darum kann man nur bitten: „Schaffe in mir Gott ein neues, reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir, damit ich nach deinen Geboten wandle und danach tue. Komm, Heiliger Geist, erneuere deine Kirche und fange bei mir an!“ Amen.

 

 

 

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