Mit dem Herzen geben
Auch die kleinste Gabe für Hilfsbedürftige kann mehr sein...
Predigttext: Markus 12,41-44 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Das Scherflein der Witwe
41Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. 42Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. 43Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. 44Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
Das Kapitel 12 ist geprägt von Auseinandersetzungen. Direkt vor der Perikope warnt Jesus vor unglaubwürdigen Schriftgelehrten, die sich bereichern und sogar die Häuser der Witwen fressen (Mk 12,40).
Geld ist immer wieder Thema bei den Auseinandersetzungen gewesen. Der reiche Jüngling z.B. möchte wissen, wie er in das Himmelreich kommt. Als Jesus ihm sagt, er solle alle seine Habe den Armen geben, geht er traurig von dannen.
Jesus sitzt nahe am Opferstock, er erkennt an, dass viele Reiche viel in den Opferstock geben. Die Reichen geben zwar nicht ihre ganze Habe wie von dem reichen Jüngling gefordert, aber sie geben immerhin viel von ihrem Reichtum ab. Das ist nicht gering zu schätzen. Mit Geld lässt sich viel Gutes bewirken, manche Reiche tun es ja auch bis heute. Selbst wenn sie die Spenden bei den Steuern absetzen können, so hilft es doch, wo Not ist.
Geld wird gut, wenn es gut verwendet wird. Geben ist seliger als Nehmen, hat Jesus einmal gesagt (Apg 20,35), einen fröhlichen Geber hat Gott lieb, betont Paulus ( 2. Kor 9,7).
Jesus stellt die Witwe als Vorbild hin. Die Geschichte ist ein Gleichnis, es handelt sich um eine ideale Szene.
Die Witwe ist vermutlich keine reale Person, sie hat keinen Namen, bleibt anonym. Jesus geht es nicht um die reale Gabe, es geht um die Geisteshaltung, die Konsequenzen hat. Der Geist trägt Früchte.
Die Frau lebt im Vertrauen auf Gott, dass er für sie sorgen wird. Diese Haltung erinnert an den Ausspruch Jesu: Seht die Vögel unter dem Himmel. Sie sähen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen und euer himmlischer Vater ernährt sie doch ( Mt 6,26).
Die Witwe gehört zu der Gruppe, denen die Seligkeit verheißen wird: Selig sind die Armen, denn ihrer ist das Himmelreich (Mt 5,3; Lk 6,20). Witwen zählen zu den Armen, sie genießen Gottes besonderen Schutz.
Der 8. Sonntag nach Trinitatis hat den Schwerpunkt, unser Licht, das wir durch Christus empfangen haben, leuchten zu lassen. Die Leute sollen unsere guten Werke sehen und Gott im Himmel preisen. Der Glaube bringt Früchte hervor. Das Gleichnis von dem Scherflein der Witwe ist dafür ein Beispiel.
Mk 12,41-44 war in der vorherigen Perikopenordnung auf den Sonntag Oculi, gelegt. Für beide Sonntage passt diese Bibelstelle. Nach der markinischen Perikope beginnt bald der Leidensweg Jesu. Die Witwe war voller Hingabe, Jesu Tod stand nahe bevor, hat sich am Kreuz dahin gegeben.
Das Gleichnis bietet viel Stoff für eine Predigt z.B: Geld bzw. Umgang mit Geld, Reichtum und Armut, was sind meine Vorbilder, was macht mich glücklich. Ich habe einen Schwerpunkt darauf gesetzt, die Frau aus der Anonymität zu holen, ihr einen Namen gegeben, ihren Status als Witwe beleuchtet. Aus ihrer Verbindung mit Gott gewinnt sie Kraft, die ihre Früchte trägt.
„Gehst du weg?“, fragt ihre Mutter, als Anna sich ihr Tuch um die Schulter legt. „Ja“, antwortet sie, „ich möchte in den Tempel. Ich habe die Tiere gefüttert und den Stall sauber gemacht, ich bin rechtzeitig vor Sonnenuntergang wieder da.“
„Sprich auch ein Gebet für uns“, bittet ihre Mutter.
„Ja Mutter“ sagt sie, in Vorfreude auf den Tempel verlässt sie das Haus.
Annas Eltern sind alt, rechtschaffend und fromm, sie können nicht mehr in den Tempel gehen. Anna selbst ist nicht mehr ganz jung, sie hat die vierzig überschritten. Sie ist eine Witwe und wohnt wieder in ihrem elterlichen Haus. Sie kann sich freuen, dass ihre Eltern sie aufgenommen haben.
Ihre Eltern sind arm, müssen sehen, wie sie durchkommen. Anna weiß es zu schätzen, dass sie bei ihnen wohnen darf. Wo hätte sie auch sonst hingehen sollen, sie hat niemanden, an denen sie sich wenden kann. Ihre Witwenschaft hat sie in eine Notlage gebracht.
Sie hat nicht nur mit dem Verlust ihres geliebten Mannes zu kämpfen, sondern auch mit ihrer Existenz. Wovon soll sie leben? Es gibt niemanden, der sie ernähren könnte.
Annas Ehe ist kinderlos geblieben. Es gibt keinen Sohn, der für sie hätte sorgen können. Es gibt auch keinen Schwager mehr, der sie hätte heiraten können, sodass sie versorgt gewesen wäre.
Ihr Mann war ein Nachkömmling gewesen, die älteren Brüder sind längst vor ihm gestorben. Sie ist mittellos, wenn ihre Eltern sie nicht aufnehmen, bliebe ihr nur das Betteln oder die Prostitution. Wer aber würde einer Witwe Almosen geben, die ihrer Familie verstoßen hat?
Anna ist ihren alten Eltern von Herzen dankbar, dass sie ihr das schreckliche Schicksal erspart haben. Anna liebt ihre Eltern und ihre Eltern lieben sie, aber sie lassen ihre Tochter unausgesprochen wissen, dass sie sich baldmöglichst wieder verheiraten soll.
Anna macht sich Sorgen, es ist unwahrscheinlich, dass sie einen Mann findet. Wer würde eine alte unvermögende Witwe nehmen? Solange ihre Eltern leben, ist ihre Existenz gesichert, aber was kommt dann?
Der Tempel leuchtet in der Sonne, an diesem Tag will sie ihre Sorgen hinter sich lassen, an diesem Tag geht sie in den Tempel. Sie zieht ihr Tuch fester um die Schultern, mit jedem Schritt weitet sich ihr Herz. Die mächtigen Quader der hohen Tempelmauern strahlen im Sonnenlicht, die goldenen Zinnen glänzen. Groß und mächtig streckt sich das prächtige Eingangstor in den Himmel.
Der Tempel bildet den himmlischen Tempel ab, leuchtend und strahlend wie er ist, prächtig, mächtig und groß. Anna ist jedes Mal überwältig, wenn sie diesen Anblick erlebt. Im Stillen singt sie den Psalm: Wie lieblich schön, Herr Zebaoth, ist deine Wohnung o mein Gott (Ps 84), ihr Herz jubelt.
Ehrfürchtig steigt Anna die hohen Stufen zum Tor hinauf, angestrengt und ein wenig außer Atem erreicht sie das mächtige Eingangstor. Zwischen den beiden Säulen bleibt sie stehen, richtet ihre Augen in den blauen Himmel, betrachtet die gewaltigen aneinander gepressten Steine im Torbogen. Groß ist Gott und hoch zu loben, durchfährt es sie ehrfurchtsvoll. Eine kleine Weile steht sie so da, gibt dem Gefühl Raum, dann schreitet sie voller Vorfreude durch das erhabene Portal. Dahinter liegt der Vorhof der Heiden.
Nicht jeder hat Zugang zum Tempel. Es gibt eine strenge Ordnung. Nichtjuden ist es erlaubt, sich im ersten Hof aufzuhalten, dem sogenannten Vorhof der Heiden, man könnte auch sagen den Vorhof der Völker.
Anna überquert den Vorhof der Völker, dann gelangt sie in den Vorhof der Frauen. Der Vorhof der Frauen ist auch für jüdische Männer zugelassen.
Im Vorhof der Frauen stehen die Opferstöcke, 13 an der Zahl. Jeder Opferstock hat die Form einer großen Posaune. Anna geht auf einen der Opferstöcke zu. Sie steuert nur zögerlich ihr Ziel an. Was sollen die Leute denken. An ihrer schwarzen Kleidung ist sofort erkennbar, dass sie eine Witwe ist.
Witwen werden zwar besonders durch das Gesetz Mose geschützt, – man soll Witwen und Waisen Almosen geben-, aber ihnen wird nur einen Platz am Rande der Gesellschaft zugebilligt. Das baut nicht gerade auf.
Verschämt, nicht so stolz wie die Priester und Pharisäer nähert sich Anna dem Opferstock. Die Gaben sind bestimmt für die Unterhaltung des Tempels und für die Armenfürsorge. Sie selbst gehört zu der Gruppe der Armen, und doch hat sie den Wunsch, von dem Wenigen, was sie hat, zu geben. Sie möchte beteiligt sein, ihre kleine Gabe macht sie glücklich, verbindet sie mit Gott.
Anna steht an einem der 13 Opferstöcke, legt ihre Gabe ein, zwei Scherflein. Das ist so viel wie sie einen Tag zum Leben braucht. Sie hat es sich genau überlegt, sie kann und möchte das leisten. Ihre Eltern werden dadurch nicht weniger haben, sie wird einen Tag fasten. „Zwei Scherflein“, hört sie laut und deutlich einen Priester ausrufen, so dass alle es hören konnten. Das war klar, dass er die Summe laut ausrufen würde, so ist es Sitte. Hätte er die Summe nicht ein bisschen leiser sagen können? Es schien ihr fast so, als hätte der Priester extra laut gesprochen.
Mit leicht gesengtem Haupt tritt Anna zur Seite und geht vom Opferstock zurück. Im Vorbeigehen schnappt sie ein paar Worte auf, die ein junger Mann zu seinen Freunden spricht:
„Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle anderen. Denn die anderen haben etwas von ihrem Überfluss abgegeben, diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“
Anna ist überrascht, solche Worte ist sie nicht gewohnt, ein Mann stellt sie als Beispiel hin, obwohl ihre Gabe gering ist. Ihr Kopf hebt sich, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Beglückt und aufrecht verlässt sie den Vorhof der Frauen, überquert den Vorhof der Völker, schreitet durch das große Tor.
Dieses Mal sieht Anna nicht nach oben in den Himmel, steigt zügig die Treppenstufen herunter und macht sich auf den Heimweg. Bald liegt der Tempel hinter ihr. Sie dreht sich noch einmal um, wirft einen letzten Blick auf Gottes Heiligtum. Die Sonne hat sich geneigt, taucht den Tempel in ein mildes Licht.
Mit einem tiefen Frieden im Herzen setzt Anna ihren Rückweg fort. Beglückt kommt sie zu Hause an.
„Schön, dass du wieder da bist“, empfängt ihre Mutter sie liebevoll. Sie ist eigentlich ganz froh, dass ihre Tochter bei ihr wohnt, auch wenn es einer Notlage geschuldet ist.
„Wie war es?“ „Heute war es besonders schön“, antwortet ihre Tochter, „denke dir, ich habe gehört, wie ein Mann zu seinen Freunden sagte, dass ich mit meiner kleinen Gabe mehr gegeben hätte, als alle andern.“
„Das ist ungewöhnlich, setz‘ dich zu mir und erzähl mir davon“, fordert ihre Mutter sie gespannt auf. Anna nimmt ihr Tuch von den Schultern, setzt sich zu ihrer Mutter und erzählt ihr, was sie im Tempel erlebt hat.
Lied: “Hört, wen Jesus glücklich preist”
Sehr lebendig und verständlich ist diese Predigt von Pfarrerin Borchers verfasst, weil sie aus dem kurzen Bibeltext eine interessante Erzählpredigt formuliert hat. Dadurch ist die kleine Spende im Bibeltext zu einer anrührend großen Gottesgabe geworden. Und eine bedenkenswert aktuelle Predigt in beklagenswerter Corona- , Kriegs -und Klima -Katasstrophen -Zeit. Gott segne auch uns und unsere Spenden.