Just in time
Nicht nur Bescheid wissen, sondern auch Tun
Predigttext: Lukas 10.25-37 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
25 Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?
26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt**, und deinen Nächsten wie dich selbst«** (5.Mose 6,5; 3.Mose 19,18).
28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.
29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?
30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen.
31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber.
32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.
33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn;
34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
37 E r sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
Exegetische Vorüberlegungen
„Der barmherzige Samariter “ - eine überaus bekannte Geschichte. Geht da gleich der Rolladen runter? - Es schließt sich die Geschichte von Maria und Martha an. Was gilt nun auf dem Weg zum Ewigen Leben? Labora oder ora? Die Beispielgeschichte ist flankiert von theologischen Diskussionen eines Gelehrten mit einem Meister nach dem Duktus: „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ Jesus antwortet mit einer Rückfrage (Lk.10,26). Der Schriftgelehrte gibt die einzig richtige Antwort, er weiß Bescheid. Es ist also bereits alles gesagt, man muss es nur zur Kenntnis nehmen und befolgen!
Zentral beim Gleichnis ist das Handeln des Samariters, das „es jammerte ihn“ (splangchnizomai) im Sinne von `Mitleid haben, im Innersten berührt sein, es dreht sich einem der Magen um beim bloßen Sehen´ (vgl. Theolog. Begriffslexikon zum NT, 3. Aufl. 1972, 52ff.). Dieses Verb wird nur von Jesus und in den Evangelien gebraucht und von Personen, die Jesu Haltung verkörpern wie der Vater in Lk.15, 20 und vom Samariter (Lk.10, 33). Damit legt sich die Deutung nah, Jesus sei der Samariter. So auch Martin Luther in seiner Predigt zu Lk.10: „Aber letztlich findet sich der Samariter, unser lieber Herr Christus … . Der nimmt sich unseres Jammers an, wäscht und verbindet uns unsere Wunden mit Wein, und gießt daß selige Öl seiner Gnade hinein, … und führt uns also in die rechte Herberge… .“ Zugriff über file:///C:/Users/Suse%20Best/Download/_german_MartinLuther_Lukas_10_23_37.html
Am Ende der Perikope wird deutlich: Es geht nicht um das Objekt, es geht vielmehr um das Subjekt. Die Frage ist nicht: „Wer braucht meine Hilfe?“, sondern: „Wem muss ich helfen?“ Kurz zusammengefasst: Wissen allein ist nicht per se alles! Es geht um das Wissen des rechten Tuns als Folge der Erfahrung von herzlichem Erbarmen Jesu Christi an mir – ausgeraubt, überfallen, am Boden, liegen gelassen, übersehen, wie auch immer! Die Umsetzung des Wissens ins Tun darf und muss dann folgen!
Ideen zur Gestaltung:
- Idee zur Illustration der Bildebene bei der Textverlesung: Nick Butterworth & Mick Inkpen, Von Schafen, Perlen und Häusern
- Mögliche Formulierungen fürs Fürbittgebet:
Gott, zu dir kommen wir, wohl wissend, dass Räuber heutzutage viele Gesichter haben:
- Die, die uns den Schlaf rauben: Sorgen und Ängste
- Die, die uns die Lebensperspektive rauben: Krankheit und Krieg
- Die, die uns die Zukunft rauben: Machtgier, Misswirtschaft, Korruption
Wir bitten dich: wehre den Wegelagerern dieser Welt und um uns herum und schenke uns
- Augen, die die Not der Welt sehen
- Ohren, die das Schreien hören
- Hände, die zupacken können …
- Beim Bekenntnis und Gotteslob soll es nicht bleiben, deshalb: Schlusslied mit: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten“
Predigtanfang ist inspiriert durch Pfr. Wussow, 2003 Heidelberger Predigtforum zu Lk.10, 25-37.
Ein Mensch wacht auf. Fremde Umgebung, fremde Stimmen. Jemand sieht nach ihm. Was ist passiert? Wie komme ich hierher? Er schaut sich um. Er weiß nicht, wo er ist. Es riecht nach Essen. Er ist in einer Gaststätte. Der sich an sein Bett setzt, riecht wie ein Wirt. Der Kopf dröhnt. Alles tut weh. Langsam kommt die Erinnerung wieder. Da war doch diese schreckliche Wegstrecke. Weit ab vom Schuss. Es ging alles so schnell. Fast totgeschlagen, beraubt, an den Straßenrand geschmissen. Ab da an – Filmriss.
Der Mann reibt sich die Augen, tastet sein Gesicht ab, fährt sich durch die strähnigen Haare. Niemand weiß, wo er ist. Ob man schon nach ihm sucht? Ihn aufgegeben hat? Die Gedanken jagen. Er versucht, sich zu setzen. Es geht nicht. „Bleib liegen!“, sagt der Wirt, „Hauptsache, du lebst!“ „Was ist mit mir?“, fragt der Mann. Und der Wirt erzählt: „Ein Samariter auf der Durchreise hat dich gefunden, dich versorgt, dich nach hier gebracht. Er hat schon für dich gezahlt. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Schlaf wieder!“ –
Nein, das ist kein Kriminalroman, den ich im Urlaub gelesen habe. Sie haben es bestimmt schon erraten: Das ist die Geschichte vom Barmherzigen Samariter! Hören wir, wie es dazu kam. Ich lese aus dem Lk.10, 25-37.
(Lesung des Predigttextes)
Heute geht es nicht um irgendeine Frage. Es geht um alles! Es geht um die Ewigkeit, das ewige Leben. Jesus reagiert unerwartet. Er greift den Faden auf seine ganz eigene Weise auf: Er fragt zurück und bekommt die perfekte Antwort aus der Thora: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Also: 1. Gott lieben. 2. seinen Nächsten lieben. 3. sich selbst lieben.
Interessanterweise fokussiert der Schriftgelehrte daraufhin ausschließlich auf die Nächstenliebe und lässt die Gottesliebe und die Selbstliebe ganz außen vor. Die Selbstliebe soll heute mal bei den weiteren Überlegungen hintenangestellt sein. Aber das mit der Nächstenliebe: Typisch, nicht nur für damals. Ich höre oft, wenn Menschen überlegen, ob sie aus der Kirche austreten oder nicht, dass die Diakonie ja ganz gut und sinnvoll ist. Ein Grund, nicht auszutreten.
Gottesbeziehung, Gotteslob, Ehrfurcht vor Gott – das spielt in unserer Gesellschaft nur noch eine geringe Rolle. Damit kann man nicht umgehen. Das ist irgendwie nicht greifbar. Bestenfalls geheimnisvoll. Das kann man nicht beweisen, also lasse man die Finger davon. Konkret: ob mir die Kirche mal irgendwie geholfen hat – das wird erinnert, wie das war bzw. wie das nicht war ….! Aber zurück zum Bibeltext: Jesus lässt sich auf die Frage des Schriftgelehrten: „Wer ist denn mein Nächster?“ ein und antwortet mit dem allseits bekannten Gleichnis.
Dass da ein Priester und ein Levit jeweils an dem Überfallen vorbeilaufen, haben wir gehört. Interessant ist: Sie haben beide sehr wohl gesehen, dass da ein Überfallener liegt! Zweimal heißt es: „Als er ihn sah, ging er vorüber!“ Das ist ja schon mal was, dass sie das Elend sehen, hingeguckt haben, nicht weggeguckt. Aber: es gab eben keine adäquate Reaktion. Schlecht!
Dann kommt der Samariter. Und – Martin Luther übersetzt: „es jammerte ihn“. Im griechischen Text steht da „splangchnizomai“, und dabei geht es im Wesentlichen um eine innere Rührung, um das “im Innersten berührt sein”, so dass es einem fast den Magen umdreht. Dieses Verb wird in der Bibel nur in den Evangelien und in der Beschreibung von Jesus verwendet oder von Personen, die Jesu Haltung verkörpern wie etwa auch der Vater des verlorenen Sohnes (Lk.15,20).
Es heißt dann weiter, der Samariter ging zu ihm und verband ihm seine Wunden – seine „Traumata“, wie nach dem griechischen Text übersetzt werden kann, goss Öl und Wein in die Wunden, hob den Verletzten auf sein Pferd, brachte ihn in die Herberge und „pflegte“ ihn. Dieses „pflegen“ ist (im griechischen Urtext „epimeleomai“) auch zu übersetzen mit „für jemanden Sorge tragen“, Sorgen für Leib und Seele. Es geht da also um Leibsorge – wir würden heute von Krankenpflege reden, aber genauso auch um Seelsorge!
Am Tag darauf zieht der Samariter zwei Silbergroschen heraus, gibt sie dem Wirt und verspricht, wenn´s mehr kostet, dann komme ich dafür auf, wenn ich wiederkomme. Er bürgt für den Überfallenen.
Wer ist dieser Samariter?
Wir kennen die Samariter heute vom Arbeitersamariterbund – ein Hilfswerk, gegründet 1888… Menschen, die Gutes tun. In der Zeit Jesu waren die Samariter nicht gut angesehen. Sie galten als Ketzer, weil sie nur die fünf Bücher Mose als heilige Schriften anerkannten und ihnen der Berg Garizim und nicht der Zion in Jerusalem als der eine (!) Ort der Anbetung Gottes galt. Sie wurden verachtet und gemieden. So weit so gut. Aber: was hat diesen Samariter dazu bewogen, so zu handeln wie in dem Gleichnis beschrieben?
Es „jammerte“ ihn. Er konnte nicht vorbeilaufen. Es hat ihn im Innersten gerührt, was er da gesehen hat. Und er hat nicht nur die äußeren Wunden gesehen, er hat auch die seelischen Wunden gesehen, die Traumata. Wer schon mal im Leben niedergeschlagen, verfolgt oder gar ausgeraubt wurde und sollte dabei auch „nur“ der Geldbeutel hinterher verschwunden sein, weiß, wovon hier die Rede ist. Der Samariter sorgt für den Ausgeraubten, sorgt für Leib und Seele und bürgt schließlich auch noch für seine Kosten. Meine Eltern haben mir beigebracht: bürgen! Das muss sehr gut überlegt sein. Der Samariter hat nicht lange überlegt. Er hat gehandelt. Er hat gebürgt!
Am Ende des Predigttextes wird die theologische Diskussion fortgeführt: „Wer von diesen dreien, meinst Du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?“, fragt Jesus. Die Antwort war klar! Damals! Helfen! Nicht vorbeilaufen! Samariter sein! Dann ererbe ich ewiges Leben! Und was heißt das heute? Was müssen wir heute tun, um Leben, ewiges Leben zu „ererben“?
Der Priester und der Levit haben offensichtlich die falsche Entscheidung getroffen. Obwohl sie – ich unterstelle das jetzt einfach mal – bester Absicht waren und vermutlich auf dem Weg zu ihrem priesterlichen Dienst waren. Hätten sie sich durch das Berühren von Blut unrein gemacht, hätte der Gottesdienst in Jerusalem womöglich ausfallen müssen. Zu gerne hätten wir einfache Antworten. Klare Anweisungen. Jesus fragt uns stattdessen: Was steht im Gesetz, in der Bibel? Wir kennen die Antwort – genauso wie der Schriftgelehrte. 1. Gott lieben, 2. Den Nächsten lieben, 3. Sich selbst lieben. Was sollen wir also tun? Was sollen wir lassen?
Mein Eindruck ist: Gott lieben kommt oftmals zu kurz in unserer Gesellschaft, auch in meinem Leben. Wenn ich überlege, wieviel Zeit ich mir nehme für „Gottes-Dienst“…! Für Gebet. Für Bibellese – oder Meditation. Stille vor Gott. … Vor lauter Aktivität. In bester Absicht! Ich schlage vor: Gehen wir zurück zu dem Ausgeraubten. Nehmen wir uns an ihm ein Beispiel! Vielleicht könnte er so sagen:
Mir wurde geholfen! Gefühlt in letzter Sekunde! Ich weiß gar nicht genau, wer das eigentlich war. Ich habe ihn nicht erkannt. Ich weiß nur, dass er da war. Just in time. Im richtigen Moment. Er hat mich gesehen. Er hat für meine Wunden versorgt. Es war ein Labsal. Er hat gesehen, wie es mir geht. Er hat für meine Seele Sorge getragen, hat mir zugehört. Er hat Öl und Wein in meine Wunden gegossen, Brot und Wein zu essen gegeben. Er hat eine Bürgschaft für mich übernommen. Hat für mich bezahlt. Er hat alles für mich gegeben und ich hatte nichts, womit ich ihm hätte danken können! Ich habe große Ehrfurcht vor ihm! Wer war das? Wer kann das nur gewesen sein?
Manche Menschen können klar und deutlich für sich bekennen: „Mir ist Erbarmung widerfahren“. Jesus ist in mein Leben getreten. Und er hat einen ganz großen Unterschied gemacht. Martin Luther hat das so erlebt. Und: In einer Predigt über diese Geschichte war er überzeugt: Der Samariter ist ein Bild für Jesus Christus selbst. Jesus sieht die Not. Jesus sieht das Elend. Jesus kümmert sich. Er ist zuerst Retter, aber auch Vorbild und Leitbild – im Gleichnis genauso wie im Leben.Und: Was vergisst der Schriftgelehrte wohl nie wieder von dieser Begebenheit? Wer weiß? Ich möchte jetzt nicht spekulieren. Aber: Ich möchte festhalten, was ich nicht vergessen möchte:
Jesus nimmt sich meiner an, wenn ich fertig bin, ausgeraubt und mich ausgenutzt fühle, wenn mir alles zu viel ist. Jesus erbarmt sich meiner. Das möchte ich bekennen. Davon möchte ich sprechen. Das möchte ich laut in die Welt hineinrufen, als Pfarrerin genauso wie als N.N.! Ich lade ein, dass wir nun mit unserem Dienst an Gott, mit dem Gottes-Dienst, mit dem Lob Gottes weitermachen, wenn wir gemeinsam einstimmen, bekennen und singen: EG 355,1.3-4: „Mir ist Erbarmung widerfahren…“.
Die Predigt über die bekannteste Geschichte des NT wrd interessant theologisch vorbereitet und untersucht. Es geht für Pfarrerin Sue Best sehr schön um Alles ! Die Kernthese ist nämlich : Du sollst Gott lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst ! Die Nächstenliebe steht im Vordergrund. Heute ist das besonders wichtig weil etliche Zeitgenossen nicht aus der Kirche austreten wegen der Diakonie der Kirche. Die Liebe zu Gott wird eher vernachlässigt. Jesus geht auch auf die Nächstenliebe ein. Den Samariter jammert es. Er pflegt die Wunden, bringt ihn in eine Herberge und bezahlt ein Pflegegeld und bürgt für ihn. Der Priester würde als Helfer mit Blut an der Hand dienstunfähig werden. Wir haben zu wenig Zeit für den Gottesdienst und sollten Gequälten mehr helfen.Der Samariterdiest ist für Luther ein Bild für Jesus. Jesus nimmt sich auch unserer an. Gemeinsam sollten wir ein Loblied singen. Eine bestverständliche und ergrefende Predigt von der Pfarrerin Best.