Was mag da wohl drin sein?

Weisheit und Erkenntnis waren als Gaben und Schätze selten so gefragt wie heute

Predigttext: Kolosser 2, 3 (4-5) 6-10 (mit Einführung)
Kirche / Ort: Hausen und Gersbach, 79560 Schopfheim-Gersbach
Datum: 25.12.2022
Kirchenjahr: Christfest (1)
Autor/in: Pfarrerin Ulrike Krumm

Predigttext: Kolosser 2, 3 (4-5) 6-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

3 In ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.
6 Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so lebt auch in ihm,
7 verwurzelt und gegründet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und voller Dankbarkeit.
8 Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus.
9 Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig,
10 und ihr seid erfüllt durch ihn, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist. (Lutherbibel 2017)

Exegetische und homiletische Einführung

In Predigtmeditationen wird die Abgrenzung des Abschnitts bemängelt. Es wird vorgeschlagen, V. 1-10 in seiner Gesamtheit als Grundlage zu nehmen. Für das eigene Verstehen und Bedenken ist das sicher richtig. Dennoch entscheide ich mich dafür, die vorgelesenen Bibelverse auf V. 3 und V. 9 zu begrenzen, weil in ihnen die Kernworte „Weisheit und Erkenntnis“, „Fülle und Schätze“ und „leibhaftig“ so konzentriert und einprägsam erscheinen.

Es heißt oft, in den Gottesdienst am 1. Weihnachtsfeiertag kommt höchstens die Kerngemeinde, die nach dem Überhang an Stimmung am Heiligen Abend jetzt von der Predigt theologische Substanz erwartet. Ich bin mir da nicht (mehr) so sicher.

Vergewisserung und der immer neu gewagte Versuch, Weihnachten geistlich, also bedeutsam und aufbauend zu verkündigen, ist wichtig: Die Geburt Jesu muss mehr für uns bedeuten als das Zustandekommen einer unbestimmten Hoffnung.

Zu abstrakt sollte die Predigt in meinen Augen trotzdem nicht sein. Menschen kommen doch vielleicht auch mit dem Bedürfnis, die weihnachtliche Stimmung in den Tag hinein zu verlängern.

 

zurück zum Textanfang

Die Weihnachtsgans

Die Bibel bringt einen manchmal dazu, über Dinge nachzudenken, über die man sonst nicht nachdenkt. So brachte mich der Bibelabschnitt für den ersten Weihnachtsfeiertag dazu, über den gefüllten Gänsebraten nachzudenken. Ich meine nicht wie, sondern warum. Zum „Wie“ gibt außer dem Kochbuch natürlich auch das Internet einiges her. Äpfel, Maronen, Zwiebeln, Pflaumen, im Elsass sogar Sauerkraut oder Bratwurst, vieles ist möglich. Über das „Warum“ schweigt sich das Internet entgegen seiner sonstigen Gewohnheit allerdings aus. Warum isst man an Weihnachten quer durch Europa Gänsebraten so gerne gefüllt?
Vielleicht ist die Antwort ja ganz einfach: Weil es gut schmeckt, besonders wenn der Geschmack des Äußeren das Innere durchdringt. Und weil die Gans so in Form bleibt, nachdem man ihr die Innereien entnommen hat.

Einer Legende nach soll es übrigens Königin Elisabeth von England gewesen sein, die die Weihnachtsgans erfunden hat. An Weihnachten im Jahr 1588 saß sie nämlich gerade beim Gänsebraten, als sie die Nachricht vom Sieg der englischen Flotte über die berühmte spanische Armada bekam. Sie war darüber so beglückt, dass sie den Gänsebraten ab jetzt zum Weihnachtsessen aller Engländer ausrief , und von England aus wanderte diese Tradition dann auf das europäische Festland hinüber. Dass diese Erklärung allerdings zumindest in Gänse-Füßchen zu setzen ist, zeigt sich schon daran, dass die englische Flotte jenen entscheidenden Sieg nicht im Dezember, sondern schon im Juli 1588 errang.

Näher liegt die Erklärung in der christlichen Tradition: Im Mittelalter nämlich ging dem Weihnachtsfest eine 40tägige Fastenzeit voraus. Sie begann an Martini, St. Martin, wo man zum letzten Mal eine Gans verspeisen durfte, und endete 40 Tage später an Weihnachten, wo sie dann wieder auf den Tisch kam. Die Gans war schon im alten Rom ein hoch geachtetes Tier, dort allerdings in noch lebendem Zustand: Weil sie durch ihr lautes Geschnatter vor ungebetenen Gästen warnen konnte, galt sie als beliebtes Mitbringsel. Und selbst dem germanischen Wotan wurden aus irgend einem Grund Gänse geopfert. Mit einer Gans konnte man offenbar nicht viel falsch machen. Warum man sie dann allerdings füllte, wie gesagt auf verschiedene Art, liegt weiterhin im Dunkeln.

Vielleicht hat das ja doch etwas mit Weihnachten zu tun. Es hat ja etwas Überraschendes an sich: die Füllung in der Gans wie das Geschenk in seiner Verpackung: Was mag da wohl drin sein? Und das Baby in der Krippe, in Windeln gewickelt: Was mag da wohl drin sein? Und selbst wenn man die Windeln lösen und das Kind betrachten würde: Was mag da wohl drin sein? Jedes neugeborene Kind kann man so betrachten und bekommt die Antwort erst mit der Zeit: Was da wohl drin stecken mag in diesem Kind? Bei dem Christuskind in der Krippe begleitet uns die Frage bis heute: Was mag da wohl drin sein? Womit ist es gefüllt, dieses Kind, das später zur Speise wurde für viele und irgendwann sich selbst zur Speise gab: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird …

Die Füllung

Über die Füllung des Christuskindes gibt der Kolosserbrief Auskunft, geschrieben an die christliche Gemeinde in Kolossä in der heutigen Westtürkei. Dort waren Christen unsicher geworden, ob das, was in Bethlehem vor Jahren geschehen war, mit ihrer aktuellen Entwicklung Schritt halten konnte. Eine Unsicherheit, die wir verstehen können. In dem Brief werden sie ermutigt: Bleibt bei diesem Jesus. Bleibt in ihm verwurzelt und gegründet. Denn, so heißt es: In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Und noch mehr, in einem der nächsten Verse: In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Diese geistliche Füllung bekommen wir also heute am ersten Weihnachtstag auf den Teller gelegt: In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Starke Worte über so ein Krippenkind.

Verlust der Selbstverständlichkeit

Alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Weisheit und Erkenntnis lassen sich schwer in Geschenkpapier verpacken. Aber standen sie überhaupt auf unserem Wunschzettel? Vielleicht sind das Wünsche, bei denen wir die Hoffnung schon aufgegeben haben, dass sie jemals erfüllt werden. Oder vielleicht sind Weisheit und Erkenntnis auch Dinge, bei denen wir gar nicht auf die Idee kämen, sie geschenkt bekommen zu können. Denn dafür sind wir doch selber zuständig oder sollten es sein. Weisheit und Erkenntnis: Aber wie wichtig ist uns das überhaupt? Ist das nicht ein etwas abseitiges, hochgestochenes Thema?

Ich glaube nicht. Zumindest nicht mehr. Weisheit: Da geht es darum, so zu leben, dass es mir und anderen gut tut. Erkenntnis: Da geht es darum, die Welt zu verstehen, oder einen anderen Menschen, oder das Leben oder auch mich selbst. Weisheit und Erkenntnis zusammen genommen ist dann ein Verstehen, aus dem ein richtiges Handeln folgt. Ich glaube, eines hat uns das vergangene Jahr gezeigt: nämlich, wie geglaubte Selbstverständlichkeiten immer weiter verloren gehen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Friede in Europa ist. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass alles irgendwie langsam aber sicher bergauf geht. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass das Leben so weitergeht wie bisher – und für viele leider auch nicht, dass das Geld auf dem Konto reicht.

Es fängt mit Kleinigkeiten an, dass ein Brief nicht mehr pünktlich ankommt zum Beispiel , und es endet damit, dass für einen schwerkranken Menschen kein Platz auf der Intensivstation frei ist. Auf vielen Ebenen geschehen Dinge, von denen wir nicht mehr geglaubt hätten, wir würden sie noch erleben. Ich habe eine alte Dame beerdigt, die zu ihren Kindern sagte, als Russland den Krieg in der Ukraine begann: Wenn wieder Krieg kommt, dann halten wir uns allen an den Händen. Mir sind fast die Tränen gekommen, als ich das hörte. So rührend – und so hilflos. Nein, Leben ist nicht mehr selbstverständlich. Darum steigt bei vielen der Stresspegel, steigt die Angestrengtheit. Viele sind überarbeitet, viele werden dadurch krank. Andere haben schlicht Angst, aber können nicht darüber reden.

Wie sollen wir leben in dieser so wenig selbstverständlich gewordenen Welt? Und nicht nur leben, sondern nach Möglichkeit auch zufrieden leben, vielleicht sogar glücklich? Was ist unsere Verantwortung, uns und anderen und der Zukunft gegenüber? Denn dass wir Verantwortung tragen, an dieser Erkenntnis zumindest kommen wir nicht mehr vorbei. Ja, ich glaube, Weisheit und Erkenntnis waren als Gaben und Schätze selten so gefragt wie heute.

Leben als Aufgabe

Aber ist dafür Jesus zuständig? Trost und Hoffnung, Geborgenheit und ein bisschen Begleitung, das darf ich vielleicht von ihm erwarten. Aber kann er mir helfen, Situationen richtig einzuschätzen, mit dem Geld auszukommen, Streit zu befrieden, meine Grenzen auszuhalten oder Ordnung in mein tägliches Chaos zu bringen? Hilft Jesus mir, die ganz alltäglichen Herausforderungen des Lebens zu bestehen?

In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, da steht ja zumindest „verborgen“. Also nicht: Auf der Hand. Patentrezepte sind von ihm nicht zu erwarten. Höchstens würde es sich lohnen zu fragen: Jesus, was würdest du jetzt an meiner Stelle tun? Wie würdest du das deuten, was ich gerade erlebt habe? Die Antwort gebe ich mir dann schon selber, aber aus einer anderen Perspektive. Und ich gebe mir damit Zeit zum Nachdenken. Das hilft auch. Ich mache mir klar, was ich mir nicht immer klar mache: dass Leben meine Aufgabe ist. Sie ist mir gestellt, damit ich sie lösen kann.

Oder vielleicht ist mein Leben auch gar keine Aufgabe, sondern ein Kunstwerk. Ein zuerst unbehauener Stein, in dem eine schöne Skulptur verborgen ist. Ich darf das Kunstwerk erahnen, den Meißel ansetzen, den Stein behauen, mein Leben formen. Manche Hammerschläge setzen auch andere und verändern die Form unwiederbringlich. Aber der Meißel bleibt in meiner Hand und ich darf nacharbeiten. Und darf bevor ich wieder Hand anlege einen Schritt zurücktreten und mich an die Schätze erinnern, die in Christus verborgen liegen, die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.

Es sind sehr besondere Schätze, mit denen dieses Weihnachts-Christus-Geschenk gefüllt ist. Denn in ihm, sagt unser Bibelabschnitt weiter, wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Er war doch ein Mensch, werden die Nachdenklichen unter den Christen in Kolossä eingewandt haben, als sie beim Lesen oder Zuhören an diese Stelle gekommen waren. Ein Mensch, sicher ein kluger und feiner, aber doch weit weg und ganz anders als wir. Dann aber lesen sie weiter: In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Leibhaftig, also Leib geworden, Mensch geworden.

Fülle, also das Gefühl, das wir an Weihnachten gerne uns und anderen bereiten wollen, das für einen Abend oder ein paar Tage nichts mehr zu wünschen übrig bleibt. Die Fülle der Gottheit, das klingt abstrakt, eben weil es für alle und alles gelten soll und ewig ist. Was würdest du denn dazu sagen, Jesus, können wir fragen, wenn wir einen Schritt von uns selbst zurücktreten und uns in den Modus des Hörens und der Stille begeben. Und das was dann erklingt, was wir versuchen aufzunehmen und ernst zu nehmen, das ist etwas Wahres und Ewiges und zugleich etwas zutiefst Menschliches. Was meinen wir, wenn wir sagen: Das ist doch menschlich? Wir meinen: Nachsicht. Wir meinen Mitgefühl. Und wir meinen vor allem: Augenhöhe. Denn dazu ist gekommen der Sohn Gottes, dass er um alles in der Welt die Welt auf Augenhöhe bringe.

 

 

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Was mag da wohl drin sein?

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Die überraschende Weihnachtsfreude über den Weihnachts-Gänsebraten wird in der Predigt sehr verständlich parallelisiert mit unserer Freude zum Fest über Braten und dem Ende der Fastenzeit und dem Erscheinen Jesu und der Freude über Christus. Denn Weisheit und Erkenntnis werden uns durch Jesus geschenkt. Unser Leben wird durch ihn ein Kunstwerk des Glaubens und der Nächstenliebe. Jesus bringt unsere Welt auf unsere Augenhöhe, damit wir alles besser verstehen können.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.