Am runden Tisch

Lebenslang lernen

Predigttext: Matthäus 9,9-13 (mit Einführung)
Kirche / Ort: 09322 Penig
Datum: 05.02.2023
Kirchenjahr: Septuagesimae (70 Tage vor Ostern)
Autor/in: Pfarrerin i.R. Ursula Bürger                

Predigttext: Matthäus 9,9-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

9 Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
10 Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
11 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?
12 Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.
13 Geht aber hin und lernt, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Einführung zum Predigttext

Vor die Auslegung der Verse 9-13 im Kap.9 des Mt-Evangeliums, will ich den Vers 13 setzen. Die Geschichte um die Berufung des Zöllners Matthäus zum Jünger Jesu und das anschließende Mahl mit den Zöllnern und Sündern liest sich wie die Bebilderung des Zitats aus Hosea 6,6, das Jesus als Begründung für seine Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern nennt: „Geht aber hin und lernt, was das heißt: (Hos 6,6) Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ Die Hörer des Evangeliums werden aufgefordert, zu „Lernern“ zu werden, ein jüdischer Ausdruck für Bibelgelehrte. Diese Aufforderung richtet Jesus an die Pharisäer, wie es der Evangelist Matthäus formuliert, der für judenchristliche Gemeinden schreibt.

Es geht um ein Wort des Propheten Hosea, das die mitmenschliche Barmherzigkeit über den Opferkult stellt. Die Gespräche um die Tischgemeinschaft, Fragen und Antworten, illustrieren , was Barmherzigkeit im konkreten Fall heißt, eben Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern. Sind wir nicht immer in solchen Tafelrunden, nicht nur 1989 an den Runden Tischen?

V. 9: Jesus ging „von seiner Stadt“ weg, wo er einen Gelähmten geheilt hatte. Kapernaum ist wohl seine Stadt. Und auf dem Weg kommt er an einer Zollstation vorbei. Dort ruft Jesus dem diensthabenden Zöllner Matthäus zu: „Folge mir!“ Ohne Diskussion, Einleitung zur Tafelrunde.

V. 10: In einem Hause angekommen, vielleicht das des Zöllners Matthäus, sind Jesus und seine Jünger eingeladen. Nun kommen „viele Zöllner und Sünder“. Ohne Einladung, es muß sich schnell herumgesprochen haben.

V. 11: Die Pharisäer kommen nicht mit herein.  Sie möchten wohl nicht mit diesen „unanständigen“ Leuten an einem Tisch sitzen. Aber sie fragen die Jünger ehrerbietig: „Warum ißt euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?“

V. 12: Da ist die Antwort „Chefsache“. Jesus gibt selbst Auskunft: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“ Die Sünder sind die Kranken, die ihn, den Arzt brauchen. Die Pharisäer sind danach wohl die „Starken“, die ihn, den Arzt, nicht brauchen. Ist ja eigentlich eine wertschätzende Antwort, aber irgendwie sind die „Starken“ mit dieser Antwort nicht zufrieden. Sie hätten wohl Jesus auch gern mit an ihrem Tisch. Nennen sie ihn doch – noch – Meister.

V. 13: Jetzt kommt von Jesus die Aufforderung zu lernen mit dem Hosea-Zitat, 6,6. Und noch einmal die Selbstaussage Jesu: „Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“

Lieder
EG 213: Kommt her, ihr seid geladen
EG 229: Kommt mit Gaben und Lobgesang

 

 

 

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Der Tisch ist ein allseits bekanntes Möbelstück, aber seine Geschichte ist ein Mythos. Ich könnte sagen: „An ihren Tischen könnt ihr sie erkennen“. Die zwölf Ritter der Tafelrunde an König Artus Hof oder viele Jahrhunderte später die Christlich-Deutsche Tischgesellschaft, die sich 1812 in Berlin gründete, deutsch-patriotisch, antinapoleonisch, wohlanständig und antisemitisch. Und unsere „Runden Tische“ von 1989 waren Ausdruck des Traumes von der direkten Demokratie. Kein Oben, kein Unten, kein Katzentisch, alle gleichberechtigt, jeder hat seinen Platz. Das hilft Argumente auszutauschen. So sehen Vorbereitungen zum Frieden aus.

Unsere Tische sind begrenzt – räumlich als auch inhaltlich. Nicht so bei Jesus. Der Tafelrunde, wahrscheinlich beim Zöllner Matthäus, zu der sich einige aus seinem Bekanntenkreis einfinden, geht die Berufung zum Jüngervoraus. Da gibt es keine Diskussion. Matthäus verläßt seine Zollstation, die gewiß manche Betrügerei gesehen hat. Er verläßt sein bisheriges Tun. Für Matthäus beginnt mit Jesus das Leben neu. Offensichtlich schöpfen die anderen auch nicht so „Wohlanständigen“ Hoffnung, aus ihrem Trott aussteigen zu können. Mit Jesus müßte das gehen, so ist ihre Zuversicht. Bei Matthäus hat es ja auch geklappt. Sie möchten auch zu einem Kreis gehören, der „Werte“ hat, wo Barmherzigkeit ein Thema ist.

Die „Anständigen“, die sich um die Gebote und die Religion überhaupt viele Gedanken machen, sie einzuhalten versuchen, verwundern sich über die gemischte Gesellschaft bei der Tafelrunde Jesu und fragen die Jünger: „Warum ißt euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?“ Vor der Passionszeit noch ehrerbietig und höflich in der Anrede: Euer Meister. Später heißt es dann: Bringt ihn um! Und Jesus vergleicht die Tischgemeinschaft derer, die nirgends eingeladen werden, mit denen, die als „Kranke“ gelten, für die er als Arzt da ist.

Offenbar merken da die Fragenden, daß an ihrer eigenen Einteilung der Menschen in Starke und Kranke, in Gerechte und Sünder, etwas nicht stimmt. Sind doch diese Eingruppierungen zeitlich variabel. Auch Starke, Gesunde können krank werden, und Kranke hoffen auf Genesung. Da ist Jesus Hoffnung für alle. Und Jesus beruft sich auf Worte des Propheten Hosea, die ihm der Evangelist Matthäus in den Mund legt: „Gott spricht: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ (Hosea 6,6)

Jesus fordert die bibelkundigen Pharisäer auf, das zu lernen, so zu lernen, daß es zur Wesensäußerung eines Schriftgelehrten wird, daß aus einem „Gelehrten“ ein „Lerner“ wird. Dieses Lernen währt ein Leben lang. Im Judentum hat dieses Lernen einen hohen Rang bis heute. Jesus fordert eindringlich auf, solche „Lerner“ zu werden, daß Barmherzigkeit das Eigentliche an der christlichen Religion ist. Das wäre eine Fragestellung, die jetzt an einem (kirchlichen) Runden Tisch verhandelt werden könnte, jetzt wo auch wieder Veränderungen in der Kirche anstehen.  Was kann und soll Kirche tun? Welchen Richtlinien folgen, wofür in der Gesellschaft stehen?

Jesu Selbstaussage: „Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“ Scheint doch „die Gerechten“ zu brüskieren, oder? Für Jesus scheint klar zu sein, wer Sünder  und wer Gerechter ist. In der Selbsterkenntnis merke ich, daß das Sünder- und das Gerechtersein immer vermischt ist. Luther hatte sogar vorgerechnet: Wir sind 100% Sünder und 100% Gerechter. Mathematisch unmöglich, aber so geht´s in uns zu. Also haben auch wir unsern Platz in der Tafelrunde Christi, inmitten derer, die Jesus Christus brauchen.

 

 

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Ein Kommentar zu “Am runden Tisch

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Mit dem Symbol der freundlichen Tischgemeinschaft beginnt die Predigt sehr interessant. Matthäus verlässt die betrügerishe Zollstation und beginnt ein Leben in der Tisch-Gemeinschaft und der Wanderung mit Jesus. Die Anständigen mokieren sich über die mit guten und fragwürdigen Jüngern gemischte Gemeinschaft mit Jesus. Dieser informiert alle, dass Barmherzigkeit das Eigentliche der christlichen Religion ist. Wir sind nie hundertprozentige Gerechte, aber auch potentielle Sünder. Deswegen passen wir sehr gut in die Gemeinchaft der Jünger und Jüngerinnen von Jesus. – Konzentriert, kurz und überzeugend legt diese Predigt den Text aus. Jeder kann sie gut verstehen und anwenden.

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