“Was wäre wenn…?”

Zeugen der Liebe, und des Friedens und der Gerechhtigkeit gesucht

Predigttext: Markus 12,1-12
Kirche / Ort: Worms
Datum: 05.03.2023
Kirchenjahr: Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: Markus 12,1-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Von den bösen Weingärtnern

Und Jesus fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird
das Erbe unser sein!
Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

 

 

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Stellen Sie sich doch einmal vor, Gott würde uns den Rücken kehren. Er ginge sozusagen außer Landes. Er überließe uns vertrauensvoll die Erde und ihre Güter, die Schöpfung mit ihrem Reichtum, die Menschheit in ihrer ganzen Vielfalt. Das einzige, was er zurückließe, wäre sein Wort: Die Erde gehört dem Herrn. Ihr sollt sie nun bebauen und bewahren und Euch gegenseitig lieben wie Euch selbst. Was würde geschehen? Eine Welt ohne Gott? Wäre das so schlimm? Die wenigsten unter uns Menschen würden sich fürchten. Es ginge doch prima ohne ihn, oder?

I.

Die Erde

und ihre Güter würden ganz alleine uns gehören. Wir könnten alle Edelsteine und alles Gold aus den Erzen schlagen. Wir könnten alles Wasser und alle Energie, alles Öl und alles Gas unter der Erde fördern und für uns verbrauchen. Wenn keines mehr da wäre, dann könnten wir so etwas erfinden wie Fracking – d.h. die Erde verletzten und so lange erschüttern, bis die Gasvorräte freigibt, an die wir sonst nicht dran kämen.

Die Schöpfung

und ihr Reichtum würden dann ganz alleine uns gehören. Wir könnten Tiere jagen, um sie zu essen, oder uns mit ihren Pelzen oder ihrem Elfenbein zu schmücken. Wir könnten sie züchten und einsperren, auf engstem Raum zusammenpferchen und mit Antibiotika vollstopfen, damit sie nicht krank werden – und ihnen so viel Eier und Fleisch abringen, wie nur irgend möglich ist. Gefährliche Tiere könnten wir ausrotten – Bären oder Tiger oder Wölfe oder Haie. Wir könnten sie töten, ohne dass uns jemand zur Verantwortung zieht.

Die Menschheit

in ihrer ganzen Vielfalt würde auch uns gehören. Völker und Länder, Rassen und Religionen. Und wir könnten es einfach darauf ankommen lassen, wer der Stärkere ist. Wäre eine Rasse die Stärkere, dann könnte sie einfach andere Rasse ausrotten. In Konzentrationslager stecken und vernichten.

Wäre eine religiöse Gruppe die Stärkere, dann würde sie ihre Waffen gegen andere erheben. Mit Bomben und Attentaten, mit Entführungen und grausamen Tötungen vor laufenden Internet-Kameras, könnte sie Angst und Schrecken verbreiten und ihren eigenen Staat errichten.

Wäre ein Land das Stärkere, dann könnte es einfach sein Nachbarland politisch aus dem Gleichgewicht bringen, und so lange Unfrieden stiften bis es ihm gehört – Stück für Stück und am Ende ganz. Der Stärkere würde siegen. Das ginge schon. Aber ginge es auch gut?

II.

Je länger und je konkreter wir uns ausmalen, wie es wäre, wenn Gott unserer Welt den Rücken zuwenden würde – umso deutlicher werden uns zwei Dinge:

– Es wäre ganz fürchterlich. Wir Menschen würden Gottes Gebot, die Erde zu bebauen und zu bewahren und den Nächsten so zu lieben wie uns selbst, genauso schnell abschreiben wie unseren Gott selbst. Wir würden die Erde ausbeuten, die Schöpfung zerstören und uns gegenseitig zugrunde richten.

– Und wir sind längst schon soweit. Ausmalen brauchen wir uns das gar nicht. Es ist doch schon weltweit Wirklichkeit. Wir hören den ersten Teil unseres Predigttextes aus Markus 12,1–10.

(Lesung des 1. Teils, V. 1-10, des Predigttextes)

Dass unsere Welt am Abgrund taumelt, steht außer Frage. Und es liegt daran, dass wir so tun, als hätte uns Gott den Rücken gekehrt. Als wäre Gott nicht nur außer Landes sondern ganz einfach überhaupt nicht mehr da. Und das Gebot, die Erde zu bebauen und zu bewahren und unsere Nächsten so zu lieben wie uns selbst, würde nicht mehr gelten. Es steht uns allen ganz deutlich vor Auge, dass wir damit unsere Welt an den Abgrund bringen.

Was aber tut Gott, um seinen Weinberg, seine Welt, seine Menschheit zu retten? Zunächst einmal hat er lange, lange, sehr lange Geduld. Er schickt Propheten, die warnen und mahnen. Elia warnt, Jeremia beschwört das Volk umzukehren, Hesekiel ruft zur Buße, Jona predigt das Gericht, Amos spricht vom drohenden Untergang, Johannes der Täufer spricht von der Axt, die an die Wurzel gelegt ist… aber keiner, kein einziger von Ihnen hatte auf Dauer Erfolg. Ein bisschen Sack und Asche, ein bisschen Fasten und Beten – und weiter ging’s mit dem unseligen Tun des Menschen. Manchmal sogar ganz und gar ohne jede Einsicht. Die Karawane zieht weiter.

Und Gott hat immer noch Geduld. Er schickt das Kostbarste, was er hat: Jesus von Nazareth, seinen Sohn. Auch dieser mahnte und predigte, auch er rief zur Umkehr zur sofortigen, radikalen Umkehr.
Er redete den Menschen in‘s Gewissen, doch bitte zu den Geboten Gottes zurückzukehren, zur Menschenliebe, zur Ehrfurcht vor dem Leben, zum Frieden und zur Gerechtigkeit. Und nicht nur das: Er brachte die ganze Liebe Gottes zu den Menschen, seine ganze Liebe zu seiner Schöpfung mit sich und verschenkte sie an alle, vom Pharisäer bis zur Sünderin. Selbst das hat nichts genutzt. Wir Menschen haben ihn zum Schweigen gebracht. Damals wie heute. Er endete am Kreuz. Und nicht nur er. Gottes Geduld ist so unglaublich groß, dass er immer und immer wieder Propheten und Mahner zu uns gesandt hat, um uns zur Umkehr zu rufen. Und was haben wir Menschen mit ihnen getan?

Mit Paul Schneider und Maximilian Kolbe?
Mit Esther John oder Wang Zhiming?
Mit Dietrich Bonhoeffer und mit Martin Luther King?

III.

Menschen, die durch ihr Wort, ihre Predigt oder durch ihr Handeln uns vor Augen geführt haben, wie Gott sich das Leben in dieser Welt und unter den Menschen wünscht. Was ist mit ihnen geschehen? Sie wurden getötet. So wie mancher Prophet. So wie Johannes der Täufer. So wie Jesus von Nazareth. Wie lange noch will Gott Geduld haben? Wir hören den zweiten Teil unseres Predigttextes aus Markus 12,9–11

(Lesung des 2. Teils, V. 9-11, des Predigttextes)

Was für ein Wunder? Wovon redet er hier? Wieso ist das ein Wunder, wenn Propheten getötet werden, wenn Jesus gekreuzigt wird und immer und immer wieder Menschen getötet werden, die uns zur Vernunft bringen wollen? Das Wunder, von dem hier die Rede ist, ist folgendes: Nicht die Rassenwahnsinnigen, nicht die Machthungrigen und die Kriegstreiber sind die Steine, auf denen unsere Zukunft ruht, sondern die Zeugen der Liebe, und des Friedens und der Gerechtigkeit. Darauf baut Gott seine Welt und seine Kirche. All diese Steine, die Propheten und die Mahner, die, die um das Evangeliums und um der Liebe willen ihr Leben lassen mussten sind die Steine, mit denen Gott seine neue Welt baut. Und Jesus Christus ist der Schlussstein, der das ganze Gewölbe zusammenhält.

Das Gleichnis, das Jesus hier erzählt, spricht von seiner eigenen Passion. Und wir heute – 2000 Jahre später – hören die Passionen von hunderten von Blutzeugen gleich mit! Jesus spricht davon, dass die Menschheit ihn töten wird. Und dass Gott auch wenn sie ihn einfach draußen vor den Weinberg werfen, den geliebten Sohn, dass Gott genau diesen nicht nur auffangen und retten wird, sondern zu neuem Leben erwecken wird. Denn Gott hat durch die Auferstehung Jesus Christus ins Recht gesetzt. Den weggeworfenen Stein zum Eckstein gemacht.

Und wir, was sollen wir nun damit anfangen? Wir erschrecken darüber, dass das von Jesus erzählte Gleichnis so unglaublich dicht und so konkret an unserer heutigen Lebenswelt dran ist. Wir erschrecken bei dem Gedanken, dass Gott uns tatsächlich den Rücken zugewandt haben könnte, und wir fühlen uns so hilflos, zuzuschauen, wie wir – unsere eigene Menschheit – unsere eigene Erde und unsere Zukunft zerstört.

Was können wir tun? In einem anderen Evangelium, dem Thomasevangelium, wird auch dieses Gleichnis erzählt. Aber unser Gleichnis endet dort anders. Statt dass das Wunder von der Auferstehung schon in den Blick genommen und als Wunder gepriesen wird, mahnt der Schreiber des Thomasevangeliums an gleicher Stelle mit einem einzigen Satz: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Das ist es, liebe Gemeinde, das wir tun können: Hinhören. Und Begreifen. Und Handeln. Auch wir sind nur Pächter dieser Erde. Sie ist uns geliehen. Und jeder Mensch an unserer Seite, sei es unser Ehepartner, unsere Eltern oder unsere Kinder, unser Nachbar oder unser Arbeitskollege, ist uns nur geliehen. Selbst unser eigenes Leben ist uns nur geliehen. Alles werden wir zurückgeben müssen. Und dann werden wir gefragt werden:

Hast Du die Erde bebaut und bewahrt?
Hast Du die Tiere und die Pflanzen mit Ehrfurcht vor dem Leben behandelt?
Hast Du Gottes Gebot befolgt, ihn höher zu achten als alles andere, was Dir auf der Welt wichtig ist?
Hast Du den Menschen, der neben Dir lebt, arbeitet und manchmal auch leidet, geliebt wie die selbst?
Hast Du geholfen, wo Du konntest?

Gott wird sich uns wieder zuwenden. Wir wissen nicht wann – aber wir wissen, dass er zurückkehrt in seinen Weinberg. Und dann möchte er Früchte sehen. Unsere Früchte der Liebe und der Gottesfurcht und der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Es liegt an uns, hier und heute und morgen, ob Gott Früchte bei uns findet.

 

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Ein Kommentar zu ““Was wäre wenn…?”

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Einladend und tiefsinnig ist die Einleitung schon zur Predigt über einen an sich grausigen Predigttext. Wir tun so als ob wir die Schöpfung schon immr mehr an den Abgrund bringen. Dabei ist uns die Erde nur geliehen. Wir sollten die Schöpfung bewahren und die Tiere und Pflanzen bewahren und pflegen und unsere Mitmenschen lieben. Zusammenfassend aufbauend und tröstlich ist dann der Schluss der Predigt über einen schwierigen Predigtext ! .

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