Namen und ihre Effekte

Gott kennt unsere Namen

Predigttext: Jesaja 43,1-7
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 16.07.2023
Kirchenjahr: 6. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Ellen Naß

Predigttext: Jesaja 43,1-7 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2  Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich gebe Ägypten für dich als Lösegeld, Kusch und Seba an deiner statt. 4 Weil du teuer bist in meinen Augen und herrlich und weil ich dich lieb habe, gebe ich Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben. 5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, 6 ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, 7 alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Zur Predigt

Am  6. Sonntag nach Trinitatis wird an die Taufe erinnert. Das Wochenlied EG 200 ist das klassische Tauflied. Auch der Text aus Jesaja 43 ist wahrscheinlich gewählt worden, weil Jes 43, 1 ein beliebter Taufspruch ist. Vielleicht sind Gottesdienstbesucher*innen anwesend, die diesen Taufspruch erhalten haben und es wissen.

Es handelt sich bei dem Predigttext um ein Heil- und Erhörungsorakel.  Deuterojesaja gebraucht es häufig. JBegrich hat deswegen angenommen, dass auf die vorhergehende Klage eine Antwort Gottes (durch Priester oder Kultprophet) erfolgte. Gott spricht in der 1. Person, die Menschen werden direkt in der 2. Person angeredet.

Die Heilszusage wird in der Schöpfung verankert. Gott wird sie loskaufen, „erlösen“ bedeutet ursprünglich, jemanden aus der Schuldsklaverei freizukaufen. Er wird sie vor allen Gefahren beschützen (Feuer und Wasser, Ägypten, Kusch und Seba), er wird sie in ihre Heimat führen.

Ich halte es für wichtig, auch diesem historischem Hintergrund Raum zu geben.  Durch die Konzentrierung auf die Taufe bekommt das Wort, das ja ursprünglich dem Volk Israel galt, einen individualistisch – frommen  Zungenschlag. Natürlich kann man es so verstehen, die Zusage Gottes gilt auch jedem Täufling, aber ich halte es auch für wichtig, die historischen Zusammenhänge zu erwähnen – gerade wegen der jetzigen Entwicklungen im heutigen Israel.

Die Predigt wurde schon am letzten Sonntag gehalten, in der St. Christopheruskirche in Lübeck-Brandenbaum.

 

 

 

zurück zum Textanfang

Vielleicht sind sie Ihnen ja beim Autofahren auch schon aufgefallen: Lastwagen oder manchmal auch Wohnmobile, in denen hinter der Windschutzscheibe Schilder mit den Namen des Fahrers oder der Fahrerin liegen. Bei Wohnmobilen finde ich es merkwürdig – wenn ich auf einen Campingplatz fahren wollte, dann müsste ich nicht gleich dem ganzen Platz mitteilen, dass jetzt ein Peter und eine Karin kommen. Ich verstehe nicht, warum jemand so etwas tut.

I.

Bei den LKW-Fahrern haben die Namen einen ganz anderen Effekt: Dadurch, dass man den Namen erfährt, erscheint der Mensch dahinter. Aus dem störenden, langsam fahrenden LKW mit dem unbekannten, oft polnischen oder rumänischen Fahrer, wird ein Mensch. Er bekommt ein menschliches Gesicht, ist nicht nur einfach ein Hindernis beim schneller Vorankommen.

Namen sind wichtig. Eltern machen sich vor der Geburt eines Kindes viele Gedanken, wie denn das Kind heißen soll, ob der Name exotisch und ausgefallen oder doch lieber konventionell und unauffällig sein soll. Und Namen sind wichtig für denjenigen, der ihn bekommt. Ich kenne jemanden, die noch mit 30 ihren Vornamen geändert hat, weil sie ihn immer gehasst hat.

Namen geben Macht. Wir alle kennen das Märchen von Rumpelstilzchen – „ach wie gut, dass niemand weiß, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“ – dessen Macht aufhört, als andere seinen Namen erfahren. Wenn jemand im Internet schreibt: „Ich weiß, wie du heißt“ und dann vielleicht noch erwähnt, dass er weiß, wo man wohnt, dann muss man Angst haben.

Ob wir ihn leiden mögen oder nicht, der Name bin ich selbst. Mein Mann und ich haben uns bei der Geburt unserer Tochter erst als sie schon da war entschieden, sie völlig anders zu nennen, als wir es vorher geplant hatten. Heute kann ich mir nicht vorstellen, dass sie wirklich so heißen könnte, wie ursprünglich geplant. So fest sind Namen mit Menschen verbunden.

II.

Deshalb wird der Wochenspruch, wird der Anfang unseres Predigttextes heute, auch gerne als Taufspruch verwendet, manchmal auch als Konfirmationsspruch. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Vielleicht sind ja heute Menschen hier im Gottesdienst, die wissen: ja, das ist auch mein Spruch. Die Taufe bei uns ist mit der Namensgebung verknüpft – auch wenn der Name inzwischen ja eigentlich auf dem Standesamt festgelegt wird, da passt dieses Wort, dass Gott uns bei unserem Namen ruft, uns die Zusage gibt, dass wir zu ihm gehören, Er uns kennt.

Dabei hat Jesaja diese Worte im Namen Gottes eigentlich gar nicht für einen Einzelnen gesprochen. Gott redet Israel und Jakob an, Sein Volk, nicht einen einzelnen Menschen. Das erklärt auch den Fortgang des Predigttextes, der für uns auf den ersten Blick merkwürdig und zusammenhanglos erscheint. Israel hatte 597 v. Chr. einen Krieg gegen die Babylonier verloren, den Aufstand gewagt und dann zehn Jahre später endgültig verloren. Danach wurde die gesamte Oberschicht, alle Mächtigen, Wichtigen und Reichen, nach Babylon umgesiedelt, in den heutigen Irak, weit weg von der eigentlichen Heimat.

Das Buch Esther spielt in dieser Zeit. Und in dieser Zeit spricht dieser Jesaja zu den Menschen dort im heutigen Irak, tröstet sie, gibt ihnen im Namen Gottes Hoffnung und Mut. 50 Jahre später wurden die Babylonier von den Persern besiegt, und deren König Kyros ließ dann diese Worte wahr werden, sie durften nach Israel zurückkehren.

III.

Gott verspricht deshalb Seinem Volk noch viel mehr: Er wird sie auch vor möglichen Feinden rundherum beschützen, vor Ägypten auf der anderen Seite, vor Kusch und Seba. Und alle, die geflüchtet sind oder verschleppt worden sind, wird Er zurückholen, aus allen vier Himmelsrichtungen, von überall. Darauf berufen sich die Menschen in Israel noch heute, solche Worte haben im letzten und im vorletzten Jahrhundert Menschen jüdischen Glaubens den Mut gegeben, wieder zurückzukehren nach Israel, dort zu wohnen, einen Staat zu gründen. Man mag zu dem, was momentan in Israel geschieht, stehen, wie man will – seinen Ursprung haben die Ereignisse in biblischen Worten wie die in Jesaja 43.

Trotzdem denke ich, dass die Verheißung, der Ruf Gottes, auch uns gilt, jedem und jeder von uns, denn als Christen und Christinnen sehen wir uns ja als auch Mitgemeinte bei den Verheißungen und Worten des Alten Testaments. Da gilt: Gott kennt unsere Namen, Er ruft uns. Dazu braucht Er kein Schild am Auto und keins an der Haustür. Und Er sieht uns – so  wie wir plötzlich die LKW Fahrer mit dem Namensschild – als Mensch, als Individuum, nicht als Masse.

Er sieht uns, hilft uns, erlöst uns. Wir sind für Ihn nicht wie es beim Rumpelstilzchen oder im Internet ist, dass Er jetzt Macht über uns hat. So ist Gott nicht, weder zu Seinem Volk Israel noch zu irgendjemandem von uns. „Erlösen“ ist ursprünglich ein rechtlicher und wirtschaftlicher Begriff. Wenn jemand damals viele Schulden hatte, deshalb unfrei wurde, sie, unter Umständen mit seiner ganzen Familie, als Sklave abarbeiten musste, dann konnte jemand ihn erlösen – ihn freikaufen. So kauft Gott uns frei von allem, was uns belastet, ruft jeden Einzelnen, hilft und tröstet, bei Wasser und Feuer, wie es hier heißt, in Trauer und Leid.

So ist Gott zu uns, das hat Er uns damals durch Jesaja verheißen, so hält Er es immer noch. Er behandelt uns liebevoll, ruft, hilft, tröstet, damals wie heute. Deshalb ist es auch ein wirklich schöner Taufspruch, denn so spricht Er zu uns in der Taufe, so hält Er uns ein Leben lang.

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Namen und ihre Effekte

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Der Predigttext von Deutero-Jesaja ist ein Heilsorakel . Ein Theologieprofessor hat einmal gesagt: Deuterojesaja ist quasi das Evangelium des AT, weil er so viele ermutigende Texte für die deprimierten nach Babylon verschleppten Juden und danach für alle Gläubigen enthält. ( Auch Jesaja-Kapitel 53 Für Karfreitag :. Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen…) Häufig wird der Predigttext wegen der ermutigenden Worte heute als Text zur Taufe verwendet. Diese Perspektive wird in der Predigt nachhaltig und warmherzig aufgegriffen und die hoffnungsfrohe Rückkehr nach Jerusalem und in Gottes Reich. . Gott tröstet uns genauso nachhaltig heute. Pastorin Nass überträgt den Text des Deuterojesaja bemerkenswert hoffnungsvoll seelsorgerlich und tröstlich auf uns Christen heute.

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.