Umgang mit dem Warten

Mit Zuversicht und Geduld unser Leben aus dem Glauben leben

Predigttext: Hebräer 10, 35-36(37.38)39
Kirche / Ort: Paul-Gerhardt-Gemeinde / Mannheim
Datum: 24.09.2023
Kirchenjahr: 16. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Prädikant Pofessor Dr.-Ing. Werner Grundmann

Predigttext: Hebräer 10, 35-36(37.38)39 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm«. Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen und verdammt werden, sondern solche, die glauben und die Seele erretten.

 

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Vor vier Wochen hatte ich einen Hexenschuss. Ich hatte es so schlimm wie noch nie. Ich konnte mich nachts nicht einmal mehr ohne die Hilfe meiner Frau im Bett drehen. Ich ging dann zum Arzt, und der verschrieb mir ein Mittel gegen Schmerzen und eins zur Entspannung der Rückenmuskulatur. Ganz ehrlich, ich hatte mir erhofft, dass ich damit in der folgenden Nacht gut schlafen könnte. Aber es wurde durch die Mittel nur ein wenig besser, ich hatte keine gute Nacht, und es dauerte noch mehrere Tage, bis ich wieder erholsam schlafen konnte. Da hat ein wenig genervt und meine Geduld gefordert. Aber uns allen ist klar, das war Jammern auf hohem Niveau.

I.

Es gibt tragische und sehr viel langwierigere Krankheiten und auch Krankheiten, die nicht mehr geheilt werden können. Die stellen die Geduld dann nachhaltig und ernsthaft auf die Probe. Oder denken wir an den Krieg in der Ukraine, der schon über eineinhalb Jahre dauert. Russland hatte gedacht, sie könnten ihr Kriegsziel nach drei Tagen erreichen. Und die Ukraine hätte den Krieg auch schon gern nach wenigen Monaten erfolgreich beendet. Aber er zieht sich immer noch hin, noch immer wird das Territorium der Ukraine angegriffen und teilweise besetzt gehalten und Frieden scheint immer noch nicht in Sicht zu sein.

Den Christen, an die der Hebräerbrief geschrieben wurde, ging es ähnlich. Sie hatten sich mit Freuden für die Nachfolge Jesu entschieden, und dafür sehr ernste Schwierigkeiten in Kauf genommen. In den Versen vor unserem Predigttext ist die Rede von Gefängnis und von Enteignungen. Das konnten sie gut ertragen in der Hoffnung, dass der auferstandene und zum Himmel aufgefahrene Jesus bald wiederkäme. Doch nun zog sich die Wiederkunft Jesu in die Länge. Da stellte ihr langes Warten ihre Geduld auf die Probe. In diese Situation hinein soll ihnen der Predigttext Mut machen.

(Lesung des Predigttextes: Hebräer 10, 35-36(37.38)39. “Darum werft euer Vertrauen nicht weg…”)

II.

Wie eingangs gesagt, dieser Text war geschrieben an Gemeinden, die wegen ihres Glaubens unter großem Druck standen. Diese Gemeinden lebten von der Hoffnung auf das Wiederkommen Jesu, das allen Schwierigkeiten ein Ende bereiten würde. Und dass Jesus noch nicht gekommen war, das verunsicherte sie und stellte ihre Geduld auf die Probe.

Wir hier in Deutschland stehen nicht unter solchem Druck, wie ihm die Empfänger des Briefs ausgesetzt waren. Wir dürfen in einem ehemals christlichen Land Religionsfreiheit genießen und sind dankbar dafür. Es geht uns äußerlich gut, wir haben uns daran gewöhnt, dass die Wiederkunft Jesu lange auf sich hat warten lassen und weiterhin auf sich warten lässt. Aber es fällt uns schwer, den richtigen Umgang mit diesem Warten zu finden. Das macht uns und der Kirche Probleme. Ich denke, dass manches, was wir unter uns in der Kirche beklagen, damit zu tun hat, dass wir nicht recht damit umgehen können, dass Jesus noch nicht wiedergekommen ist. Und mal ganz ehrlich: Was erwarten denn wir, die wir hier heute in Paul-Gerhard zusammengekommen sind, für den nächsten Sonntag? Dass wir mit Pfarrer Weiland Erntedank feiern, oder? Aber doch kaum, dass Jesus bis dahin vielleicht wiedergekommen ist und es deshalb keinen Erntedankgottesdienst mehr geben wird. Deshalb hat unser Predigttext auch uns, die wir heute leben und die wir nicht unter äußerem Druck stehen, etwas zu sagen.

Wir sollen unsere Zuversicht nicht wegwerfen, sie nicht fallen lassen. Diese Gefahr, dass wir unsere Zuversicht verlieren, ist groß. Denn wenn man lange auf etwas wartet, was sich dann immer noch hinzieht und hinzieht, rücken andere Dinge, die präsenter sind, in den Vordergrund und verdrängen aus unserem Bewusstsein das, was wir eigentlich erwarten. Und dabei sollten wir freudig und mit Sehnsucht der Ankunft Jesu entgegensehen. Denn auch wenn es uns in vieler Hinsicht äußerlich gut geht: Wenn Jesus kommt, wird alles viel, viel besser. Dann bricht für uns eine ganz neue, für unsere Vorstellung unbeschreibliche Ära an. Zum Beispiel ohne Krankheiten und Schmerzen. Darauf müssten wir uns eigentlich viel mehr freuen als Lottospieler auf sechs Richtige. Denn der Sechser im Lotto ist äußert unwahrscheinlich. Doch dass Jesus kommt, ist absolut sicher. Und so brauchen wir Geduld, wie uns der Bibeltext sagt. Wir können die Ankunft Jesu nicht beschleunigen. Jesus sagt, dass der Vater allein die Stunde weiß. Aber wir können die Ankunft Jesu erwarten und herbeisehen. In der Zeit bis zu seiner Wiederkunft also aktiv warten. Nicht einfach die Zeit verstreichen lassen, als gäbe es kein erstrebenswertes Ziel, auf das wir hinleben.

Wir sollen diese Zeit mit Zuversicht leben. Wofür brauchen wir Zuversicht, was ist damit gemeint? Dem können wir im Hebräerbrief nachspüren. Wenige Verse vorher heißt es in unserem Kapitel: „Weil wir nun durch das Blut Jesu Zuversicht haben zum Eingang in das Heiligtum, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in der Fülle des Glaubens“. Unsere Zuversicht, die wir nicht wegwerfen sollen, beruht zunächst darauf, dass Jesus für uns gestorben ist. Er hat sie uns ermöglicht und durch den Glauben geschenkt. Und auf Basis dieser Zuversicht können wir nun frei zu Gott kommen.

III.

In Kapitel 4 heißt es dann: „Lasst uns mit Zuversicht hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit“. In der Zuversicht, die wir durch Jesu Tod und Auferstehung gewonnen haben, können wir also zu Gott kommen, und zwar um dort Barmherzigkeit und Gnade zu empfangen sowie Hilfe zur rechten Zeit. Eine Hilfe, die unsere Defizite ausgleicht. Und Kapitel 3 sagt uns schließlich: „Wir sind sein Haus, wenn wir die Zuversicht und den Ruhm der Hoffnung festhalten“. Wenn wir also die Zuversicht nicht aufgeben, die uns durch den Zugang zum Thron der Gnade alles gewährt, was wir für einen Wandel auf Gottes Wegen brauchen, dann sind wir Gottes Haus, dann wohnt Gott in uns.

Die Zuversicht, mit der wir leben sollen, führt uns also zu einem Leben in der Hausgemeinschaft Gottes. Schon jetzt, ehe Jesus leibhaftig zurückgekommen ist, können wir gemeinsam mit ihm leben, den Umgang mit ihm und seine Gegenwart genießen. Natürlich weder in der Vollkommenheit des Reiches Gottes noch in der Selbstverständlichkeit des Reiches Gottes. Im Reich Gottes wird ein Leben ohne ihn überhaupt nicht mehr möglich sein. Doch momentan ist das Leben mit ihm noch angefochten. Und es liegt an uns, die Entscheidung zu treffen, uns für Gottes verborgene Gegenwart zu öffnen. Inneren und äußeren Ablenkungen und Widerständen zum Trotz. Das erfordert mitunter auch Mühe, weil unser Umfeld noch nicht durch Gottes umfassende Gegenwart geprägt ist.

Doch wenn wir uns Gottes Gegenwart in uns öffnen, dann ist er durch uns in der Welt. Das verändert die Welt da, wo wir sind. Dann sind wir Salz der Erde und Licht der Welt. Und es gibt für uns eine Belohnung. Unserer Zuversicht ist eine große Belohnung zugesagt. Bei dieser Belohnung an Irdisches, Materielles zu denken, geht natürlich am Ziel vorbei, das ist uns klar. Aber auch hier hilft uns der Hebräerbrief weiter. Zweimal ist von Belohnung im nächsten Kapitel die Rede. In Verbindung mit Henoch heißt es da, dass Gott die, die ihn suchen, belohnen wird. Bei Henoch war es so, dass Gott Henoch nicht durch den Tod gehen ließ, sondern ihn durch eine Himmelfahrt direkt zu sich in seine Gegenwart geholt hat.

Dann ist außerdem von Mose die Rede, dass er gern auf die Schätze Ägyptens verzichtete, weil er auf die Belohnung schaute. Was war seine Belohnung? Ich denke, seine Gemeinschaft mit Gott. Gott selbst beschreibt sein einmaliges Verhältnis zu Mose als das eines Freundes, er redete mit ihm von Angesicht zu Angesicht. Mit den Auswirkungen, die wir auch kennen: Wenn Gott mit Mose gesprochen hatte, strahlte sein Gesicht, so dass Mose eine Decke darauflegen musste. Henoch und Mose haben beide viele Jahre und Jahrzehnte im Glauben gelebt und haben beide viel Geduld gebraucht. Auch wir – so haben wir gelesen – haben Geduld nötig, um den Willen Gottes zu tun und die Verheißung zu empfangen. Die Verheißung, das ist nach Eph 1 der Heilige Geist, also Gottes Gegenwart in uns, als Unterpfand unseres ewigen, himmlischen Erbes.

IV.

Wenn wir die Zuversicht behalten und Geduld haben und so Gottes Willen tun, dann wohnt und wirkt Gott in uns. Für uns ist entlastend, dass wir Gottes Willen nicht aus eigener Kraft tun müssen. Gott ist es, der das Wollen und das Vollbringen in uns wirkt. Er stattet uns mit allem aus, was wir brauchen. Das Einzige, was in unserer Verantwortung liegt, ist zu glauben. Gott zu vertrauen. Wir müssen unsererseits Interesse daran haben, uns auf Gott einzulassen. Seine Gegenwart zu suchen, auf ihn zu hören, umzudenken. Das tun wollen, was er will, statt das, was wir für richtig halten. Das ist eine Haltung, die wir mit Geduld und Ausdauer aktiv und bewusst pflegen sollen.

Es besteht die Möglichkeit, dass uns die Geduld fehlt, dass uns die Zuversicht abhandenkommt und unserem Leben der Glaube entgleitet. Dass wir zurückweichen, wie der Hebräerbrief das hier nennt. Dann hat Gott kein Gefallen mehr an uns, dann ist nicht mehr Gott derjenige, der in uns präsent ist und durch uns wirkt. Dann gehen uns der Friede und die Freude im Heiligen Geist verloren. Ein Beispiel dafür sind im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen die fünf törichten. Den Törichten fehlen Zuversicht und Geduld, ihnen entgehen Verheißung und Belohnung. Sie wissen zwar, dass Jesus kommen wird und warten eigentlich gemeinsam mit den klugen auf Jesus, doch sie kümmern sich nicht um die Ressourcen die sie brauchen, um die Wartezeit zu überbrücken. Ihr Licht leuchtet nicht bis zur Ankunft des Herrn, sondern erlischt vorher. Sie haben keine Freude, keinen Frieden mehr, sondern geraten in Panik und laufen nicht dem Herrn entgegen, sondern suchen die Händler dieser Welt auf. Und verpassen so die Ankunft des Herrn. Als sie dann – für sie ganz selbstverständlich – Einlass fordern, bekommen sie zur Antwort: „Ich kenne euch nicht“. Ihnen hat die innere Verbindung zum Bräutigam in der Zeit seiner Abwesenheit gefehlt, sodass er sie nicht kennt.

Warum schreibt der Hebräerbrief, dass es möglich ist, den lebendigen Glauben zu verlieren und zurückzuweichen und aus der bewusst gelebten Gemeinschaft mit Gott zu fallen? Um uns Angst zu machen? Nein, sondern nur, um die Wichtigkeit der Angelegenheit zu verdeutlichen und dass es nicht egal ist, wie wir entscheiden. Denn uns hier und heute versichert der Text zum Schluss ganz eindeutig: Wir sind nicht von diesen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern wir sind solche, die glauben und die Seele erretten. Denn wenn wir den Glauben aufgegeben hätten, hätten wir heute nicht die Gegenwart Gottes gesucht, wären nicht hierhergekommen, hätten diesen Brief nicht gelesen und hätten uns nicht den letzten Vers des Predigttextes zusprechen lassen: Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen und verdammt werden, sondern solche, die glauben und die Seele erretten. So können wir mit Zuversicht und Geduld unser Leben aus dem Glauben leben, in dem Vertrauen auf den Wiederkommenden, der denen, die ihn suchen, großen Lohn gibt.

 

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