Erntedank

Reichtum, der uns geschenkt ist

Predigttext: Lukas 12,13-21 (mit Einführung)
Kirche / Ort: Kürnberg und Fahrnau
Datum: 01.10.2023
Kirchenjahr: 17. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Ulrike Krumm

Predigttext: Lukas 12,13-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

13 Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. 14 Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter über euch gesetzt? 15 Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.

16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Land hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Güter 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Und wem wird dann gehören, was du bereitet hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott. (Lutherbibel 2017)

Exegetische und homiletische Einführung

Es geht um Reichtum und Ruhe. Was macht mich reich? Und wie finde ich Ruhe? Zuerst hat es mich erstaunt, dass Jesus die ihm zugewiesene Rolle als Richter in einem Erbstreit ablehnt. Die beiden Brüder hätten seinen Schiedsspruch vermutlich akzeptiert. Jesus hätte seinen Einfluss auf die Menschen geltend machen können. Warum erklärt er sich als nicht zuständig? Ihm geht es doch um Gerechtigkeit. Erst spät in meiner beruflichen Laufbahn lernte ich den berühmten „Klammeraffen“ kennen, den Mitarbeitende ihren Vorgesetzten gerne auf die Schultern setzen: Mach du mal. Du kannst das am besten. Und als Vorgesetzte(r) fühlt man sich kompetent und geschmeichelt. Ich bewundere Jesu Freiheit, den beiden Brüdern zuzutrauen, ihre Probleme selber in den Griff zu bekommen. Das einzige, was er ihnen mitgibt, ist der Verweis auf die innere Haltung, die ihnen beim Lösen ihres Streits helfen könnte.

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern passt nicht 1:1 zu dem Anliegen der Brüder – was diesen vielleicht den Kopf öffnet und sie weiterführt. Es ist auch in sich disparat, lässt verschiedene Fährten zu. Die Frage Jesu: „Wem wird dann gehören, was du bereitet hast?“ irritiert: Ist das nicht im Moment des Todes egal? Die Antwort kann ja nur lauten: Dem Kornbauern jedenfalls nicht mehr. Aber vielleicht öffnet diese Frage den Hörerinnen und Hörern gerade in ihrer Irritation neue Gedanken: Sie merken, um was man sich alles Sorgen machen kann. Und wie nutzlos das ist.

Lange überlegt habe ich auch an dem Ausdruck „reich sein bei Gott“. Den Hinweis auf die „geistlichen Güter“ fand ich noch unterbestimmt. Im griechischen Text steht: „eis theon“ - zu Gott hin. Ich höre Bewegung, Dynamik und Beziehung heraus. Auffällig ist, wie stark die Selbstbezogenheit des „reichen Kornbauerns“ betont wird. Er berät sich mit sich anstatt mit anderen, in V. 17-19 spricht er ständig von „mein“ und auch Jesus benennt V. 21 das Sammeln von Schätzen „bei sich selbst“.

Der Reichtum, den Jesus meint, entsteht in der gelebten Gottesbeziehung und in der Aufmerksamkeit dafür, was mir geschenkt ist. Pointiert könnte man sagen: Reich bin ich dann, wenn ich nichts habe. Sondern aus dem lebe, was ich nur empfangen kann.

 

 

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Was soll ich nur tun, fragt der reiche Kornbauer. Es klingt beunruhigt. Sorgenvoll. Wo soll ich nur hin mit all dem Getreide, das da auf meinen Feldern gewachsen ist. Anstatt sich einfach nur darüber zu freuen! Er erinnert mich an meine Mutter, wenn sie früher den Kirsch- oder Zwetschgenbaum abgeerntet hatte und die gefüllten Eimer in unserer Küche standen: Wo soll ich nur hin mit all dem Obst? Anstatt sich einfach erstmal nur darüber zu freuen. Wo soll „ich“ nur hin – sie fragte nicht: Wo soll das Obst hin? Sie sah die Arbeit des Einmachens, die auf sie wartete. Klar, die braucht Zeit. Lebenszeit.

Heute höre ich aus ihrer damaligen Frage eine Unzufriedenheit mit ihrer Situation heraus. Sie hätte ja auch einen Teil an den Bäumen hängen lassen können. Aber das ging auch wieder nicht. Obst muss geerntet werden, so viel wie möglich. Als Kind hatte sie noch die harte Zeit nach dem Krieg kennengelernt, in der sie arbeiten musste anstatt zu spielen. Jetzt sorgte sie sich um sich selbst. Im Sorgen sind wir Menschen ganz gut. Und ich behaupte nicht, dass ich meiner Mutter irgend etwas voraus habe.

Unruhe der Seele

Zu Jesus kommen zwei Brüder. Sie haben geerbt. Ihre erste Frage ist: Wer kriegt mehr? Geht es gerecht zu. Sie fragen nicht: Was brauche ich? Sondern: Wie viel kriege ich? Vielleicht ging es ihnen schon immer darum, wer mehr abkriegt – an elterlicher Zuwendung, an Liebe. Darum streiten sie jetzt. Reichtum verwandelt sich in Sorge. Obwohl doch eigentlich das ausgesprochene Ziel heißt: Ich will Ruhe haben. Ich will mich um nichts mehr sorgen müssen. So drückt es treffend der reiche Kornbauer aus: Ich will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast nun einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! Einen „großen“ Vorrat für „viele“ Jahre. Es klingt, als ob es sich der reiche Kornbauer selber einreden muss. Er spricht seine Seele direkt an: Liebe Seele … Weil er seine Seele kennt. Weil er weiß, wie weit entfernt von ihr die Ruhe ist. Wie sehr sich die Unruhe in ihr eingegraben hat.

Heute sorgen sich bei uns eher die, die unter den gestiegenen Lebensmittelpreisen leiden. Einen immer größeren Teil ihres Einkommens geben sie einfach nur für Essen und Trinken aus. Sie können diesem reichen Kornbauern nur Unverständnis entgegen bringen: Dessen Probleme möchte ich mal haben! So würden viele Menschen in unserer Welt sagen, wenn sie uns jammern hören, wie schlecht es uns geht: Deren Sorgen möchte ich haben. Aber das sehen wir nicht. Sorgen verengen den Blick. Sie kapseln uns ab von den anderen. Jammern auf hohem Niveau bleibt trotzdem ein Jammern.

Dieser reiche Kornbauer – er hätte auch andere Möglichkeiten gehabt. Er hätte sich beraten können mit anderen: Was meint ihr denn? Was soll ich machen? Aber das hat er nicht riskiert. Er hat nicht riskiert, dass dann einer vielleicht sagen würde: Du, ich kenne jemanden, der könnte dein Korn gut gebrauchen. Abgeben kam für ihn nicht infrage: Es war doch sein Feld, das die reiche Ernte getragen hatte. Dass er dieses Feld seinerzeit vielleicht auch geerbt hat, fällt ihm nicht ein. Auch nicht, dass es nur bedingt seine Leistung war, die zu diesem reichen Ertrag geführt hat. Sonne und Regen zur rechten Zeit konnte er sich nur schenken lassen. Aber wie gesagt: Das blendet er aus. Es ist sein Feld, sein Ertrag, seine Verantwortung. Seine Scheune. Und dann irgendwann: Seine Ruhe.

Ruhe neu denken

Irgendwo kann ich den reichen Kornbauern verstehen. Ruhe – das ist wirklich eine feine Sache. Sich um nichts mehr Sorgen machen müssen. Meine Ruhe haben. Aber da werde ich stutzig: Meine Ruhe – genauso wie meine Scheune und meine Ernte und meine Seele. Ist Ruhe überhaupt etwas, was ich haben oder nicht haben kann? Dass sie wichtig ist, steht außer Frage. Aber was ist Ruhe überhaupt? Eine andere Definition fällt mir ein: Friede ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Ist Ruhe dann auch mehr als die Abwesenheit von Sorge? Und wenn ja, wie entsteht sie? Der heilige Augustinus fällt mir ein: Unruhig ist mein Herz, bis es ruht in dir. Und der Hebräerbrief in der Bibel spricht davon, dass wir zu Gottes Ruhe erst kommen werden wie das Volk Israel in das gelobte Land. Da ist keine Ruhe gemeint, die man hat. Sondern eine, die man findet – in der Beziehung zu Gott. Ich werde ruhig, wenn ich weiß, dass einer für mich sorgt. Ich werde in einem anderen ruhig. Ich werde ruhig, weil ich das Gefühl habe: Ich bin beschenkt.

Aber das ist natürlich eine ziemlich gefährliche Ruhe. Es ist eine Ruhe, die den anderen braucht – eben Gott oder die Sonne oder den Regen. Es ist die Ruhe des Kindes, das sich „in aller Seelen-Ruhe“ einer Sache hingibt und die Welt um sich herum vergisst, weil es weiß: Papa und Mama sind da, die passen schon auf mich auf. Die sind da, die sorgen dafür, dass mir nichts passiert. Das Kind fühlt sich reich, obwohl es eigentlich nichts „hat“. Außer Vertrauen. Es vertraut seinem Vater und seiner Mutter. Dadurch fühlt es sich reich. Dadurch wird es ruhig. Mehr Sicherheit braucht es nicht. Aber wenn man erwachsen wird, geht diese Art von Ruhe einem verloren.

Aber die andere Art von Ruhe – die des Kornbauern – erweist sich als trügerisch. Wenn er seine große Vorratsscheune gebaut hat, sorgt er sich vermutlich darum, dass keiner nachts in sie einbricht – oder dass der Wind sie umwirft. Er erinnert mich an Dagobert Duck mit seinem Geldpanzer. Ständig ist er in Sorge vor den Panzerknackern. Er kommt aus seiner Sorge nichtmehr heraus. Jesus weist den reichen Kornbauern ziemlich rabiat auf seinen Trugschluss hin: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Man – nicht Gott oder der Teufel oder der Tod, sondern man. Wörtlich sagt Jesus: Diese Nacht wird deine Seele von dir gefordert werden. Von wem und wie und warum bleibt unklar. Jesus zeigt dem Kornbauern, wie sehr er alle wesentlichen Beziehungen schon verloren hat. Und er zeigt ihm: Selbst deine Seele, für die du dir so sehnlichst Ruhe wünschst, ist nicht dein Besitz. Sie ist dir geliehen, geschenkt. Man kann sie zurückfordern wie ein Darlehen. Und dann? Dann bleibt dir nichts anderes übrig, als dem zu vertrauen, von dem du sie empfangen hast.

Reichtum und Armut

Wir feiern heute Erntedank. Wir feiern den Reichtum, der uns geschenkt ist. Die Geschichte vom reichen Kornbauern zeigt uns: Erntedank hat es in sich. Wir danken für den Reichtum. Aber dieser Reichtum ist größtenteils empfangen. Sonne, Wind und Regen, die Kraft der Pflanzen zu wachsen und zu blühen können wir nicht selber machen.

Wir feiern unseren Reichtum, indem wir unsere Armut zulassen. Wir feiern, dass wir unser Leben nicht besitzen, sondern verdanken. Wir feiern die schöne Kehrseite dessen, dass wir unser Leben nicht in der Hand haben. Wir sind reich, nicht obwohl, sondern weil wir arm sind. Reich ist arm, arm ist reich. Wer reich ist, weil er viel zu besitzen meint, spürt schnell seine Armut, weil sich die Ruhe, die er sich ersehnt, nicht einstellen will. Wer Armut zulässt, gewinnt einen Blick für den Reichtum, der ihm geschenkt ist. Das anzunehmen, ist tausendmal leichter gesagt als getan. Das zu lernen braucht ein ganzes Leben. Das Entedankfest hilft uns dabei. Es lehrt uns eine der wichtigsten Lektionen, die wir für unser Leben brauchen.

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