„Aber Gott gedachte es gut zu machen …“
Begegnung auf Augenhöhe
Predigttext: 1. Mose / Genesis 50, 15-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. 18 Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.
Exegetische Vorüberlegungen zum Predigttext
Die Josephsgeschichte in Genesis 37-50 ist eine von Anfang bis zum Ende in sich organisch zusammenhängende Geschichte im Sinne einer Novelle und enthält sowohl jahwistische als auch elohistische Passagen. Sie ist der biblischen Weisheitsliteratur zuzuordnen und wurde vielfach rezitiert, am bekanntesten durch Thomas Mann.
Gerhard von Rad resümiert in seinem Genesiskommentar, 360: „Das Walten Gottes zum Heile der Menschen durchzieht kontinuierlich alle Lebensbereiche und es umgreift sogar das Böse der Menschen, indem es die Planungen des Menschenherzens, ohne sie zu hemmen oder sie zu entschuldigen, seinen göttlichen Zielen dienstbar macht.“
Die Geschichte verweist das Handeln Gottes in eine radikale Verborgenheit, Ferne und Unerkennbarkeit, die in Gen.genhöhe50, 20 in die bekannten Worte zielen: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“
Unser Textabschnitt ist dem Abschluss der Josephsgeschichte zuzurechnen. Voran geht der Tod Jakobs und sein Begräbnis in Kanaan. Mit dem Tod des Erzvaters kommen alle angeblich geordneten Verhältnisse und Sicherheiten wieder ganz neu ins Wanken. Die Brüder schicken zunächst einen Boten vor, bevor sie sich selbst unter die Augen Josephs trauen. Sie gehen vor Joseph auf die Knie, wodurch sich die Träume von Joseph aus Gen.37 erfüllen.
Joseph zeigt Emotion. Er weint! Warum bleibt unklar! Viele Ausleger, Exegeten und Predigten thematisieren Schuld und Vergebung in diesem Textabschnitt aus Gen.37. In dieser Predigtmeditation soll Gen 37,20 im Sinne eines Resümées und ganz neuen Bewertung des Vergangenen auf der Grundlage eines tiefen, vertrauensvollen Verhältnisses und Glaubens an einen liebevollen Gott und Vater betrachtet werden. Das Verb „chaschaw“ von „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen“ wird noch einmal, aber in neuer Bedeutung, nämlich, im Sinne von „umdenken“ verwendet, wenn es heißt: „aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Damit wird am Ende der Geschichte das Handeln Gottes in ganz neuer Perspektive betrachtet.
Ideen zur Gestaltung
- Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer mit der Passage: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen kann und will…. .“
- Martin Luther King: „Wenn unsere Tage verdunkelt sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große, segnende Kraft gibt, die Gott heißt. Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er kann das dunkle Gestern in ein helles Morgen verwandeln – zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit.“
- Paulus in Röm.8,28: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“
- Sprichwörter: Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade. / Der Mensch denkt – Gott lenkt!
- Liedruf und Kanon während Fürbittgebet: „Du verwandelst meine Trauer in Freude, Du verwandelst meine Ängste in Mut. Du verwandelst meine Sorge in Zuversicht! Guter Gott, Du verwandelst mich!“
Weiterführende Literatur
Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis, in ATD 2-4, Göttingen und Zürich, 1987.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht am Ende einer großen Familiengeschichte.
Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern
Josef hat 11 Geschwister. Sie reihen sich aneinander wie eine Perlenkette. Er ist die Nummer 11. Nach ihm kommt nur noch Benjamin, der jüngste Bruder von Jakob, seinem Vater und dessen Lieblingsfrau Rahel, seiner Mutter. Angefangen hat alles damit, dass Jakob ihn ganz offensichtlich besonders in Herz geschlossen hat und ihm ein buntes Kleid geschenkt hat. Seine Brüder waren neidisch. Dann hatte er auch noch so einen Traum, bei dem sich alle seine Geschwister vor ihm verneigt haben. Irgendwie kam es dazu, dass er seinen Brüdern diesen Traum erzählt hat. Klar, dass die „not amused“ waren. Aber dass sie ihn dann in eine Grube warfen und als Sklave nach Ägypten verkauft hatten, das war schon ein starkes Stück. Ihrem Vater hatten sie mit seinem blutverschmierten Kleid Glauben gemacht, dass er einem wilden Tier zum Opfer gefallen sei. Und dann war da erst einmal Ruhe.
Aber dann, dann kam eine große Hungersnot. Und Familie Jakob hörte, dass es in Ägypten Getreide zu kaufen gab. Niemand dachte mehr an Josef und die Mägen knurrten immer lauter. Josef hatte es in Ägypten dank seiner Weisheit zu Ruhm und Ansehen gebracht und war zum – ich nenne ihn jetzt einfach mal mit heutigen Worten – zum CEO, zum Geschäftsführer, zum zweiten Mann hinter Pharao aufgestiegen und hatte dank seines Traumes mit den sieben mageren und sieben fetten Kühen dafür gesorgt, dass in Ägypten große Vorratshäuser gebaut wurden, aus denen heraus nun die komplette Bevölkerung mit Getreide versorgt werden konnte.
Auch seine Brüder kamen einkaufen. Josef erkannte sie sofort. Sie ihn nicht. Jetzt waren sie in seiner Hand. Würde er ihnen heimzahlen, was sie mit ihm gemacht hatten? Ich mache es kurz: Er gibt sich ihnen zu erkennen und bittet darum, dass auch sein Vater nach Ägypten kommt und alle dort schiedlich und friedlich miteinander lebten. Das ging alles solange gut, so lange Vater Jakob lebte. Aber als der dann im hohen Alter verstarb, kam das ganze System ins Wanken.
(Lesung des Predigttextes)
Josef und seine Deutung der Geschichte
Kaum ist der Stammvater tot, werden alle Bezüge und Verhältnisse unsicher und müssen neu geklärt werden. Das war alles andere als Frieden zwischen Josef und seinen Brüdern. Das war allenfalls ein Burgfrieden, ein wackeliger Frieden zwischen den zwölf Brüdern. Hier ging es nicht um Erbe, um Geld – auch schon alles schlimm und aufregend genug nach dem Eintreten des Todes eines betuchten Vorfahrens – hier ging es um einen Konflikt, der niemals geklärt wurde, sondern immer schön unter dem Teppich gekehrt wurde.
Fakt ist, dass die Brüder ganz schön Muffesausen bekamen, als der Vater verstorben war. Würde Josef ihnen nun heimzahlen, was sie längst verdient hatten? Dann schicken sie einen Boten zu Josef. Sie trauen sich nicht selbst unter die Augen von Josef. Das ist wie wenn man heute erst mal eine Email schreibt anstatt ein Gespräch zu suchen. Josef durchschaut sie sofort und weint. Ist das nicht traurig, wenn auch nach vielen Jahren noch immer kein Gras über eine Geschichte gewachsen ist? Ist das nicht traurig, wenn sich Menschen nicht trauen, miteinander zu reden? Face to face? Auf Augenhöhe? Schließlich merken die Brüder, dass sie sich dieser Sache stellen müssen und kommen selbst zu Josef, fallen vor ihm nieder und unterwerfen sich ihm. Und Josef? Wieder hätte er ausholen können. Hätte er draufschlagen können. Hätte er seine Brüder erniedrigen können. Hätte er Rache üben können. Aber: was hätte er davon gehabt? Genugtuung? Und: Wie lange hätte sie gehalten?
Josef, der 11. Sohn seines Vaters Jakob, der ja auch nicht ganz unschuldig an der ganzen Situation war. Er hätte sich ja nicht so brüsten können mit seinem bunten Kleid. Er hätte seinen Traum ja auch für sich behalten können. Josef spricht: „Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?“ – Josef gebärdet sich nicht als Richter. Er stellt sich nicht über seine Brüder. Er begegnet ihnen auf Augenhöhe. Er möchte ihnen ihre Angst nehmen und sagt: „Fürchtet euch nicht!“ Und dann kommt dieser zentrale Satz, der sein Leben in ein ganz neues Licht rückt, wenn er sagt: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“
Josef deutet sein Leben im Nachhinein im Lichte Gottes. Er klagt Gott nicht an, dass er vollkommen unschuldig als Sklave in Ägypten jahrelang dienen musste. Er jammert nicht darüber, dass er von seiner Familie getrennt wurde und fast sein ganzes Leben fern der Heimat, in der Fremde leben musste. Er beklagt sich nicht darüber, dass er so viel Arbeit hat und so wenig Dank für seine Arbeit erhalten hat. Dass ihm diese Geschichte mit Potifars Frau angehängt wurde und er dann im Gefängnis gelandet war. Er hätte viel Grund gehabt zum Klagen, wie ungerecht es in der Welt zugeht. Wie ungerecht mit ihm umgegangen wird.
Josef sieht sehr wohl, wie viel Böses, wie viele Intrigen, wie viel Neid ihn immer wieder zum Stolpern gebracht haben. Aber: Er bleibt nicht bei dieser Sicht stehen. Er nimmt vielmehr das Leben aus der Perspektive Gottes in Blick und deutet es im Nachhinein so, dass Gott alles Böse umgedeutet und zu Gutem verwandelt hat. Was für eine Wende! Was für ein Wandel! Was für eine Deutung! Und was für ein Segen in dieser Sicht liegt!? Josef ist versöhnt mit seinen Brüdern, noch bevor sie überhaupt ein einziges Wort gesagt haben und hat sogar die Größe, sie zu trösten und ihnen Mut zu zusprechen. Ganz abgesehen davon, dass er sie und ihre Kinder mit Essen versorgen wird.
Und heute – wie deuten Menschen ihre Geschichte?
Wie verschieden Menschen auf ihr Leben schauen und bewerten, auf Ereignisse, auf Geschehnisse… ! Mir fallen da zwei ganz unterschiedliche Begegnungen ein. Die eine: Eine Frau, Mitte 60, vor Jahren hatte sich ihr Ehemann aus der Ehe verabschiedet und eine junge Frau geheiratet, erzählte, dass sie mit einem neuen Bekannten, ein in seiner Kirchengemeinde aktiver Ehrenamtlicher, in Urlaub gefahren sei und dieser habe nichts Besseres zu tun gehabt, als während des Urlaubs immer wieder mit anderen Frauen per whatsapp zu kommunizieren. Das konnte sie – verständlicherweise – nicht ertragen und löste die Beziehung wieder auf. Aber, und das hat mich dann doch verwundert: sie erzählte mir: sie sei dann auch aus der Kirche ausgetreten. Der Mann hatte es nicht gut mit ihr gemeint. Und: Gott anscheinend auch nicht – so die Sicht aus ihrer Perspektive.
Ganz anders eine andere Situation, nicht weniger erstaunlich: Eine Mutter schreibt mir von ihrer Tochter, die seit einer Erkrankung durch einen Hirntumor eine Behinderung hat: „N.N. ist … auf der kardiologischen Wachstation mit doppelseitiger Lungenentzündung. Diese scheint aber nicht das Hauptproblem zu sein, sondern das Herz ist der Sorgenfaktor. Gestern hatte sie ein MRT vom Herzen. Leider gab es zu viele Notfälle auf der Station, dass mir der Arzt dann doch nicht mehr die Auswertung sagen konnte. Heute wird es weitere Untersuchungen geben, die Aufschluss geben sollen, was genau das Problem ist und wo es herkommt. Ich bin total dankbar, dass ich viel bei ihr sein kann. Das Personal dort ist unglaublich nett und bemüht, so ein Geschenk, und das bei ihrer Wahnsinnsbelastung. Eine absolute Freude ist auch, dass N.N. … so mitmacht, nicht jammert und mit ihrem Humor und Witzen die Stimmung dort hebt. Eine bessere Patientin kann ich mir nicht vorstellen. So macht sie es sich und allen Betroffenen so viel leichter. Das war damals in der Akutphase auch schon so. Oh, von Herzen DANKE; … so eine Gnade, Wunder und Geschenk!
„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!“- so Josef, so diese Mutter… . Ganz anders die geschiedene Frau. Und wir? Was glauben wir? Meint es Gott immer gut mit uns? Kann Gott wirklich immer alles „umdenken“, in ein anderes Licht setzen? Mit dem Brustton von Überzeugung neige ich gerade leichtherzig dazu zu bekennen: klar, das kann Gott! Ja, das kann Gott! Aber: macht er es auch immer? Und: gereicht mir das, was mir widerfährt, wirklich immer zum Guten?
Mich beindruckt an der Geschichte von Josef und seinen Brüdern vor allem zweierlei: Dass Josef nach dem Tod seines Vaters so auf sein Leben zurückblicken kann und bekennen: die Menschen meinten es zwar böse mit mir, aber Gott hat es gut mit mir gemacht! Und andererseits beeindruckt mich, wie Josef es von sich weist zu urteilen und seinen Brüdern erwidert: „Bin ich denn an Gottes Stelle?“ Ich merke: Wer an Gott, den Allmächtigen glaubt, schützt sich davor, sich selbst für allmächtig zu halten und selbst seines Glückes Schmid sein zu müssen. Und: wer an Gott glaubt und seine Versöhnung mit uns Menschen durch den stellvertretenden Tod seines Sohnes Jesus Christus, der kann viel leichter mit sich und seiner Geschichte –egal wie sie aussieht – versöhnt sein. Gott kann – das zeigt die Josephsgeschichte ganz klar – sogar das Böse zu seinen göttlichen Zielen nutzbar machen. Was für eine Entlastung! Was für ein Segen!
Sehr lebendig und verständlich wird die Geschichte von Josef und seinen Brüdern von Pfarrerin Best aktualisiert und uns ans Herz gelegt. Der inzwischen mächtige Josef verzichtet auf Rache gegen seine Brüder. Zentral und unvergesslich ist der Kernsatz: “Ihr wolltet es böse machen. Gott wollte es gut machen.” Das ist auch heute aktuell. Gott kann sogar den Kreuzetod Jesu für uns zum Segen machen. Es geht immer wieder darum, trotz des Bösen in der Welt wieder versöhnt zu werden und Versöhnung überall zu fördern. Der an die biblische Josefsgeschichte anknüpfende Josefs-Roman von Thomas Mann, auf den Frau Best hinweist, gehört zu den großartigsten Werken der Literatur.