Abschied, ohne allein zu lassen
Zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten – Vorbereitung auf den Empfang des Heiligen Geistes
Predigttext: Johannes 14,15-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
Eigene Übersetzung Michael Glöckner:
(15) Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. (16) Ich aber werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Fürsprecher geben, damit er bei euch sei in Ewigkeit, (17) den Geist der Wahrheit, den der Kosmos nicht empfangen kann, denn er sieht ihn nicht und er erkennt ihn nicht. Ihr aber erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. (18) Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen; ich komme zu euch. (19) Noch eine kleine Weile, dann wird mich der Kosmos nicht mehr sehen, ihr aber seht mich; denn ich lebe und ihr werdet leben.
Hinführung zur Predigt
1. Exaudi ist zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Was in formaler Hinsicht eine nüchterne Binsenweisheit zu sein scheint, macht das an diesem Sonntag zu Predigende plausibel. Zwischen „Christ fuhr gen Himmel“ (EG 120) und „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ (EG 124) liegt die Geist-Verheißung an die Jünger, die das Proprium des 6. So. n. Ostern bestimmt. „Trost erfahren, Kraft bekommen, Erkenntnis gewinnen“ – das sind Früchte des Heiligen Geistes, auf dessen Empfang der Sonntag Exaudi vorbereitet (vgl. dazu Ag., Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck, 1996, 267). Nach der Himmelfahrt Jesu geht es um die Realisierung des Abschieds durch die Geistverheißung. Dazu ermutigt der kleine Abschnitt aus der ersten Abschiedsrede (13,31 - 14,31). In deren Zentrum findet sich der erste Parakletspruch (14,15-24), aus dem die Perikope für So. Exaudi entnommen ist.
2. Textintern ergibt sich mit Joh 14,15ff. eine Fortsetzung der Zukunftsthematik, indem „das Handeln des Vaters und des Sohnes für die glaubende Gemeinde pneumatologisch entfaltet“ (U. Schnelle, ThHK 4, 230) wird. Hier einige ausgewählte Schlaglichter im Blick auf den Mikrotext.
V 15. Dass sich im Halten der Gebote (hier im Plural, anders Joh 13,34) die Liebe zu Jesus erweist, ist die Kernaussage am Beginn des Abschieds. Einem Auseinandertriften von Glaube und Liebe wird damit grundsätzlich vorgebeugt.
Vv 16f. Zum ersten Mal ist an dieser Stelle im JohEv von dem Parakleten die Rede; vgl. 14,26; 15,26; 16,7; auch 1Joh 2,1. So bezeichnete man in der außerchristlichen Antike „zu Hilfe gerufene, als Beistand herbeigeholte Personen“, sie agierten als Helfer bzw. Beistand vor Gericht, eine Art Fürsprecher (J. Behm, ThWNT V, 799). Die Übersetzung „Tröster“, wie sie sich bei Wyclif und Luther finden, gibt die Ursprungsbedeutung von parakletos nur ganz unzureichend wieder (das moniert zu Recht J. Behm, a.a.O., 802f.). Dieser Paraklet wird vom Vater gesandt und mit dem „Geist der Wahrheit“ identifiziert. Nach dem Abschied Jesu soll er der „Lebensatem ihrer (sc. der Zurückbleibenden) Gemeinschaft sein“ (S. Bukowski verweist auf die sehr interessante Beziehung von Joh 20,22 zu Gen 2,7, GPM 67 [2013], 257).
Vv 18f. Jesus will die Jünger nicht verwaist zurücklassen. Das griechische Wort umfasst den Bedeutungsgehalt von „beraubt, eltern-, kinderlos“ (vgl. Jak 1,27) und stellt die besondere Schutzbedürftigkeit in den Mittelpunkt (H. Sesemann, ThWNT V, 486f.). Ihr steht die angekündigte Parusie Jesu gegenüber. Diese setzt aber zunächst eine andauernde Absenz voraus, Jesus und der Geist sind klar voneinander geschieden (vgl. Joh 7,39). Die Perikope schließt mit dem Verweis auf das gegenwärtige Leben des Auferstandenen und auf das verheißene für die Gläubigen, das in der Gegenwart seinen Ursprung nimmt.
Abschied zu nehmen, fällt schwer. Darum müssen „Abschiedsworte … kurz sein wie eine Liebeserklärung“. Diese Feststellung stammt aus dem berühmten Roman Cecile von Theodor Fontane. Wer einmal auf der Suche nach dem passenden Abschiedswort gewesen ist, kann das wahrscheinlich nachvollziehen. Noch einmal das Wichtigste sagen; aussprechen, worauf es unbedingt ankommt; das, was keinesfalls in Vergessenheit geraten darf. Oftmals ein überaus emotionaler Moment, so ein Abschiedswort – beim Abschied aus dem Elternhaus, beim Abschied aus dem Berufsleben, beim letzten Abschied am Kranken- oder Sterbebett. Manchmal ist ein Abschiedswort nicht nur kurz wie eine Liebeserklärung, manchmal ist ein Abschiedswort eine Liebeserklärung. Bei dem Abschiedswort, das wir heute hören, bedenken und vielleicht auch annehmen wollen, verhält es sich ganz gewiss so. Es stammt aus den Abschiedsreden Jesu, die Johannes, der Evangelist, aufgeschrieben hat.
(Lesung des Predigttextes)
„Abschiedsworte müssen kurz sein wie eine Liebeserklärung.“ Was wir gehört haben, ist nicht ganz kurz, ist auch nur ein Teil der Abschiedsreden Jesu aus dem Johannesevangelium; eine Liebeserklärung aber ist es ganz gewiss. „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.“, sagt Jesus, der Auferstandene, uns zu, und „… ich lebe, und ihr sollt auch leben“. Das ist sein Vermächtnis, seine Abschiedsrede, das, worauf es ihm im Blick auf uns, auf unsere Gegenwart und Zukunft unbedingt ankommt. Was er sagt, will für die Zurückbleibenden den Abschied erleichtern, will den Abschied erträglich machen. Im Kirchenjahr stehen wir genau dazwischen: vor drei Tagen haben wir an den Abschied des auferstandenen Christus aus dieser Welt gedacht, das war Himmelfahrt. Am nächsten Sonntag feiern wir mit Pfingsten die Sendung des Heiligen Geistes an die, die zurückbleiben. Dadurch entsteht die Gemeinde der Christenheit. Bis in die Gegenwart hinein leben wir als Christen in unserer Welt aus dem Geist Gottes, der damals den Jüngern geschenkt worden ist. „Nehmt hin den Heiligen Geist!“ (Johannes 20,22b), so hat der auferstandene Christus seine Jünger beauftragt und bevollmächtigt, hat sie mit dem Odem des Lebens angehaucht. Wie ganz an den Anfängen, als Gott dem ersten Menschen den Lebensodem in die Nase blies (1.Mose 2,7).
Wie im Kirchenjahr, so stehen wir auch in unserer Welt gleichermaßen dazwischen: Jesus ließ damals seine Jünger zurück – eine unmittelbare Gegenwart gibt es bis heute nicht mehr – aber Jesus überließ sie nicht sich selbst. „…ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Fürsprecher geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit.“ Seit dem Pfingstereignis und bis zum Ende unserer Tage, bis zum Ende dieser Welt haben wir es mit Gott als Heiligem Geist zu tun. Er ist der „Geist der Wahrheit“, er ist „Gott auf unserer Seite“ (W. Krötke). Durch ihn begegnet uns Gott, auch in diesem Gottesdienst. Jesus spricht hier vom Heiligen Geist als dem Parakleten. Dieser war in der Antike ein Helfer, Beistand vor Gericht, eine Art Rechtsanwalt. Er führte vor dem Machthaber für Beschuldigte das Wort. Wenn Jesus seinen Jüngern und uns mit ihnen den Parakleten – er nennt ihn auch „Geist der Wahrheit“ – verheißt, dann ist durch ihn Gott so auf unserer Seite. Darauf ist Verlass.
Das ist der positive Grundton, der die Abschiedsreden Jesu durchzieht. Wir sollen nicht als Waise zurückbleiben, denn wir haben den Geist Gottes. Seine Wirkungen sind in der Welt erkennbar. Eindrucksvoll war die Zahl von Christenmenschen, die sich am vergangenen Wochenende in Hamburg zum Kirchentag getroffen haben. Es sind wieder mehr als 100.000 Teilnehmende gewesen, aus dem ganzen Land, die im Geist Gottes gehört, gesungen, gebetet und diskutiert haben. Den Kirchentag gibt es seit nunmehr über 60 Jahren. Er hat immer wieder für Aufsehen gesorgt, was an dem Geist liegt, der Christinnen und Christen verbindet und bewegt. Denn dieser steht oftmals im Widerspruch zu dem, was das Wesen dieser Welt ausmacht. Jesus sagt es so: Die Welt kann den Geist Gottes, den „Geist der Wahrheit“, nicht empfangen, weil er nicht gesehen und nicht erkannt wird. Das verursacht nun aber, dass „der Glaube nicht jedermanns Ding“ ist (2Thess 3,2). Oftmals, wenn nicht Kirchentag ist, sehnen wir uns danach, dass es mehr sein müssten, die sich diesen Glauben zu Eigen machen.
Aber die Welt stellt den Glauben infrage, wie er in gleicher Weise die Welt infrage stellt. In dieser Spannung gegenüber der Welt leben Christen vom Beginn an. Ob in Bezug auf den römischen Kaiserkult oder in kritischer Distanz demgegenüber, was uns die heutige Gesellschaft suggeriert – diese Spannung bleibt bestehen. In unserer Zeit sind es Phänomene von einstürzenden Fabrikgebäuden in Bangladesh, religiös aufgeladene Konflikte fast überall auf der Welt und die schmerzlichen Erfahrungen im Kontext der Finanzkrise (R. Bingener, Evangelisches Reformhaus, in: FAZ vom 4.5.13, 1).Viele Menschen in der Gegenwart glauben nur an das, was sie sehen können und was sie verstehen. Für das, was unser Begreifen weit übersteigt, findet sich unter ihnen kein Platz. Der Glaube hat darum einen schweren Stand, denn genau das ist er ja, „eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“ (Hebräer 11,1). Der Glaube wird von außen wie von innen infrage gestellt – am Stammtisch oder am Katheder, auch durch das ganz persönliche Leiden unter mangelnder Anerkennung, Schuld, Krankheit oder Tod. Die Welt „sieht ihn nicht und erkennt ihn nicht“, den Geist Gottes. Und er stellt die Welt infrage, wenn Maßlosigkeit und Unmenschlichkeit den guten Sinn des Miteinanders unter den Geschöpfen Gottes pervertieren.
Unmissverständlich sagt Jesus: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten“. Er legt uns damit einen Indikator vor, wie ernst es uns mit dem Glauben ist, wie ernst wir es meinen, wenn wir bekennen: „Ich glaube an Gott …, an Jesus Christus, …, den Heiligen Geist“. Die Liebe zu Jesus erweist sich darin, dass wir seine Gebote halten. Darum hat der christliche Glaube einen Bezug zur Moral, auch wenn er nicht moralisch ist. So wie Gottes Liebe zu uns Menschen in Jesus Christus ganz konkret und deutlich wurde, so ist unsere Liebe zu Jesus hier ganz konkret und deutlich beschrieben. Es gibt keine Liebe, die davon abzukoppeln wäre. Dabei geht es um die zehn Gebote, die sich in dem Liebesgebot untereinander realisieren: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Johannes 13,34f.). Das ist das Kriterium, und es ist nützlich darauf zu achten, wie es um die Liebe untereinander in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde bestellt ist. Da wird immer wieder gegen das fünfte Gebot verstoßen, und wenn es nur verbal ist, indem Menschen durch Worte niedergemacht werden. Oder der Schutz der Feiertage – wie oft gibt es Versuche, ihn auszuhöhlen, im Großen wie im Kleinen.
Doch bleiben wir nicht bei den Geboten stehen. „…ich lebe, und ihr werdet auch leben.“, so endet der kleine Abschnitt aus dem Vermächtnis Jesu. Das ist eine wunderbare, ganz prägnante Liebeserklärung. So jedenfalls lese ich es. Da ist zuerst eine Verheißung und dann eine Aufforderung, wir dürfen es als „ihr werdet leben“ verstehen, dann aber auch als „ihr sollt leben“. Manchmal frage ich mich, warum wir es eigentlich oft so kleingläubig tun – zu leben? Wir haben doch die Verheißung unseres Herrn, die uns durch alle Zeiten hindurch tragen kann. Was hindert uns daran zu leben? Was hindert uns, dafür einzutreten, dass Leben gefördert und nicht behindert wird? „…ich lebe, und ihr werdet auch leben.“ Wenn wir das verstanden haben, dann haben wir, glaube ich, die Abschiedsworte Jesu richtig verstanden. Tun wir es doch, zu leben! Gott, der auf unserer Seite steht, wird uns dabei helfen.
Abschiedsworte wie Liebeserklärungen. Unter dieses sehr originelle und tiefsinnige Thema stellt Pfarrer Glöckner seine Predigt über die Abschiedsworte Jesu zwischen Ostern und Pfingsten. Der Auferstandene schenkt uns die Worte: “ich lebe und ihr sollt auch leben”. Wir sind nicht Waisenkinder, sondern wir haben Gottes Geist. Beim Hamburger Kirchentag war davon viel zu spüren. Pfarrer Glöckner thematisiert zwischendurch auch ganz realistisch und schwärmerei-fern, dass der christliche Glaube heute wieder auch massiv in Frage gestellt wird. Was unser Begreifen übersteigt, findet bei vielen keinen Platz. Die Welt sieht und erkennt nicht Jesus und den Geist Gottes. Wer aber Jesus liebt, wird seine Gebote halten. Das neue Gebot besteht einfach darin, dass die Jünger Liebe zueinander haben. Die “wunderbare, ganz prägnante Liebeserklärung” Jesu kann Christen durch alle Zeiten hindurch tragen. Nur besonders angerührt und bewegt kann man diese Jesus-Predigt lesen. Alle Jesus-Anhänger und -Fans werden (wie ich) diese Predigt lesen und bewahren in ihrem Herzen.
Die Predigt ist gut gemeint. Der Bezug zum Kirchentag macht es auch leichter, den Gedankengängen des Predigers zu folgen.
Die Adressaten dürften aber Theologiestudenten oder eine vergleichbare Gruppe sein.
Ich wüsste keine Gemeinde, der es sonst selbstverständlich sein dürfte, was ein “Paraklet” ist. Solche Termini führen die Gedanken des Hörers auf Abwege, die dann am wichtigen sehr geballten Inhalt vorbeihören lassen.