„Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben…”
Im Himmel - Aufgehoben bei Gott
Predigttext: Lukas 24, (44-)50-53
Gedanken beim ersten Lesen
Es ist wie in einer Schulklasse: der Lehrer erklärt den Schülern, worum es geht – und die Kinder verstehen. Es ist geballte Theologie, die wir da lesen. Es ist die Aussendung der Jünger, die allerdings erst noch in Jerusalem bleiben und auf „die Kraft aus der Höhe“ warten sollen.
Und dann führt Jesus seine Jünger hinaus – bis nach Bethanien, etwa 2,7 km südöstlich von Jerusalem, an der Ostseite des Ölbergs. Ist dieser Ort ein Zufall? Dort wohnten die Geschwister Maria, Martha und Bruder Lazarus, den Jesus „auferweckt“ hat. Vielleicht ist Jesus dort von Johannes getauft worden.
Jesus hebt die Hände auf und segnet seine Jünger. Und in diesem Augenblick „schied er von ihnen“. Eine Variante spricht von einer „Himmelfahrt“. Die Jünger beten ihn auf den Knien an. Haben sie das vorher schon einmal getan? Erwarten würde ich jetzt Trauer über den Abschied. Aber das Gegenteil geschieht: Sie sind fröhlich und kehren wieder nach Jerusalem zurück. Dort sind sie „allezeit“ im Tempel, wo sie Gott preisen. Warum? Weil Jesus nicht mehr da ist?
Anmerkungen zum Predigttext
47 Koinä, latt: (dass verkündigt wird) Buße UND Sündenvergebung; Text: P75, B (s. Mk 1,4)
48 Koinä: ihr SEID Zeugen; im Text redet Jesus die Jünger schon als Apostel an; sie werden es nicht erst jetzt; Text: P75, B
49 Gegenüber der Koinä, P75 schickt Jesus die „Verheissung des Vaters“ aus sich heraus D (Bezae V/VI), P75 bezeichnen die Verheissung Jesu und nicht des Vaters
51 nur D: Scheidung Jesu von seinen Jüngern – statt sich entfernen; nur bei Luk
Koinä, P75, lat: und er wurde aufgenommen in den Himmel; wörtliches Zitat aus 2 Kön 2,11 (Himmelfahrt des Propheten Elia); auch Mk 16,19 – mit Erweiterung sedes dextera; Text: Sinaiticus, D
52 Koinä, P75, lat fügen hinzu: sie fielen vor ihm auf die Knie; übernommen aus Mt 28,17? (Proskyese
sonst nicht bei Luk); Text; D (Bezae V/VI)
53 D ersetzt das Benedictus der Jünger durch „Gott loben“ – vgl Halleluja; Koinä, lat fügt dieses Loben der Eulogie bei; Text H (auch Sinaiticus IV)
Leitwörter
44 Es ist notwendig, dass alles, was im Tanach steht, „erfüllt“ wird
47 „Umkehr zur Vergebung der Sünden“ ist nach Mk 1,4S der Inhalt der johannäischen Taufe; wer „umgekehrt“ und getauft ist, ist aus dem Gefängnis der Sünden entlassen; dabei geht es JohBapt um die Erfüllung des Gesetzes – Jesus dagegen um die Nachfolge
49 „Die Verheißung meines Vaters“ oder (Var:) Meine Verheißung; „Verheißung“ bei den Synoptikern nur hier und in act, sonst ein wichtiger Begriff des Paulus Apg 13,32 wandelt Paulus die Verheißung (epangelia) in das Evangelium (1. Missionsreise)
50 Bethanien = Armenhaus; Bethanien südöstlich von Jerusalem, an der Ostseite des Ölbergs, etwa 15 Stadien (ca. 2,7 km) von Jerusalem entfernt (Joh 11,18), ist der Heimatort der Geschwister Maria, Martha und Lazarus (Joh 11,1). Aus Bethanien stammte der Esel, auf dem Jesus in Jerusalem einzog. Auch übernachtete Jesus dort (Mk 11,1). In Bethanien lag auch das Haus Simon des Aussätzigen (Mt 26,6). Mit der Auferweckung des Lazarus ist die „Auferstehung“ Jesu vorbereitet.
51 „sich entfernen“ – nur hier und Act 27,28: Jesus ist „weg“; dies wird verstärkt durch „und er wurde in den Himmel aufgehoben“ – fehlt in vielen Texten; Zitat aus 2 Kön 2,11: Himmelfahrt des Propheten Elia, der als Vorläufer des Messias gilt.
51+52 Segnen = benedicere, hebr barakh: „mit heilvoller Kraft begaben“ (LNT III 1120), gegen die zerstörerische Kraft des Fluchs. Hier ist weder der priesterliche Segen noch der Erbsegen der Vätererzählungen gemeint sondern der Abschiedssegen. „Der Inhalt des Segens ist das Mitsein des Erhöhten mit seiner Gemeinde, wie es das bei Mt an entsprechender Stelle stehende Wort exakt zum Ausdruck bringt: „Ich bin bei euch alle Tage …“ (Mt, 28,28; vgl. Gen 26,3)“ (LNT III 1125).
Gedanken zur Predigt
- (Jerusalemer Bibel:) „Es wird der Eindruck erweckt, dass sich alles am gleichen Tage, am Auferstehungstag, abgespielt habe“ (zu Luk 24,44ff)
- S. Bach formuliert in seinem Oratorium den Schmerz des Abschieds (3. Rezitativ Bass) und die sehnlichste Bitte, Jesus möge bei den Jüngern bleiben (4. Aria Alto, die an die H-Moll-Messe erinnert); der Schmerz über die Trennung ist übergroß (7b Rezitativ Alto), aber der Jünger weiß, dass „ich doch beständig …, Jesu, deine Gnadenblicke … sehn (kann)“; denn „deine Liebe bleibt zurück, dass ich mich hier in der Zeit an der künft´gen Herrlichkeit schon voraus im Geist erquicke, wenn wir einst dort vor dir stehn“ (so die Aria Soprano); und die Gemeinde singt: „Du Tag, wann wirst du sein, dass wir den Heiland grüßen, dass wir den Heiland küssen? Komm, stelle dich doch ein!“ So wandelt sich der Abschiedsschmerz in sehnsüchtiges Erwarten des „Heilands“
- V 46: „So stehts geschrieben, kein Text erklärt explizit, dass der Messias leiden müsse, und Luk zitiert auch keine spezielle Bibelstelle (NT – jüdisch erklärt 179).
- V 47 Buße zur Vergebung der Sünden: „im Judentum wurde geglaubt, dass Gott immer bereit ist, dem Reumütigen zu vergeben“ (aaO 179); hier schlägt die Verkündigung von dem Täufer Johannes durch (Mk 1,4) und damit die (christliche) Taufvorstellung von Luk.
- (V 50-53) eulogein: Christus segnet die Jünger, und die Jünger „antworten“ mit ihrem Lob Gottes – in cod D mit einem eigenen Wort versehen (aineoo). eulogein zeigt die Verbindung vom Auferstandenen und den Jüngern: Christus: Ich bin bei euch alle Tage (Mt 28,28, vgl. auch Gen 26,3), und die Gemeinde „lobt“ ihn dafür.
Literatur
Hg. von Breitkopf, J.S. Bach, Himmelfahrtsoratorium (1735?). - Hg. Lothar Coenen, Theologisches Begriffslexikon zum NT, 3. Aufl. 1972. - Eugen Drewermann, Dass alle eins seien, Zürich 1997 – bes. „Zu Christi Himmelfahrt“ S. 22-26. - E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese Teil II, 2. Aufl. 1986 – bes. „Die Himmelfahrt des Elisa“ S. 423-435. - Hg. Wolfgang Kraus u.a., Das Neue Testament – jüdisch erklärt, Stuttgart, korrigierter Druck 2022.
Lieder
Weil wir von Hilfe leben, Text: Eckart Bücken, Melodie: Peter Janssens
EG 153 Der Himmel, der ist, Text: Kurt Marti, Melodie: Winfried Heurich
Unfriede herrscht auf der Erde, Text und Melodie: Zofia Jasnota
Gespräche mit Kindern können zu interessanten Fragen und Gedanken führen. So fragt ein Kind etwa nach dem Tod des Großvaters: Wo ist Opa jetzt? Die Antwort: im Himmel. Oft ist das Kind mit dieser Antwort zufrieden, weil es spürt, dass es dem Großvater gut geht, dass er gut aufgehoben ist.
Es ist ein Menschheitsglaube, dass Verstorbene „im Himmel“ sind, dass sie an einem Ort sind, vom dem aus sie wohlwollend auf uns Sterbliche herabblicken. Und auch das ist eine Sehnsucht von Menschen, wieder zurückzukehren unter die Sterne. Die alten Völker lehrten, „wir verwandelten uns in Licht, wir flögen hinauf in der Freiheit der Seele, wir verschmölzen mit dem Gestirn des Lichts, mit der Sonne, und nähmen in heller Bewusstheit jenseits aller Nächte zu ihrer Rechten Platz. Das ist ursprünglich Himmelfahrt, dieses älteste Symbol dafür, dass es den Tod nicht gibt, aber eine ewige Berufung zu unzerstörbarem Leben“ (Drewermann, Dass alle eins seien 23f). Mit diesen Gedanken und Bildern hören wir den Text zum heutigen Himmelfahrtstag.
(Lesung des Predigttextes, Lukas 24,(44-49)50-53)
Wenn wir diese Worte hören, mögen wir den Eindruck haben, dass sich die Zeiten ineinander schieben: Ostern, Himmelfahrt und vielleicht auch Pfingsten spielen sich am gleichen Tag ab. Der gekreuzigte Jesus lebt und wirkt, als ob es die furchtbare Passionszeit nicht gegeben hätte.
Doch gehen wir behutsam vor. Am Anfang steht der Schmerz des Abschieds. Ich stelle mir vor, dass die Jünger trauern und gar nicht wissen, was sie nun ohne ihren „geliebten Jesus“ machen sollen. In manchen Kirchen (z. B. in der Schlosskirche zu Ahrensburg / Hamburg) wird in diesem Jahr das Himmelfahrtsoratorium von Joh. Seb. Bach aufgeführt. Mit Worten aus dem Barock singt der Bass: „Ach, weiche doch noch nicht!“ und sieht sich untröstlich. Das Flehen in der Alt-Arie ist herzzerreißend: „Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben! Ach, fliehe nicht so bald von mir!“ Es ist der Abschiedsschmerz, den jeder kennt, der einen geliebten Menschen verloren hat. Warum? Und warum jetzt? Das sind die Fragen der Trauer. Den Jüngern wird es ähnlich ergangen sein. Die Zeit des gemeinsamen Wanderns mit Jesus ist wie ein Hauch vorbeigegangen. Was bleibt jetzt? Sie alle konnten Golgatha, konnten das Kreuz nicht aushalten. Und das Grab haben nur wenige der Jünger gesehen.
Es ist wie bei dem Treffen der Trauergemeinde beim anschließenden Essen: Bilder steigen auf, Geschichten über den Verstorbenen werden wach. Ein erstes Schmunzeln, vielleicht Lachen. Der Verstorbene wird sichtbar mit allen seinen Begabungen, Ecken und Kanten, Konflikten und Gegensätzen. Er wird wieder menschlich – als ob er mit unter den „Feiernden“ säße.
So können wir uns vorstellen, was unsere Geschichte erzählt, dass Jesus seine Jünger aufklärt. Ihnen wird klar, dass alles so kommen m u s s t e. Wer Blinde heilen und Kranke aufrichten konnte, wer Menschen von der Last einer Schuld befreien und „verlorene Söhne und Töchter“ einfach so aufnehmen und in die Arme schließen konnte, der kann nicht im Tod bleiben, dessen Geist ist stärker als der Tod, der lebt, auch wenn er nicht mehr unter uns.
Vielleicht geht es Ihnen, liebe Gemeinde, auch so, dass Sie in den Gottesdienst kommen, weil sie Kraft und Mut für die anstehende Woche haben wollen. Vielleicht ist es eine Liedstrophe, ein Gebetsanliegen, ein Gedanke aus der Predigt, der Sie anders und neu in Ihr Leben blicken lässt, der Ihnen Kraft gibt, aufzustehen und zu tun, was Gott Ihnen vorlegt. Und vielleicht helfen Sie dadurch auch anderen, sich die Augen zu reiben und die Welt neu zu sehen oder die Ohren auf neue und andere Töne einzustellen.
Vielleicht braucht es den Abstand vom Tod, der uns klar werden lässt, worum es geht. Nach dem Bericht des Lukas führt Jesus seine Freunde nach Bethanien – das ist der Ort, wo der Bruder von Maria und Martha wieder ins Leben geführt worden ist. Und hier, am Rande der Wüste, geht Jesus förmlich „über den Jordan“. Er geht in eine andere Welt und lässt die Jünger zurück. Was nun? Sie haben seine „Verheißung“, die mit der „Verheißung des Vaters“ gleich ist. Was ist uns verheißen? Ich stelle mir ein Gefühl, ein Bewusstsein von unbändiger Freude vor, das die Jünger empfunden haben. Diese Freude hat Jesus gelebt. Mit ihr hat er Menschen „angesteckt“, so dass sie wieder gehen, handeln, sehen und – leben konnten. Es ist die Verheißung von Freude, die sich jetzt schon ausbreitet. Und in dieser Freude wissen sich die Jünger bis heute aufgehoben, so wie Jesus aufgehoben war bei Gott. Das ist der Segen, den der Auferstandene uns gibt.
Also wo ist der Verstorbene, wo ist Jesus jetzt? Er ist im Himmel, aufgehoben bei Gott. Und er blickt mit wohlwollenden Augen auf uns. Er ist „bei uns alle Tage bis an der Welt Ende“. Und mehr noch: Sein Geist will uns begeistern, seine Kraft ist auch in Schwachheit mächtig (vgl. 2 Kor 12,9), sein Licht lässt unsere Welt neu entstehen: „Christ fuhr gen Himmel“, und es wurde licht. Kein Wunder, dass seine Jünger bis heute „mit großer Freude“ an ihr Werk und in ihr Leben gehen und Gott segnen. Es ist, als ob sie – und auch wir als seine Jünger – Gott bei diesem Abschied krönen, ihm alles Gute wünschen und dass nichts Böses ihn beschädigt. Das ist unsere menschliche Antwort auf den Segen Gottes an uns. Was für ein tröstlicher und ermutigender Abschied!
Nach den ungewöhnlich erhellenden Einführungen und den Anmerkungen zum Predigttext und den Leitwörtern und den Gedanken zum Predigttext beginnt mein alter Christenfreund und “Christusträger” Kühne seine Predigt mit elementaren einführenden Kinderfragen, wie es den Verstorbenen im Himmel geht ? Das ist ja ein Menschheitsglaube , dass unsere Verstorbenen im himmlischen Reich bei Gott sich aufhalten und gütig auf uns blicken, damit wir endlich alle eins und liebevoll verbunden sind.
Am Anfang des Predigttextes aber steht der Schmerz des Abschieds von unseren geliebten Toten, den wir alle kennen. Beim Treffen einer Trauergemeinde , wird aber häufig auch über die guten und originellen Charakterzüge unserer Verstorbenen gelächelt, wenn wir von den guten Seiten des Verstorbenen erzählen. Wo ist Jesus jetzt ? Nur das bewirkt große Freude bei uns an allen Tagen ! Eine sehr erfreuliche Predigt beim Denken an Tod und Jesu Himmelfahrt !