Streit herrscht in der christlichen Gemeinde in Rom. Es ist um das Jahr 55 nach Christus. Erst vor kurzer Zeit war die Gemeinde gegründet worden. Christen mit jüdischem Hintergrund und Christen, die vorher anderen Religionen angehört haben, bilden diese Gemeinde. Hier kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen und Hintergründen zusammen. Menschen aus Jerusalem treffen auf alteingesessene Römer, Neuzugezogene aus dem römischen Reich sind ebenso vertreten wie Reiche und Arme, Gebildete und weniger Gebildete. Themen für Streitigkeiten gibt es genug. Aber in dem Predigttext steht vor allem die Frage im Vordergrund, ob nur Menschen mit jüdischer Tradition Christen sein können oder auch die, die aus anderen religiösen Zusammenhängen kommen.
I
Paulus nimmt die Frage auf und spricht in seiner Antwort von Juden- und die Heidenchristen. Dabei müssen wir wissen, dass für Paulus in seinem Sprachgebrauch und in seiner Tradition alle Menschen, die nicht Juden waren, als „Heiden“ bezeichnet wurden. Bei Paulus ist das als Christ, der alle Welt zu Christus führen wollte, in dieser Zeit nicht mehr ein negativ belastetes Wort. Es war eine Bezeichnung, die jeder kannte. Heiden waren diejenigen, die die Schriften der hebräischen Bibel nicht kannten und von daher auch nicht wussten, dass Jesus der Messias ist, der in den alten hebräischen Schriften angekündigt worden war. Sie bekannten sich als Christen, weil dessen Leben, Sterben und Auferstehen, seine Worte und sein Leben Eindruck gemacht hatten. Sie glaubten, dass Jesus derjenige war, der als Sohn Gottes in der Welt lebte und den Willen Gottes an die Menschheit weitergegeben hatte. Er war derjenige, der ein Leben nach dem Tod in Gottes Gegenwart allen Menschen versprochen hatte. Das genügte den Heidenchristen als Hintergrund.
Die aber, die in jüdischer Tradition aufgewachsen waren, hatten damit Schwierigkeiten. Wie konnte man Christ sein, ohne die Propheten zu kennen, ohne die Psalmen gehört zu haben, ohne über Gottes Bund mit dem jüdischen Volk Bescheid zu wissen? Die Judenchristen sahen herab auf die Heidenchristen und fragten sich, ob sie überhaupt ein Recht hatten zu ihrer christlichen Gemeinde zu gehören.
Die sogenannten Heidenchristen fanden demgegenüber die Judenchristen arrogant und fühlten sich mit Recht als Christen zweiter Klasse behandelt. Streit war also unvermeidlich. Wie sollte man miteinander umgehen? Wer hatte Recht? In dieser herausfordernden Situation wandte sich die junge christliche Gemeinde an Paulus und bat um Klarstellung. Diese Streitigkeiten und ganz eindeutig historische Themen sind für Laien und Theologen spannend, aber, was hat all das mit der Adventszeit zu tun?
Wo bleibt das schöne, heimelige Gefühl, das wir uns in dieser Zeit so sehr wünschen? Wo ist von Licht die Rede, von Freude, von zuversichtlicher Erwartung? Unsere Welt strauchelt von einer Krise in die nächste, die Nachrichten sind voll von beängstigenden Ereignissen und von Menschen, die Streit und Hass verbreiten. Da braucht man in der Adventszeit ein bisschen heile Welt, Kerzenschein, schöne Musik, duftende Gestecke, etwas zur Ablenkung. Und ehrlich gesagt, kann ich mich diesem Wunsch aus vollem Herzen anschließen. Ich bin es so Leid ständig von schlechten Nachrichten überflutet zu werden.
II
Aber genau in unsere Zeit, in unsere Welt passt der heutige Predigttext. Wenn wir es uns recht überlegen, kennen wir doch die Situation derer, die sich in ihrer Not an Paulus wenden, sehr gut. Auch wir kennen Streit, Hass, Ausgrenzung, Menschen, die arrogant auf andere herabschauen und sie nicht in ihrer Gemeinschaft haben möchten. Zugegebenermaßen, dabei geht es nicht in erster Linie um Streitigkeiten in christlichen Kreisen, aber doch auch. Wie weit weg, geografisch und spirituell, sind für uns die Christen, die in anderen Ländern hart und unbarmherzig über die urteilen, die nicht ihrer Meinung sind. Aber können wir uns gemächlich und selbstzufrieden zurücklehnen und sagen: „Das gibt es bei uns nicht?“ Leider nicht. Auch bei uns streiten sich Christen um die rechte, richtige Auslegung der Worte Jesu, und oft werden bei diesen Auseinandersetzungen nicht gerade Samthandschuhe getragen. Das sind die Tatsachen, das ist die Welt, in der wir leben. Und in genau diese Welt mit all ihrer Angst, ihren Kriegen, ihren selbstgerechten Unbarmherzigkeiten spricht die Botschaft von Jesus Christus.
„Nehmet einander an, wie Christus euch angenommen hat, denn dadurch wird Gott geehrt.“- Meine Güte, wie schwer!
Paulus beruft sich in seiner Argumentation auf die Schriftstellen, die den damaligen Judenchristen und uns heute auch bekannt sind. Er redet von einem Gott, der Geduld und Ermutigung schenkt, der in Jesus gezeigt hat, dass alle Menschen ihre unverwechselbare und unantastbare Würde haben. Und das sollen wir nicht nur anderen sagen, sondern wir sollen uns selbst auch daranhalten.
Für die, die sich in den hebräischen Schriften auskennen, zitiert Paulus Texte aus den Psalmen, aus den Propheten und aus der Thora. Überall werden die sogenannten Heiden, alle anderen Völker, in das Lob Gottes mit einbezogen, in das Bild der Kinder Gottes. Somit kann niemand diejenigen ausschließen, die diese Texte nicht gelesen haben und bisher nicht kennen. Und genau weil das so ist, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, Geschöpfe Gottes, sollen die, die das glauben zusammenhalten, einander zuhören, geduldig miteinander sein und sich in Auseinandersetzungen immer wieder auf das Leben Jesu berufen, der alle Menschen angenommen hat. „Geht so miteinander um, wie Christus es uns vorgelebt hat.“ Dieser Christus hat keinen Unterschied gemacht zwischen Kranken und Gesunden, zwischen Frauen und Männern, zwischen Fremden und Einheimischen zwischen Reichen und Armen.Dazu gibt es genügend Geschichten im neuen Testament.
III
Wenn wir jetzt in der Adventszeit schon einmal einen kurzen Blick auf Weihnachten wagen, dann wird uns klar, dass im Stall, an der Krippe, bei Jesus jeder einen Platz hat. Die Weisen aus dem Morgenland sind die, die andere Hautfarbe haben, die aus anderer Tradition kommen, die sehr reich sind, gebildet und weit gereist. Sie waren wohl keine Menschen jüdischen Glaubens.
Aber auch die Hirten von den Feldern von Bethlehem konnten kommen und waren willkommen. Menschen, die nicht reich waren, die nicht besonders gebildet waren, die ortsansässig waren und bei vielen frommen Menschen nicht besonders angesehen waren, da sie aufgrund ihrer Arbeit auf den Feldern nicht häufig in den Tempel gehen konnten. Mit Maria, Josef und dem Kind hatten Frauen, Männer und alle Generationen Platz und Raum. Und auch die Schöpfung mit den Tieren war einbezogen. Das ist das Zukunftsbild, auf das wir in der Adventszeit schauen dürfen. Das ist die Hoffnung, die Gott uns schenkt und an die wir uns immer wieder neu erinnern lassen dürfen. Ein Bild der Gemeinsamkeit, ein Bild des Miteinanders, ein Bild des Friedens in einer zerrissenen Welt.
Von diesem Bild speist sich unser Christsein. Darum passt der Predigttext auch so gut in die Adventszeit. Wir sehen die harte, die oft unbarmherzige Welt, wir hören von Politikern, die uns Angst machen. Wir können die Augen vor den Tatsachen nicht verschießen. Und doch haben wir ein Hoffnungsbild in unseren Herzen. Und doch werden wir als Christen damals und heute auf das eingeschworen, was Jesus verkündet hat, auf sein Bild vom Frieden und von Zukunft. Mit diesem Bild stehen wir in dieser Adventszeit in einer langen Tradition von Christen.
Immer schon gab es Auseinandersetzungen zwischen Christen und mit denen, die sich unserem Glauben nicht zugehörig fühlen. Das war so und das wird sicher so bleiben. Und trotzdem, vielleicht auch gerade deshalb, sind solche Texte so wichtig, die hinausrufen: „Nehmer einander an wie Christus euch angenommen hat! “ Denn mit diesem Ruf, mit dieser Aufforderung kommt tatsächlich Licht in unsere Welt. Wir wollen und dürfen sie nicht nur dunkel und schwarz reden oder glauben. Es geht darum, nicht arrogant auf die herabzusehen, die anders glauben als wir, die anders sind als wir. „Nehmet einander an, wie Christus euch angenommen hat.“ Das ist christliches Denken und Handeln. Paulus besteht darauf, dass wir uns an dem Leben Jesu orientieren und damit Freiheiten und Grenzen bestimmen.
Paulus stellt hier ganz klar heraus, dass Menschen sich auf Gottes Versprechen verlassen dürfen, auch gegen allen Anschein. Und er hat versprochen, dass es im Kleinen und im Großen ein Bild von Zusammengehörigkeit geben kann. Damit möchte ich leben und danach möchte ich versuchen zu handeln. Leicht ist das nicht, ebenso wenig wie es vor 2000 Jahren leicht war, aber es lohnt sich, daran festzuhalten und darauf zu vertrauen, auch in dieser Adventszeit 2024.