Advent – “Siehe, es kommt die Zeit …”

Auch, wer mit Sorgen nach vorne schaut, zündet doch die erste Kerze an

Predigttext: Jer 23,5-8 (mit Einführung)
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 28.11.2021
Kirchenjahr: 1. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Jeremia 23,5-8 (Übersetzung nach Martin Luther)

5Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten  Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. 6Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und  Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird:  »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«. 7Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, 8sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Vorüberlegungen

Mit dem 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Heute mit Jer. 23,5-8. Machen wir eine Seh-Übung:

  1. 5: Siehe, es kommt die Zeit
  2. 7: Darum siehe, es wird die Zeit kommen.

Es spricht jeweils der Herr – Jahwe, der Gott Israels (und Vater Jesu Christi).

Was sollen, was können wir sehen? „Die Zeit“. Aber was ist „die Zeit“? Was ist die kommende Zeit? Lässt sich Zeit überhaupt sehen? Und was ist an ihr oder mit ihr zu sehen? Was kommt auf uns zu (Zu-Kunft) und was adaptieren wir wie? V. 7 verspricht sogar eine Steigerung (darum siehe).

In der Predigtvorbereitung muss der hebräische Text konsultiert werden. Trotzdem sind die Über-Setzungen (vgl. EÜ oder Basis-Bibel) kleine Kunstwerke, die danach fragen, wie wir einen alten Text in unserer Sprache (und Sprachwelt) öffentlich machen. Sprachliche Übungen sind es allzumal und homiletische Leckerbissen.

Im größeren textuellen Kontext beginnt Jer. 23 mit einem Wehe-Wort und endet mit einem Urteil „ewiger Schande“ und“ ewigem Schmach“, die nie vergessen werden sollen. Mittendrin – einer Oase gleich – die Verheißung einer neuen, einer anderen Zeit, die einfach „die Zeit“ ist. Zur Predigtvorbereitung gehört, den Predigttext weiträumig zu „umlesen“, um ihn in einer Gerichtsansage zu entdecken.

Gliederung

VV 5-6  Ein König, der gut regiert, wird angesagt und bekommt seinen Namen

VV 7-8  Eine neue Schwurformel

Nach V. 4 werden neue Hirten eingesetzt, die beschützen und weiden, wie es recht / gerecht ist.

Die vorhergehenden VV sind eine Abrechnung mit den Hirten, die das Volk Gottes ausnehmen, in die Irre führen und sich selbst bereichern und groß machen. Unschwer zu erkennen: Hirten sind hier die politisch Verantwortlichen – oder auch: Könige. Ihnen gilt das „Wehe“ von V. 1. Zu den ältesten Königsbildern gehört, dass sie Hirten sind. Das ist zwar eine paternalistische Sicht, misst aber das königliche Amt an seinem göttlichen Vorbild und Auftrag.

Hier schließt V. 5 an: „dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will“. Es geht um einen Nachkommen des König Davids, der (so Luther) „wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird“. Über David ließe sich vieles sagen, doch der Fokus liegt hier auf dem „gerechten Spross“. Bildlich sei an die „Wurzel Jesse“ erinnert, die Bücher und (Glas)Fenster ziert – Baum einer großen Hoffnung, die zu Jesus führt und ihn ihm ihre Erfüllung findet. Vgl. Jes. 11,1-10. Gleichzeitig wird in diesem Motiv die Abstammung Jesu dargestellt.

Ein Beispiel: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/05/Tree_of_Jesse_Louvre_OA10428.jpg

Das Wortfeld, in dem wir uns in den VV 5-6 bewegen, ist das des „Rechts“, der „Gerechtigkeit“.

Es ist von einem gerechten Spross die Rede, von Recht und Gerechtigkeit, die er übt und von dem Namen, der ihm zukommt: „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“. Der gerechte Spross wird zu dem Herrn, der unsere Gerechtigkeit ist. Im Hebräischen ist das „ist“ auch ein „werden“ – keine Definition, sondern ein Weg. Gleichzeitig immer etwas, was gewesen ist von Anfang an.

Recht und Gerechtigkeit eignen dem König (und dem Bild von ihm) zu. Er ist Garant, nicht Schöpfer. Gerechtigkeit ist das Urbild der Weltordnung (H.H. Schmid), die nicht verletzt werden kann – und doch ständig verletzt wird. Recht und Gerechtigkeit sind gesellschaftliche und politische Größen. Sie zu spiritualisieren, bedeutet auch, sie zu verletzten.

„Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“ ist jedoch nicht nur eine Hoffnung, sondern ein Bekenntnis: So wird er heißen, der kommt. So heißt er! Jer. 23,6 ist allerdings auch eine Verheißung, die über die Idealbilder menschlicher Herrschaft hinausweist, weil sie der Grenzen ansichtig ist. Der „gerechte Spross“ wächst aus der bekannten Welt heraus, um ganz in ihr heimisch zu werden.  Menschwerdung gleich Königwerdung – und umgekehrt.  Das Adventslied „Macht hoch die Tür“ besingt diese Gewissheit, um dann in der letzten Strophe die Bitte auszusprechen: Komm, o mein Heiland Jesu Christ …

Die VV 7-8 stellen eine neue Schwurformel vor. Schwurformeln sind theonorme Bekräftigungen von Sätzen, die eine eigene –sprich göttliche - Autorität bekommen. Ich sage dies und das – „so wahr der Herr lebt“. In der orientalischen Welt und in Märchen ist die Redewendung auch sonst vertraut.

Man wird nicht mehr sagen: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!« - übrigens: das Urbekenntnis Israels.

Man wird sagen: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.«

Die Formulierung ist ein wenig umständlich. Oder ist es nur der Übersetzung geschuldet? Eine historische Erinnerung sieht anders aus – oder ist es gar keine Erinnerung? Kein „Gedächtnis“? Noch kein „Gedächtnis“?

Der Schlüssel liegt – wie in V. 6 – in dem, was kommt, was kommen wird. Ist es in V. 5f der gerechte Spross, so in V. 7f. die neue Welterfahrung nach dem babylonischen Exil. Die prophetischen Überlieferungen greifen die Exodustradition(en) auf und weiten / legen sie aus. Hier in Jer. 23 wird die Verheißung formuliert, dass Jahwe das Haus Israel „heraufgeführt und hergebracht“ hat (!) aus allen Landen „wohin er sie verstoßen hatte“. Verstoßen ist das eine, wiedergebracht das andere.

Das eine ist geschehen, das andere geschieht. Und es ist ein Zusammenhang. Eine Erlösungsgeschichte. „Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.“

Die VV 5 und 6 sowie 7 und 8 stellen als „die Zeit“ vor Augen, in der der gerechte Spross seine Herrschaft ausübt und sein Volk zurückbringt. Es geht darum, in seinem Land zu wohnen, eine Heimat zu haben, zu Hause zu sein, in einer heilvollen Geschichte zu stehen, die Treue Gottes zu erfahren. Das Land von Jer. 23 ist das von Gen. 12.

Pointiert: Dem „gerechten Spross“ kommt eine neue Schwurformel zu – die Schwurformel wird neu, weil es den „gerechten Spross“ gibt. Die VV 6 und 8 stehen zudem in einer eigenen Beziehung:

  1. 6: Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen -
  2. 8: der Herr hat die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht … aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte

Die Historiker wissen um die Akteure, Konstellationen und Bühnenbilder historischer Ereignisse und Prozesse – Jahwe kennt und gestaltet die Geschichte, die dahinter und darinnen steht.

In V. 9 beginnt die Scheltrede über und gegen die Propheten

„Mir bricht mein Herz in meinem Inneren, / alle meine Glieder zittern. Wie ein Betrunkener bin ich, / wie ein Mann, den der Wein überwältigt hat, / wegen des HERRN und seiner heiligen Worte“ (EÜ)

Wir predigen Jer. 23-5-8 am 1. Advent. Können wir zurückschauen? Dürfen wir nach vorne schauen? Das doppelte „siehe“ verhilft uns dazu, Verheißungen zu predigen. Wir sagen zwar, sie seien erfüllt (worden), beten gleichwohl darum, dass wir „sehen“, was kommt. Dieses Spannungsverhältnis ist dem Text von Anfang an eigen.

Ein Seitenblick: George Orwell

„George Orwell erkannte schon früh: Hitler versprach den Deutschen Gefahr, Kampf und Tod. Das Ergebnis sei, «dass sich ihm die ganze Nation zu Füssen warf»

Unter dieser Überschrift schreibt Renate Wiggershaus in der NZZ vom 20. Nov. 2021 über (vergangene) Zukunftsaussichten und (noch immer nicht vergangene) Träume.

Der kleine Ausflug zu George Orwell lohnt.

https://www.nzz.ch/feuilleton/george-orwell-erkannte-frueh-hitler-versprach-den-tod-ld.1654413?mktcid=nled&mktcval=127&kid=nl127_2021-11-21&ga=1&trco=

Die  Adventszeit ist eine Bußzeit. Jer. 23,5-8 ist Teil einer großen Bußpredigt. Man könnte unseren Predigttext auch als Mittelteil eines Alters gestalten – in den Seitenflügeln „Hirten“ und „Propheten“, die allesamt ihres Amtes enthoben werden. Damit sind die Könige und Geschichtsdeuter entmythologisiert. Es geht um den „gerechten Spross“!

Der 1. Advent lässt jetzt zum 1. Mal in dieser Adventszeit die Sehnsucht zu Worte kommen,

dass „die Zeit“ kommt – und Gott selbst kommt. Wie ein gerechter Spross? Als gerechter Spross? In einem gerechten Spross? „Siehe“!

 

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Was alles kommt!

Heute ist der 1. Advent. Ein neues Kirchenjahr beginnt. Auch, wem das nichts sagt, zündet doch die erste Kerze an. Die erste Kerze auf dem Adventskranz. Das Licht wird wachsen. Von Woche zu Woche. Das ist eine Verheißung. Zum Zusehen. Dann kommt Weihnachten.

Was sonst noch kommt? Schwer zu sagen. Menschen sehen immer etwas kommen. Die einen sehen die Diktatur kommen, die anderen ständig wachsende Inzidenzen. Mediziner und Pflegekräfte sehen die Intensivstationen an ihr Limit kommen, ärztliche Kommissionen die Triage. Viele Menschen  sehen sich an ihre Grenze kommen, viele wissen nicht mehr weiter.

Und, um nicht nur bei Corona zu verweilen, im Irak sehen Menschen Flüchtlinge zurückkommen, die bis zur belarussisch-polnischen Grenze gelotst worden waren. Spielbälle. Sackgasse. Aber was heißt schon: Kommen? Zurückkommen?

Nicht nur sensible Menschen spüren die Angst, die umgeht, sie sehen auch die Risse, die durch die Gesellschaften gehen. Nicht nur bei uns. Was alles kommt? Ich möchte am liebsten mit den Achseln zucken, doch ich zerbreche mir den Kopf, in meinem Herzen rumort es.

Heute ist der 1. Advent. Eine neue Zeit kündigt sich an. Auch, wer sich treiben lässt, zündet doch die erste Kerze an. Sie reicht, um einen dunklen Raum zu füllen. Das Licht wird wachsen. Von Woche zu Woche. Das ist eine Verheißung. Zum Zusehen . Dann kommt Weihnachten. Weihnachten kommt!

Die Zeit

Darf ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen? Geschichte – ich weiß nicht. Es ist eigentlich die Geschichte einer Predigt. Jeremia hat sie gehalten. Die Hintergründe, die wir nicht genau kennen, lassen wir am besten auch links liegen. Die Predigt ist aber so toll – und auch so tollkühn -, dass sie es geschafft hat, heute unser Predigttext zu sein. So ein langer Atem darf sein.

Ich lese Ihnen einen Ausschnitt vor: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten  Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.

Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und  Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird:  »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«.“ (Jer. 23,5f.)

„Siehe“ heißt: mach die Augen auf. Schau! Was es zu sehen gibt?  Es kommt „die Zeit“. Eine Zeit kommen zu sehen, ist gar nicht so einfach. Wie wollen wir die eine von der anderen, die alte von der neuen Zeit trennen? Ist nicht alles im Fluss? Dinge können kommen. Schicksale können kommen. Feinde können kommen. Aber „die Zeit“, die kommt, stellt eine Zäsur dar. Es gibt ein vorher und ein nachher. Was aber „die Zeit“ ausmacht, ist ein Spross – ein altes Wort für Kind. Doch Spross ist ein zu schönes Wort, um es zu umgehen. Bei Spross sieht man etwas wachsen. Wie bei einem Baum, einer Blume, einem Halm. Ist das nicht eine geniale Umschreibung von Kommen? Ein Spross entfaltet sich, breitet sich aus, kommt nach oben.

Jeremia knüpft da an eine alte Geschichte an, die mit dem König David seit Urzeiten verbunden ist. Obwohl schon lange tot, ist er der König schlechthin. Er trägt sogar Züge eines Sohnes Gottes. Als Psalmsänger ist er fast jeden Sonntag auch in unseren Gottesdiensten zu Hause. Er wird in unseren Kirchen als Mann mit der Harfe dargestellt. Ein König, der singt. Der die Lieder Gottes singt. Die Geschichte von ihm und dem Riesen Goliath kennen Sie? David bezwingt den Tyrannen – leichtfüßig wie ein Knabe, dem die Welt nichts anhaben kann. Dass David auch Ehebrecher und Mörder geworden ist, verschweigen die heiligen Texte nicht. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir“.

Der Spross Davids, das wird, das ist ein König, „der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.“ Eigentlich zeichnet das jeden König aus – es gibt da viele Königsspiegel, also Aufgabenbeschreibungen und Regelwerke schon im alten Orient. Nur die Realität sieht anders aus. Die, die Macht haben, nutzen sie für sich – und nutzen die aus, die sich nicht wehren können. Die, die die Ordnung der Welt , die die Schöpfung schützen sollen – das ist hier mit Gerechtigkeit gemeint -, bringen sie ins Chaos. Gott selbst fängt jetzt mit dem König noch einmal neu an. Siehe! Schau!

Nur: ein Spross ist ein Spross. Ein Spross ist wehrlos. Ein Spross ist angreifbar. Ein Spross muss geschützt werden.

„Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit; all unsere Not zum End er bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Heiland, groß von Tat.“ (EG 1)

Neue Schwurformel

Jeremia hat sich genau angeschaut, was vor „der Zeit“  ist – und eine große Gerichtspredigt gehalten.

Da werden die Mächtigen zur Rechenschaft gezogen  – und die Propheten, die Schönredner, die Propagandisten und Schleimer entlarvt.

„Mir bricht mein Herz in meinem Inneren, / alle meine Glieder zittern. Wie ein Betrunkener bin ich, / wie ein Mann, den der Wein überwältigt hat, / wegen des HERRN und seiner heiligen Worte“

Was Jeremia wahrnimmt, wabert und wuchert im Internet, wir sehen es weltweit, es rückt uns auf den Pelz. Dass Menschen missbraucht werden, dass das Recht gebeugt wird, dass die Wahrheit zensiert wird, wir wissen es. Wie Jeremia.

Er  sieht auch seine Zunftgenossen, die Propheten, wie sie die Leute für dumm verkaufen, den Mächtigen nach dem Mund reden, mit Hass und Lüge öffentlich Stimmung machen. Jeremia ist ein unbestechlicher Zeuge von Wahrheit und Recht. Ein Zeuge der Wahrheit und des Rechtes Gottes. Hören wir noch einmal in die Predigt hinein, die Jeremia hält:

„Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.“

Das ist eine Schwurformel: So wahr der Herr lebt. Mit einer solchen Schwurformel wird eine Zeugenaussage bekräftigt oder ein Urteil gesprochen. Mit einer solchen Schwurformel wird das Recht geheiligt und die Gerechtigkeit vor Gott gebracht. So wahr der Herr lebt!  Gott hat sein Volk aus Ägypten geführt, aus der Knechtschaft – er führt sein Volk auch aus der Zerstreuung in ihre Heimat. Menschen kommen nach Hause. Menschen können wieder leben. Menschen haben eine Zukunft. So wahr der Herr lebt.

Es kommt ein Schiff, geladen

Was kommt, besingt Daniel Sudermann um 1626 in  einem Marienlied, das  zu einem Adventslied wird.

„Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein‘ höchsten Bord, trägt Gottes Sohn von Gnaden des Vaters ewigs Wort“

Es kommt ein Schiff! Es könnte fast sinken, so schwer ist es beladen – und ist doch so leicht. Mit was ist es geladen? Mit Gottes Sohn – des Vaters ewigs Wort. Es ist ein besonderes Schiff. Von unten bis oben, vom Heck bis zum Bug geladen mit Hoffnung. Mit Glauben. Mit Liebe. Sagen wir: Mit Gott. Er, der keine Umgrenzungen kennt oder braucht, füllt bescheiden ein Schiff aus. Er, der Himmel, die Meere, die Erde ausmisst, sucht einen Hafen. Des Vaters ewigs Wort!

Was kommt, lässt sich beobachten. Ich stelle mich hin und schaue. Wind weht mir um die Nase. Ich höre die Möwen. Leicht kräuseln sich die Wellen. In ihnen spiegelt sich die Sonne. Was, wenn ein Schiff kommt? Dort, am Horizont, werden Umrisse sichtbar. Erst gespenstisch und weit weg – dann immer deutlicher, farbiger und größer. Das Schiff wächst. Wie meine Hoffnung. Wie mein Glauben. Wie meine Liebe.

„Der Anker haft‘ auf Erden, da ist das Schiff am Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“

Eigentlich kommt immer etwas. Mal so, mal so. Manches kann ich in meine Hand nehmen, manches wächst mir über den Kopf, manches fällt mir auch auf die Füße. Aber eigentlich kommt immer etwas. Dass Gott kommt, ersehne ich. Ich schaue nach ihm aus.

Es kommt ein Schiff, geladen… Kein Zweifel, keine bangen Fragen – in Zeiten, in denen vieles durcheinander geht, mutet das wie ein kindlicher, wie ein verträumter Blick an. Mit Staunen in den Augen.

Der Herr ist unsere Gerechtigkeit

Übrigens: der Spross – nennen wir ihn auch ruhig den König, der kommt  – bekommt einen großen Namen: „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“. Ein schöner sprechender Name. Zugleich ein Bekenntnis. Eine Hoffnung, dass „die Zeit“ kommt. „Die Zeit“ Gottes. Wir fragen, was Gottes Gerechtigkeit ist, wir setzen uns für sie ein, das Maß der Dinge sind wir nicht. Dieser Namen ist ein Versprechen:

Ich stehe für euch ein. Ich gehe mit euch. Ich setze auf euch meine Hoffnung. Eigentlich wollte ich das noch wünschen. Gott kommt mir zuvor.

Heute ist der 1. Advent. Gefühlt wird alles heller. Auch, wer mit Sorgen nach vorne schaut, zündet doch die erste Kerze an. Die erste Kerze auf dem Adventskranz. Das Licht wird wachsen. Von Woche zu Woche. Das ist eine Verheißung. Zum Zusehen. Dann sehen wir den Spross Davids. In Windeln gewickelt, in einer Krippe liegen.

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr!

 

 

 

 

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Ein Kommentar zu “Advent – “Siehe, es kommt die Zeit …”

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Nach der sehr erhellenden Exegese beginnt die Predigt nachdenklich, indem das große Corona-Problem heute vor Augen geführt wird. Dann aber erinnert die Predigt an das erste Licht im ersten Advent, das unseren dunklen Raum füllen kann. Der Predigttext erinnert an David und seine Nachkommen und hält aber auch Gericht.
    Danach verkündet die Predigt Gottes Zukunft mit intensiver Hoffnung für uns heute. Sehr passend wird das bekannte , sehr schöne Adventslied zitiert : Es kommt ein Schiff geladen… trägt Gottes Sohn voll Gnaden…. Sehr froh endet die intensive Predigt mit der Ankündigung vom Kommen von Gottes Zeit und Gerechtigkeit und der Aufforderung eine Adventskerze anzuzünden.
    Die Adventszeit wird ja zu oft nur geschäftig und oberflächlich gefeiert. Pfarrer Wussow erklärt mit der Bibel die Adventszeit und vertieft das Verständnis sehr intensiv und einleuchtend.

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